Review: CAISARON – Destiny Encounters

Skandal! Sharpshooter deckt auf: BLUTENGEL und COVENANT haben ein Kind in Dresden. Sein Name: CAISARON! Mit “Destiny Encounters” stellen Frank Albrecht, Daniel Stephan und Angela Blackfield ihr zweites Full Time-Album vor.
Nach dem Debut “Reflections” von 2015 bekommen wir zehn neue Songs aus dem Hause CAISARON zu hören, die es in sich haben.
Live-Erfahrung konnte das Trio bereits im Vorprogramm von Blutengel und Peter Heppner, sowie auf dem Wave Gotik Treffen sammeln und nun ist es also soweit: Das von Rob Dust produzierte Album wird geboren und in die Welt entlassen. Was erwartet uns?

“Destiny Encounters” macht einen gesamtharmonischen, ruhigen und verträumten Eindruck, wenngleich es auch genug tanzbares Material enthält. Man könnte also sagen: CAISARON machen Musik für Traumtänzer, die sich gern mit geschlossenen Augen bewegen und die Musik durch sich hindurchströmen lassen.
Das Album beginnt mit der vorab im Oktober samt Video ausgekoppelten Single “Unconnectable”. Eine Midtempo-Nummer, die thematisch das traurige Gefühl behandelt, keine Verbindung zu jemandem herstellen zu können, also allein zu sein und einen Anruf zu erwarten, der niemals kommt, weil die Leitung tot ist.
“Fast And Faster” schlägt die ersten gesellschaftskritischen Töne des Albums an. Die stampfenden Beats imitieren eine unaufhaltsame Maschinerie und auch textlich geht es in dem Song darum, unter die Räder zu kommen, sich zu überarbeiten, ein Burn out-Syndrom zu entwickeln und letztendlich an den Erwartungen der Gesellschaft zu zerbrechen. Doch nicht mit CAISARON! “Stop! Time out!”, fordern sie und viele von uns werden in diesen Ruf einstimmen, denn der Druck unserer momentanen Leistungsgesellschaft nimmt unbarmherzig zu.

Das ruhige “Carry Me” behandelt wieder zwischenmenschliche Themen, hier wird im Gegensatz zum Opener durchaus eine starke Verbindung zu jemand anderem hergestellt, die Strophen werden abwechselnd von Frank und Angela gesungen, was ein schönes Wechselspiel darstellt.
Das erste deutschsprachige Stück “Wenn der letzte Tag verblasst” stellt eindeutig einen Höhepunkt der Platte dar. Hier wird klar und schnörkellos verkündet, was die Menschheit dem Planeten und der Umwelt antut und CAISARON sprechen eine eindringliche Warnung aus und fragen rhetorisch “Wenn die letzten Menschen gehen / Wenn der letzte Tag verblasst / Wer soll dann die Hürde nehmen, die du hinterlassen hast?” Die Antwort lautet: Es wird niemand mehr da sein und den Staffelstab übernehmen, wenn wir unsere einzige Chance verpassen und den Kampf für Klima- und Umweltschutz verlieren. Der Schlussakkord des Stückes klingt wie ein unheilvolles Fanal, wie ein Schlusspunkt. Lassen wir es nicht dazu kommen!

Sehnsucht und der erste Ohrwurm sowie… nanu, ein Eskimo?

“Release My Soul” in der Mitte des Albums ist ein Herzenssong für Sängerin Angela. “Er berührt meine Seele jedes Mal aufs Neue”, verrät sie. Man kann dieses Lied als Plädoyer für die dunklen Seiten der Seele ansehen, die jeder von uns in sich trägt und als einen eindringlichen Appell für eine ehrliche Offenbarung. Nur dann kann deine Seele wirklich erlöst werden. Der Gesang lässt die Sehnsucht und auch ein wenig Verzweiflung erkennen, die hinter diesem Wunsch steckt.
Als nächstes erwartet uns eine etwas schnellere Tanznummer namens “Reach The Sky”, deren Refrain Ohrwurm-Charakter besitzt. Man erwischt sich noch Tage nach dem Hören dabei, ihn leise vor sich hinzusummen. Thematisch wird hier der Ambivalenz zwischen dem virtuellen und dem realen Leben nachgespürt und wir werden ermahnt, letzteres nicht zu vernachlässigen und sich realistische Ziele im wirklichen Leben zu setzen.
Der nun folgende Titel “Gothic Eskimo” lässt schlecht informierte Menschen zunächst einmal zusammenzucken. Hat man uns nicht jahrelang erzählt, “Eskimo” sei eine politisch inkorrekte Bezeichnung ähnlich wie “Zigeuner”, die Übersetzung beinhalte ein Schimpfwort und die indianischen Menschen der nördlichen Polargebiete würden diese Bezeichnung durchweg ablehnen? Wer recherchiert, stellt schnell fest, dass es sich anders verhält und die Betroffenen sich vielerorts selbst so nennen. Eskimo ist schlicht eine Oberbezeichnung für die Volksstämme der Inuit sowie der Yupik. Die Übersetzung des Wortes bringt uns auch der Bedeutung des CAISARON-Songs näher. Zwei mögliche Übersetzungen werden heutzutage allgemein anerkannt: “Schneeschuhflechter” und “Menschen, die eine andere Sprache sprechen” – beide Bezeichnungen beinhalten ein von der Norm abweichendes Merkmal und dienen aus Sicht des Sprechers einer Abgrenzung zum eigenen Volk.
Gothics können wie Eskimos als ein eigenes “Volk” betrachtet werden, das abgeschieden von den anderen lebt und sich teils selbst isoliert, teils aktiv isoliert wird.
Doch beide “Völker” haben längst gelernt, diese Isolation in eine Stärke zu verwandeln und ihre eigene Kultur und Sprache zu pflegen.
Hier böte sich auch eine schöne Gelegenheit für ein außergewöhnliches Musikvideo. Hat schonmal jemand versucht, mit Schneeschuhen zu tanzen?
Wenn ihr es versuchen wollt, holt euch “Destiny Encounters” und dann nur zu!

 

Ein packendes Finale

Gegen Ende des Albums werden wir dann plötzlich mit einer schnellen und thematisch positiven Nummer überrascht: “Never End” erzählt, wie die spontane Begegnung mit einem außergewöhnlichen Menschen unsere Leben komplett auf den Kopf stellen kann. Man sieht zu, wie sich der positive Einfluss des anderen breitmacht und man sich nur wünscht, dass dieser Traum, dieser “taste of fairyland” niemals wieder aufhört. Schöner Song mit tollen Beats und Synthies. Als besonderes Bonbon enthält er gesprochene Passagen im Stile Anne Clarks, interpretiert von Angela Blackfield.
“No More” setzt die philsophische Linie des ganzen Albums fort und enthält wieder gute Ratschläge, diesmal zum Thema Zeit und Vergangenheitsbewältigung. Nach vorne schauen lautet das Gebot der Stunde, denn die Taten von gestern sind nicht mehr änderbar. Die Stimmen der beiden Sänger, die sich hier den druckvollen und eingängigen Refrain teilen, klingen zusammen ausgesprochen formidabel.

Anders als andere Bands lassen CAISARON die Platte nicht mit einem eher seichten Song aus der Kategorie “Füllmaterial” enden, sondern setzen einen durchaus wuchtigen Schlusspunkt mit “Du suchst nach dem Licht”.
Das Thema Depression und Suizid ist kein Tabu mehr und darf es auch nicht mehr sein! Zu viele Menschen haben in der Vergangenheit stumm nach Hilfe gerufen und keine bekommen, bis es zu spät war. Umso wichtiger ist es für uns, ihnen in Erinnerung zu rufen, dass es Hoffnung gibt!
Für CAISARON liegt die Hoffnung und der Schlüssel dazu, sich selbst vor dem Sturz in den Abgrund zu bewahren, zunächst einmal in der Liebe zu sich selbst, also in der Selbstakzeptanz und dann ist auch wieder nach außen gerichtete Liebe möglich.
“Verliere Liebe nicht. Irgendwann ist Land in Sicht” rufen sie uns zu und entlassen uns damit nachdenklich aus einem Werk, das viele Fragen stellt, aber auch so manche Antwort bereithält.

Fazit

Mit “Destiny Encounters” ist es CAISARON gelungen, sich erneut weiterzuentwickeln und dem Genre Future Pop neues Leben einzuhauchen. Wir leben in einer interessanten Zeit des Umbruchs, in der die alten Veteranen wie And One und VNV Nation langsam den Weg bereiten für ihre Erben. CAISARON reiht sich in die Reihe vielversprechender Electro-Bands wie Empathy Test, Rroyce, Ruined Conflict etc. ein, um das Zepter zu übernehmen und die Mission, tolle tanzbare Rhythmen aber auch Texte mit Bedeutung zu erschaffen, fortzusetzen. “Destiny Encounters” ist eine durchaus gelungene Bewerbung für diese Nachfolge. Die kühl wabernden Rythmen erinnern an Covenants große Zeiten und man glaubt fast, ab und zu eine Prise des praktisch ausgestorbenen Cold Wave zu entdecken. Der Doppelgesang mit weiblicher und männlicher Stimme galt lange als Geheimrezept im Metal, dass es aber auch im elektronischen Bereich wunderbar funktioniert und einer Band eine unverwechselbare Note verleiht, beweisen Blutengel schon seit Jahren.
CAISARON schlagen in die gleiche Kerbe und man muss besonders die Aufteilung der Vocal-Passagen auf “Destiny Encounters” als gelungen hervorheben. Die Band durfte zu Blutengels neuer Veröffentlichung “Damokles” folgerichtig einen Remix für den Song “Strong” beisteuern.
Hier und da könnte der Synth-Sound durchaus noch druckvoller sein (ggf. bringt z.B. eine Gitarre mehr Wums) und etwas mehr an Substanz gewinnen. Der, wie schon angemerkt, durchgängig kühle und steril anmutende Sound kann je nach Geschmack als großes Plus oder als eher negativ gesehen werden. Alles in allem ist “Destiny Encounters” aber ein Experiment, auf das man sich guten Gewissens einlassen kann und sollte.

Wertung: 7,5 von 10 Punkten

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