Review: KATATONIA – City Burials
Ziemlich genau vier Jahre nach der Veröffentlichung von Katatonias letztem Studioalbum “The Fall of Hearts“ schicken die Meister des düsteren Schwedenmetalls ein neues Lebenszeichen ihrer Kreativschmiede in die Welt.
Hatten Jonas Renkse und Anders Nyström noch 2018, nach Ihrer Tour zu vorgenanntem Album verkündet, sich eine Auszeit vom Bandalltag zu nehmen, was viele Fans in die Ungewißheit stürzte, wann es wie mit KATATONIA weitergehen würde, wenn überhaupt, liegt deren Antwort nun in voller Pracht vor.
Oftmals bedeuten solche Kreativpausen ja tatsächlich das Ende einer Band, zumindest für viele Jahre, um dann irgendwann ein mehr oder weniger fulminantes Comeback zu irgendeinem Bandjubiläum verkünden zu können. Oftmals werden mit der Pause grundlegende Stilwechsel oder Line-Up Veränderungen begründet, oder von einem Best-Of- Album „gekrönt“. All dies hat KATATONIA jedoch dankenswerterweise gekonnt vermieden und wenn man es genau bedenkt, nach recht überschaubarer Zeit bereits wieder den Weg ins Studio gefunden, um den vorliegenden Longplayer zu manifestieren, erst recht, wenn man bedenkt, dass ja zwischenzeitlich noch eine Mini-Tour anstand.
Nach dem ersten Durchlauf in kompletter Länge hatte sich mir zunächst der Eindruck ergeben, dass das Album wohl den Weg in die Belanglosigkeit finden würde, was wohl einfach daran lag, dass der Regler meiner Hifi-Anlage zu niedrig eingestellt war. So angenehm unaufdringlich im Hintergrund.
Als ich dann allerdings den Pegel für den zweiten Durchgang nachjustiert hatte, entfaltete sich die facettenreiche Tiefe und großartige Vielfalt des Albums nachhaltig in voller Wirkung und überraschte mich mit einer stimmigen, emotionalen Größe, die von Jonas´prägnanter Stimme dominiert und getragen wird. Üblicherweise hat mich offen gestanden, genau diese gegenüber den progressiven Klangstrukturen der letzten Alben immer wieder eher ein wenig gestört, denn begeistert. Klang sie für mich oftmals zu wehleidig, nölig, nach zu viel „Mimimi“. Ganz anders diesmal. Die Vocals verschmelzen geradezu mit den Arrangements der instrumentalen Fraktion, tauchen die Stimmung in ein freundliches Grau, führen einen sanftmütig mit in die Gedanken der Melancholie, um immer wieder mit überraschenden (verhaltenen) Gefühlsausbrüchen Glanzpunkte am Himmel zu formen. Es klingt alles irgendwie „gereift“, wie eine verzehrfertige Frucht, die mit süßem Duft lockt, und im Abgang mit süß-säuerlichem Bouquet das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt.
Doch einmal der Reihe nach.
Der Opener „ Heart set to Divide” weckt einen durch sein sanftes Intro, bevor ein extrem rockiger Akzent den Kaffee reicht. Hier ein wenig Milch, dort ein wenig Zucker in Form elektronischer Klangteppiche, eine verspielte, fast schon vertrackte Struktur, die quasi alle folgenden Songs vorwegnimmt, ihnen den Weg bereitet.
„Behind the Blood“ läßt zunächst vermuten, es folge eine typisch traditionelle Heavy-Metal Hymne, die zum Mitsingen einlädt, doch wieder einmal sieht man sich im Verlaufe des Songs gründlich getäuscht. Zu oft werden hier KATATONIA-charakteristische Elemente eingestreut, um den Song völlig geradlinig erscheinen zu lassen.
„Lacquer“ fließt sehr balladesk und melodramatisch, verträumt aus den Boxen, während „Rein“ eine bedrohliche Stimmung erzeugt, die kraftvoll, virulent und komplex inszeniert wird, durchbrochen von Passagen, die eine Weite erzeugen, wie morgendliche Nebelschwaden, die über eine erwachende Frühlingswiese ziehen.
Auch eine der Single-Auskopplungen, „The Winter of our Passing“ schickt sich zunächst an, den Hörer immer wieder auf die falsche Fährte zu locken, bevor es einen überraschend schlüssigen Gesamteindruck hinterlässt.
Die Album-Mitte bildet „Vanishers“, welches fast schon klischeehaft kitschig wirkt, nicht zuletzt wegen der Duett-Passagen mit Anni Bernhardt von den Art-Rockern FULL OF KEYS. Auch wenn diese Ballade ein passendes Stilelement im Verlaufe des Albums bildet, für mich das schwächste Stück auf diesem Longplayer.
Glücklicherweise holt einen „City-Glaciers“ gefühlvoll wieder aus dem Wattebausch heraus und klingt stellenweise fast wie die Kollegen AMORPHIS aus Finnland, natürlich mit einer gehörigen Prise Renkse typischer Zurückhaltung, ebenso wie „Flicker“, welches etwas experimenteller daher kommt.
Ein kurzes, introvertiertes Stück namens „Lachesis“ bildet dann schließlich erneut ein Zwischenspiel zum nachfolgenden „Neon Epitaph“, welches wieder ganz in der Tradition des Gesamtkonzeptes steht, bevor „Untrodden“ den Part des Rausschmeißers spielt, ohne den konsequent eingeschlagenen Weg zu verlassen.
KATATONIA sind sich also treu geblieben, streuen jedoch hier und da neue Akzente ein, zitieren, neu interpretiert Elemente, ihrer fast 30 jährigen Karriere, gießen alles zusammen in eine Nebelschale und man darf sich freuen, wie es wabert und schwelgt.
Insgesamt also ein Album, dass den Menschen im Home-Office und natürlich auch anderswo in dieser von „Corona“ geprägten Zeit den passenden Soundtrack zum Budenkoller liefert, ein bisschen herbstliches Ambiente in die von der Frühlingssonne erwärmten Herzen fließen lässt. Eine ganz besondere Melange aus Schwere und Düsternis, aber auch fragiler, vorsichtig optimistischer Feingeistigkeit.
Bewertung: 8,2 von 10 Punkten