(W)interview mit Hilton Theissen – Teil 2
Von Cynthia Theisinger und Nadine Kloppert
Im 1. Teil hat uns Hilton verraten, welche Songs er in verschiedenen Lebenssituationen hört. Er nahm uns mit auf eine kleine Reise in seine Vergangenheit und wir haben erfahren, wie er die Weihnachtszeit als Kind und später als Heranwachsender erlebt hat. Hilton hat uns zudem heiße Tipps gegeben, wie man Gulasch verfeinern kann und er offenbarte, wie er triste Wintertage zu lieben lernte.
Wir gehen nun zum musikalischen Part über. Du hast vier Bands. ZOODRAKE, Akanoid, The Joke Jay und Dark Millennium. Wenn man keine Ahnung von deiner Musik hat: Welchen Song sollte man sich zuerst anhören? Nenne uns einen Song pro Band.
Hilton: Dark Millennium – „From a Thousand Years of Yore”. ZOODRAKE – “Success of the Snake”. Der Song bildet nicht alles ab, aber er holt einen durchaus rein. Akanoid – „On Air Again“ oder „Substance“. Wenn dir diese Songs schon nicht gefallen, dann hörst du den Rest wahrscheinlich auch nicht. Bei The Joke Jay wäre es „Awake“. Der Song wurde auch als erste Single gewählt. Er ist ebenso ein Reinholer und repräsentiert schon recht viel von dem was noch kommt.
Nach welchen Ansprüchen sortierst du deine vier Bands ein? Welche Band ist für welchen Hörer geeignet?
Hilton: Es gibt Leute aus dem einen Hörerlager, die sich dann für das andere interessieren. Die wenigsten bilden da große Schnittmengen. Bei Dark Millennium ist es progressiver Death/Trash/Doom Metal, bis hin zu Black Metal-Einflüssen. Dark Millennium ist komplex, weil wir eine Musikrichtung mitentwickelt haben, die jetzt natürlich völlig ausgeufert ist. Ich vergleiche das gerne mit Joy Division. Das waren damals Pioniere. Sie sind aber nicht die erfolgreichsten ihres Genres geworden. The Cure berufen sich auf sie, die Editors, White Lies, sogar Nine Inch Nails und U2 tun das. Sie sind natürlich weitaus erfolgreicher. So ist unser Status einzuordnen. Deswegen ist unsere Hörerschaft eher bei den Retrofans und Oldschool Metalern anzusiedeln.
Bei ZOODRAKE müsste das eigentlich klar sein. Wobei es eher Alternative Pop, als klassischer Synthpop ist.
Bei Akanoid waren wir einst ein Alternative Dance Act, der im Techno-/House-/ und Psytrance-Bereich angesiedelt war. Wir haben dann einen Abstecher in den Alternative/Rock/Pop gemacht und sind zurück im Miminal-House mit Pop-Ansprüchen gelandet.
Bei The Joke Jay ist es Stadionrock/-pop mit Elektro-Einflüssen. Immer wenn wir an dem Sound gearbeitet haben, ist Folgendes passiert: Sobald ich meine Augen geschlossen habe, entstand diese Vision. Ich habe mich am Sonntagabend auf dem M‘era Luna stehen sehen. In meiner Vorstellung wurde ich von den Scheinwerfern in lila-blauem Licht angestrahlt, meine Haare wehten im Wind, ich hatte meine Gitarre und es waren jede Menge Leute da draußen im Dunkeln. Es ging richtig zur Sache. Ich glaube, da kommt noch was. Aber erstmal müssen wir den Coronakram in den Griff kriegen. Aber ich glaube, das wird ein Ding. Ich kenne meine Kollegen und ich weiß, was sie können.
Deine Bands sind von der Richtung her musikalisch ganz unterschiedlich ausgeprägt. Wie kam es dazu?
Hilton: Meine größte Stärke beruflich ist als Künstler meine größte Schwäche. Ich will zu viel auf einmal. Ich liebe die Vielfalt und wollte diese mal mit Akanoid realisieren. Das hat jedoch nicht funktioniert. Die Leute haben es einfach nicht mehr verstanden. Für die Technofans sind wir plötzlich verschwunden. Die Synthpopfans waren auch irritiert. Im Sonic Seducer waren wir auf Platz 2, und die Redaktion fragte sich, warum ist das denn das 4. Album von der Band? Wo kommen die auf einmal her? Danach haben wir ein Album hingelegt, das eher in Richtung Nine Inch Nails ging. Das haben die Leute auch nicht mehr verstanden. Was ist jetzt mit der Synthpop-Band los? Warum schlagen die plötzlich alles kurz und klein? Da muss ich mich selbst einfach domestizieren und mir Regeln setzen. Und das geht am besten, indem ich meine unterschiedlichen Leidenschaften in verschiedenen Richtungen auslebe. Dark Millennium bin ich verpflichtet, weil es meine kreative Wiege ist und es einfach in mir ist. Ich agiere auch anders und fühle anders, wenn ich diese Art von Musik mache. Man würde kaum glauben, dass der Typ neben „Black Literature“ auch „Our Light“ geschrieben hat. Das ist aber derselbe Typ, es bedient nur eine andere Facette. Eigentlich soll „Seven“ das erklären. Wenn ich diese Pflanzen nicht alle gieße, gehe ich ein. Ich muss das machen. So ist es verträglicher für die Leute. Die Wenigsten würden das nachvollziehen können, wenn man das alles in Eins packt. Bei The Joke Jay ist es hauptsächlich Joke, der die Songs schreibt – da bin ich nur ein Bestandteil, eine Geschmacksrichtung in der Suppe und nicht nur an der Gitarre. Er ermutigt mich gerne, eine Inspiration zu geben und dann ist da noch Olaf, der es produziert. Aber generell… ich brauche das alles und würde sogar noch mehr machen. Aber da reicht dann die Zeit nicht und ich möchte nichts halbherzig machen.
Und wie schaffst du es, diese konträren Richtungen sogar ansatzweise in einzelnen Momenten ineinander fließen zu lassen?
Hilton: Dies entsteht, wenn ich meine Gemütszustände wechsle. Beispiel: „I am the Drake“. Da war ich so wütend, dass ich mich beim Einsingen vor mir selbst erschrocken habe, als ich die Sachen im Nachhinein abgehört habe. Wenn man die Spuren aus dem Hintergrund etwas hervorholen würde, das hätte mit Pop nichts mehr zu tun. Damals hatte ich etwas zu verarbeiten. Sobald ich wütend werde, schlägt sich das auch in der Musik nieder. Es gibt viele Dinge, die mein Blut zum Kochen bringen. Das können aber auch schöne Melodien sein oder emotionale, zerbrechliche Momente. Wenn ich das als Farben bezeichne, möchte ich zumindest ansatzweise auch einen Teil dieser Farben bei anderen Themen mit einbringen. Ein Berg sieht bei Tageslicht schön aus. Dann schauen wir doch mal, wie er bei Sonnenuntergang wirkt. Das muss man einfach tolerieren, dass das so ineinandergreift. Manchmal amüsiere ich mich darüber. Denn es passt z.B. eigentlich nicht zusammen, wenn sich ein ZOODRAKE-Fan mit Dark Millennium beschäftigt. Das ist surreal. Als würden Stormtrooper vor Helms Klamm nach dem Weg fragen. Da denkst du: Junge, da bin ich jetzt aber im falschen Film.
Wie entwickeln sich deine Songideen? Stehst du z.B. nachts um drei Uhr auf, um eine spontane Idee festzuhalten oder planst du eher feste Zeiten für Kreativität ein? Bewahrst du manche Ideen über längere Zeiträume auf und nutzt diese erst bedeutend später?
Hilton: Eins und drei. Definitiv. Es gibt Songs, die suchen sich ihren Weg. Sie haben aber eine sehr lange Entwicklungsphase. Ein gutes Beispiel wäre „Climax“ von Akanoid. Die Strophe war bereits 14 Jahre alt, bevor ich den Refrain dafür gefunden habe. Einige Songs müssen auch eine Revision erfahren. Das heißt also: nochmal neu interpretiert und anders gebracht werden. „Nothing`s Wrong“ von ZOODRAKE wäre so ein Kandidat, der reift. Und es ist tatsächlich so, dass ich nachts aufstehe, eine komplexe Vision habe und dann die Einzelspuren irgendwo in einem stillen Raum nacheinander auf das Diktiergerät singe. Dann werte ich das später aus. Manchmal setze ich mich auch hin, probiere mit diversen Sounds herum und komme spontan auf Ideen, weil mich die Sounds inspirieren. Ich finde es wichtig – und das rate ich auch den Bands, die ich selbst produziere – dass man eine Komposition immer unterschiedlich angeht. Man sollte einen Song nicht nur auf einem Riff aufbauen. Manchmal muss ein Beat oder auch ein Sound am Anfang stehen. Du musst das variieren, sonst wirst du müde. Feste Zeiten planen wir fast nur bei einer Band ein, das ist Dark Millennium. Wir machen einen Termin, treffen uns und schreiben einen Song. Das geschieht immer in 3 – 3,5 Stunden. Dabei trinken wir Kaffee und der Song ist danach stets fertig. Nie wird er noch verändert. Das ist bei den letzten drei Alben so gewesen und das funktioniert mit dieser Band nur, weil wir uns so lange kennen. Ich hätte das nie gedacht, aber bei Dark Millennium ist es so.
Nochmal zurück zu deinen Songideen: Wenn du einen spontanen Einfall hast, ordnest du diesen dann direkt einer Band zu?
Hilton: Das ist wirklich interessant. Meistens versuche ich, das sofort zuzuordnen. Spannend wird es aber wenn ich keine Ahnung habe, auf was es sich anwenden lässt und dann dieser Song einen Abnehmer sucht. Es gibt Themen, die irren eine Zeit lang umher. Ich zitiere an dieser Stelle mal meinen Großvater: „Junge, schreib mal ein Lied, das ich auf dem Weg zum Klo pfeifen kann.“ Was er damit meint ist: ein Song, der mit der Akustikgitarre, mit Basic Beats aber auch mit einem Piano funktioniert.
Wie viele Gitarren kamen bei den Aufnahmen für das Joke Jay Album zum Einsatz?
Hilton: Acht. Ich sag euch, die klingen super unterschiedlich.
Wie „true“ muss man sein, um Dark Millennium hören zu dürfen?
Hilton: Jeder darf Dark Millennium hören. Wir sind in dem Punkt total anarchisch. Das ist völlig egal. Wir sind keine Manowar-Anhänger. Für uns muss man nicht „true“ sein. Wenn es jemandem gefällt, kann das ein Kindergärtner sein, der vorher die Münchner Freiheit mag. Wenn er das gut findet, ist er herzlich willkommen. Wir haben mal eine Platte gemacht, die konnte nicht mal mehr als Metal bezeichnet werden. Ein Journalist hat mal gesagt, wir haben ein neues Genre eröffnet und wir blieben die einzige Band desselbigen. Götz Kühnemund nannte es Atmosphere Metal. Er ist der Godfather der Metal-Journalisten.
Kommen wir zu ZOODRAKE. Im aktuellen Booklet wurden 10 Bilder von 9 unterschiedlichen Fotografen geschossen. Wie kam es dazu?
Hilton: Kurz bevor die ganze Planung für das Booklet etc. anstand, haben mich drei oder vier Fotografen gefragt, ob wir mal zusammenarbeiten. Dazu gehörte auch Ronny Zeisberg. Ich finde es immer schade, wenn man Fotos macht und diese nicht wirklich verwendet. Denn ich nutze solche Bilder gerne für ein Booklet, ein Poster oder ähnliches. Dann habe ich nachgedacht. 10 Songs – vier Fotografen. Ich bekomme doch bestimmt 10 Fotografen zusammen. Das würde so gut passen. Ich liebe Kunst. Dann dachte ich, eine Synergie wäre schön, eine kleine Bildergalerie. Von jedem Fotografen ein Foto, das dann einem Song zugeordnet wird. Das war später übrigens nicht immer leicht. Aber ich mochte diese Idee. Es hat echt Spaß gemacht, ganz individuell mit den Fotografen zu arbeiten. Jedes Shooting war völlig anders.
Für das Cover des neuen Albums wurdest du bunt besprenkelt. Was ist alles auf deinem Körper gelandet? Das war doch nicht nur Farbe?
Hilton: Thomas Fest hat das Cover geschossen, ein ganz besonderer Typ. Er ist auch Keyboarder bei Leichtmatrose und Mastermind. Ich war mal mit ihm auf Tour und wir haben ein freundschaftliches Verhältnis. Thomas hat bei unserem Shooting die meisten Bilder von allen Fotografen gemacht. Wir hatten zwischen 600 und 800 Fotos und davon waren fast 100 Bilder gut. Das habe ich echt selten erlebt. Jedenfalls hat mich Thomas erst mit Öl – ich glaube es war Kokosöl – eingerieben und mit Wasser. Dann kam Kieselerde und darauf verschiedene Holi-Farben. Nach dem Shooting habe ich geduscht und mich auf die Wiese gelegt. Da hat Thomas einfach noch zwei weitere Fotos geschossen und es ist ein sehr konträres Bild entstanden, das ich auch mal gepostet habe. Da sehe ich wie ein kleines, glückliches Kind aus, das gerade gesagt bekommen hat, dass es zu Weihnachten alle Star Wars-Raumschiffe bekommt. Genauso habe ich mich gefühlt. Er ist gut darin, Emotionen einzufangen.
Welche Idee steckt hinter “Hit the Ground“? Zum einen von den Lyrics her und zum anderen… besteht da eine Verbindung oder eine Idee zu einem Videospielsoundtrack?
Hilton: Eine Parallele zu Spielen ist nicht gedacht. Was uns früher mal zu den alten Akanoid-Zeiten aufgefallen ist… Einige Songs von der „Instant Summer“ wären eigentlich ein guter Spielsoundtrack. Uns haben Leute darauf angesprochen, dass sie ihr Level schneller schaffen, wenn sie die Platte dabei hören. „Hit the Ground“ ist übrigens ursprünglich ein Akanoid-Stück. Und zwar das einzige, das je von einer Plattenfirma abgelehnt wurde. Es heißt eigentlich „House of Metal“ und beginnt mit einem Metal-Intro. Der Song wäre sonst auf der „Cocktail Pop“ gelandet. Ich wollte unbedingt nochmal etwas damit machen und dachte, ich bringe mal so ein richtiges Clubbrett heraus. Die Aussage beinhaltet, dass du auch mal richtig auf die Fresse fallen musst. An dem Zeitpunkt war ich damals, als der ursprüngliche Song entstand. Wir haben zwar fleißig gearbeitet, aber wir waren schon hart durch in der Zeit. Wir hatten drei Techno-Plattenverträge und waren die ganze Zeit unterwegs. Es war z.B. die Zeit, in der die Gagen eingebrochen sind. Wir mussten uns also überlegen, was wir mit unserem Leben anfangen. So, wie heutzutage in der Coronakrise. Mein Beruf? Den kann ich nicht mehr ausüben. Was mache ich jetzt? Und das fragen sich gerade einige Leute. Und weil ich das schon kenne, bin ich heute etwas entspannter. Dieser Fall, das können Nervenzustände, Drogen, Essstörungen oder alles Mögliche sein. Der Song ist jedenfalls authentisch. Es ist kein Jammern auf hohem Niveau, nach dem Motto: mir ist ein Fingernagel abgebrochen oder der Prosecco ist alle, sondern an solch einem bitteren Punkt nochmal neu anzufangen. Das ist es.
Der Song “Chant” ist ein Ausreißer auf deinem aktuellen Album. Das Stück ist meditativ, düster und lieblich zugleich. Die Lyrics sind nicht auf Anhieb greifbar. Man muss den Song, wie auch den Text auf sich wirken lassen und sich darauf einlassen. Du spielst gern mit Kontrasten, lyrischen oder gar kryptischen Parts. Das macht es spannend. Erzähl uns doch etwas zur Entstehung dieses Songs. Und glaubst du, der Mensch ist von Grund auf schlecht oder böse?
Hilton: Die Platte brauchte noch einen Song. Ich wollte mal etwas Außergewöhnliches machen. Etwas Fließendes, Atmosphärisches, Schwebendes. Ich bin aber relativ schnell auf die Idee gekommen, dass es zwei Strophen gibt, aber keinen textlichen Refrain, der Refrain an sich ist der Chant – und zwar der Klagechant. Und wenn es heißt „kryptisch“, liegt es daran, dass Leute die Lyrics auf ihre Situation anwenden sollen und sich darin wiedererkennen. Es geht weniger darum, zu viel von mir preiszugeben, sondern es jedem zugänglich zu machen. Und selbstverständlich ist die Menschheit von Grund auf – wie auch leider der Rest der Natur – sehr grausam und egoistisch. Das sehen wir meist nicht. Wir finden Tierbabys unfassbar süß. Dass aber Füchse Vogeleier oder kleine Küken zerreißen, um die eigenen Jungen zu füttern, da guckt man schnell weg. Das ist nicht mehr niedlich. Die Natur ist im Prinzip grausam, aber wir sind Bestandteil dessen. Wir nehmen uns dauernd aus der Rechnung heraus, nur weil wir Verstand und Bewusstsein haben und meinen, wir wären die Krone der Schöpfung, wobei wir den gesamten Planeten zerstören und nicht mal jetzt in der Lage sind unsere Prioritäten so zu ordnen, dass wir die Welt erhalten. Es gibt so viele Menschen, die sich bemühen, anderen helfen zu wollen. Manchmal ist das aber auch aus egoistischen oder selbst therapierenden Gründen oder aus einem schlechten Gewissen heraus resultierend. Nicht jeder Helfer ist automatisch ein selbstloser Typ. Es gibt natürlich Leute, die man da positiv herausheben kann. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Manche wollen schamlos alles ausnutzen und einfach ihre Zeit, die ihnen gegeben ist mit allem bereichern, was ihnen vorschwebt. Es ist egoistisch und unsozial, sich eben nicht einzufügen, seinen Teil beizubringen und es für alle schön zu machen, so dass alle eine angenehme Zeit haben. Ich persönlich bin nicht so gestrickt. Deswegen ziehe ich mich in die Kunst zurück. Damit hoffe ich, die Welt ein bisschen zu bereichern. Ich vermute, dass ich mich hier reingerettet habe, weil ich mich hier sicher fühle, Missstände und meine Themen so frei in Songs interpretieren kann. Und wenn die Leute meine Musik gut finden, wenn es ihnen persönlich hilft, bin ich damit glücklich.
Wie würdest du ZOODRAKE einem Gehörlosen beschreiben?
Hilton: Gehörlos von Geburt an… Das Blinken eines Kronleuchters auf dem Rhythmus einer anmarschierenden Armee. Ich meine damit die farblichen Facetten, die ein Kronleuchter aufweisen kann, durch die Reflexionen und Brechung des Lichts. Bei den Balladen ist es ein Gefühl, das ein Sonnenuntergang im Himalaya in dir hervorruft. Die Art der Emotion: Wehmut, Sentimentalität, Nostalgie und Gefühl.
Nenne uns deine 3 musikalischen Highlights in diesem verrückten Jahr, wenn du an deine eigenen Projekte denkst.
Hilton: „Seven!“ Ich weiß nicht, warum „Seven“ so umstritten ist. Aber das ist für mich einfach der Titel gewesen. Da habe ich ganz viel reingelegt und ich hätte nicht erwartet, dass er für viele Leute so schwer zugänglich ist. Und dass der so unterschiedliche Meinungen erntet. Aber „Seven“ ist inhaltlich und musikalisch genau da, wo ich ihn hinhaben wollte und ich bin echt stolz auf den Song.
Das zweite Highlight ist die Produktion der Dark Millennium-Platte. Ich habe dafür extra Equipment aus den späten 80ern eingekauft. Das ist zu 100% authentisch. Wir wollten eine analoge Produktion abliefern, wie sie in den späten 80ern, Anfang der 90er erfolgte. Es geht gar nicht darum, dass man viel verkaufen will. Ich habe Freude daran, Menschen und uns als Band fröhlich und glücklich zu machen. Deswegen habe ich gedacht, wir geben den Leuten jetzt einfach die komplette Retroklatsche. Es ist genauso gekommen und ich bin echt gespannt, wie die Meinungen sind, wenn wir die Platte veröffentlichen.
Das dritte Highlight ist etwas Allgemeines. Wir haben es dieses Jahr geschafft, dass alle vier Projekte Releases hatten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie unterscheiden sich im Klang, bei den Inhalten und den Gefühlen. Und sie haben sich alle ihre Wege gesucht. Alle kommen gut an. Sowohl The Joke Jay, als auch ZOODRAKE und Dark Millennium haben die bislang besten Resonanzen erhalten und das macht mich ehrlich gesagt richtig glücklich. Du hast bei den Bands unterschiedliche Dynamiken und auch ganz unterschiedliche Herangehensweisen und ich bin froh, dass es einfach alles genauso geworden ist, wie wir das gehofft haben. Es geht um die Form, den Geschmack, die Emotionen, die ganze Impression, die Präsentation. Auch das Grafische und Visuelle daran. Das ist einfach endlich mal alles so geworden, wie man sich das gewünscht und vorgestellt hat. Und darüber freue ich mich sehr.
Wenn du mal zurückblickst… welcher deiner Songs war am schwersten einzusingen?
Hilton: Es ist hart, wenn man lange nicht gesungen hat, aus der Gesangskabine kommt und merkt: das kann doch nicht mein Ernst gewesen sein, was ich da gerade gemacht habe?! Diese Situationen sind auf der „Purified“ entstanden. Zumindest bei „For a While“ und „Upgrade“. Und damit meine ich es ernst. Und das sage ich auch immer den Musikern. Keiner von uns ist Keith Richards. Wir sind weder so relevant noch berühmt. Die Leute geben nichts auf uns. Das heißt, wenn sie uns den Gefallen tun, sie zahlen Eintritt für ein Konzert, stehen nicht draußen und rauchen eine, sondern kommen sogar noch rein und gucken uns an. Dann reißt euch gefälligst den Arsch auf! Seid nicht betrunken, seid freundlich zu den Leuten, geht auf sie zu und spielt. Ihr habt die Chance eines Tages mal Headliner zu werden.
Hattest du mal Gesangs- oder Musikunterricht oder bist du Autodidakt?
Hilton: Ich hatte mit sechs Jahren Musikunterricht. Gitarrenunterricht – für 1,5 Jahre. Von der Musik her waren es eher Volkslieder wie „Mein Vater war ein Wandersmann“ und „Im Frühtau zu Berge“. Mein Lehrer war der Gitarrist aus der Band meines Vaters. Als ich später selbst Unterricht gegeben habe, wollte ich den Leuten das mit den Sachen vermitteln, die sie selbst mochten. Ich fragte einfach: „Welche Lieder magst du gerne?“ Dann waren sie direkt angezündet, denn sie hatten ja Bock das Lied, das sie cool fanden zu lernen. So wird es ja heute auch gelehrt. Das habe ich dann viel später auch eine Zeitlang als Vocal Coach gemacht. Aber Gitarrenunterricht hatte ich tatsächlich nur 1,5 Jahre. Den Rest habe ich mir komplett selbst beigebracht.
Erzähle uns von dem skurrilsten Audioauftrag, den du mal erhalten hast.
Hilton: Eine Beerdigungsrede. Wir hatten Tag der offenen Tür. Da kam ein 72-jähriger Mann und sagte: „Ich möchte bei Ihnen die Beerdigungsrede für meine Familie aufnehmen, bevor ich sterben werde. Mit allen Inhalten. Ich werde auf Sie zukommen.“ Und ich dachte nur, ich werde vor seiner Familie wissen, was hier Phase ist, und zwar über alles. Oh, und noch etwas. Mich rief mal ein Mann an. Er war Investor in Afrika und sagte: „Herr Theissen, die wollen mich umbringen.“ Er hatte Tonaufnahmen, die ich für ihn entstören, filtern und inhaltlich analysieren musste. Das war ein spannender Job und eher Geheimdienstarbeit.
Soviel zur Musik. Im 3. Teil wird es privat. Hilton erzählt uns z.B., welche Rolle er als Teenager eingenommen hat. Zudem erfahren wir, wie man eine Klausur über eine Lektüre schreiben kann, ohne diese jemals gelesen zu haben und dann kam auch noch spontan ein Telefonjoker zum Einsatz. Am 23.12. folgt das Grande Finale.