Review: MUSE – “The Will Of The People”
Die Rock-Ikonen von MUSE erschaffen seit jeher musikalische Kunstwerke. Ihr Stil ist unberechenbar, denn sie lieben die Variation. Vor einigen Jahren zuckte Sänger Matt Bellamy zusammen, als er feststellte, dass man seine Band fast dem Pop-Genre zuordnen konnte. Dies galt es tunlichst zu verhindern. Nun erschien mit „Will Of The People“ das neunte Album der Grammy Award Gewinner. Es ist keineswegs aus einem Guss. Ihre Plattenfirma hatte zunächst die Idee, ein Best-of Album herauszubringen. Gab es genügend klassische Hits? Matt Bellamy war anderer Meinung. Somit ging die Band erneut ihren eigenen Weg und es entstanden neue 10 Songs, die Elemente aus den vorangegangen Alben enthielten. Das Material wurde aber dennoch mit frischen Einflüssen angereichert und wiederum auf ein neues Level transportiert. Man trifft unter anderem auf brettharte Metal Parts, mit denen man bei MUSE niemals gerechnet hätte. Wie es dazu kam? Matt fuhr seinen Sohn täglich zur Schule und wie das bei liebenden Eltern so ist, läuft dann auch die Lieblingsmusik des Sprösslings. Dieser ist riesengroßer Slipknot Fan und die Faszination ging auf Matt über. Sie führte sogar dazu, dass mittlerweile bei einem Konzert ein Slipknot Song als Outro in das Set integriert wurde. Im Gegensatz dazu entstand auch die allererste Ballade von MUSE. Vor uns liegt nun also ein taufrisches Kunstwerk. Begibt man sich in eine Kunstgalerie, steht jedes Exponat für sich. So manches sticht sogleich hervor und man verharrt direkt an Ort und Stelle. Andere nehmen sich eher zurück und geben erst auf den zweiten Blick ihre wahre Größe preis, wenn man sich tatsächlich auf sie einlässt. Wie es in einer Kunstgalerie so ist, ertappt man sich auch dabei, dass man an einer Stelle vorbeihuscht, verwundert eine Augenbraue hochzieht und sich die Stirn in Falten legt. Doch beginnen wir von vorn. Los geht es mit der musikalischen Reise durch das vorliegende Album.
“Will Of The People“ steht für pure Rebellion in einer fiktionalen Geschichte. Uns begegnet mehrfach der prägnante Beat des Marilyn Manson Songs “Beautiful People“. Die Titelgebende Zeile wird von einem ganzen Chor gesungen. Dieser besteht nebenbei bemerkt, aus Familienmitgliedern der Musiker. Da das Album zu Hochzeiten der Pandemie aufgenommen wurde, Matt diesen Part aber besonders unterstreichen wollte, musste man erfinderisch werden. Trotz der dystopischen Lyrics, in denen der Menschheit nichts anderes übrigbleibt, als den totalen Aufstand zu bestreiten, kommt der Song nicht nur rockig, sondern auch groovig, gar funky daher. Matt erklärte seine Beweggründe: „Das Album wurde von der wachsenden Unsicherheit und Instabilität auf der Welt beeinflusst. Die Pandemie, neue Kriege in Europa, Massenproteste und -Unruhen, ein versuchter Coup, das Wanken der westlichen Demokratie, der aufsteigende Autoritarismus, Waldbrände und Naturkatastrophen und die Destabilisierung der globalen Ordnung – all das hat dieses Album beeinflusst. Es sind beunruhigende und beängstigende Zeiten für uns alle. Dieses Album ist ein persönlicher Wegweiser durch diese Ängste und eine Vorbereitung auf das, was kommt.“
“Compliance“ sorgt bei 80er Jahre Fans für eine kurzzeitige Erhöhung der Herzfrequenz. Begründet ist diese in den Synthie Parts, die an Knight Rider erinnern. Gedanklich springt man sofort zurück und hat Michael Knight in seinem ultracoolen Schlitten K.I.T.T. vor dem geistigen Auge. Die Vocals variieren, sie kommen zunächst ganz sanft, und im nächsten Moment richtig inbrünstig daher. Inhaltlich wird man auf Teufel komm raus bezirzt von der politischen Denkweise her die Richtung zu wechseln. Wer hier allerdings meint, MUSE würden die Querdenker-Szene unterstützen dem sei gesagt, dass sie dieses Thema rein sarkastisch anspielen. Dies hat die Band in einem Interview klar deutlich gemacht. Musikalisch gesehen befinden wir uns bei dem Song auf alternative Pop Gefilden.
Ein gewisses Schmunzeln konnte ich nach den ersten Klängen von “Liberation“ nicht unterdrücken. Bei den seichten Pianoklängen bleibt es nicht lange, der Song nimmt schnell an Fahrt auf und sendet überraschend eine theatralisch anmutende Ode an Queen. “Bohemian Rhapsody“ im MUSE Gewand. Vergeblich wartet auf den „Oh Mama mia, Mama mia, Mama mia, let me go“ Moment. Bevor ihr fragt, ein Mus(e)ical ist hoffentlich nicht in Planung.
Mit “Won´t Stand Down“ veröffentlichten die Jungs im Januar ihre erste Single zu ihrem neuen Album. Zusammen mit dem spektakulären Musikvideo ließen sie einen mit einer heruntergefallenen Kinnlade zurück. Man verspürte das Bedürfnis zu Rangeln! Muse goes Metal! Und die Band hatte großen Spaß daran. Für die Jungs war es spannend, sich dieses neue Feld komplett neu anzueignen. Seit Jahren waren sie absolute Profis auf ihrem Gebiet. Nun erwarb man plötzlich eine Double Bass Drum und friemelte sich nach und nach in das Handwerk des Metal Bereiches hinein. Das Ergebnis kann sich hören und sehen lassen! In dem Video verwandelt sich Matt in einen betagten, gruselig anmutenden Mann mit langem, grauem Haar der in einem Rollstuhl sitzt und vor seinen Untertanen erscheint. Zunächst hören wir tiefe Gitarrenklänge gepaart mit Matt‘s lieblichem Gesang und verspielten Synths im Hintergrund. Nach einem Gitarrensolo werden Sound und Stimme bedrohlicher. Und dann kommt dieser herrliche Metal Moment. Im Video schenkt dem gebrechlichen Herrscher die unbändige Macht über seine dunkle Armee immense Kraft, so dass er seine Erscheinung verändert und herrschend über die Menge emporsteigt. Der Psychokrieg kann also beginnen.
Nachdem es voll einen auf die Zwölf gab, wird es nun bedächtig. Mit ”Ghosts (How Can I Move On)” haben MUSE nach fast 30-jährigen Bandbestehen ihre erste richtige Ballade geschrieben. Den Schmerz der traurigen Lyrics hört man deutlich heraus. Zu den Pianoklängen leidet Matt ausgiebig, während er über den einschneidenden Verlust einer geliebten Person singt. Diese gefühlvolle Seite steht der Band ausgesprochen gut.
Skurril wird es mit ”You Make Me Feel Like It´s Halloween”. Hier zeigt sich Matt`s Vorliebe für Horrorfilme. Bei dem schaurigen Sound, der im weiteren Verlauf auch mal schräg aufdreht, kommt gar eine Kirchenorgel zum Einsatz. Michael Jackson`s “Thriller“ kommt einem auch mal in den Sinn. Das Musikvideo macht aber richtig Laune. Hier begegnen einem etliche Sequenzen, die man aus berühmten Horrorfilmen kennt. Und wenn man seine Ohren spitzt, hört man sogar Matt‘s Frau Elle Evans. Sie haucht die Worte „I`m your number one Fan“ ins Mikro.
Jetzt geht es nochmal richtig zur Sache. “Kill Or Be Killed“ startet mit treibenden, brettharten Riffs. Die zärtlich anmutenden Vocals nehmen einen sofort ein. Man genießt diesen Augenblick und mag sogleich seine Augen schließen. Dann legt das Gitarrenspiel einen gehörigen Gang zu und wir hören die ersten Death Growls in der Geschichte von MUSE. Dazu hämmert Dominic Howard in seine Double Bass Drum und erzeugt ein prächtiges Drum Gewitter. Matt verriet in einem Interview: „Textlich ist der Song von meinem Lieblingssong ‘Live And Let Die‘ von Paul Mc Cartney beeinflusst, eine düstere Betrachtung darüber, wie die Härten des Lebens manchmal die niedersten menschlichen Instinke hervorbringen können: überleben um jeden Preis.“
Sphärisch wird es nun mit “Verona“. Bei diesem bittersüßen Liebenslied falle ich innerlich auf die Knie. Neben einer zauberhaften Melodie fasziniert einen der Gesang zutiefst. “Can we kiss with poison on our lips? Well I´m not scared“ Dieser kommt mal lieblich und dann wieder kraftvoll daher. Der 80er Jahre Sound in feinster Stranger Things Manier fügt sich hervorragend ein. Der Song ist dramatisch und gefühlvoll zugleich. Die Pandemie hat deutlich ihre Spuren hinterlassen. Wir erinnern uns alle gut an all die schmerzhaften Verbote in Verbindung mit menschlicher Nähe. Hierzu ist bisher zwar nur ein Lyric-Video erschienen, diesen Anspiel-Tipp möchte ich euch dennoch nicht vorenthalten.
“Euphoria“ kommt mitreißend, fröhlich und flott daher. Hier zucken sogleich die Tanzbeine. Spaciger Gitarrensound und schneller Gesang bringen die betitelte Euphorie bestens zur Geltung. Den Song kann man sich live gut als Zugabe vorstellen. Die zündenden Konfetti-Kanonen kann man sich bildlich vorstellen.
Finale! “We Are Fucking Fucked” beginnt eher seicht, gepaart mit warmem Gesang- hier ist Gänsehaut inklusive. Dann ähnelt der Gitarrensound einer Sirene und schon geht`s ab – man drückt ordentlich auf die Tube. Der Gesang wird immer schneller und verlangsamt sich dann bei den Worten “We Are Fucking Fuuuuucked“. Gegen Ende dreht der Song nochmal richtig auf und die emsige Spielfreude vereint sich mit den wütenden Lyrics über die ständige Ungewissheit durch all die Naturkatastrophen, den Unruhen, sowie der Pandemie samt den egoistischen Hamsterkäufen. Diesen Unmut kennen wir in dieser aufwühlenden Zeit alle. Wir haben es auch echt satt. Wenn das erst der Anfang ist, steht uns dieses Album nun zur Seite. Mission completed, oder?
Fazit: MUSE liefern mit „Will Of The People“ den idealen Soundtrack für das Endzeit-Metaversum. Das Gros der Songs ist so überzeugend, dass die kleinen Schwächen lächelnd verziehen werden. Die Jungs machen weiterhin ihr Ding und das lassen sie sich hoffentlich niemals nehmen!
Bewertung: 9 von 10 Punkten
“Will Of The People” erschien am 26.08.2022 über Warner Music International.
Tracklist:
- Will Of The People
- Compliance
- Liberation
- Won`t Stand Down
- Ghosts (How Can I Move On)
- You Make Me Feel Like It`s Halloween
- Kill Or Be Killed
- Verona
- Euphoria
- We Are Fucking Fucked
Foto: Warner Records