THE RASMUS live in Köln – Auf der Suche nach den Gefühlen der Jugendzeit

THE RASMUS… es steckt so einiges an verblichenem Zauber in diesem Namen. In meinem Kinderzimmer hingen Poster aus der BRAVO und aus der YAM! und zwar von LORDI, KELLY CLARKSON und… THE RASMUS. Das Album “Hide From The Sun” von 2005 würde ich auch heutzutage noch als Meisterwerk betiteln, es lieferte den Soundtrack zum Leben meines 16jährigen Ichs. Ich hatte die Band allerdings aus den Augen verloren, die Alben nach 2008 sind mir völlig unbekannt. Ich ging also nur in Köln auf das Konzert, um zu erforschen, ob die Gefühle aus den Teenager-Jahren noch irgendwo zu finden waren, ob es gelingen konnte, sich rückzuversetzen und mit seinem Teenager-Ich in Dialog zu treten. Doch zunächst sollte uns die obligatorische Vorband bespaßen. Den Job hatten für diesen Abend OVERLAPS aus Italien übernommen. Es machte die Info die Runde, dass Sängerin Gloria krank sei und daher nicht mit voller Kraft performen könne. Die so heruntergeschraubten Erwartungen wurden deutlich übertroffen. Das Quartett überzeugte durch einen souveränen Auftritt und erfüllte die Hauptaufgabe einer Supportband, nämlich die Menge mitzureißen und auf Betriebstemperatur zu bringen bravourös. “Germany, we are back!”, rief Gloria zu Beginn. Dies bezog sich darauf, dass die Band schon einmal mit THE RASMUS auf Tour gewesen war, nämlich 2018 und damals schon gut angekommen war. Beim dritten Song griff Gloria zur Gitarre und zeigte, dass noch mehr in ihr steckt als “nur” eine kraftvolle Stimme. Und überhaupt: Wie sie über die Bühne lief und sprang und sich die Seele aus dem Leib sang, war absolut beeindruckend. Das ist sie also im kranken Zustand? Holy Shit! Wie sieht dann bitte eine Performance auf 100% aus? “We are happy to be here on tour with The Rasmus!”, sagte sie zwischendurch und forderte kräftigen Lärm-Support für die Finnen ein. Danach wurde mit “White Line” ein recht neuer Song gespielt, der besonders im Chorus ordentlich abging. Ohrwurmpotenzial. Der Gitarrist spielte eine ungewöhnliche Hybride aus E- und Akustikgitarre (elektrisch, aber mit ungewöhnlich tiefem Resonanzkörper). Aber so viel Power wie OVERLAPS auf der Bühne darboten, forderten sie auch vom Publikum ein. Es wurde sehr viel mitgeklatscht (bei beinahe jedem Song).Nach “Hang On You” wurde dann die aktuelle Single “Love Coma” gespielt und Gloria sprang hier sogar in den Graben, um den Zuhörern noch näher zu sein. Nach dem letzten Song “Is This Really Love?” vom Debutalbum “Overlaps” endete das Set und als Outro erklang LINDSEY STIRLING’s “Crystallize”.

Nun stieg die Spannung, denn ein finnisches Unwetter zog auf. Als THE RASMUS die Bühne enterte, hatte man zumindest bei Fronter Lauri das Gefühl, er sei keinen Tag gealtert. Noch immer die Federn im Haar, noch immer die grazile Figur und die markante Stimme. Aber an den Saiten gibt es durchaus augenfällige Veränderungen. Pauli Rantasalmi von meinem alten Poster lächelte mir von der Bühne nicht mehr entgegen, dafür berserkt nun Emilia Suhonen, die gemäß ihres Spitznamens auch “Emppu” genannt wird. Sie braucht sich keineswegs hinter Kolleginnen wie Nita Strauss (ALICE COOPER) oder JEN MAJURA zu verstecken, ihre überbordende Energie und knisternde Chemie mit den Bandkollegen auf der Bühne sind erfrischend. Lauri zog sie zwischendurch damit auf, dass sie sich gerne mal beim Spielen um die eigene Achse dreht, aber irgendwo muss die erteugte Power ja hin. Vor dem blurry auf die Rückwand projizierten Bandschriftzug fegte das besagte Unwetter in den Raum der rappelvollen Live Music Hall zu Köln und begann den Sturm mit “First Day Of My Life”. Aus dem Publikum stiegen derweil gelbe Luftballons auf und was sich sehr früh schon zeigte war, dass viele Zuhörer wie ich auf einer Mission hier waren, nämlich auf der Suche nach ihrer mehr oder weniger verlorenen Jugend. THE RASMUS stehen im Leben von vielen Millenials einfach für eine wilde Zeit voller Umbrüche und emotionale Hurricans, die man damals durchlebt hat. Die Band ebnete auch manchem Alternativen den Weg, tiefer hinein in die Schwarze Szene. Und dafür stehen die beiden Alben “Dead Letters” und “Hide From The Sun” ganz maßgeblich. “Guilty, wohohohoho, guilty, I feel so empty…” – Donnerwetter! Da waren sie ja noch, die Lyrics, tief aus dem Hinterkopf hervorgekramt. Die Menge sang die alten Perlen anstandslos mit. Überhaupt musste man konstatieren, dass das Stimmungslevel immer dann besonders anschwoll, wenn ein Song der beiden erwähnten Alben gespielt wurde, das neuere Material wurde nicht ganz so enthusiastisch angenommen. Mission Jugend halt, wie erwähnt! Lauri meinte zwischendurch, dass Drummer Aki angeblich gesagt hätte, in Köln fände man das beste Publikum vor. Den zusätzlichen Ansporn hätte es aber gar nicht gebraucht. Songs wie “No Fear” reichten völlig aus, um den Saal zum Kochen zu bringen. “Paradise” war mir aufgrund meiner erwähnten abgebrochenen Verfolgung des Bandwerdegangs ab 2008 gar nicht bekannt, der Song hat mir aber durchaus gefallen. Danach sprach Lauri einige Sätze auf Finnisch, die natürlich kaum jemand verstand und suchte nach “Abnehmern” in der Menge. Ein deutsches Mädchen in der ersten Reihe erkannte er als ausreichend versiert in dieser schweren Sprache. Danach wechselte er aber dankenswerterweise wieder ins Englische und wies auf das aktuelle Album “Rise” hin. Die anschließende Kostprobe “Fireflies” wurde vom Fronter als “one of our favourites” bezeichnet, allerdings wirkt die Nummer auf mich recht sperrig. Generell muss man sagen, dass die neuen THE RASMUS-Songs sehr viel anders klingen als der vergangene “Teenage-Rock”. “The last time we were here was at our ‘Dead Letters’-Tour”, erinnerte sich Lauri und spielte folgerichtig einen Song dieses Albums. “On this tour, the fox has been our spiritual animal”, lachte der charismatische Frontmann und forderte Emppu auf, ihr Fuchs-Tattoo zu zeigen. Auch der Soundmann im Hintergrund machte auf sich aufmerksam und verwies auf dieses Tier auf seinem Oberarm. Lauri konterte, indem er sein Schwarzer Schwan-Tattoo streichelte. Nach diesem Ausflug in die bildhafte Körperkunst wurde die Bühne ein wenig umgeräumt für ein kurzes Akustik-Intermezzo. Eine schöne Idee, um Abwechslung reinzubringen. Nach einer akustischen Version von “Still Standing” tat sich dann Ungewöhnliches auf den Bühnenbrettern. Ein unbekannter Mann trat von links an das Mikrofon des Bassisten und sagte in gebrochenem Deutsch “Meine Name ist Sean”. Ein blondes Mädchen in der Reihe vor mir schlug die Hände vors Gesicht und kreischte. Ich verstand nur Bahnhof, wer war der Typ? Schnell wurde aber klar, wo die Reise hinging, als der Mann sichtlich bewegt seine fassungslose Freundin auf die Bühne bat und ihr einen Heiratsantrag machte. Wow! Man kann sich vorstellen, was es für einen Mut kostet, dies vor so vielen Leuten auf einer Bühne zu tun, Seite an Seite mit seiner Lieblingsband. Nicht nur das gemeinsame Foto wird sicher dafür sorgen, dass das Paar diesen Abend niemals mehr vergisst. Die junge Dame betrachtete nachher jedenfalls ständig ihren neuen Ring und konnte es offenbar immer noch nicht ganz fassen. Well done, Sean! THE RASMUS fuhren dann mit dem kleinen Akustik-Set fort. Meine Hoffnung auf ein Duett mit Gloria von OVERLAPS bei “October and April” (im Original mit ANETTE OLZON) erfüllten sich indes nicht, aber Emppu machte natürlich auch einen sehr guten Job. Dieser Song ist randvoll mit Emotionen und kam im akustischen Gewand wunderbar zur Geltung. Und noch eine Perle wurde kredenzt: “Sophia” , der älteste Song des Abends vom “Playboys”-Album (1997). Danach wurde schnell wieder umgebaut, denn es waren noch ein paar Rocknummern auf der Liste und wer sich gerade entspannt hatte, musste jetzt seine Kraftreserven aktivieren. Besonders das Cover “Ghostbusters” mit der berühmten Melodie kam in Köln seht gut an. “We played this cover 1996 at our first festival in Finland”, lieferte Lauri Stoff für die Bandchronik. Zu “Justify” erzählte er, dass er im Publikum einen jungen Mann gesehen hätte, der die Lyrics des Songs auf den Rücken tätowiert habe. Das ist sicherlich die höchste Hingabe und der stärkste Beweis, wieviel einem Fan Musik bedeuten kann. Nach “F-F-Falling” endete das reguläre Set mit dem größten THE RASMUS-Hit aller Zeiten, dem ikonischen “In The Shadows”, das sogar Nicht-Fans geläufig sein dürfte. “Let’s do this one for Ukraine”, rief Lauri und erntete natürlich brüllende Zustimmung. Die Band hat den Song kürzlich neu zur Unterstützung für die Ukraine aufgenommen, in einer erfrischend anderen Version zusammen mit dem KALUSH ORCHESTRA. Wer den Eurovision Song Contest 2022 gesehen hat, sah dort nicht nur THE RASMUS für Finnland antreten (Platz 7), sondern mit dem erwähnten KALUSH ORCHESTRA auch den Sieger aus der Ukraine. Im Set wurde der Song “In The Shadows” in der regulären Albumversion gespielt, die Neufassung hingegen lief ganz zum Schluss als Abbaumusik und konnte sich im Übrigen in den Charts vieler Länder platzieren. Folgerichtig wurde der eigene ESC-Song “Jezebel” auch gleich als erstes bei der nun folgenden Zugabe gespielt, kurz nachdem Bassist Eero sich an der Landessprache versucht hatte, er sagte auf Deutsch: “Können wir eine Zugabe spielen?”. THE RASMUS konnte natürlich und als allerletztes Geschenk an die Kölner Menge wurde die wunderschön bittersüße Ballade “Sail Away” gespielt. Wer erinnert sich nicht an das Video am Strand, wo die Bandmitglieder nach und nach zu Sandskulpturen erstarren und zerfallen? So ging ein wundervoller Abend zu Ende , aber die Antwort auf eine wichtige Frage steht noch aus: Habe ich die Gefühle meines vergangenen Ichs wiederentdecken können? Die Antwort lautet: Nein. Was “Dead Letters” und “Hide From The Sun” angeht, so ist es immer noch perfekte Musik für Teenager. Aber ich bin keiner mehr! Ich kann die Musik nach wie vor genießen, aber ich bin heute ein anderer und das ist auch gut so! Man neigt dazu, die Gefühle und Erlebnisse vergangener Zeiten im Rückblick zu glorifizieren und durch eine rosarote Brille zu betrachten, aber Fakt ist doch: Man hatte damals auch massive Probleme und litt an emotionalem Ungleichgewicht. Man war impulsiv, man war leichtsinnig, man tappte in so manche Falle. Man brachte sich in Schwierigkeiten. Heute blickt man auf viel mehr Erfahrungen zurück und hat viel gelernt. THE RASMUS hat sich verändert und man selbst auch und das darf gerne so sein. Das ändert nichts an dem großartigen Abend, den ich in Köln erleben durfte. Kiitos!

vorband-the-rasmus-25

Bild 1 von 28

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner