Review: XANDRIA – The Wonders Still Awaiting

XANDRIA are back! Das ist längst kein Geheimnis mehr. Wir müssen jetzt nicht nochmal die ganze Geschichte mit der Pause, den Sängerinnen etc. durchkauen, sondern wir konzentrieren uns jetzt einfach auf die Wunder, die noch vor uns liegen, einverstanden? Ganz dicht vor uns liegt das neue Studioalbum “The Wonders Still Awaiting”, dieses wird nämlich morgen, am 03.02. veröffentlicht.
Ich möchte mich ein Stückweit von dem üblichen Rezensionsstil lösen, der darauf beruht, ein Album mit den vorherigen und denen von Genrekollegen zu vergleichen. Versuchen wir stattdessen, das Werk ganz für sich und alleinstehend zu betrachten. Nun, was bekommen wir hier denn serviert?

Ein sanfter Start liegt XANDRIA offenbar nicht, es geht gleich opulent zur Sache. “Two Worlds” kommt direkt mit einem Video und einer stattlichen Länge von 7:09 Minuten daher. Nun, zwei ganze Welten quetscht man nun mal nicht in einen Vierminüter. Das Video zeigt recht ambivalent einerseits üppige Wälder, andererseits Feuersbrünste und karge Landschaften. Das Intro besticht mit Chorälen und Piano und die Strophen wirken sehr schön, obgleich minimalistisch. Die Stimme der neuen Sängerin Ambre Vourvahis kommt hier sehr gut zur Geltung. Zwischendurch wird sogar geflüstert. Großartig. Der Refrain hingegen wirkt etwas blass. Ganz besonders hervorheben möchte ich die sorgfältig ausgestaltete Bridge als Bruch zwischen den beiden Welten. Über drei Minuten wird dieser Übergang hin zum letzten Refrain zelebriert und enthält ruhige Stellen genauso wie majestätische Bläser-Arrangements. XANDRIA bekennen sich klar zur DNA des Symphonic Metal und sparen nicht an episch-orchestralen Elementen. Was Choräle angeht, bin ich recht kritisch. Sie müssen einfach auch zu der jeweiligen Songstelle passen und nicht wahllos eingestreut werden. XANDRIA gelingt die Dosierung auf dem neuen Album sehr gut, es wird nicht gekitscht. Die Bridge steigert sich gegen Ende im Tempo und ruft bei mir Gänsehaut hervor. Dann setzen die Growls ein. Wunderbar vielseitig wird hier der Songteil gestaltet, mit dem andere Bands sich oft kaum Mühe geben. Hier wird auch der Albumtitel erwähnt: “The wonders still awaiting us”, bevor der Song mit Ambres Stimme, untermalt vom Chor ausklingt.

Die nächsten beiden Songs kennen wir bereits, schließlich handelt es sich um die ersten beiden Single-Auskopplungen. “Reborn” erschien wie der Phönix aus der Asche plötzlich und setzte ein Hoffnungsfanal für die Wiedergeburt der Band. Das Video, gedreht im historischen Stadtbad in Leipzig, zeigt Ambre und die Band im orientalisch angehauchten Rahmen zu einem sehr eingängigen Sound. “You Will Never Be Our God” , Single Nr. 2, kommt sehr kämpferisch daher und setzt eine klare Botschaft. Hier unterstützt PRIMAL FEAR-Sänger Ralf Scheepers am Mikro und verleiht dem Kracher noch eine Energiekomponente mehr. Nun kommen wir zum Titelsong des Albums. Auch hier folgt einem rasanten Einstieg die wunderschön ausgearbeiteten Strophen, gefolgt von einem etwas zu generischen Refrain. Dieses Muster scheint einige Teile des Albums zu durchziehen. Interessant! Übergänge und Strophen gefallen mir hier oft besser als der Chorus. Es ist schwer auszudrücken, woran das liegt. Der Refrain ist mir zu… einfach, zu gefällig. Mittlere Tonlage, kaum Akzente. Dafür gibt es schöne Gitarrenübergänge und in der Bridge hohen Chorgesang plus Ambre. Auch Song Nr. 5 haben wir durch die Vorabveröffentlichung bereits verinnerlichen können. Während die Videoelemente mit Ambre im pinken Dress auf einem Auto eher überrascht haben, hält das Stück musikalisch, was es verspricht. Es hat ein paar Durchgänge gebraucht, bis ich den Refrain mochte. Aber der wahnsinnig dynamische Einstieg und die Strophen hatten mich auch hier gleich wieder in den Bann gezogen. Der Refrain ist weder laut noch ist er deutlich abgegrenzt, endet aber auf einem schönen hohen Ton und geht in schnellen Chorgesang und Saitengeschredder über – top! “Your Stories I Remember” ist genau das, was man schon beim Titel vermutet: Ein in sich gekehrtes, emotionales Stück, das den Verlust eines wichtigen Menschen behandelt. Ich mag den Ausdruck “Power-Ballade” nicht, denn Balladen haben immer Power, es ist nur eine andere Energieform, die die Seele aber genauso absorbieren kann, wenn man sich darauf einlässt. Wir können uns aber darauf einigen, dass es keine ausschließlich durch das Piano begleitete Ballade ist. Stattdessen finden wir auch Streicher und Flöte im In- und Outro und die Gitarren kommen auch nicht zu kurz. Kraftvoll! Sowohl vom Sound her als auch inhaltlich. “My Curse Is My Redemption” verfügt über ein episches Intro und ein toller Effekt sind der Hall der Stimme plus die Streicher in den Strophen. Ambres Stimme scheint sich für einen Echoeffekt sehr gut zu eignen. Auch hier sind die Übergänge wieder schön mit Soundelementen verbrämt und der Refrain… kommt wenig überraschend in gefälliger, mittlerer Tonlage daher und fordert uns kaum heraus. Auch das bekannte Stilmittel, den letzten Refrain einen Halbton höher anzustimmen (nagelt mich nicht drauf fest, ich habe Musik früh abgewählt), um nochmal den Eindruck von etwas mehr Tempo und Energie beim Ausklang zu erzeugen, ist wenig überraschend. Bis jetzt hatte aber jeder Song seine Momente, seine kleinen, ausgeklügelten Details. Das muss man ganz klar lobend herausstellen, hier ist in die Feinarbeit wirklich viel Zeit geflossen. Song Nr. 8 ist ein wahres Prachtstück. “Illusion Is Their Name” überzeugt auf ganzer Länge. Die Gemme dieses Songs wird eingefasst in ein growlendes Intro und ein geradezu brüllendes Outro. Und – man glaubt es kaum – wir bekommen hier einen abwechslungsreichen Refrain mit stampfenden Drums und mal einer anderen Tonlage zu hören. Ein schönes Gitarrensolo in der Bridge setzt dem Kuchen die Kirsche auf. Toller Song, viel Power und vielschichtiger Aufbau! “Paradise”… ein hoher Anspruch im Titel und inhaltlich ist es die nächste ähm… “Power-Ballade”. Hier lohnt sich ein Blick auf den Text, der viel zur Atmosphäre des Songs beisteuert. “Mirror Of Time” ist eine ganze Wundertüte.
Im Intro gibt es ein die Drums unterstützendes “Hämmern” im Hintergrund und wieder ordentlich Streicher. Der hämmernde Synthie-Effekt bleibt auch bestehen, als Ambres nachdenkliche Stimme einsetzt. Der Refrain enthält Growls und Ambre singt sehr hoch und eindringlich, bevor sie in der Strophe zum nachdenklichen Tonfall zurückkehrt. Hier schwingt Schmerz und Sehnsucht mit, die Gefühlslage des Songs erschließt sich dem Hörer mühelos. Die Piano-Bridge holt einen nach dem intensiven Growling wieder runter. “I’m on my way…”, die Textzeile hat man auch vorher schon in einem anderen Song vernommen. Hier ist jemand innerlich auf Reisen. Nach Minute 5 hätte der Song durchaus vorbei sein können, aber XANDRIA spendieren “Mirror Of Time” ein sehr schönes, anderthalbminütiges, instrumentales Outro, Ambre “oooooooooht” hier nur noch und vermittelt wiederum einen ungestillten Schmerz. Teilweise weiß man nicht, ob hier jetzt die hohe Gitarre “singt” oder die Fronterin. Toller Klangteppich.
“Scars” ist wieder sehr eindringlich und besticht durch dezente Synthies und einen zur Abwechslung mal tieferen Gesang. Hier bekommt das Keyboard einen hallenden Effekt spendiert. Wieder so ein kleines, aber wirkungsvolles Detail. Die Streicher betten Ambre sanft und man meint, eine Harfe zu vernehmen. Die Growlparts vermitteln ein Gefühl von Bitterkeit. “It’s not enough”… der Satz beherrscht den Refrain, an dem ich absolut nichts auszusetzen habe. Geht ins Ohr, bleibt im Kopf. “The Maiden And The Child” – ein Titel wie ein Märchen. Oder wird es jetzt religiös? Ein schwer zu beschreibender Song! Viel Chor, viel Keys, Growling in der Bridge, sehr pathetisch! “No turning back” schallt es immer wieder: “No regrets!”. Entschlossenheit! Nach vorne schauen! Ambre singt eindringlich und steigert sich gegen Ende.
Finale! Holy shit: 09:08 Minuten! Na da sind wir gespannt, was “Astéria” uns bietet. Wenn eine Symphonic Metal-Band solch einen langen Song schreibt, heißt das meist: Ausgedehnte Orchester-Passagen, Opulenz und Dekadenz. Ambre verwöhnt uns im letzten Song mit hohem Sirenengesang im Refrain und Growls im Übergang. Das gefällt mir sehr viel besser als die vorher bemängelten Refrains. Aber das ist sicher Geschmackssache. Ich brauche einfach ein bisschen Oper, um mich wohlzufühlen. Und instrumental? Man meint, Querflöten und Zither zu vernehmen, also ein bisschen Orient spielt mit rein, aber sehr dezent. Was sich trotz der Überlänge aber nicht findet ist ein reiner Orchesterpart. Die Gitarren bleiben dominant und ergänzen sich super mit Streichern und Chor. Ab 06:28 kommt auch Ambre wieder “an Bord”. Den lauten Stakkato-Schlusspunkt setzt der Chor.

Fazit
Das also war bzw. ist “The Wonders Still Awaiting”. Das mystische Cover und der Titel führen auf eine völlig falsche Fährte. Es geht hier in keinster Weise ätherisch oder verträumt zu. Dieses Album vermittelt insgesamt die Stimmung eines Aufbruchs, einer Reise, einer langen und nicht immer einfachen Verwandlung. Das heißt natürlich auch, dass die Songs voller Dynamik sind. Tempowechsel und die immer wiederkehrenden Elemente des Chors und des Growlings setzen Akzente und verstärken den Sog hin zum Horizont. Ein brodelnder Kessel und ein reißender Fluss sind die Bilder, die einem am ehesten in den Sinn kommen, sowie eine innere Zerrissenheit. Hier ist alles in Aufruhr. Natürlich gibt es ein paar stille Momente und balladeske Schlaglichter, aber das Album findet immer wieder zurück in sein rasantes Fahrwasser. Die Gitarren verschmelzen durchgängig gut mit dem Orchester. Das neue Line up, das Gründer und Mastermind Marco Heubaum zusammengestellt hat (Ambre Vourvahis (Gesang), Robert Klawonn (Gitarre), Tim Schwarz (Bass) und Dimitrios Gatsios (Drums) hat seine Handschrift gefunden.
Der 40-köpfige klassische Chor sowie der Kinderchor des bulgarischen Radios BNR rahmen den Sound von XANDRIA gekonnt ein. Für die orchestralen Arrangements zeichnet Lukas Knöbl verantwortlich. Des Weiteren ist Ally Storch (SUBWAY TO SALLY, ALLY THE FIDDLE) mit Streicherpassagen an Bord. Ein starkes Team für ein starkes Album!

Bewertung: 8/10

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