(W)interview mit Hilton Theissen – Teil 3

Von Cynthia Theisinger und Nadine Kloppert

Wir begeben uns auf die Zielgerade. Zum Schluss haben wir Hilton noch ein paar persönliche Fragen gestellt.

Lass uns mal gedanklich einige Jahre zurückreisen: Welchen Berufswunsch hattest du als Kind?

Hilton: Darüber habe ich heute noch beim Frühstück gesprochen. Ich wäre gerne Privatdetektiv geworden. Aus mir wäre auch kein schlechter Kriminalist geworden.

In welchem Schulfach warst du mit Abstand am besten?

Hilton: In der Gymnasialzeit wäre es eigentlich Sport gewesen, weil ich Leichtathlet war. Deswegen war es automatisch leichter für mich. Aber es ist natürlich auch unfair, wenn du sehr trainiert bist und etwas mit Laien machst. Neben dem Sport waren es noch Deutsch und Englisch. Meine Englischlehrerin hat mir immer fluchend Zweien gegeben. Sie hat mich bewusst schlecht benotet. Ich habe durch meinen Background ein gewisses Talent für Englisch, daher ist mir die Grammatik zugefallen. Meine Lehrerin hat darüber geflucht, dass ich nicht lerne und dann auch noch im Unterricht quatsche. Einen Tadel habe ich mir auch mal eingefangen. Sie hat regelrecht einen Hassfilm auf mich geschoben und hätte mir am liebsten Fünfen aufgeschrieben aber das ging halt nicht.

Welches Fach lief denn gar nicht gut?

Hilton: Mathe. Mathe war stets mein Angstgegner. Zudem fand ich Politik so laaaaaaangweilig. Gott, war das lahm. Das war noch schlimmer als Erdkunde. Dann hieß es in der Klausur wieder: Beziehen Sie sich auf die Infrastruktur und warum ist Sizilien kein guter Industriestandpunkt? Das ist doch logisch. Das ist einfach keine gute Idee. Faulpelze auf einer Insel, auf der nur die Sonne scheint 😉. Was soll man da schon machen? Im Kreis fahren? Wie Lukas und der Lokomotivführer? Oh, und in Deutsch. Ich war ein arrogantes, mieses Arschloch. Die Lektüre „Der Elefant“ von Bertolt Brecht habe ich halt nicht gelesen. Was geschieht dann? Wir sitzen während der Klausur vor einem leeren Blatt Papier. Die Zeit läuft. Alle schreiben und ich sitze da und beschließe: Angriff ist die beste Verteidigung. Brecht hatte keine Ahnung von Anatomie. Er wusste einfach nichts über Elefanten. Ich hatte aber Biologie als Leistungskurs. Ich weiß z.B., wie Elefanten Tieffrequenzen übertragen um zu kommunizieren usw. Also habe ich Brecht von der biologischen Seite her attackiert. Mein Deutschlehrer fragte, ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Fremdes Fachwissen auf diese Lektüre anzuwenden und ob das eine Flucht nach vorn gewesen wäre. Ich meinte: „Ja das können Sie gerne so sehen. Welche Note haben Sie mir dafür gegeben?“. Es sei eine Drei und meine Unverfrorenheit sei sondergleichen. Wenn einer über einen Elefanten schreibt, dann muss man sich auch an die Gegebenheiten halten, auch wenn man diesen als Metapher nutzt. Wenn ich mein Symbol oder weise wähle und nichts darüber weiß, kann ich das nicht daran anlehnen. Und ich hasse Samuel Beckett. Wofür hat er einen Literatur-Nobelpreis bekommen? Lest euch z.B. ruhig mal sein Werk „Molloy“ durch. Wenn ihr über die erste Seite hinauskommt, ohne dass ihr es zerreißt, in die Ecke werft oder euch eine Flasche Schnaps öffnet, gratuliere ich euch herzlich. Wartet zumindest bis zu der Szene mit dem Toaster.

 

Denken wir mal an eine typische, amerikanische High-School-Serie. Welche Rolle hast du damals als Teenager eingenommen? Eher Nerd, Popper, Sportler, Streber, Schleimer, Rocker, Goth?

Hilton: Als Teenie ist mir immer der Diplomat oder der Anführer zugefallen. Das hat sich einfach herauskristallisiert. Ich habe das mal auf die Probe gestellt, indem ich mich einfach stumm in die hinterste Ecke gesetzt habe und dennoch ist am Ende herausgekommen: „Ich finde eigentlich, Hilton sollte das machen.“ Es kam immer so. Ich kann mich gar nicht dagegen wehren. Es ist wie ein Korken, der versucht zu tauchen. Ansonsten hatte ich von vielem etwas. Ich war ein Leistungssportler und ein gut situierter Mittelständler, ein Akzeptierter, also kein Außenseiter. Aber das war mir einfach zu langweilig. Ich wollte lieber Musik machen, aber die anderen in meinem Alter haben halt nur Computer gespielt. Daraufhin habe ich mir einen anderen Musiker gesucht. Das war Christoph Hesse – ein Schlagzeuger. Er hatte lange Haare, eine Kutte und er hat tagsüber mit anderen Bier auf dem Kirchplatz getrunken. Sie alle waren selbstgewählte Außenseiter. Und ich dachte: top, da gehöre ich hin. Obwohl ich mit meinen 14 Jahren noch ein Kind war. Die Mädels haben mich damals nur „das Kind“ genannt. Ich hatte weiche Gesichtszüge und sah meiner Mutter ähnlich. Deswegen fanden mich die Mädels auch nicht so attraktiv. Die standen eher auf die burschikosen Jungs. Den Außenseiter habe ich übrigens gewählt, weil mir diese Durchschnittlichkeit zu langweilig war. Ich meine, was haben wir damals gemacht? Wir haben Adventures gezockt. Ich hatte keinen Bedarf mit Drogen zu dealen. Dafür war ich zu diszipliniert. Ich habe also eine Mischung aus mehreren Rollen entwickelt. Auch als Manager und Banddiktator – wie ich eine Zeitlang mal hieß, weil ich Rauchen und Saufen im Studio verboten habe. So ein Studiotag ist teuer. Das kostet locker 800 Flocken am Tag. Wenn ihr hier dicht hängt und nichts auf die Kette bekommt, das muss die Plattenfirma zahlen. Rock ‘n’ Roll ist schön und gut, aber da bin ich wieder bei dem Keith Richards-Argument.

Sammelst du etwas? Und was hast du als Kind gesammelt?

Hilton: Als Kind habe ich H0-Autos gesammelt. Und – surprise – Star Wars-Spielzeug natürlich, C64-Spiele. Schlümpfe nicht. Dafür waren es wohl zu wenige. Heutzutage sind es Gitarren.

Was würdest du heute deinem 20-jährigen Ich raten?

Hilton: ich arbeite oft mit meinem 20-jährigen oder meinem 16-jährigen Ich. Weil ich damals in einer Zeitkapsel auf Tape Ideen meiner selbst aufgenommen habe. Ich habe mal gelesen, dass Männer mit 27 Jahren ihre größten Werke abgeschlossen haben. Wenn sie dann sterben, haben sie zumindest ihre Doktorarbeit geschrieben oder ihre größte Symphonie. Also habe ich mir selbst auf Tape Anweisungen gegeben, wie verschiedene Ideen umzusetzen seien, wenn ich technisch in der Lage bin, das zu machen. Früher hatten wir nicht mal diese Sampler. Ich habe mit einem Doppel-Kassettenrekorder angefangen und mir Loops aufgenommen. Diese Ideen landen jetzt noch bei Dark Millennium, ZOODRAKE oder anderem. Ich arbeite oft mit meinem 20-jährigen Ich. Und ehrlich gesagt, gibt es mir durchaus Ratschläge. Wenn ich mir zur Beschleunigung meiner Karriere Ratschläge geben würde, würde ich zu meinem damaligen Ich sagen: das mit Cherub ist eine gute Idee (Cherub war das Grunge-Projekt von Hilton – Anmerkung der Redaktion). Konzipier eine vollkommen neue Musik. Hör mir gefälligst zu, übe mehr Gesang und versuche 9er-Akkorde, arbeite an Grunge. Knie dich da richtig rein, nimm Synthies dazu und etablier das. Das hätte ich machen sollen. Ich hätte einfach weiter auf der Rock/Pop-Schiene bleiben sollen.

Was darf in deinem Kühlschrank nicht fehlen?

Hilton: Senf. Man braucht mehrere Sorten Senf. Als echter Mann hat man auf jeden Fall scharfen Löwensenf. Dann benötigt man auf jeden Fall körnigen Senf, süßen, bayrischen Senf, Käse, Butter, Vodka. Ah, und Parmesan! Parmigiano Reggiano.

Was gäbe es bei deiner Henkersmahlzeit?

Hilton: Ein T-Bone-Steak mit einer Ofenkartoffel, Kräuterquark und einem dicken, fetten, schwarzen Starkbier. Und zwar ein polnisches. Das ist der Wahnsinn. Dagegen ist Köstritzer ein netter Versuch.

Nenne das längste Wort, das dir spontan einfällt.

Hilton: Phasenkorrelationsgradmesser. Tikki tikki tembo-no sa rembo-hari kari… jetzt muss ich meinen Nachwuchs fragen. Es gibt eine süße Gute Nacht-Geschichte. Darin wird erzählt, weshalb die Chinesen kurze Namen haben.

Hilton‘s Telefonjoker verkündet rasant: „Tikki tikki tembo-no sa rembo-chari bari ruchi-pip peri pembo“ (englische Variante).

Bist du ein spiritueller Mensch bzw. kannst du etwas mit Spiritualität anfangen?

Hilton: Ja. Hier im Regal steht eine kleine Auswahl meiner Bücher. „Das Necronomicon“, die „Bibel“, Miltons „Paradise Lost“, „Dracula“, „Heart of Darkness“, “Andorra” von Max Frisch, Heinrich Mann „Die kleine Stadt“, E.T.A. Hoffmann „Die Elixiere des Teufels“, „Bücher des Blutes“ von Barker, Kishon (welch Gegensatz). Ich bin da sehr respektvoll bei dem Thema und vorsichtig wie eine Katze im Schnee. Speziell was Okkultismus und solche Sachen anbelangt. Es gibt mehr Beweise für den Teufel als für Gott. Also der Teufel als allgemein genommenes Thema. Und auch Beweise, die dir deine Härchen von allen Seiten abstehen lassen. Man würde Christopher Lee nochmal dazu befragen wollen. Es gibt aber eine zentrale Aussage in einem Interview mit ihm: „Es konsumiert nicht nur deinen Verstand, sondern auch deine Seele“. Man hatte das Gefühl, er weiß, wovon er redet. Jeder hat sicherlich mal seine Erfahrungen gemacht. Gespenstische, vielleicht sogar gewinnbringende. Lassen wir das mal da, wo es ist.

 

Wann hat sich deine Meinung zu einem Thema das letzte Mal so richtig geändert?

Hilton: Oh, das passiert oft. Neulich wurde mir vorgeworfen, ich wäre, was das Thema Corona anbelangt, ein Fähnchen im Wind. Das stimmt aber nicht. Ich passe meine Meinung an, wenn ich neue Erkenntnisse gewinne und da diese hier recht schnell und flink hinzugewonnen werden können und man sich bei einigen Sachen natürlich ein bisschen schlauer lesen muss, was z.B. die Historie von mRNA anbelangt. Die Forschung gibt es ja auch schon seit den 70ern. Das ist also nichts Neues. Ich halte mich nicht wie an einer Straßenlaterne an meiner Meinung fest, wenn ich eines Besseren belehrt werde. Ich lasse mich gerne belehren und sage: oh ok, das ist interessant.

Wann hattest du mal richtig Glück in deinem Leben?

Hilton: Ich habe so viel Glück in meinem Leben gehabt, dass es eigentlich kein Glück sein kann. Dem Teufel bin ich so oft von der Schippe gesprungen, bzw. dem Tod, dass es schon spooky ist. Mein ehemals bester Kumpel Vince hat mich „Der Sahneprinz“ genannt. Er meinte, egal was man mit mir macht, es geht doch wieder gut aus. Wie eine Katze, die stets auf den vier Pfoten landet. Er hat beim Knobeln seinen Becher an mir gerieben, weil er meinte, das bringt Glück. Tatsächlich hat er beim Knobeln auch immer gewonnen und ich habe verloren. Ich bin mal beim Knobeln auf dem Weg zum Klo gewesen. Einer aus der Runde hat gerade den Lederbecher auf den Tisch gehauen und ich rief: „Shock Out“. Es waren drei Einsen und er meinte: „Wer zum Teufel? Verbrennt ihn!“

Weißt du etwas mehr zu schätzen, seitdem uns diese Pandemie begleitet?

Hilton: Mein Leben und meinen Optimismus. Ich bin ein relativ zufriedener Mensch und das weiß ich jetzt noch mehr zu schätzen. Es ist natürlich meinem Umfeld geschuldet aber auch dem, was ich mir erarbeitet habe. Ich bin damit sehr zufrieden. Ich habe keine Trübsal geblasen oder Sonstiges. Ich bin dankbar, dass ich relativ normal weitermachen konnte und ich weiß, dass es vielen nicht so geht. Einigen Menschen, bei denen das der Fall ist, habe ich auch versucht auf die Beine zu helfen bzw. ich bin noch dabei.

Wie lautet deine Antwort auf die Frage, die du schon immer gestellt bekommen wolltest?

Hilton: 43. Schaut euch mal das ZOODRAKE-Logo mit den beiden Buchstaben an. Darin findet ihr die Zahlen 4 und 3. Dazu wird es noch einen Song geben. Aber der kommt erst später.

Damit endet unser (W)interview. Diese ausgedehnte Variante hat uns wahrlich eine Freude bereitet. Wir bedanken uns ganz herzlich und wünschen fröhliche Weihnachten.

 

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