“Ultima Ratio-Fest” mit PARADISE LOST und Co. live in Oberhausen

“Ultima Ratio”, das letzte anzuwendende Mittel ist oft die extremste Entscheidung, die man treffen kann, nachdem andere Wege zum Ziel sich als Sackgassen erwiesen haben. Wer schon bei PARADISE LOST normalerweise “Shut up and take my money” ruft, bekam bei der “Ultima Ratio Fest-Tour” nicht nur die Veteranen des Gothic Metal auf’s Gehör, sondern gleich auch noch die irischen Pagan-Giganten von PRIMORDIAL und als i-Tüpfelchen HARAKIRI FOR THE SKY und OMNIUM GATHERUM. Was ein Kraftpaket! Natürlich ist die Ursache dieser Ballung an Bands nicht so positiv, denn einzelne Bands haben es derzeit schwer, die Hallen vollzubekommen, weshalb man dermaßen schwere Geschütze auffahren muss. Einige der betagteren Fans mögen zudem auch noch einwenden, dass 4,5 Stunden Programm etwas viel für die morschen Knochen sind. Doch wer fit und begeisterungsfähig war, konnte sich an einem fulminant-schwarzen Abend voll brachialem Metal erfreuen.

Den Anfang machte OMNIUM GATHERUM aus Finnland. Die Band um Sänger Jukka Pelkonen präsentierte vor allem Material des aktuellen Albums “Origin”, zum Beispiel die Kracher “Reckoning” und “Paragon”. Der Melodic Death Metal des Openers hatte definitiv auch seine Fans in der Oberhausener Turbinenhalle, wie zahlreiche kreisende Köpfe z.B. bei “Ego” bewiesen. Der Band gefiel’s: “You guys are fuckin’ alright. We now take you back a couple of years”. Der Ankündigung folgte der 2011er-Song “Soul Journeys”. Gegen Ende des Sets sagte Pelkonen noch: “I don’t speak enough german but you are ‘ausgezeichnet’!”. Mit “Solemn” schloss sich der Kreis des Sets.

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Fotos: Ulli

HARAKIRI FOR THE SKY, die den Opener-Slot mit OMNIUM GATHERUM während der Tour regelmäßig getauscht hatten, durften in Oberhausen als zweites die große Bühne entern. Die Österreicher begeisterten mit ihrem melancholischen, in Verzweiflung getränkten Post Black-Metal. Auch wenn Sänger J.J. oder aber das Mikro nicht seinen besten Tag hatte, hinterließ die Show doch einen bleibenden Eindruck. HARAKIRI FOR THE SKY entdeckte ich erst 2019 auf der gemeinsamen Tour mit DRACONIAN für mich. Man kann sich der emotionalen Wirkung dieser intensiven Musik kaum entziehen. Die feurig-flackernden Buchstaben H.F.T.S. auf der Bühne kamen einem Menetekel der Angst gleich und die brutalen Gitarrenwände des Sounds rissen mal wieder alle inneren Mauern zwischen der Band und den Seelen des Publikums ein. Hier gab es kein langsames Herantasten an die tiefe Ebene der Lyrics, HARAKIRI FOR THE SKY heißt “alles oder nichts”! Ob ältere Stücke wie “Homecoming: Denied” oder neueres Material wie “I, Pallbearer”, die Österreicher trafen den Nerv des Publikums besser als ihre Vorgänger. Fronter J.J. sank verschiedentlich auf die Knie oder sogar gänzlich zu Boden und gab sich ganz der harten Realität seiner Gefühlswelt hin. Dass es auch ganz aktuell Anlass zur Trauer gab, erfuhren wir durch die einzige Ansage zwischendurch: Ein guter Freund der Band war offenbar vor wenigen Tagen verstorben. “Ich hoffe, du bist jetzt bei uns”. Nach dem ihm gewidmeten Song umarmten sich die Mitglieder. Melancholie und Verzweiflung sind eben nicht immer Show. Der Fronter sprang auch einmal in den Graben und headbangte dort und nahm Kontakt zum Publikum auf. Ein vortrefflicher Support-Act!

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Fotos: Ulli

Die Spielzeiten der vier Bands unterschieden sich indes kaum, alle hatten ungefähr eine Stunde zur Verfügung. Als nächstes brach die irische Black-/Pagan-Institution PRIMORDIAL ungebremst über die Menge herein. Beginnend mit “As Rome Burns” übernahm die Band die Aufgabe, das Blut der Wartenden endgültig zum Kochen zu bringen und die passende Endzeitstimmung für die letzte Schlacht zu schüren. Auch die direkte Kommunikation mit der Menge nahm schlagartig zu: “I wanna see your fuckin’ hands! Everyone!”, machte Frontmann A.A. Nemtheanga gleich klar, was erwartet wurde. “Good evening, my friends. How the fuck are you doing? This night may be the last night of your life. This night may be… how it ends!”, leitete er den Titelsong des gleichnamigen, aktuellen Albums ein. Der 8-Minuten-Kracher verfehlte seine Wirkung keineswegs. Mit “To Hell Or The Hangman” wurde ein Stück (Sprach-)Geschichte nicht unbedingt “lebendig”, aber doch greifbar. Der Song basiert auf der Geschichte von Walter Lynch, der 1493 einen spanischen Edelmann in Irland umgebracht hatte, und von seinem eigenen Vater, dem Bürgermeister in Galway, am Fensterkreuz erhängt wurde, um einem wütenden Mob zuvorzukommen, der vor das Haus gezogen war. Der Ausdruck “lynchen” war geboren. Nicht minder historisch kamen die “Coffin Ships” daher, jene Seelenverkäufer, die auswandernde Iren und Irinnen in der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert massenhaft bestiegen, wobei viele den Tod fanden. PRIMORDIAL schafft es immer wieder, mächtigen, stampfenden Sound mit großartigen Texten zusammenzubringen. Und das verfehlt auch live seine Wirkung keineswegs. Viele Zuschauer gaben sich ganz der entkörpernden Erfahrung hin, die ein PRIMORDIAL-Konzert bietet und headbangten und moshten, als gäbe es kein Morgen. “We are near at the end of the ‘Ultima Ratio Fest-Tour’, zeigte sich Nemtheanga etwas wehmütig. “It has been big fun for us with all the other bands. We thank them all”. Mit “Victory Has Thousand Fathers, Defeat Is An Orphan” wurde noch ein weiterer neuer Song gespielt. Und mit “Empire Has Fallen” endete das Set so rasant und intensiv wie es begonnen hatte.

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Fotos: Ulli

Nun wurde es trotz der demokratischen Zeitaufteilung Zeit für den unangefochtenen Headliner. PARADISE LOST sind ein Phänomen und stilprägend für den Gothic Metal seit über 35 Jahren. Das längst nicht alle Veteranen sich so gut über die Zeit gerettet haben, bewiesen jüngst THE SISTERS OF MERCY (Sharpshooter berichtete). Aber PARADISE LOST liefern immer noch zuverlässig ab, sie haben nichts von ihrer Relevanz verloren. Mit “Enchantment” begannen die Veteranen auch gleich mit einem Klassiker aus “drakonischen Zeiten”. Dank des Nebels und der spärlichen Bühnenbeleuchtung fragte man sich unweigerlich, warum man sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, ein Backdrop aufzuhängen. However… die Vocals von Nick Holmes waren zunächst etwas zu laut eingestellt, aber das war natürlich Jammern auf hohem Niveau. “Ladys and gentlemen, this is “Faith Divedes Us Death Unites Us”, kündigte der Fronter den nächsten Klassiker an. Langjährige Fans kamen hier voll auf ihre Kosten und natürlich feierte die ganze Halle in sinistrer Verbundenheit die Hymnen. Zu “One Second” wurde auch tatkräftig mitgesungen und wir kehrten mit dem Song “Hallowed Land” auch noch einmal zum ikonischen “Draconian Times” zurück, das vor drei Jahren eine frische “Remastered”-Version spendiert bekommen hatte. Während der Fronter bekannt dafür ist, sich nicht großartig auf der Bühne zu bewegen, glich der agile Gitarrist Aaron Aedy das mehr als wieder aus. Ein rastloses Herumtigern wie bei J.J. von HARAKIRI FOR THE SKY gab es bei den Altherren indes nicht. “Do you think there’s no hope in sight?”, sinnierte Nick. Als ihm nur Jubel antwortete, ergänzte er: “This was a question!”. Hinter mir wurde in der Menge ein Blindenstock in die Luft gereckt, der Besitzer war ganz sicher, dass tatsächlich “no hope in sight” war. Tatsächlich bekamen wir bei diesem Song auch die erste und einzige Crowdsurferin des Abends zu Gesicht. Die Secus waren auch sichtlich überrascht, aber entschärften die Situation natürlich wie gewohnt souverän. Holmes, der ungewöhnlicherweise so gut wie gar nicht growlte und sich ganz dem eindringlichen Klargesang widmete, war sichtlich bewegt und bedankte sich gegen Ende der Show: “Thank you all for coming out tonight. Thanks to all the other bands we played with. We are PARADISE LOST”. Als ob es noch einer Vorstellung bedurft hätte. PARADISE LOST sind und bleiben die Ikone der Vergangenheit und Gegenwart und begeistern uns hoffentlich noch lange mit ihrer einzigartigen Musik. Das “letzte Mittel” hatte vortrefflich gewirkt und das Ziel, eine große Metal-Party zu feiern wurde erreicht!

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Fotos: Ulli
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