Schubladendenken mal positiv – COPPELIUS öffnen das Kammerarchiv

Die „Bühnenabstinenzverweigerungskonzertreise“ führte die Herren von Coppelius schon an abgelegene Gebirgsorte wie Annaberg-Buchholz. Doch auch in eher grauen, wenig pittoresken Ruhrgebietsorten kam die Strahlkraft der sechs Herren vortrefflich zur Geltung.  So auch in Oberhausen, wo das Publikum sich dieses eine Mal nur allzu gern in Schubladen stecken ließ, wo doch ansonsten in der Schwarzen Szene die Individualität bis aufs Blut verteidigt wird. Auf dieser Schublade jedenfalls prangte das Etikett „fulminanter Konzertabend“.

Den Anfang indes machte die Luftschiff-Crew AERONAUTICA, die, von günstigen Winden herbeigeweht, das Publikum auf eine abenteuerliche Reise durch die Welt des Steampunks mitnahm.  Der Sound war anfangs nicht optimal, da das Schlagzeug die Gitarren und Vocals übertönte, doch nach und nach entfaltete sich dann doch der Reiz von Geschichten über Reisen z.B. ins ewige Eis. Ein Mordsspaß war dann auch der Besuch auf einer allseits bekannten Insel mit zwei Bergen, bevor es dann gegen Ende des Sets noch mal ernst wurde: Mit „Spieglein, Spieglein“ stünde man in der Tradition von Konstantin Weckers Aufruf zum Widerstand gegen rechtsradikale Bewegungen („Sage Nein!“), betonte Sänger Tobias Kurzawa.

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Fotos: Ulli

Doch nun öffneten sich knarrend die verheißungsvollen Türen des Kammerarchivs und die Herren von COPPELIUS betraten unter frenetischem Jubel die Bühne. Das Lied „I get used to it“ geisterte schon länger durch die Playlists der Fans bevor es seinem erlangten Status als großer Hit gerecht werdend, dann endlich auch auf einem Tonträger seinen Platz fand, nämlich auf ebenjenem „Kammerarchiv“.  Überhaupt sollte das geneigte Auditorium an diesem Abend kaum ein Juwel aus den Schatullen der coppelianischen Tonträgerparade missen müssen. Schon beim „Moor“ sangen viele treue Fans aus voller Kehle mit. Doch COPPELIUS besticht seit jeher auch dadurch, der Anhängerschaft nicht nur Posse, Klamauk und Vergnügliches zu kredenzen! Auch manch bittere Geschmacksnote findet ihren Weg in die Musik und manch nachdenkliche Zeile ebenso. Mit „Welt im Wahn“ wurde eine deutliche Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen zum Ausdruck gebracht. Linus von Doppelschlag strafte seinen Namen Lügen, als er ein wahres Drum-Feuerwerk abbrannte und sich mit Doppelschlägen nicht zufrieden gab. 

„Aus den Betten“ musste indes niemand vor Ort mehr geholt werden, denn hier bestand absolut keine Gefahr für Müdigkeitserscheinungen.  Hier bekamen wir bemerkenswerterweise aber schon einen Ausblick auf das nächste große Projekt von COPPELIUS, nämlich die zweite Oper rund um die „Krabat“-Thematik, deren Premiere am 9. Mai in Gelsenkirchen stattfinden wird. Das äußerst ausgedehnte Abendprogramm bot aber durchaus auch genug Zeit für ein paar Ausflüge in die erste Oper „Klein Zaches, genannt Zinnober“ mit dem Zaches-Titelsong, gefolgt von „Glaubtet ihr“ und „Welthentrubel (Selten genug)“. Diese soeben angesprochene Ernsthaftigkeit von COPPELIUS und die Beschäftigung mit altem Geschichtenstoff aus der Literatur tragen einen wesentlichen Teil zu dem Nimbus und der wachsenden Anhängerschaft bei. Zwischendurch wurde auch vor dem Lied „Reichtum“ die mehr als erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne angesprochen und Dank an alle Unterstützer in Form von Rotkäppchen-Sekt ausgeteilt. Wer sich allerdings nach den Balladen fragte, wann denn mal wieder ordentlich Dampf in die Veranstaltung kommen würde, wurde gleich darauf mit dem höchst energetischen Cover „Radio Video“ von System of a Down regelrecht überfahren. 

Auch „Gumbagubanga“, „Diener fünfer Herren“ und „Bitten, danken, petitieren“ schlugen in eine ähnliche Kerbe. Zwischendurch wurden außerdem selbst gebaute Instrumente, (federführend ist hier Le Comte Caspar), wie die „Horror-Gurdy“, die Ähnlichkeit mit einer Kreissäge aufwies, präsentiert, was so manches überraschendes Klangerlebnis hervorrief. Die enge Verbundenheit mit ihren Fans zelebrierte und zementierte die Kapelle dann auch noch, indem für ein kurzes, aber absolut überzeugendes Solo auf der Triangel die Zuschauerin Sonja S. auf die Bühne geholt wurde.  Butler Bastille suchte ebenfalls die Nähe der Fans und erschuf mitten im Auditorium eine Art Mischung aus Circlepit, Polonaise und irischer Volkstanzgruppe. Als es dann so schien, als sei der Abend an seinem unweigerlichen Ende angelangt, schallte ein solch lautes und anhaltendes „Da capo“ durch den Raum, dass die sechs Herren den Feierabend verschoben und noch einmal für drei Lieder zurückkehrten. Nach dem beliebten Everblack „Risiko“ war dann aber tatsächlich Schicht und in den staubigen Weiten des Kammerarchivs wurden die Schubladen geschlossen und die Lichter gelöscht. Ein grandioser Abend voller vortrefflicher kultureller Unterhaltung ging zu Ende und uns bleibt nur zu sagen: Es lebe die Bühnenabstinenzverweigerung! Coppelius hilft…. dabei, den Horizont zu erweitern, zu lachen und auch nachzudenken über die Welt und unseren Platz darin. 

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Fotos: Ulli

SETLIST COPPELIUS

  1. I get used to it
  2. Der Advokat
  3. Moor
  4. Welt im Wahn
  5. Aus den Betten
  6. Locked out
  7. To my creator
  8. Ides of March
  9. Wrathchild
  10.  Zeit & Raum
  11.  Der Handschuh
  12.  1916
  13.  Reichtum
  14.  Klein Zaches
  15.  Operation
  16.  Glaubtet ihr?
  17.  Selten genug (Welthentrubel)
  18.  Time – Zeit
  19.  Der Luftschiffharpunist
  20.  Urinstinkt
  21. Radio Video (System of a Down-Cover)
  22.  Gumbagubanga
  23.  Diener 5er Herren
  24.  Bitten, danken, petitieren
  25.  Dark Ice
  26.  Schöne Augen
  27.  Risiko
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