Review: PRIMAL FEAR – Metal Commando

Primal Fear sind wohl das, was man in der Metalszene als “household name” bezeichnen kann. Jeder kennt mindestens einen oder zwei Songs der Band, kann die grobe Marschrichtung als midtempolastigen Power/Heavy Metal europäischer Prägung mit starkem Priest-Einschlag einordnen und weiß, dass man mit jeder neuen Scheibe immer verlässlich das Erwartete erhält. Kein Raum für Überraschungen – bis jetzt!

Mit einem langgezogenen Intro inklusive epischem Männerchor beginnt der Opener “I am Alive”, setzt mit hohem Tempo an und lässt neu-Drummer Michael Ehré direkt in die Vollen gehen. Ein hymnischer Chorus und kurze Solo-Showcases der 3 Gitarristen runden den Song ab, bevor es dann auch schon mit der ersten Singleauskopplung “Along Came The Devil” weitergeht. Hier handelt es sich um einen gutklassigen Midtempo-Stampfer mit Reminiszenzen an Judas Priest in den Spätachtzigern, der aber eher dem berechenbaren Part des Albums zuzuordnen ist. Ganz anders das nun Folgende “Halo”, das vom Drumming, Klangbild und der Melodieführung her ohne Probleme auf Helloweens sträflich unterbewerteter 2000er Platte “The Dark Ride” hätte stehen können, die erste wirkliche Überraschung auf “Metal Commando”. “Hear Me Calling” wiederum ist im Ansatz ein düster daherwalzender -höret und staunet- Stadionhardrocker in nietenbesetzter und bös dreinschauender Kutte, der erstaunlich gut funktioniert.

 

Wer sich nun aber in Sicherheit wiegt, wird direkt im Anschluss daran auf “The Lost And Forgotten” in die Schwingstrecke einer übergroßen Abrissbirne mit angeschweißten, gigantischen Cojones geschoben. Sinner und Scheepers agieren hier gemeinsam nach dem Motto “Maximum Bruststimme” und zeichnen vor dem geistigen Auge des Hörers ein Meer aus zu den “look to the left, look to the right”-Shouts gereckten Fäusten, direkt umzusetzen sobald die schmerzlich vermissten Livegigs wieder eine Chance erhalten, Lebensrealität zu werden. “My Name Is Fear” dagegen lädt erst einmal zum Entspannen ein. Das Tempo ist zwar höher, aber der Song klingt an sich “offener”, weniger hart, und wenn man ganz ehrlich ist, sehr europäisch. So europäisch powermetallisch, dass man beim Anhören ein unterbewusstes Verlangen auf Kürbissuppe bekommt und erneut gen Hamburg schielt.

Während man sich also noch fragt, wohin die Reise gehen soll, werfen die Herren Urängste mit “I will be gone” ihren Gegenentwurf zur klassischen, zum Schrecken des Headbangers auf fast jeder traditionellen Heavy Metal-Scheibe vorhandenen Powerballade in den Ring, und die Verwirrung ist komplett: Kein Geschnulze, kein Geknödel, keine mit Powerchords auf den Grundtönen einsetzenden Bratgitarren ab dem 2. Chorus, stattdessen ein grundsolider Popsong mit umwerfender Vocal-Produktion, der zeigt, wie kontrolliert Scheepers mittlerweile agieren kann und Erinnerungen an die Melodieführung von Acts wie Jimmy Eat World aufkommen lässt. Zur Westerngitarre gesellen sich sehr dezente Streicher sowie eine Klassikgitarre fürs Solo, und das ist für dieses Stück auch vollkommen ausreichend. Weniger ist mehr! Kinnlade auf Boden, super gemacht!

Aus der Traumdimension abgeholt wird man nun mit “Raise Your Fists”: Kräftiges Intro mit doppelläufigen Leadgitarren, Vocals mit Dampfhammerdruck, mächtiger Mitbrüllchorus, erneut ein starker Priest-Einschlag, keine Innovationen. Dafür aber ein eindrucksvolles Exempel, wie man diese Art von Song schreibt und lehrbuchwürdig umsetzt.

 

Das wieder sehr klassisch Powermetal-lastige “Howl Of The Banshee” dagegen bleibt erschreckend farblos und kann wohl als das hässliche Stiefkind des Albums bezeichnet werden. An diesem Song ist leider alles durchschnittlich, zündende Momente bleiben bis auf die nette Leadmelodie aus, vielleicht erwartet man nach den letzten Tracks aber an diesem Punkt einfach auch nur zu viel. Ganz anders “Afterlife”, das erneut Standards setzt: Beißende Gitarren die “Rectifier auf Anschlag” schreien, klingt es wie ein Bastard aus Gamma Rays “Heart Of The Unicorn” und “Time To Break Free” (Strophenmelodien), “Painkiller” von den allgegenwärtigen Judaspriestern im Chorus und Edguys “Mysteria” im Riffing. Hierzu noch eine Shredorgie aller 3 Gitarristen im letzten Drittel und fertig ist die Hochenergie-auf-die-Fresse-Granate des Albums.

Ein Gewitter und Begräbnisglocken leiten das abschließende Infinity ein, ein akustisches Thema auf Stahlsaitengitarre und untermalende, tiefe Pianosaiten lassen Spaghettiwesternfeeling aufkommen bevor der Song sich mit durch das Hauptthema verbundenen, wechselnden und sich immer wieder gegenseitig verstärkenden Parts zu einer kompakten Metal-Oper über 13 Minuten entwickelt. Natürlich kann man trotz der Überlänge hier nicht von Prog sprechen, einen krönenden Abschluss und gleichzeitig ein Showcase der immens gereiften Fähigkeiten der Band kann man jedoch durchaus attestieren.

Fazit: Primal Fear in 2020 zeigen sich als eine in allen Belangen gereifte Band, die sich nicht mehr innerhalb ihrer Nische gefangen fühlt sondern stattdessen ihre Stärken erkannt und gerade diese auf der vorliegenden Scheibe noch weiter herausgestellt hat. Statt alles anders zu machen, orientiert man sich eher am japanischen Prinzip des Kaizen, der Optimierung von Vorhandenem bis hin zur Perfektion. Starke Scheibe!

Bewertung: 8,5 von 10 Punkten

“Metal Commando” erscheint am 24.07.2020 über Nuclear Blast.

Tracklist:                                          

  1. I Am Alive
  2. Along Came The Devil
  3. Halo
  4. Hear Me Calling
  5. The Lost & The Forgotten
  6. My Name Is Fear
  7. I Will Be Gone
  8. Raise Your Fists
  9. Howl Of The Banshee
  10. Afterlife
  11. Infinity

Line-up:

Ralf Scheepers | Gesang
Tom Naumann | Gitarre
Alex Beyrodt | Gitarre
Magnus Karlsson | Gitarre
Michael Ehré | Schlagzeug
Mat Sinner | Bass, Gesang

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