Obsidianische Nacht – PARADISE LOST auf Tour

Obsidian, der Titel des aktuellen Albums der Gothic Metal-Veteranen von PARADISE LOST bezeichnet ein tiefschwarzes, vulkanisches Mineral mit glasartigem Aussehen. Es entsteht nur, wenn Lava bestimmte chemische Eigenschaften aufweist und sehr schnell abkühlt. Die dann entstehende Struktur ist definiert als “chaotisches, amorphes Gefüge”. Wie überaus passend für die Musik von PARADISE LOST! “Blood and Chaos” war also vorprogrammiert. Um das Hellraiser in Leipzig ohne Auto von Paunsdorf aus zu erreichen, muss man übrigens viele Prüfungen bestehen. Man muss im Stockfinstern durch Schrebergärten und Industriehalden laufen und an Bahnschienen entlang, bis man ein Gefühl von “No Hope Insight” verspürt. Aber wenn man dies gemeistert hatte, kam man in ein weiteres Industriegebiet hinter einer Brücke und langte am Ort des Geschehens an. Da waren leider HANGMAN’S CHAIR schon mitten in ihrem Set, ich hatte den Weg von der Länge her doch unterschätzt. Trotzdem reichte es noch, um sich einen Eindruck von der französischen Formation zu verschaffen, die mit ihrem neuen Album “A Loner” auf Tour sind und auch überwiegend Songs daraus zum Besten gaben. Die Musik war recht düster und doomig ausgestaltet, was bei den PARADISE LOST-Fans natürlich offene Scheunentore einrannte. Dementsprechend gut kam die Vorgruppe an. Das Hellraiser war zudem fast vollständig gefüllt. Übrigens handelt es sich nicht um eine kleine, schäbige Kaschemme, sondern eine wirklich schöne, mittelgroße Location mit mehreren Bars und noch einem angrenzenden Raum, in dem die Merchtische aufgebaut waren. Der Sound war auch super, Daumen hoch!

HANGMANS CHAIR

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Fotos: Birger Treimer

Der Headliner präsentierte hernach ein ausgewogenes Set für alte und neue Fans. Die neuen “Obsidian”-Songs standen natürlich im Mittelpunkt, doch die “Mineralienausstellung” der britischen Geologen hatte noch mehr Schätze zu bieten. Der Steineklopfer von der Rhythmusfraktion Waltteri hatte kurz zuvor das Grabungsfeld verlassen, um sich OPETH anzuschließen, daher griff PARADISE LOST bei dieser Tour auf den STRIGOI-Drummer Guido zurück, der einen ordentlichen Eindruck hinterließ. Da Waltteri über ca. 70% des Haupthaars von PARADISE LOST verfügt hatte, sah man sich jetzt einer recht kahlen Truppe gegenüber, lediglich Gitarrist Gregor hätte ggf. noch Verwendung für einen Ventilator gehabt. Die massiven Gitarren-/Basswände sorgten aber auch ebenfalls für massiven Kahlschlag und brachen mit Wucht über die Versammelten herein. Hier konnte man nun ein Gothic- & Doom-Fest der Superlative erleben und sich in völliger Agonie wohlig auflösen. Die Sause startete mit dem 1992er-Song “Enchantment” und dann wurde auch schon in den Steinbruch zu dem neuen Song “Forsaken” eingeladen. Die Handschrift von PARADISE LOST ist tadellos erkennbar, das dunkle Band der Verzweiflung, der Strudel aus samtschwarzer Melancholie zieht sich durch sämtliche Werke hindurch. Das führt dazu, dass selbst Fans von früher, die zwischenzeitlich ausgestiegen waren, bei dem neuen Material einen Aha-Moment des Wiedererkennens erleben können. Das schon erwähnte “Blood & Chaos” schlug ein wie eine Bombe und auch der beliebte Titelsong des Albums “Faith Divides Us – Death Unites Us” fand freudige Abnehmer unter den Zuhörern. “Feel free to raise some objects”, forderte Nick Holmes die Menge auf. Zwischendurch kommentierte er die geschmackvolle Einrichtung des Hellraiser-Clubs: “Is this a real human skeleton in the back? We’ll play a pretty old song now. From 500 years ago or so”. “Eternal” stammt tatsächlich vom ikonischen “Gothic-Album” von 1991. Auch wenn die Anwesenden überwiegend jenseits der 50 zu sein schienen, gab es sicherlich auch Zuschauer, die damals noch gar nicht geboren waren, als PARADISE LOST Geschichte schrieben. Nun wurde dem damaligen Werk angemessen gehuldigt. Ein Stimmungshöhepunkt wurde mit dem brachialen “Serenity” erreicht, nachdem Nick erneut Blumen verteilt hatte, diesmal für das örtliche Getränkeangebot: “Is that a good beer? Can’t pronounce it…”. Aber das Ur-Krostitzer schien seinen Beifall zu finden, denn er machte eine anerkennende Bemerkung. Gitarrist Aaron fühlte sich auch sichtlich wohl auf der Leipziger Bühne und fiel durch exzessives Headbangen – mangelnde Haare hin oder her – auf. Apropos ikonische Alben, auch “Draconian Times” ist mittlerweile über 25 Jahre alt und hat nichts von seiner Urwucht verloren. Über die damalige Zeit bemerkte Nick lakonisch: “Good decade… No internet. Fantastic!” und spielte “The Last Time” an. Während des letzten Songs griff er dann aber doch auf die Errungenschaften des modernen Zeitalters zurück und filmte ein kurzes Stück der Publikums-Performance während “Say Just Words”. Das Auditorium hatte sich gerade erst im wohlig warmen Sumpf der Doomigkeit eingegraben und dachte gar nicht daran, den erkämpften Pfuhl schon wieder zu verlassen. Die Anwesenden brauchten aber ganz schön Ausdauer und Stimme, denn PARADISE LOST ließen sich recht lange bitten, ehe sie für die Zugabe auf die Hellraiser-Bühne zurückkehrten. Im diffusen, grünen Scheinwerferlicht bestritt Nick Holmes, eine faserige Silhouette mit dunkler Stimme das Intro zum “Obsidian”-Opener “Darker Thoughts”, bevor seine Mitstreiter mit einfielen und den Gig letztendlich mit “Ghosts” abschlossen. Das war eine dringend benötigte Schattenkraft-Infusion für die darbende Anhängerschaft! Zum Glück kann man sich jetzt direkt bei MOONSPELL und INSOMNIUM weiter sattfressen, bevor all diese Gothic-Ikonen die germanischen Lande wieder verlassen und wir Fans uns erneut in unsere Höhlen zurückziehen müssen, bis das dunkle Horn erschallt in der Klamm und wir wieder unsere Posten einnehmen.

Paradise Lost

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Fotos: Birger Treimer
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