Kommentar: MPS – Der schmale Grat zwischen Rettungsversuch und Straftaten
Festivalabsagen aus allen Richtungen, Ratlosigkeit wohin man blickt. Corona hier, Corona da und dass es nun auch unsere geliebte Festivalsaison schwer getroffen hat, ist inzwischen jedem endgültig klar. Natürlich, es gab Stimmen, die das schon recht früh prognostizierten, aber wer will auf solche Menschen schon hören, wenn sich jedes Festival immer wieder auch optimistisch äußert und alles Menschenmögliche zusichert, um es stattfinden zu lassen. Es spielte auch keine Rolle, ob die Nachricht vom Wacken Open Air, oder einem unserer vielen kleinen tollen Festivals mit wenigen tausend Besuchern verfasst wurde, der Text war inhaltlich immer identisch. Außer bei einer unbeugsamen Festivalreihe, die mit allen Statements einen anderen Unterton einschlug. Ein Event, über das wir hier bei uns auch immer gerne berichten: Das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum (MPS) an seinen unzähligen Veranstaltungsorten.
Ist das MPS jetzt noch eine extra Nachricht wert? Es geht dem MPS doch wie allen anderen Events auch. Jeder sitzt heute im selben Boot, egal ob kleines unabhängiges Event, oder unter Federführung der Veranstaltungsgröße wie FKP Scorpio oder dem Unternehmensgeflecht ums Wacken Open Air mit stillen Teilhaben und Querverbindungen zwischen Dienstleistergewerben und anderen Festivals wie dem Reload Festival. JA, heute bekommt das MPS noch einen Artikel mehr im Zusammenhang mit der Coronakrise.
Punkt eins, der angesprochen werden soll, ist die Kommunikationsstrategie im Allgemeinen. Wie viele andere Events bedient sich das MPS Facebook. Klar, hier erreicht man viele Besucher schnell und effektiv. Effektivität ist hier übrigens das Stichwort: Heute Hüh, morgen Hott, und übermorgen andersrum. Während sich alle zurückhalten, gezielt informieren und um Geduld bitten, bis rechtssichere Möglichkeiten der (Rück-)Abwicklung der bisherigen Planungen bestehen, ist das MPS äußerst kommunikativ. Sagenhafte 54 Postings gibt es vom MPS auf der Facebookseite zwischen dem 1. April und dem 17. April. Natürlich kann man sagen, es ist eine gute Idee und vor allem eine Form von Transparenz, die man sich an anderen Stellen sicher wünschen würde. Stellt euch mal vor, Frau Bundeskanzlerin oder Herr Drosten würden so umfangreich Informationen geben, wie das MPS: Das wäre gelebte Transparenz! Das Problem daran: Bei gut 30(!) Nachrichten mit informativem Inhalt in 17 Tagen sind das 1,7 Informationen PRO TAG! Ich denke da braucht es keine Wissenschaft um festzustellen, dass Menschen mit der Menge an halbgaren Informationen nicht umgehen können. Es ist ja schließlich auch einem gewissen Herrn Naidoo seit 15 Jahren aus unzähligen Infos bekannt, dass die Elite (die nicht so viel informiert) Kinderblut trinkt (oder so ähnlich). Ein an den Haaren herbeigezogener Vergleich? Definitiv, aber wenn diese Nachrichtenschwemme auf 148.000 „Gefällt mir“ bei Facebook trifft, und die Nachrichten im Schnitt 20 mal geteilt werden, sind innerhalb von nur wenigen Tagen gut 300.000 Personen auf einem anderen Informationsstand, wenn nicht jeder alle Texte (immerhin gut 500 Wörter im Mittelwert) gelesen hat. Da entsteht dann schon mal schnell ein großes Missverständnis.
Punkt zwei bezieht sich auf die Art der Kommunikation. Neben den gut 30 Postings mit mal mehr, mal weniger Informationsgehalt gibt es übrigens noch sechs Postings mit Hunden, zwei Titelbildänderungen und eine ganze Reihe mit Bildern vergangener MPS-Events, die aber im Bericht nicht weiter besprochen werden sollen. Die 30 Nachrichten mit Informationsgehalt sollen nochmal in Aussagen und Umfragen unterschieden und im generellen Aufbau betrachtet werden. So ist es nicht unüblich, dass in den Postings Fragen nach Ausrichtung, Art und Veranstaltungsorten gestellt werden. Auch die Preisfrage bezüglich Eintrittskarten, übrigens sehr fair, wird offen zur Diskussion gestellt. Leider verschwimmen diese Fragen in einer unüberlegten Flut aus Beschwichtigungen zur Gültigkeit von Tickets, Vorschlägen für Individuallösungen, Zahlenschwemmen aus Jahreszahlen und Besucherobergrenzen. Wie zur Hölle ist es jemandem möglich, Jahr für Jahr etliche Events zu planen und durchzuziehen, aber unmöglich seine Fragen und Gedanken über zwei oder vier Wochen zu sammeln und in einem Fragebogen zu strukturieren? Am Ende hätte man auch ein verwertbares Ergebnis, auf das man sich sogar berufen könnte. Über alle Postings hinweg betrachtet spielt es eigentlich keine Rolle, ob man sie nun gelesen hat, oder nicht: Niemand ist schlauer, denn was eben noch eine Information war, ist teilweise fünf Stunden später bedeutungslos (wird noch belegt) sodass man das Gefühl bekommt, dass mit jedem Telefonat mit einer Behörde ein neues Posting der noch wirren Gedanken hingerotzt wurde.
Punkt drei in dieser Betrachtung ist der passiv aggressive Ton, in dem die Texte geschrieben sind. Informationen und Statements von Festivals sind durchgängig sachlich nüchtern, also professionell, verfasst. Beim MPS lassen sie einen Blick in die Gefühlswelt dahinter zu: Trauer, Wut und irgendwo auch der Hass auf einen unsichtbaren, nicht greifbaren Feind, der das eigene Portmonee angreift. Vor allem aber offenbart es eins: Das MPS ist uneinsichtig, unberechenbar und unvernünftig. Es geht nicht darum, dass ihr vorbeikommt um auszuleben, was ihr, was die Schausteller, was wir alle lieben. Es geht darum, die eigene Zukunft zu sichern. Eine Existenzangst, die fast alle auf der Welt durchleben, um jeden Preis zu beschwichtigen. Klingt hart und ungerechtfertigt? Zum Glück ist dank Corona einige Zeit für Quellenarbeit:
Facebook, 17. April 2020, 14 Uhr: Nach einer Äußerung zu angedachten Preisen der MPS-Konzert-Partys (über mehrere Tage) sind folgende Äußerungen zu finden: „Es gibt dann aber keine Freigetränke“, womit man ja leben kann, es soll ja niemand etwas verschenken. „Und Camping ist auch verboten […]“, verständlich, unvorstellbar man würde jemanden kennenlernen und Abends im Zelt Coronaviren beim Sex verteilen. Der Kracher aber ist „Da müsst Ihr dann mal im Auto pennen“. Im Auto pennen? Klar, macht der Autor seit 11 Jahren auf Festivals so. Aber viel spannender ist, was bei der Aussage nicht dabei steht: Etliche Besucher sollen ihr Auto irgendwo in der Nähe des Veranstaltungsortes abstellen und darin übernachten. Die Autos stünden aber nicht auf einem Fleck und ein jeder kennt es von Festivals: Wer zum Camp geht, legt sich sofort schlafen. Es ist dem Veranstalter also egal, ob seine Besucher mit Anzeigen zu rechnen haben, weil man dem Bedürfnis nach Party abseits des Veranstaltungsortes, also an seinem Auto, noch nachkommen will. Von den hygienischen und sanitären Bedingungen am Auto wollen wir gar nicht erst anfangen.
Facebook, 17 April 2020, 13 Uhr: „Her mit eurer Kohle!!!!!“, welch ein Opener. Selbst Til Schweiger wäre von dieser offensiven Nutzung von fünf Ausrufezeichen beeindruckt. Jetzt mal ehrlich, unsere Aufmerksamkeit ist geweckt, wir lesen wirklich weiter. Schnell stellt man fest, dass es um Gelder für Kleinkünstler und MPS-Händler geht. Herausragende Idee, bis zu folgendem Satz: „Ich fotografiere Euch jeden Tag den Kontostand ab und packe das Foto hier auf MPS FB drauf“ (Ja, der Punkt als Satzende fehlt tatsächlich), ist das genau das, was schon festgestellt wurde: Informationsschwemme. Was nützt es, wenn man jeden Tag ein Foto des Kontostandes bekommt, wenn doch nur das Endergebnis (es gibt übrigens kein Enddatum, ab dem Spenden nicht mehr an die zugedachten Empfänger gehen) interessant ist. Und noch eine kleine Spitze: Medienkompetenz mangelhaft. Die wegweisende Funktion der Screenshots ist schon seit Windows anno-dazumal bekannt und trotzdem soll mit Fotos, statt schön hergerichteten Bildern, über den Kontostand informiert werden.
Facebook, 17 April 2020, 10 Uhr: Ehe wir auf Details eingehen, wird sich hier auf den Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins bezogen, dessen Landesregierung die Grenze bei 1000 Personen ansetzen will. Von Schleswig-Holstein aus wurde nun auf die gesamte Bundesrepublik geschlossen und geplant, obwohl nicht klar ist, ob nicht andere Länder eine Grenze bei vielleicht 500 Personen ziehen werden. Es folgt eine Abhandlung der entstehenden Kosten, und wie diese sich auf 999 Besucher verteilen würden. Und nun ein paar herausstechende Worte: „Campsites werden eingerichtet und sind Extra zu bezahlen“, … Punkte, drei Stück davon hintereinander, mehr fällt nicht ein, wenn man überlegt, dass vier Stunden später geschrieben wird, dass Camping nicht geht. „Diese Gelder müssen wir nehmen, um alle Kosten zu decken und um allen Beteiligten angemessene Gagen zu zahlen und um als MPS einen angemessenen Ertrag zu erwirtschaften“, sprengt aber alles. Überall wird ins tiefste Detail gegangen, was aber ein angemessener Ertrag für das MPS ist, bleibt verschwiegen. Eine Recherche hierzu ergab keine Informationen, da das MPS nicht im Handelsregister gelistet ist und dadurch keine Auskünfte zur wirtschaftlichen Situation veröffentlichen muss. Der größte Aufreger steht aber wieder einmal nicht im Text selbst sondern ist zwischen den Zeilen versteckt: Die 999 Besucher. Hier wurde leider ein winziges Detail übersehen: Bei 999 Besuchern ist niemand da, der Livemusik spielt, der euch am Einlass kontrolliert, kein Ansprechpartner bei Fragen, kein Rettungsdienst bei Verletzungen, niemand der euch Bier ausschenkt. All diese Leute werden gebraucht, all diese Personen können sich ebenfalls anstecken und sind damit nicht nur auch gefährdet sondern eben eins: Teilnehmer. Kurz optimistisch gerechnet:
- fünf Bands am Tag mit je 5 Musikern und 10 Personen Crew sind 75 Personen
- Ständige Techniker (inc. Ton/Licht): 25 Personen
- 60 Securitys – drei Einlässe erfordern in zwei Schichten 16 Personen
weitere 40 Personen sind für Notausgänge, Bühnenbereich, etc. Führungspersonal - Office Personal für Koordination vor Ort: 10 Personen
- Rettungsdienst, Polizei, Feuerwehr: 30 Personen
- Wir als Presse sind auch nicht alleine: 20 Akkreditierte Medienvertreter
- Kein Festival ohne VIPs, wie Freunde, Familie der Bands: 25 (1 je Musiker)
- Kurzfristige Personen die das Gelände betreten und notwendig sind: 20 Personen
In Summe sind wir bei 265 Personen. Mit allen Unsicherheiten in der Rechnung kann man sicher ohne Probleme auf 300 Personen aufrunden. Macht also 999 zahlende Besucher + optimistische 300 Personen = Strafbestand der Organisation einer Großveranstaltung mit 300 Personen über dem Erlaubten. Den Bußgeldbescheid + Verfahrenskosten könnte ja per Foto auf Facebook dokumentiert werden. Zudem: auch wenn erst Veranstaltungen erst ab 1000 Personen verboten sind: der Eine mehr oder weniger macht es jetzt auch nicht schlimmer oder besser. Ja – man muss irgendwo Grenzen ziehen. Aber diese auf Kosten der Gesundheit auszureizen – nein das ist nicht Sinn der Sache. Nicht umsonst gibt es diese Maßnahmen. Schließlich wollen wir 2021 wieder alle gesund und munter zusammen feiern.
Und da handelt es sich nur um Postings von einem Tag! Wir wünschen niemandem etwas schlechtes und haben selber für die Subkultur hier in Hannover ein Spendenprogramm ins Leben gerufen (Link: “Wir sind die Heilung”)). Wir selber haben schwer damit zu kämpfen diesen Sommer keine von unseren langjährigen Bekanntschaften und Freundschaften auf Festivals zu treffen. Wir selber überlegen als Musikmagazin, was wir veröffentlichen können, wenn es keine Veranstaltungen gibt, über die wir schreiben können. Aber angesichts dessen, was wir hier sehen, fehlt uns jegliches Verständnis dafür, wie der Kartenwirrwarr oder der mit heißer Nadel gestrickte Veranstaltungsplan beim MPS umgesetzt werden soll.
Unser gut gemeinter Rat: Um all das undurchsichtige Chaos zu vermeiden, schreibt bitte erst einen Post zum weiteren Vorgehen, wenn ihr einen rechtssicheren Organisationsplan habt. So schwer es fällt, aber der weniger transparente Weg aller anderen Festivals ist aktuell der bessere.
Anmerkung: Dieser Kommentar ist sehr kritisch und wird vieleicht nicht jedem schmecken. Wir wissen, das es Gisi grundsätzlich gut meint. Man muss sich nur die permanenten Spenden für Tierheime, die Aktion für die Farm Claratal und unzählige andere Spendenaktionen sowie Freikarten für Bedürftige oder besondere Berufsklassen vor Augen halten. Ein Beispiel: Gisi kommt ins Krankenhaus – nachdem er wieder raus ist, bietet er sämtlichen Krankenhausmitarbeitern freien Eintritt an. Das macht nun wirklich nicht jeder. Auch das er in dieser schwierigen Situation versucht, Jobs und die Marktvielfalt zu erhalten, rechnen wir ihm wirklich sehr hoch an. Wir hoffen, dass das MPS diese Krise gut übersteht. Dennoch – in der Corona Krise ist er ein wenig übers Ziel hinaus geschossen. Dieser Kommentar dient auch als Erklärung, warum wir von nun an erstmal abwarten, bevor wir wieder Neuigkeiten zum MPS teilen.