Das heißeste Amphi, seit es Schokolade gibt – Tag 2

Wer der Hölle gerade erst entflohen ist, kehrt selten freiwillig dorthin zurück – es sei denn, es gibt gute Musik und kalte Getränke. Jedenfalls kehrten die Gruftis auch am Sonntag wieder in Scharen zum Tanzbrunnen zurück, um das unvollendete Werk des Vortages fortzuführen. Immerhin waren die Gelenke etwas vom Rost befreit und auch das richtige Mindset war vom Vortag noch als Presetting gespeichert worden. Gleiches Ritual: Auf zum Wasserloch, um zu trinken und die Vorräte aufzufüllen und dann ging es auch schon los. War ich am Samstag überwiegend im Theater gewesen, so stand heute ein breites Mainstage-Programm bevor, die Sonnenbrandgefahr stieg also. Los ging es schon um 11 mit JOHNNY DEATHSHADOW. Die Hamburger traten wie gewohnt mit ihrem horrorpunkigen Totenschädel- Makeup auf und spielten ihre Mischung aus Dark Rock, Metal und Punk, sehr zur Freude der Frühaufsteher. Als Moderator Mark Benecke danach auf die Bühne kam, kündigte er eine Band an, die ausschließlich aus hervorragenden Schwiegersöhnen bestehen würde. Nun gibt es ja einige Stimmen, die sich gegen die Schwiegersohnisierung der Electro-Szene aussprechen, womit sicher auch gemeint ist, bitte nicht noch die x-te 2-Mann-Futurepop-Band zu gründen, nur weil ein Enddreißiger gerade seine Midlifecrisis ausleben möchte. Doch erstens sind RROYCE drei Leute und zweitens über die Enddreißigerzone weit hinaus und daher unverdächtig. Ich persönlich finde, dass die Szene durch RROYCE sehr bereichert wird. Auftritte der Dortmunder machen einfach immer Spaß. Bei Ihrem letzten Amphi hatten sie einen legendären Gig auf der Orbit Stage hingelegt und waren nun folgerichtig auf die Main Stage upgegradet worden. Die neuen Songs vom aktuellen Album “RROARR” brauchen einfach auch eine größere Bühne, denn ein schönes Bild wird durch einen edlen Rahmen noch zusätzlich aufgewertet.

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Fotos: Doctor Hentai

Das besagte Album erscheint zwar erst im August, aber die Single “Another” erblickte bereits das funzelige Licht dieser siechenden Welt und sollte sich nun auch auf der Amphi-Hauptbühne entfalten. Aber vorher mussten noch einige ältere Hits gespielt werden, um die Rroycianer auch innerlich auf die Temperatur zu bringen, die ihnen äußerlich bereits zusetzte. Nach “Principle Of Grace” folgte “Parallel Worlds”, und dieser Song ist immer ein guter Indikator dafür, wie viele RROYCE-Ultras zugegen sind, denn zu diesem Song gehört eine kleine “Choreographie”. “Rebuilt Reborn” ist ein neuer Track, der auf dem neuen Album zu finden sein wird, wurde jetzt aber schon ein paarmal live gespielt und gehört zur Gattung Forficula auricularia, ergo dem Gemeinen Ohrwurm. Man summt es noch Stunden vor sich hin und es kann passieren, dass man auf die Frage “Darf es sonst noch etwas sein?” beim Bäcker antwortet: “Rebuilt, Reborn, gute Frau. Und ein Schweineöhrchen bitte”. Die Frage war: Würde Casi auch bei einem solch großen Publikum das 3-Schritt-Ritual durchführen? Und die zweite Frage lautet: Stellt der Autor gern rhetorische Fragen? Natürlich konnte man beides bejahen. Beflügelt von der Okkupation des Tanzbrunnens durch zahlreiche Rroycianer stieg er herab zu seinem Volk und seine Komplizen auf der Bühne stimmten “Run, Run, Run” an. Beim Refrain führte Casi nun seine Anhänger immer wieder rhythmisch drei Schritte vor und wieder zurück, zwischenzeitlich unterstützt von dem Steckeneinhorn vom Vortag als Zeremonienstab. Die Band war sichtlich glücklich, dass die Sache gelang und bis zu den hinteren Sonnenschirmen die Menge vor und zurückwogte. “Ist das noch Gothic? Ist das noch Amphi? Mir doch egal”, rief Casi euphorisiert nach der Nummer. Nun wurde aber endlich “another song” gespielt haha. Sorry… mit “Another” und “Paranoiac SI” folgten beide Singles von “RRORR” direkt hintereinander. Beide hatten übrigens gute Platzierungen in den GEW-Charts erreicht. Das Set endete viel zu früh mit der Midtempo-Nummer “I Like It When You Lie”.

Der musikalische Bruch war nun hart, aber die Metaller waren ja auch anwesend und wollten ordentlich auf die Zwölf bekommen. Für den Job sind HELDMASCHINE natürlich gut geeignet. Unter dem Namen VÖLKERBALL hatte sich die Truppe um René Anlauff einen Ruf als exzellente RAMMSTEIN-Coverband erarbeitet. Doch die eigenen Songs brauchten schließlich auch einen geeigneten Rahmen und dafür wurde die zweite Identität geschaffen. Die Band betrat zunächst in Masken die Bühne und stimmte dann den Song “Luxus” an. “Auf Allen Vieren” konnten die Zuschauer sicherlich gut nachvollziehen, etliche waren vermutlich so am Ende von Tag 1 in ihr Bett gekrochen. Die wedelnden Arme bei “Kein Zurück” waren auch diesmal wieder eindrucksvoll. Die HELDMASCHINE schafft es mit ihrer positiven und ehrlichen Art immer schnell, die Fans für sich zu vereinnahmen. Dazu gehört auch der selbstironische Song “R”, der von der Eigenart erzählt, in RAMMSTEIN-Manier den Buchstaben “R” zu rollen. Abstriche mussten beim Song “Springt!” gemacht werden. Etliche versuchten sich zwar darin, der Aufforderung Folge zu leisten, aber die bereits mehrfach erwähnten Witterungsbedingungen forderten durchaus ihren Tribut. Bei “Radioaktiv” wiederum waren die grünen Leserstrahlen dank des Sonnenscheins nicht zu sehen, der Song entfaltete trotzdem sein Potenzial. Kurz vor “Ich, Ich, Ich” wurden mehrere große Trommeln reingebracht, die Drumsticks der Bandmitglieder leuchteten an der Spitze in blau und gelb. “Wie heißt immer unsere letzte Nummer?”, fragte René zum Schluss. Das Publikum wusste natürlich die Antwort. “Obwohl es nicht weitergeht…”, kommentierte der Sänger grinsend. “Darf ich zu euch rein?”. Und dann legte er eine Crowdsurfing-Nummer hin und er schaffte es tatsächlich ein ganzes Stück ins Publikum hinein und wieder zurück. Ein großer Spaß für die ganze Familie ist diese HELDMASCHINE.

AESTHETIC PERFECTION spielen glücklicherweise deutlich mehr Konzerte in Reichweite, seit Daniel Graves nach Österreich gezogen ist. Der Ausnahmekünstler macht auch immer wieder auf Facebook mit teilweise emotionalen Posts auf sich und seine jeweilige Situation oder das Weltgeschehen aufmerksam. So kommt es, dass man zu einem Künstler und seiner Musik eine viel engere Beziehung aufbauen kann, als normalerweise. Wenn man mehr Facetten der Seele gezeigt bekommt, versteht man die Musik teilweise besser und die Stimmung dahinter. Außerdem ist Daniel immer wieder für eine Überraschung gut. Beim Amphi kam diese in Form eines extravaganten Bühnenoutfits. Im bunt gemusterten Hemd, hellblauen Badeshorts und mit Strohhut plus Corpsepaint im Gesicht betrat der Sänger die Bühne, seine Partners in Crime waren ähnlich ausstaffiert. “We are Aesthetic Perfection and we are here to party!”, ließ Daniel keine Zweifel an der Mission. AESTHETIC PERFECTION liebt es einfach, Grenzen zu durchbrechen und immer wieder neue Akzente zu setzen, verbunden mit der liebevollen Verspottung von Klischees. Musikalisch ging es los mit “Gods & Gold” und schon beim Folgesong “SEX” (vom aktuellen Album “MMXXI”) konnte das Publikum begeistert mitbuchstabieren. Das Schema hatte bereits beim Song “LAX” gut funktioniert. In der Mitte folgten ein paar Klassiker wie “Never Enough” und “Antibody”. Partyhits, die einfach nicht fehlen dürfen, wenn man mit AESTHETIC PERFECTION feiern möchte. Mit “Automaton” konnte man aber auch noch eine neue Nummer vom diesjährigen Album live hören. Mark Benecke hätte zum Schluss sicherlich entomologisch bestätigen können, dass Forficula zurück war: “Love Like Lies” entließ die Menge, die nach diesem Tanzexzess schon wieder zur Wasserstelle rennen musste.

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Fotos: Andreas Theisinger

SAMSAS TRAUM sieht man wahrlich nicht allzu häufig live. Zwischendurch war sogar mal laut darüber nachgedacht worden, weniger bis gar nicht mehr zu touren. Aber zum Glück konnten wir Mastermind Alexander Kaschte und seine Truppe nun beim Amphi-Festival begrüßen. Kaschte ist als jemand bekannt, der selten ein Blatt vor den Mund nimmt. Und das nicht nur, weil er keine Klarinette spielt, sondern er war schon immer ein Freund von offenen Worten. Daher sind er und SAMSAS TRAUM durchaus nicht für jeden Zeitgenossen ein Genuss, die Fanbase zeichnet sich hingegen durch außerordentliche Treue aus und verehrt die künstlerische Vielfältigkeit dieser Band. Das Amphi-Set startete auch gleich mit meinem Lieblingssong “Ein Name im Kristall” und wurde dann mit “Für immer” fortgesetzt. Kaschte merkte zwischendurch an, dass er einige Leute gerne “zurück nach Moskau schicken würde”. Wo alle Künstler aus Sicherheitsgründen ihre Konzerte in der Ukraine abgesagt haben, überraschte SAMSAS TRAUM mit der Ankündigung, bewusst dort zwei Gigs spielen zu wollen und die Einnahmen zu spenden. Flagge zeigen gehört sicherlich zum Markenkern des sehr konsequenten Künstlers Alexander Kaschte. Doch zurück zur Musik. Mit “Auf den Spiralnebeln” und “Heiliges Herz” wurden auch zwei Songs vom gleichnamigen Black-Metal-Album gespielt. In dem Zusammenhang erwähnte Kaschte vorab einen ehemaligen, ebenfalls anwesenden Mitschüler vom Gymnasium in Herborn, mit dem er in der Schule damals Black Metal gespielt und von Jahrgangsmitschülern mit Tomaten beworfen worden sei. Seitdem ist viel Zeit vergangen und mittlerweile fliegen nur noch Herzen gleichermaßen wie Hass Richtung SAMSAS TRAUM. Die “Hitdichte” im Amphi-Set war außerordentlich hoch. Neben “Endstation Eden” und “Stromausfall im Herzspital” kam auch “Die Zärtlichkeit der Verdammten – Willkommen bei den Peingebrecks” zur Aufführung. Und sogar einer Wall of Death mit anschließendem Pit konnte man sage und schreibe ansichtig werden. Da reibt sich der Grufti verwundert die Augen, aber Kaschtes Anhänger folgen ihm bis in den Tod und als er ihre Gefolgschaft mit den Worten “Lutscht euch den Ohrenschmalz aus den Ohren, zieht euch an den Haaren und fickt!” einforderte, gab es kein Halten mehr bei “Ein Fötus wie du”. Diese Leistung fand durchaus Kaschtes Anerkennung und die Belohnung folgte auf dem Fuße: Die “Kugel im Gesicht” entließ alle in den Nachmittag.

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Fotos: Andreas Theisinger 

Wer bis heute keinen Zugang zu der Lyrik von SAMSAS TRAUM gefunden hatte, konnte sich auch ins samtschwarze Theater begeben und die Welt von WISBORG betreten. Kann man die Jungs noch als Newcomer bezeichnen? Jedenfalls sind sie auf dem Weg nach oben. Das schummerige Theater war genau der richtige Ort für die dunklen Klänge der Band. Schließlich geht es hier viel um eher negative Gefühle. Das Set startete nach dem Intro mit “Becoming Caligari” vom Debutalbum “The Tragedy Of Seconds Gone”. Sänger Konstantin trug eine rote Lederjacke, Sonnenbrille und Cowboystiefel. Während “Fall From Grace” trat er an den Bühnenrand. “Das ist n bisschen gefährlich da aber auch n bisschen cool . Glaub, da komm ich nochmal wieder”, weckte er Hoffnungen bei der ersten Reihe, die sich direkt beim folgenden Song erfüllen sollten. Ich denke, man kann konsta(n)tieren, dass die erhöhte Anzahl an Auftritten in letzter Zeit WISBORG gutgetan haben. Eine gewisse Bühnenreife kann nun attestiert werden. Man merkt nun mehr denn je, dass sich die WISBORGer auf der Bühne auch wirklich wohlfühlen. Das Mikrofon mit Kabel brachte unterdes die Techniker zum Schwitzen, die bei abrupten Bewegungen immer hinter dem Fronter herhechten mussten, um ihm genug “Schnur” zu geben. Mit einem als “alt” angekündigten “In The Haze Of A Drunken Hour” und dem Gegenpol im brandneuen “An Erotic Funeral” präsentierten WISBORG uns eine großartige Werkschau der letzten von Kreativität gekennzeichneten Jahre. Das Publikum war mittlerweile definitiv auch eingegroovt und das spürte auch Konstantin auf der Bühne. “You make me feel alive”, Amphibedankte er sich. Mit “Spirits That I Called” endete dann leider das Set.

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Fotos: Mirco Wenzel

Wer im Theater blieb, konnte als nächstes ERDLING erleben, die ankündigten, ein neues Album in Arbeit zu haben und 2023 wieder auf Tour gehen zu wollen. Sänger Neill Freiwald hatte 2019 direkt nach dem Amphi leider die Erfahrung machen müssen, direkt nach dem Gig ans Krankenbett seines Vaters Walter gerufen zu werden, der sich leider nicht mehr erholt hatte und ein halbes Jahr später verstorben war. Diese negative Erinnerung wolle er nun überschreiben, sagte Freiwald. Das Publikum gab jedenfalls alles, um beim Überschreiben der Erinnerung mit positiven Vibes behilflich zu sein. Als nächstes standen die Electro-Veteranen SONO auf der Theaterbühne, allerdings nur zu zweit. Martin Weiland lag zu Hause in seinem Bett , nachdem er einen doppelten Bandscheibenvorfall erlitten hatte. Gute Besserung, an der Stelle! SONO waren zum ersten Mal auf dem Amphi und boten ihre Songs wie “Flames Get Higher” (Der Song wurde Martin gewidmet) “Supersonic” oder “Keep Control” dar. Auch die neue Single “Light It Up” erlebte hier ihre Live-Premiere und kam sehr gut beim tanzwilligen Publikum an, auch wenn das Klima im Theater mittlerweile mehr als schwül geworden war. Nun, vielleicht gewöhnen wir uns so schon einmal an den selbst verschuldeten Klimawandel…

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Fotos: Mirco Wenzel

Als Nächstes galt es hohen Besuch aus Belgien auf der Main Stage zu empfangen. SUICIDE COMMANDO sind normalerweise was für die späteren Stunden und enge, dunkle Clubräume. Hier, im Sonnenschein, bei annähernd dreißig Grad ging natürlich ein wenig von der morbiden Stimmung flöten, aber wer ausgelassen tanzen wollte, war trotzdem am richtigen Ort. Das Album “Goddestructor” war gerade erschienen und den neuen Klängen gehörte auch gleich der Beginn mit “Kill All Humanity” und “Sterbehilfe – Euthanasia”. Danach folgte das obligatorische “God Is In The Rain”, auch wenn weit und breit kein Regen in Sicht war. Kein Regen – Kein Gott. Was SUICIDE COMMANDO dann natürlich auch gleich mit “The Devil” bestätigten. Die Atmosphäre der Konzerte dieser Band lebt auch von der visuellen Komponente, auf der Videoleinwand liefen die Texte und überwiegend unappetitliche Bilder mit. Aber gut, es passt eben. Wer lieber das zerkochte “CAULIFLOWER COMMANDO” sehen wollte, konnte das ja getrost tun- aber SUICICDE COMMANDO mögen’s nunmal blutig. Mit “Bang, Bang. Bang” und “Trick Or Treat” wurden noch zwei neuere Stücke dargeboten, ansonsten bekam man das, was man erwartete, nämlich schmerzende Waden. Nach “Die, Motherfucker, Die” und dem altehrwürdigen “Hellraiser” war die Horrorshow wieder vorbei.

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Fotos: Andreas Theisinger & Mirco Wenzel

Hatten wir nicht gerade von Bands gesprochen, die niemals im prallen Sonnenschein auftreten sollten? Die Nachtschattengewächse DIARY OF DREAMS gehören definitiv zur gleichen Sekte. Aber Mainstage ist eben Mainstage und am wichtigsten sind natürlich Stimme und Sound. Adrian Hates bekam einen Ventilator auf die Bühne gestellt, was ihm neidische Blicke einbrachte. Der erste Song “Sinferno” war fast rum, als plötzlich der Sound einbrach und man auch das Mikrofon nicht mehr hörte. Offenbar war ein Fotograf beim Knipsen über ein durch den Graben verlaufendes Kabel gestolpert und hatte es herausgerissen. Das Problem war schnell behoben, aber die Fotographen der ersten Gruppe mussten vorzeitig den Tatort verlassen und die zweite Gruppe wurde gar nicht erst hineingelassen. Bei “Epicon” entfaltete sich ein wahres Drumgewitter als Ausgleich für den kraftlosen Ausklang des Vorgängers. Das Publikum sang “Tell me, tell me now” enthusiastisch mit. DIARY OF DREAMS stehen einfach für schmerzhaften Bombast. Auch die dominanten Keyboardklänge zusammen mit Adrians mal rau verzweifelter, mal heiser stöhnender Stimme schaffen die düstere Atmosphäre eines jeden Konzertes dieser Band. Man war angetreten, die Sonne in die Knie zu zwingen und für meine Begriffe gelang das auch, vor allem mit dem epischen “Malum”. Mit Abwesenheit glänzten die Klassiker “The Curse” und “The Wedding”, aber dafür gab es mit “Charma Sleeper” einen recht alten Song zu hören. “Auf der Bühne zu sein, ist immer noch fremd. Aber es tut gut, eure Gesichter wiederzusehen. Und jetzt wird es sperrig!”, hatte Adrian den Song angekündigt. Und nun gab es wieder interne Soundprobleme: “Ich höre nichts auf meinem Mikro”, sagte Adrian und meinte sein In-Ear. “Irgendjemand sendet auf der gleichen Frequenz. Wahrscheinlich der WDR! Nun, dann muss man eben lauter schreien!”, forderte er und stimmte “Listen And Scream” an. Mit “Undividable” wurde noch einmal die Einheit beschworen, bevor das Set sich dem Ende näherte. Natürlich warteten alle gespannt, ob DIARY OF DREAMS DEN Song schlechthin spielen würden. Die Diskussion ist nicht neu. Viele Bands haben den einen “Über-Hit”, der am Ende der Setlist unbedingt gespielt werden will. Sei es “Ich will brennen” von ASP oder “Julia und die Räuber” von SUBWAY TO SALLY. Es kommt nach einigen Jahren oft der Punkt, wo die Band diesen fest zementierten Bestandteil der ansonsten fluktuierenden Setlist gerne mal aussetzen würde. Aber verzeiht das Publikum solch ein Sakrileg? Bei DIARY OF DREAMS nimmt diesen Platz unangefochten “Traumtänzer” ein und der Song war tatsächlich mal kurzzeitig von der Setlist gestrichen worden. “Ich brauchte die Pause”, erklärte Hates fast verzweifelt. “Aber ein bisschen Traumtänzerei… na gut”, gab er in den aufbrandenden Jubel hinein schließlich nach. Und dann wurde das emotionale Stück tatsächlich gespielt und die Herzen flogen der Band nur so entgegen. Wenn man in der Nähe des Mischpults stand, konnte man dort einen prominenten Gast des Konzertes entdecken. Alex Wesselsky von EISBRECHER stand dort und genoss sichtlich den Auftritt der Kollegen. Im Rahmen des “Volle Kraft Voraus”-Festivals hatten die beiden Formationen auch schon die Bühne geteilt. Doch ob prominent oder nicht, die Fans mussten sich damit abfinden, dass das Konzert an der Stelle vorbei war. Mitten hinein in die Schlussankündigung gab es dann noch einmal Tumult vor der Bühne. Auf der rechten Seite war offenbar der Kreislauf eines Fans angesichts der immer noch glühenden Sonne zusammengebrochen. Es wurde hektisch nach den Sanitätern gerufen und Adrian Hates schloss sich dem sofort an und forderte schnelle Hilfe vom Bühnenrand für das Hitzeopfer an. Erst nachdem er sich versichert hatte, dass der Besucher gut versorgt wurde, setzte er seine Ansage fort, dass im Frühjahr wohl etwas kommen würde. “Entschuldigt bitte die längste Musikpause”, bat er. Nun, nach diesem grandiosen Konzert und mit der verheißungsvollen Ankündigung vor Augen fiel das wohl niemandem mehr schwer.

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Fotos: Andreas Theisinger

Alex Wesselsky hatte sich offenbar rechtzeitig zurück zur Bühne begeben, denn nun stand ja sein eigener großer Moment bevor. Die Eisjungs waren offenbar so heiß auf ihren Auftritt, dass sie sogar vier Minuten zu früh mit dem Eröffnungsstück “Verrückt” begannen. “Ihr seid alle drei Jahre älter, aber kein Stück unschöner”. Alex war in guter Stimmung und verteilte Komplimente. Den Rufen nach einem Kind von ihm begegnete er cool mit “Ich will jetzt gerade kein Kind mit dir. Dafür ist es mir zu warm”. Aber eine “Geburt” konnte man trotzdem feiern, denn “Frommer Mann” feierte sein Live-Debut auf dem Amphi. Damit der neue Song nicht so einsam war, wurden vom aktuellen Album “Liebe macht Monster” auch noch gleich drei Artgenossen präsentiert: “FAKK”, “Nein danke” und “Im Guten, im Bösen” erinnerten alle Anwesenden daran, wieso EISBRECHER hier Headliner waren. Niemand kann ein so großes Publikum dermaßen gründlich durchrocken wie die Bayern. Die von allen sicherlich herbeigesehnte “Eiszeit” manifestierte sich nur im Klang und in Konfettischnee, der leider keine Abkühlung brachte. Aber wenigstens verabschiedete sich jetzt die Sonne und überließ EISBRECHER den Platz als Zentralgestirn des Abends. Genau wie bei vielen anderen Bands merkte man deutlich die nochmal gesteigerte Spielfreude der Musiker. Es war alles einen Tacken lauter, intensiver und geiler als sonst (Nein, “Layla” wurde nicht gecovert, dafür aber in bewährter Tradition MEGAHERZ’ “Miststück”). “Himmel, Arsch und Zwirn” wurde gleich mal etwas neu interpretiert inklusive Hip-Hop-Elementen. Sozusagen ein Live-Remix. So brachte EISBRECHER gekonnt etwas Abwechslung rein. Als letzte Band des Abends hat man natürlich die moralische Verpflichtung, das ganze Festival mit einem ordentlichen Knall enden zu lassen. Und natürlich konnte man dafür kaum jemand Geeigneteren als EISBRECHER engagieren. Man hatte das Gefühl, dass zwar dem ein oder anderen Zuhörer allmählich die Puste ausging, aber auf der Bühne wurde sich eher noch gesteigert. Nachholeffekte, könnte man sagen. Nach “Was ist hier los?”, der WTF-Kriegserklärung an eine absurde Welt, folgte mit dem nötigen Wumms das erwähnte Cover. Die letzten Töne gehörten dann aber doch der Ballade. Mit dem 2008er “Herzdieb” verabschiedete man sich gefühlvoll in die Nacht.

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Fotos: Mirco Wenzel

Wer statt Rock lieber Electro hören wollte, bekam zum Abschluss ebenfalls noch ein echtes Juwel vorgesetzt – so man denn die weite Fahrt zur Orbit Stage auf sich nehmen wollte. Viele wollten, denn das Schiff war gut gefüllt. IN STRICT CONFIDENCE waren als Schiffs-Headliner angekündigt und auch wenn die RheinEnergie sich nicht bewegte, so hatte man doch trotzdem das Gefühl, auf eine Reise durch Zeit und Raum zu gehen. Die vor über dreißig Jahren gegründete Band hat mittlerweile so viele ikonische Stücke herausgebracht, dass man alleine damit die komplette Aftershowparty bestreiten könnte. Die Herausforderung war nur, diese Fülle in eine kleine Setlist zu pressen. Die Band präsentierte sich jedenfalls in der Besetzung mit Haydee Sparks an der Gitarre. Dennis Ostermann verzichtete nicht nur auf die Bommelmütze, sondern auch gänzlich auf Schuhwerk, nicht jedoch auf Hosenträger. Ich muss zugeben, dass ich bei dem Besuch dieses Konzerts schon nicht mehr bei Kräften war und sogar kurzzeitig überlegte, ob ich mich nicht lieber auf die Galerie setzen und von dort aus den Festivalabschluss genießen sollte. Aber es kam einfach nicht in Frage, zu IN STRICT CONFIDENCE nicht zu tanzen. Songs wie “Mercy” und “Seven Lives” sind zudem wunderbare Kraftquellen für den Geist, da rücken die schmerzenden Füße schnell in den Hintergrund. Natürlich sind auch die Videos der Band legendär aufwändig produziert, weshalb auch hier gilt: Audiovisuell ist Trumpf! Und nirgendwo sonst dürfte man erleben, dass das Publikum enthusiastisch schreit “Used and Absused”. Aber natürlich gab es auch langsamere, verträumtere Stücke wie “Forbidden Fruits” zu hören, als Katharsis für die geschundene Seele. Haydee hatte zwischendurch leider Probleme und drückte immer wieder entsprechende Knöpfe auf dem Boden, um ihrer Gitarre neues Leben zu verleihen. Dies gelang glücklicherweise. “Kleine Zeitreise!”, kündigte Dennis an. “Ich glaube, der Song ist von ’97. Älter als wir alle”. Es handelte sich um “Industrial Love”, der heutzutage noch genauso gut funktioniert wie vor der Jahrtausendwende. Nach den beiden deutschen Klassikern “Engelsstaub” und “Zauberschloss” endete das reguläre Set zwar, aber das Publikum wollte auch noch den letzten Tropfen Saft rauspressen. Aus sich selbst und diesem letzten Amphi-Abend, weshalb IN STRICT CONFIDENCE sich noch ein letztes Mal sehen ließen. “Muss das sein? Na ok, wenn wir schonmal hier sind…”, scherzte Ostermann. Nach “Somebody Else’s Dream” und “Herzattacke” war aber wirklich Schluss auf dem Schiff.

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Fotos: Cynthia Theisinger

LONDON AFTER MIDNIGHT

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Fotos: Mirco Wenzel

PERFECTION DOLL

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Fotos: Doctor Hentai

SCHWARZSCHILD

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Fotos: Doctor Hentai

STURM CAFE

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Fotos: Doctor Hentai 

Und das war es, das wundervolle, heiße Amphi 2022. Wir machen einen dicken, fetten, schwarzen Haken an dieses fulminante Wochenende und freuen uns bereits auf das nächste Jahr, für das schon einige Bands angekündigt wurden (siehe HIER)

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