REVIEW: „ROCK-O-RAMA – Als die Deutschen kamen“ (Buch)
„ROCK-O-RAMA – Als die Deutschen kamen“
Ein Buch, hier auf einem Online- Musik(foto)- Magazin, braucht’s das?
Nein, aber irgendwie auch doch, denn die Regel ist ein Thema voller Missverständnisse, oder so ähnlich.
Also generell ist Lesen ja nicht die schlechteste Beschäftigung, in echten und gedruckten Büchern noch einmal mehr. Und wenn ihr dann auch noch Fachliteratur zur Brust nehmt, tut ihr parallel noch etwas für eure Bildung und die geistige Fitness (nein, leider werden wir nicht von Verlagen oder dem Bund der Buchdrucker gesponsert; Anm. der Redaktion).
Bezüglich der uns bei sharpshooter-pics.de betreffenden Bereiche Musik und Fotos gibt es ja eine ganze Menge guter und auch weniger guter Literatur. Es gibt Bildbände zu Künstlern aller Art, es gibt Belletristik mit thematischen Bezügen zu Jugend(sub)kulturen und somit eben Popkultur, sowie zur Musik an sich. Dazu allerdings auch eine Menge an Fachliteratur, die diese Bereiche mehr oder weniger professionell begutachtet. Der Autor dieser Zeilen hat beispielsweise die Biografie eines Star- DJs im Regal, die die Entwicklung der Technokultur seit den späten Achtzigern verständlich und erlebbar macht. Er hat Literatur rund um Bands wie DEPECHE MODE, DIE ÄRZTE, COCK SPARRER und weitere zur Hand. Und neben all diesen Werken stehen dann auch noch Analysen, Dokumentationen und ähnliches zu Subkulturen wie den Skinheads, Punk, die technische Entwicklung elektronischer Musikproduktion und deren Auswirkungen auf die Popkultur. Ihr seht, das Leben besteht aus mehr, als nur feiern gehen und Band XY gut finden. Oft ist es ganz interessant zu erfahren, warum ein bestimmter Personenkreis gerne Patches auf Kutten näht, warum ein Skinhead die für ihn typische „Uniform“ trägt, wo die Schnittstelle zwischen 70er Jahre High Energy Pop, Hip Hop, Gay Community und Techno liegt.
Nun aber betrachten wir für euch ein Buch, das allein durch die Beschäftigung mit einem kontroversen Thema wiederum kontrovers diskutiert wird: „ROCK-O-RAMA – Als die Deutschen kamen“ von BJÖRN FISCHER.
Ja, genau, dieses ROCK-O-RAMA! An dieser Stelle wird sich der ein oder andere schon angewidert abwenden, während weitere bereits Puls und Stresspusteln bekommen. Doch halt, liebe Leser*Innen, auch wir haben einen Büldunksauftrahk und kommen dem hier gern nach.
Gebt uns, dem Autor des Buches und dem Verlag eine kleine Chance und betrachtet mit uns dieses Werk.
Denn was viele von euch sicher nicht wissen, ist der Fakt, dass ROCK-O-RAMA nicht immer ein Nazi- Label war, sondern ein wichtiger Bestandteil der subkulturellen Independent Label Scene, die rund um die Themen Punk und NDW entstand. Selbst in der frühen Gothic-Szene spielte dieses Label eine (kleine) Rolle. Also folgt uns vertrauensvoll und erweitert euren Horizont.
„ROCK-O-RAMA – Als die Deutschen kamen“
Das Buch erhebt den Anspruch, das Mysterium ROR zu entmystifizieren. Dafür wird die Person Herbert Egoldt, die Vorbereitung der Labelgründung und die Entwicklung bis zum endgültigen “Aufstieg” zum Nazi-Label beleuchtet.
Auf fast 450 Seiten erfahren wir so ziemlich alles über den Malermeister und Rockabilly-Fan Egoldt, die Geburt des Labels, sowie deren unrühmliches Ende.
Aufgrund der Herangehensweise des Autors, der fast ausschließlich Protagonisten jener Tage zu Wort kommen lässt, liest sich dieses Buch sehr gut und flüssig. Der für euch hier schreibende Rezensent hatte das ein oder andere Mal ein süffisantes Schmunzeln im Gesicht, oft aber auch Nackenschmerzen wegen des dauernden ungläubigen Nackenschüttelns.
Das Buch liefert jede Menge Anekdoten und entmystifiziert nicht nur das Label ROR, sondern auch das romantische Punk-/ Independent- Image.
Alle frühen Bands waren verträumte Teenies, die in der Veröffentlichung ihrer Werke den Himmel sahen und oft selbst um den kleinsten Gewinn betrogen wurden. Auf der anderen Seite standen eben Labels, die mit dem Wachsen der Szene und dem beginnenden Hype jede Menge Kohle gescheffelt haben. Spätestens hier fällt das Kartenhaus der antikapitalistischen Subkultur und der Kunst als autark neben dem Kommerz stehendes Bollwerk in sich zusammen. Auch damals zählte jeder Euro -ähm- jede Mark, die sich aus etwas herauspressen ließ. Dass die Mode schon früh zu einer industriell gefertigten, uniformen Massenware transformierte, lässt sich nicht erst seit gestern im Alltag beobachten. Auch ist die Rolle der Konsumenten schon damals auffällig eindimensional. ROR hat, völlig nüchtern betrachtet, billigst produzierten, akustischen Schrott auf den Markt geworfen. Die Käuferschaft sah oft genau darin das Klischee des Punk erfüllt und erwarb die Produkte in Massen.
Hier wird mehr als nur ein Mythos gehäckselt
Zurück zur Musik und dem Buch: im strukturellen Aufbau des Buches findet sich aber auch sein größtes Problem. Denn die anekdotischen Erzählungen der Protagonisten spiegeln zwangsläufig einen verfälschten Blick auf die Vergangenheit wider, da die Aussagen über 30 Jahre nach ihren Geschehnissen getätigt wurden.
Bei einigen Aussagen fällt direkt eine gewisse Verfärbung auf, andere sind im Gesamtbild kritisch zu sehen. Denn klar ist, das bei allen das Wissen um die nachfolgende Entwicklung und deren Folgen innewohnt. Daraus ergeben sich auch von Beginn an diverse Andeutungen, die sich dem Leser kaum erschließen.
Da das Buch chronologisch der Entwicklung folgt, sind Andeutungen einiger Protagonisten und Zitate früher Fanzines zu bereits vorhandenen rechten Tendenzen bzw. Gerüchten, die nicht näher begründet werden, schwer verständlich.
Manches ist natürlich auch der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet. Bands wie OHL werden zwar auch heute noch als anrüchig, jedoch sicher nicht als „rechts“ betrachtet. Und Bands wie CHAOS Z wird wohl niemand mehr ernsthaft mit fragwürdigem Gedankengut in Verbindung bringen.
Als ehemaliger Skinhead kennt der Autor dieses Beitrages den verdammt schmalen Grat der Grauzone, auf dem sich da einiges abspielte. Bands wie BOOTS & BRACES, das Label WALZWERK Records und sogar die Mainzeldroogs von SPRINGTOIFEL sind immer wieder ungerechtfertigt Ziel politischer Angriffe. Manche Dinge ändern sich einfach nie, wie auch der schlechte Ruf der BÖHSE ONKELZ. Letzterer ist allerdings tatsächlich insofern höchst kontrovers zu betrachten, als dass sie trotz dieses Rufes mittlerweile neben RAMMSTEIN die wohl größte deutsche Rockband sind. Was sagt das über die Entwicklung unserer Gesellschaft aus? Für diese Frage ist es auch völlig irrelevant, ob der Ruf der Band gerechtfertigt ist, oder eben nicht.
Egal, sowohl das Thema, als auch das Label bleiben ein Faszinosum, dessen man sich nur schwer entziehen kann. Der vollständige Release-Katalog im Anhang ist zwar schwer verdaulich, im Kontext der gründlichen Recherche und Dokumentation aber absolut akzeptabel. Zeigt er im Übrigen doch auch, was für windige Geschäfte mit den mehr oder weniger großen Werken getätigt wurden (und noch werden).
Wir haben uns übrigens mit dem Autor BJÖRN FISCHER unterhalten und reichen euch die Essenz dieses Gespräches schleunigst nach.
Bleibt als Fazit:
Die Entmystifizierung von ROR ist nicht in Gänze gelungen, es bleiben Schatten zwischen all den Spotlights. Dennoch ist das Werk absolut lesenswert und gibt erhellende Einblicke in die Entwicklung der deutschen Punk- und natürlich auch der Nazi-Szene, sowie in die „Gründerzeit“ der Indie-Label-Kultur. Und das, obwohl tiefer gehende Querverweise zur Kassetten-Label-Szene, der NDW und der frühen Schwarzen Szene fehlen.
Der Bildungsauftrag ist jedenfalls erfüllt und wer weiß, vielleicht werden die noch offenen Fragen ebenso wie die neu aufgeworfenen, bald beantwortet.
Empfehlung für die heimische Bibliothek!
9/10
Erhältlich ist das Buch „ROCK-O-RAMA – Als die Deutschen kamen“ mit der ISBN 978-3-949452-00-0 (HIRNKOST Verlag) für € 32,00 im HIRNKOST Shop und überall im Buchhandel, ggf. auf Bestellung.
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