Interview mit Luca von ANTIHELD zum Start von “Disturbia”

Ja, liebe Leser, es ist so weit: Seit Freitag, dem 09.04.2021 ist das neue ANTIHELD-Album „Disturbia“ erhältlich. Wir haben ja schon vorab reinhören können und euch hier eine Empfehlung gegeben. Nun hatten wir, respektive ich, am großen Release Day die Möglichkeit, mit ANTIHELDs Sänger und Songschreiber Luca ein paar Worte zu wechseln.
Pandemiegerecht haben wir ein für viele Schüler, Studenten und Home-Office-Arbeiter bekanntes System genutzt: das Zoom Video-Meeting. Dies sorgte auch direkt für eine lockere Stimmung, da ich es nicht hinbekam, den Namen meiner Lebensgefährtin, die dieses System für ihre schulische Weiterbildung nutzt, aus der App zu tilgen und mein Gegenüber halt auch einen Account Dritter, vermutlich des Managements, nutzte. Statt Luca und Dany sprachen dann halt Matthias und Yvonne, wobei vermeintliche Yvonne definitiv ne Rasur zuviel verpennt hatte….
Nun gut, das Thema ist klar und jeder – auch ihr – kennt dieses Schema im Business, wir sprechen über das Album. Ich fand es ganz spannend, mit Luca direkt den Urheber der Lyrics an der Leine zu haben und demnach auch ein bisschen über Inhalte und Intentionen zu den Songs zu schwafeln. Dabei ergab sich ein sehr tiefer und persönlicher Einblick in eine sehr sympathische Seele, die einen aufgeweckten Blick auf die Welt und menschliche Abgründe hat. Ich kann nur sagen, dass mich nicht nur das grandiose Album bewegt hat, sondern eben auch dieses Gespräch. Nun möchte ich euch aber nicht länger auf die Folter spannen und präsentiere euch hiermit das Antiview mit Interheld, äh natürlich eher das Interview mit Antiheld:

Hallo Luca, es mag ja auf diesem Planeten noch eine Handvoll Menschen geben, die euch noch nicht kennen und nichts von eurem kometenhaften Aufstieg mitbekommen haben. Daher würde ich dich bitten, euch einfach noch mal vorzustellen.

Luca: Ja, also wir sind ANTIHELD, wir sind eine Rockband mit deutschsprachigen Texten, aus Stuttgart. Das Ganze ging, wie gerade angesprochen, tatsächlich sehr rasant. Vor 2017 waren wir noch eine Band, die zu klein und zu beschissen war für alles, was man so gerne erreichen möchte und deswegen haben wir viel auf der Straße gespielt. Haben dort auf der Straße völlig unerwartet wahnsinnig viele Platten von unserer damaligen Selfmade-EP verkauft. Daraufhin kam der erste Plattenvertrag, dann gings mit dem ersten Album direkt in die Charts, was völlig verrückt war damals – Album-Produktion in Spanien, direkt in die Charts, crazy -, war noch sehr Popmusik-lastig. Dann kam so die erste musikalische Emanzipation, wir sind doch eher alle so Rocktypen und haben uns entschieden, wir wollen eher ne Rockplatte machen, haben dann die Plattenfirma gewechselt, die Platte „Goldener Schuss“ rausgebracht. Wieder direkt in die Charts geballert, was natürlich ein riesen Erfolg war damals für uns, sogar noch höher als die erste Platte, womit damals schon keiner gerechnet hat und ja, im Endeffekt ist „Disturbia“ die konsequente Weiterentwicklung aus allem, was wir gemacht haben und ich glaube, wir sind jetzt endgültig in der Rockwelt angekommen. Und jetzt stehen wir hier, neunter April 2021 und haben heute unser drittes offizielles Studioalbum veröffentlicht und es ist ein sehr schönes Gefühl gerade, einfach angekommen zu sein, ein sehr angenehmer Zustand gerade.

Das hört sich doch alles sehr gut an und ich beglückwünsche euch auch zu dem furiosen Start und glaube, auch „Disturbia“ wird wieder in die Charts kommen und hoffe, dass es dort auch länger bleibt…

Luca: …aber ich bin mir ehrlich gesagt gar nicht so sicher. Also es wäre natürlich ein riesen Erfolg und würde mich wahnsinnig freuen, aber ich kann es überhaupt nicht einschätzen, weil die musikalische Wandlung, die wir jetzt über drei Alben vollzogen haben so krass ist. Manche sprechen davon, dass die Diskographie, die man von anderen Bands so kennt, bei uns irgendwie rückwärts läuft: erst ist man irgendwie so die harte Rockband und dann merkt man irgendwann, man muss den Kühlschrank voll kriegen und fängt an, Popsongs fürs Radio zu schreiben und bei uns war es halt genau anders herum. Wir waren direkt im Radio und haben uns dann emanzipiert davon und ich glaube schon, dass es gerade so ein Prozess ist. „Disturbia“ ist so der erste Schritt in einem Prozess, der jetzt einfach konsequent verfolgt werden muss. Ich bin sehr happy darüber, dass die Plattenfirma so mutig war und gesagt hat „wir gehen diesen Weg mit euch“. Ich bin sehr glücklich über das Feedback, das wir bekommen, sei es bei den Interviews, sei es von den Fans, seien es Feature-Anfragen von Künstlern, die uns vor ‘nem Jahr vermutlich noch nicht mal mit dem Arsch angeguckt hätten, einer monsterfetten Tour mit SALTATIO MORTIS, die jetzt ansteht und so weiter und so fort, das sind alles sehr, sehr geile Zeichen in die richtige Richtung. Aber ob „Disturbia“ jetzt direkt der kommerzielle Erfolg wird oder eher der Türöffner ist für das, was jetzt kommt, das kann ich echt noch nicht einschätzen. Also ich bin gerade einfach happy über alles, was grad passiert.

Ich habe da schon Vertrauen. Eure Entwicklung war da schon ne ganz gute: Ihr habt immer noch, neben dieser Punkattitüde, die da jetzt drin steckt, immer noch diesen Popappeal dabei. Ihr bedient euch quasi an so vielen Töpfen, das ist kein Vorwurf, denn ihr macht es wirklich gut – von überall praktisch das Beste rausgefischt, dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass das steil geht. Was bei euch auch nochmal explizit gut ist, sind diese ansprechenden Texte: Ihr singt deutsch, man versteht euch und die Inhalte, auf die wir gleich näher zu sprechen kommen, sprechen bestimmt auch viele an. Es wäre traurig, wenn nicht…

Luca: Dein Wort in Gottes Ohr. Wenn alles so läuft, bin ich komplett happy.

Ich bin mit dem alten Mann ja auf „Du und Du“. Ich sehe es wie du und umgehe die Kirche und spreche direkt mit ihm, weißte…. *beide lachen*
Ihr hattet vor nicht allzu langer Zeit einen Verlust zu beklagen, Henry hat die Band verlassen. Hängt das mit der musikalischen Entwicklung zusammen, oder…?

Luca: Ich glaube nicht. Also die musikalische Entwicklung wird mit dazu beigetragen haben, dass er gemerkt hat, dass es für ihn als Pianist schwieriger wird, so seinen Platz zu finden. Aber das war kein Argument, denn das kann man alles machen und es gibt ja viele Rockbands, die Tasten haben. Also ich glaube nicht, dass das der Punkt war. Wir sind ja immer noch sehr dicke miteinander. Henry ist oft mit im Proberaum und hilft wo er kann, wir treffen uns viel und wir sehen uns viel, wir werden wahrscheinlich einfach auf ewig Freunde bleiben, was jetzt auch nicht immer selbstverständlich ist bei so einer „Bandtrennung“. Das ist ja wie, wenn man eine Beziehung beendet.
Aber wir haben die Beziehung auf einer sehr fairen Ebene beendet und er hatte nur Argumente, die durch und durch zu verstehen waren und ich glaube einfach, wenn man 7 Jahre etwas zusammen gemacht hat, dann kann das noch so schön und geil sein, dann braucht man vielleicht halt auch einfach mal was Neues. Klar, durch diese ganze Pandemie hat man viel Zeit gehabt um nachzudenken, man hat viel Zeit gehabt, sich auf persönlicher Ebene weiterzuentwickeln. Er hat eine Familie gegründet, was natürlich auch ein Argument ist… Also das kann ich mir durchaus auch vorstellen: Also ich bin einiges jünger als er, aber ich kann mir schon vorstellen, dass es auch ein schwieriges Gedankenspiel ist, wenn man dann Vater ist und nicht nur Vater ist, sondern mit Leib und Seele Vater ist und sein Kind über alles liebt, dann diese Vorstellung zu haben, dass man von 365 Tagen im Jahr mindestens 100 weg ist und soweit weg ist, dass man nicht jeden Tag aus dem Büro wieder heimfährt, sondern eben einfach „weg“ weg ist….. kann ich mir schon vorstellen, dass das einfach schwierig ist und dass das Entscheidungen sind, die man treffen muss. Die hat er für sich getroffen und das ist vollkommen in Ordnung. Es ist schade für uns, schade für die Truppe, aber wir haben ihn nur auf der Bühne „verloren“, wir haben ihn nicht als Mensch verloren.

Vielleicht gibt es die Chance, dass er in Zukunft noch mal bei dem ein oder anderen Titel auftaucht?

Luca: Das wird es mit hundertprozentiger Sicherheit geben, das kann ich hier an dieser Stelle schon versprechen. Dass wir ein einziges Stuttgart-Heimspiel spielen, ohne dass Henry mindestens einen Song macht, das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Und wer weiß, er ist ja auch immer noch im Musikbusiness, beruflich in einer Veranstaltungsfirma und so weiter und so fort… Vielleicht fährt er auch irgendwann mal als Tourmanager mit auf Tour, ach da gibt es so viele Modelle, über die schon rumgesponnen wird, aber für jetzt gerade ist es erst einmal gut so wie es ist. Er ist sehr happy damit, wir können auch weitermachen, er hat das zu einem sehr fairen Zeitpunkt gemacht, wir können uns neu sortieren…. Man kann fast sagen, es ist so ein Bilderbuchabschied, überhaupt keine negativen Vibes, in keiner Form.

Klingt doch alles super!
Zum Album: Du lässt uns in den sozialen Medien viel am Bandalltag teilnehmen und dort auch schon recht früh bekanntgegeben, dass das Album komplett in der Pandemie entstanden ist. Inwieweit hat denn die aktuelle Situation Einfluss auf Texte und den musikalischen Stil gehabt?

Luca: Zu 100 Prozent. Also hätte es diese Pandemie nicht gegeben, hätten wir jetzt im Moment noch kein neues Album, weil es war schlichtweg so: Der erste Lockdown kam, ich hab mich 6 Wochen lang zurückgezogen und hab ein komplettes Album geschrieben. Und es ist das autobiographischste Werk, das ich je verfasst habe. Ich saß einfach 6 Wochen lang mit mir allein in einem Zimmer und hab mich einfach mit mir selbst beschäftigt und mich da auch einfach sehr tief in mich selbst reinfallen lassen. Es war echt stellenweise so eine Grenzerfahrung, auch eine Erfahrung, die stellenweise richtig wehgetan hat. Also wo man einfach abends besoffen ins Bett geht obwohl man allein war und denkt „irgendwie ist das schon fast erbärmlich“. Am nächsten Morgen fühlt man sich dann so ein bisschen schäbig und dann versucht man das wieder rauszuholen und schreibt den nächsten Song. Allein von der Zeit her hat es das auch irgendwie möglich gemacht, das Ganze so und auch so schnell umzusetzen. Und die Platte hätte ja auch schon viel früher kommen können, aber es gab dann auch einfach viele Corona-bedingte Verschiebungen, weil das Business muss da ja auch irgendwie mitspielen, die ganze Industrie muss mitspielen und es war eine sehr schwierige Zeit, bis sich da alle wieder halbwegs sortiert hatten, so dass man anständig weiterarbeiten kann. Aber wie gesagt, so zeitmanagementmäßig hat es mir sehr in die Karten gespielt. Und auch inhaltlich zu 100 Prozent. Ich glaube, das hört man der Platte auch an. Also ich weiß nicht, ob man so deepe Sachen schreibt, wenn man in seinem normalen Trott ist, also wenn man auf Tour ist, wenn man die ganze Zeit Freunde trifft und wenn man lebt, wie man normalerweise so lebt. Dann weiß ich gar nicht, ob es so leicht gewesen wäre, so eine Platte zu schreiben. Also diese Isolationssituation hat den Inhalt der Platte nicht nur beeinflusst, sondern eigentlich überhaupt erst ermöglicht, behaupte ich für mich selbst. Und soundmäßig natürlich auch. Mir war relativ schnell klar, wenn ich so eine Platte schreibe, brauche ich das nicht in so ein „Happy Hippo- Gute Laune- Gewand“ packen, sondern dann wird es eine düstere und stellenweise echt eine „Aufs Maul-„ Rockplatte. Das war alles ein sehr homogener Prozess, wie das Ganze so gewachsen ist.

Wie hat es denn zu Pandemiebedingungen mit den Aufnahmen geklappt? Habt ihr das getrennt gemacht oder habt ihr es irgendwann in den „offenen“ Zeiten geschafft, zusammen ins Studio zu gehen?

Luca: Wir haben jetzt als Band alles durch, was man so durchmachen kann. Also von „ich sitz allein zuhause, schreibe die Songs und produziere mal die ersten Demos“, dann wurde viel rumgeschickt und Spuren drauf gezockt, dann gab es viel Onlinekommunikation, was stellenweise echt anstrengend war, dann sind wir tatsächlich einmal ins Studio gegangen, als es mal möglich war und haben da die Drums aufgenommen. Dann wurde wieder verschärft, das haben wir also genau hingekriegt, dass die Drums fertig waren, dann wurde wieder viel von zu Hause aus gearbeitet. Dann war ich wieder allein im Studio mit dem Produzenten, um die Vocals aufzunehmen und so weiter und so fort. Und mittlerweile ist es so, dass zwei von uns schon geimpft sind und sonst arbeiten wir konsequent mit regelmäßigen Schnelltests. Also wir treffen uns jetzt gerade wieder im Proberaum, weil wir halt auch einfach eine Firma sind und arbeiten müssen und machen das wie jede andere Firma auch mit täglichen Schnelltests. Also wir haben alle Maßnahmen und Mittel durch, um durch diese Pandemie zu kommen und ich bin da mittlerweile auch echt stolz drauf, dass wir das so hinbekommen haben und dass wir immer noch da sind und dass wir immer noch Mucke machen, dass wir so geile Fans haben, die so viel Merch kaufen und uns einfach so krass unterstützen. Andere Musikerkollegen aus Stuttgart, ohne das jetzt abwerten zu wollen, räumen bei Aldi Regale ein. Das ist ja okay, das muss jemand machen, aber das sind einfach viel zu grandiose Musiker, als dass sie irgendwo Regale einräumen sollten. Und da bin ich schon sehr froh, dass wir das bisher so gut hinbekommen haben.

Die Pandemie verschärft ja nun auch Probleme im Musikbusiness, die es schon vorher gab: mit Musik selbst kann man kaum noch Geld verdienen, eher mit Merch und Liveauftritten. Somit bleiben Kassen jetzt natürlich erst recht leer. Und unsere Regierung glänzt ja auch gerade nicht mit großartiger Unterstützung, sondern eher durch große Versprechen, die durchgehend gebrochen werden. Und nicht jeder kann Regale einräumen, denn diese Jobs waren ja schon vorher vergeben und werden jetzt auch nicht mehr, sondern eher weniger…

Luca: … da hake ich immer sehr gerne ein. Ich kenne etliche Kollegen, die dem entsprechen, was du gerade gesagt hast, das finde ich auch immer erschreckend, wenn ich das so mitbekomme. Aber ich kann tatsächlich nur aus eigener Sicht sagen: Wir haben ein sehr gutes Steuerbüro, das jede Möglichkeit wahrnimmt, für uns irgendwie an Geld ranzukommen. Ich kann nur mal aus unserer Sicht sagen, um nicht nur die „arme Angie“ zu bashen, dass es bei uns sehr gut funktioniert hat. Also wir haben unsere Hilfen beantragt und auch bekommen. Ohne diese Hilfen wären wir auch definitiv nicht mehr in der Lage, unseren Proberaum zu bezahlen. In unserer Blase hat es also wirklich gut funktioniert, aber ich kenne natürlich auch die ganzen Fälle, wo es nicht funktioniert, und das ist natürlich beschissen.

Lass uns ein bisserl über ein paar Titel sprechen.
Zum Beispiel gibt es in „Sommer unseres Lebens“ etliche deutliche Schlagworte, aber doch auch Spielraum zur Interpretation. Man muss schon ein bisschen mitdenken wollen…

Luca: Absolut, ja. „Sommer unseres Lebens“ ist auf eine sehr düstere und schmerzhafte Art wahnsinnig sarkastisch. Das ist schon fast pechschwarzer Humor, über den ich da spreche, weil …
Ich kann gar nicht sagen „das ist die Aussage dieses Songs“, für mich ist es das Lebensgefühl, das ich während der ersten Zeit dieser Pandemie hatte. Weil es war so zwischen „uns geht’s beschissen“, man ist es nicht gewohnt als ach so privilegierter Europäer, oder gar als noch privilegierterer Deutscher auch mal irgendwie gefickt zu werden, das sind wir einfach nicht gewohnt, das uns auch mal irgendwie was erwischt. Dann diese schizophrene andere Seite, irgendwie bin ich gerade gefickt, aber eigentlich ist es okay, für mich ist es gar nicht so schlimm: ich hab immer noch was zu fressen, ich hab immer noch ein Dach über dem Kopf, ich kann sogar immer noch mit meinem einen Kumpel -für den ich mich entscheide- am Neckar ein Bier trinken, also es ist irgendwie eklig, aber auch irgendwie gar nicht so schlimm. Und dann immer noch diese Bilder von der Welt, die in meinen Augen eine noch größere Rolle spielen, von Problemen, die mit Corona etc. überhaupt nichts zu tun haben. Also die Kids in Afrika verhungern immer noch, ob wir jetzt den Virus haben, oder nicht. Und es machen sich immer noch Leute übers Mittelmeer auf, um irgendwie aus zerbombten Kriegsgebieten in eine bessere Welt zu kommen. Und wir jammern in eben dieser besseren Welt rum „uns geht’s so schlecht, ich bekomme dies und das nicht, ich würde gerne mal wieder mit meiner Fußballmannschaft trainieren“… Ja, kann man natürlich alles, wenn man in seiner Blase ist, irgendwie nachvollziehen. Ich möchte da ja auch nichts runterspielen und kann deshalb auch nicht sagen, das ist die eine Aussage des Songs. Aber das war für mich das Gefühl dieser Pandemie, zwischen total hilflos und erbärmlich da sitzen bis hin zu „es ist eigentlich okay und anderen geht es viel beschissener als mir“. Und ich empfand dann einfach diesen Schlagsatz „das ist der Sommer unseres Lebens, das kann uns keiner mehr nehmen und schau nicht in die Ferne…“ als den Schlagsatz dieser Pandemie. Ja nicht irgendwo hinschauen, wo es noch schlimmer ist, weil einem auch sonst ein bisschen auffällt, wie gut es uns immer noch geht und das will man ja nicht spüren, wenn es einem beschissen geht.

„Motten ums Licht“ verstehe ich sinngemäß ja ganz ähnlich: alles dreht sich um mich, also typische First World Problems….

Luca: Wie gesagt, die ganze Platte ist krass autobiografisch. Ich kann dir zu jedem Song die persönliche Geschichte erzählen. Die von „Motten um Licht“ ist eigentlich sehr schnell erzählt: da geht es um eine Freundin von mir, bildhübsches Mädchen, wahnsinnige Granate, wahnsinnig intelligent, eine krass tolle Frau, die aber aufgrund von eigenen Problemen und von eigenem „Weltschmerz“ immer mehr in dieses Drogenloch fällt und stellenweise gar nicht mehr sieht, was sie für ein besonderer Mensch ist, weil sie sich so hart im Exzess verliert manchmal. Und ich fand das einfach ein so schönes Bild, dass sie eigentlich diese Glühbirne ist, in dessen Schein im Club die ganzen Typen wie Motten um sie herumtanzen, aber sie hat sich so sehr in den Himmel geschossen, dass sie das gar nicht mehr mitbekommt und ist deswegen total von Selbstzweifeln zerfressen. Und ich kann dir gar nicht sagen warum, aber auch das war eine Thematik, die mich beschäftigt hat. Weil sie auch einer dieser Menschen ist, die wahrscheinlich Probleme bekommt in dieser Pandemie, der einfach schwer mit Isolation klar kommt und deshalb hat mich das irgendwie dazu inspiriert, diesen Song zu schreiben.

Also in weniger extremer Form gibt es von solchen Menschen sicher einige, selbst ohne Drogen, die Thematik ist generell eine etwas schwierige. As next: „My only Friend“…

Luca: Der Refrain ist „Nenn mich Mensch, my only Friend“, da ist eigentlich alles gesagt. Wenn ein Mensch diesen Text hört und sagt, ich kann mich nicht damit identifizieren, kein einziges Wort passt auf mich, dann lügt er. Eine sehr allgemeine und trotzdem sehr intime Selbstreflexion.

Interessant ist bei „Standing In Line“ deine sehr krasse und deutliche Abrechnung mit dem „Institut“ Kirche, von der Ausdrucksweise her der wohl mutigste Text. Du legst dich da ganz offen und ganz deutlich mit einem mächtigen Gegner an. Gab es da einen Vorfall, der dich dazu inspiriert hat?

Luca: Tausende! Es ist für mich mit die schlimmste Mafia, die es auf diesem Planeten gibt. Nirgendwo ist die Diskrepanz zwischen Opfer und Täter so pervers wie in diesem Fall, weil da oft ein wahnsinnig großer Machthunger und eine Gier nach Weltherrschaft auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird und das finde ich ganz furchtbar. Und ich finde, dass der Glaube an sich eine so geile Sache ist, ich liebe es wenn Menschen glauben, egal woran. Ob es Jesus Christus ist, ob es fucking Kurt Cobain ist, ob es irgendetwas anderes ist, ist mir scheißegal. Hauptsache, die Leute glauben an irgendwas, was ihnen ihr eigenes Leben erleichtert und was ihnen Halt gibt. Und wenn es dann Menschen gibt, die so einen Glauben instrumentalisieren, Geld damit machen und Kriege in dessen Namen führen, Menschen töten – weiß der Geier was da alles passiert, von Missbrauchsskandalen, Geldveruntreuung und dann wird nicht richtig nachgegangen, nicht richtig recherchiert, das finde ich ganz, ganz furchtbar. Ich glaube ja auch und finde es schlimm, was die Kirche damit für Schindluder treibt. Und dann gibt es auch noch die ganz privaten Fälle, homosexuelle Ehepaare, denen auch aus kirchlicher Sicht so dermaßen viele Steine in den Weg gelegt werden. Und wenn ich dann sehe, wie sich irgendwelche Priester irgendwelche goldenen Badewannen gießen lassen, oder wie hunderte Missbrauchsopfer aussagen und trotzdem nicht die Konsequenzen gezogen werden, die gezogen werden müssten , dann tut mir das sehr leid für die ganzen Pfarrer, Priester und was es da alles gibt, die nicht so sind. Da gibt es bestimmt auch ganz viele, die nicht so sind, die einen guten Job machen, die das als ihre Passion sehen und einfach nur versuchen, das Leben der anderen zu erleichtern. Aber die Institution an sich ist so krank, dass man in meinen Augen sehr radikal vorgehen müsste, um wieder einen halbwegs gesunden „Ist- Zustand“ herstellen zu können.

… es ist halt im Moment eines der florierendsten Wirtschaftsunternehmen…

Luca: …und sie müssen nicht mal Zahlen offenlegen. Also das ist einfach ein Skandal!

Ja, das ist wohl so. Aber glauben an sich kann man ja an alles, selbst wenn es nur der schnöde Mammon ist…

Luca: Am Wochenende glaube ich persönlich jedenfalls mehr an Borussia Dortmund, als an Gott, das ist so

Jetzt willst du dich wohl bei mir einschleimen? (Anmerkung der Redaktion: Der Redakteur, actually called as Yvonne ist schockverliebt)

Luca: Warum, bist du auch Borusse?

Ich verstehe die Frage nicht… und Gruß vom südöstlichen Zipfel Dortmunds

Luca: Ich war tatsächlich, als man es noch durfte, bei jedem Heimspiel, wenn ich nicht auf Tour war.

Dann könnte man sich dort ja tatsächlich mal über den Weg laufen…

Luca: Ich hab tatsächlich das Glück, dass ich ein paar Jungs hab, die Dauerkarten haben und so bekomme ich tatsächlich immer nen Platz auf der Süd, das ist natürlich schon sehr sexy….

Last not least: der für mich absolute Song des Albums ist natürlich das „Wiegenlied“. Der traurigste, mit Sicherheit auch der persönlichste… Ich muss dir einfach gratulieren zu dem Mut, dich so tief und persönlich zu öffnen. [es folgen etliche Lobhudeleien meinerseits, denn ich bin tatsächlich immer noch geflasht von diesem Release. Ja ja, natürlich ist das total unprofessionell, aber ich bin ja nun mal auch einfach ein Musiknerd]
Es ist schon eine hohe Kunst bei Titeln wie dem „Wiegenlied“, den Hörer zwar mental runter zu ziehen, ihn aber nicht fallen zu lassen, sondern auch wieder aufzufangen. Wie auch immer ihr das so gut hinbekommt….

Luca: Ich glaube, du hast es eben gerade schon selbst formuliert, wie man das hinbekommt. Weil diese Songs sind zu 100 Prozent autobiografisch und manchmal ziehen auch mich die Songs sehr runter, aber ich bin noch nicht gefallen und das ist genau der Punkt. Und deshalb klingen diese Songs so, wie sie klingen.

Als Abschluss dieses Interviews noch die obligatorische Frage nach Plänen für die Zukunft, wenngleich Fragen nach Touren etc. momentan eher obsolet sind. Was kann man demnächst so von euch erwarten?

Luca: Ich möchte jetzt gar nicht so viel verraten, sonst mache ich ja die Überraschung kaputt. Aber ich kann schon sagen…., also schon bevor „Disturbia“ rauskam, also weil wir soviel Zeit hatten, haben wir schon hardcoremäßig angefangen, an weiteren Projekten zu arbeiten. Und wir haben ein Projekt vor uns, welches einem „normalen Live- Jahr“ einer Band nahezu ebenbürtig ist, würde ich sagen. Da sind wir gerade mit Hochdruck am arbeiten, es geht in Richtung ……., nee, mehr sag ich nicht…! *lachen*
Wir haben einen riesen Plan, keine Ahnung, ob wir den so umgesetzt kriegen… Aber ich bin momentan guter Dinge… Wir haben eine große Mission gerade und sind mit viel Euphorie und Feuer bei der Sache und lassen uns von dieser Pandemie nicht länger abfucken. Wir machen einfach, was wir machen können, und wir hatten, glaube ich, sehr gute Ideen.

Dann bedanke ich mich für das Interview, wünsche euch nur das Beste. Grüß deine Kollegen, habt Spaß und ich hoffe wir sehen uns bald im Pott.

Luca: Gern. …und liebe Grüße an Yvonne.. *wir lachen*

ANTIHELD 2020
(c) Sandra Bertschinger

Das Album bekommt ihr überall, wo es Tonträger gibt, auf allen großen Digital-Plattformen und natürlich über die großen Streamingdienste. Tut mir, euch und den Künstlern den großen Gefallen und nutzt legale Quellen, lasst ‘nen schmalen Taler da, es ist die Lebensgrundlage der Kunstschaffenden. Support the Artists! Dankeschön.
Alles rund um ANTIHELD erfahrt ihr hier und natürlich auf Facebook.
Mehr Beiträge rund um Musik jenseits des Mainstreams findet ihr wie immer auf sharpschooter-pics und auf unserem Facebook- Panel.
Stay tuned
Dany

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner