Review:: KÄRBHOLZ – Kapitel 10 „Wilde Augen“
Nanu? Was ist denn los im Hinterwald? Hat da jemand eine Hit-Fabrik aufgemacht? Gefühlt gestern erst wurde Kapitel 11 „Barrikaden“ veröffentlicht und jetzt steht schon wieder ein Output von den Hölzern an der Reihe? Verspäteter Winterschlaf und Demenz will man gerne als Gründe ausschließen, aber warum schon wieder ein Album und warum erst Kapitel 11 und dann Kapitel 10? Fragen über Fragen, auf die es Antworten zu finden gilt!
Schuld war mal wieder das, was schon fast vergessen scheint, aber uns die letzten drei Jahre bewegt hat – Corona und der damit verbundene Lockdown. Einfach nur dumm rumsitzen und abwarten bis sich die Wogen glätten und das Virus sich verzieht, kam für das Quartett aus Hinterwald nicht in Frage und so wurden Songs geschrieben, einer nach dem anderen und irgendwann waren das eine ganze Menge.
Diese wurden aufgrund der Menge schon vor der Produktion aufgeteilt in Kapitel 10 „Wilde Augen“ und Kapitel 11 „Barrikaden“. Brav wie man es geplant hatte, wurde erst das Kapitel 10 aufgenommen und produziert, als während der Produktion zum Kapitel 11 das Gefühl aufkam, dass eigentlich das Kapitel 11 das Album hätte sein müssen, mit dem man sich nach der Pandemie wieder zurückmelden sollte und will. Also scheiß auf die Reihenfolge, Mathematik hat man ja eh zuletzt in der Schule gehabt, in der postpandemischen Zeitrechnung kommt halt zuerst die 11 und dann die 10!
„Willkommen in der 10. Episode“, kein Zufall, sondern Methode! Damit erklärt Sänger Torben direkt im ersten Satz ohne Intro und Einspieler direkt und geradeaus, dass die Band halt macht, was ihr grad passt. Und seit 18 Jahren passt das nicht nur ins nicht vorhandene Konzept, sondern auch zu dem, für das die vier Vollgas-Rocker aus dem beschaulichen Ruppichteroth stehen. Einfach ihr Ding durchziehen, mit dem Kopf durch die Wand, ohne einen Blick zurückzuwerfen (mit O-Ton ihres Bandmanagers: “Ihr seid ein nicht zu managender Scheißhaufen“). „Wilde Augen“ knüpft daran nahtlos an, denn man geht nicht auf Vollgas, um dann eine Vollbremsung einzulegen.
Mit „Schwarz auf weiß“ rechnen KÄRBHOLZ mit klassischem Schubladendenken ab. Das Leben hat nämlich viel mehr Perspektiven zu bieten, wenn man mehr „und“ und weniger „oder“ zulässt. Kennt ihr noch Wrestlemania aus den 90ern? Denn der Undertaker ist laut „Seele auf der Haut“ maßgeblich dran schuld, dass die Jungs mehr als deutlich sichtbar einen Hang zur bunten Körperkunst haben. Mit „Halte fest“ rechnen die Jungs mit einer gewissen Resignation im Erwachsenenalter ab, den schlichen Wunsch spürend, dass ihr jüngeres Ich Ihnen mal wieder in den Arsch treten könnte. Aber ganz so erwachsen sind sie wohl doch noch nicht, „die letzten Punks in der Stadt“. Auch wenn sich hier und da melancholische Momente an die Gefühlsoberfläche aufmachen, wie in „Monochrom“ ein wenig langsamer vorgetragen als die Vorgängertracks, KÄRBHOLZ treffen stets den richtigen Ton für das, was sie zu sagen haben. Dem dem heutigen Zeitgeist entsprechenden selbstgerechten Egoismus der Gesellschaft wird in „Der Himmel soll brennen“ auch mit einer unerwarteten Ska-Einlage Rechnung getragen. Der Kleingeist braucht die Ordnung, das Genie beherrscht das „Chaos“, der für mich wohl authentischste Song des Albums, der mit einer herrlich erfrischenden Mitsingmelodie aufwartet. Genauso unverblümt und frei will der „Vagabund“ sein Leben führen, der seine Träume lebt und mit Gleichgesinnten „Unsere Bar“ unsicher macht.
Kapitel 10 „Wilde Augen“, das eigentlich ältere Album der Zwillingsproduktion, benimmt sich jedoch wie der jüngere Bruder! Wilder und rauer, mit mehr Herz als Hirn als auf Kapitel 11 „Barrikaden. Dieses Album hätte musikalisch auch gut vor zehn Jahren in KÄRBHOLZ’ Plattenchronik erscheinen können, wirkt aber trotz allem nicht als Rückfall in „rotzigere“ Zeiten, sondern zeugt davon, dass in den nun knapp Vierzigjährigen immer noch die Seelen der Rotzbuben leben und brennen, die früher auf Mofas den Hinterwald beschallt haben. Und das tut unendlich gut, dass man als Hörer in den Mittvierzigern merkt, dass man nicht der Einzige ist, der in diesem Alter noch gegen den Strom der Uniformität schwimmt und ein freundliches Winken mit dem Mittelfinger mit einem unbestechlichen Lächeln im Gesicht bei den richtigen Menschen Tür und Tor öffnen kann.
Dafür gibts süffige 8,5 von 10 Punkten und eine 0,5 l Pulle Reissdorf Kölsch
Tracklist:
1. Willkommen in der zehnten Episode
2. Wilde Augen
3. Schwarz auf Weiss
4. Seele auf der Haut
5. Halte fest
6. Die letzten Punks in der Stadt
7. Leben in monochrom
8. Der Himmel soll brennen
9. Chaos
10. Vagabund
11. Unsere Bar
Hörprobe gefällig?