REVIEW: Statements in Zuckerwatte gibt es auf OMDs “Bauhaus Staircase”
Heute haben wir mal etwas Besonderes im Programm.
Irgendwie Mainstream – aber dann doch wieder nicht.
Metaler und Heavy Electro-Fans dürfen sich hier bereits ausklinken (aber natürlich würden wir uns über eine weitergehende Begleitung durch diesen Artikel freuen – der Autor).
Wir sprechen hier über das neueste Werk der SynthPop-Veteranen ORCHESTRAL MANOEUVRES IN THE DARK, kurz OMD, welches auf den interessanten Namen „Bauhaus Staircase“ hört.
Intro
OMD sind in der Musikwelt eine Ausnahmeerscheinung, soviel kann man schon einmal ganz trocken feststellen.
Gegründet direkt im Anschluss an das Platzen der Punkblase im Jahre 1978 durch ANDY McCLUSKEY und PAUL HUMPHREYS.
Das Konzept war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht einzigartig, aber doch irgendwie revolutionär.
Sie verbanden abstrakt politische und gesellschaftliche Themen mit leicht konsumierbarer Musik, die wiederum aus Synthesizern kam und durch eine klassische Bassgitarre ergänzt wurde.
Direkt im Gründungsjahr gingen sie als Support-Act für GARY NUMAN auf Tour, ohne Material veröffentlicht zu haben. Die erste Single „Electricity“ wurde 1979 veröffentlicht, das erste Album „Orchestral Manoeuvres In The Dark“ gar erst 1980.
Und doch handelte es sich um nicht ganz so neues und unbekanntes Zeug, da etliche der Songs bereits zum Katalog der Vorgängerband THE ID gehört hatte.
Dass diese Songs noch den starken Einfluss von KRAFTWERK erkennen ließen, kann man dabei tatsächlich vernachlässigen, denn ein eigenständiger Stil kristallisierte sich dabei bereits heraus.
Noch heute kann man überall Songs wie „Electricity“ und „Messages“ hören, und wird feststellen, dass diese kaum gealtert sind.
Im weiteren Verlauf ihrer Karriere fielen sie immer wieder durch Experimente im Sound-Design, krude Intros zu sehr melodiösen Songs und überhaupt große Hooklines auf.
Aufgrund der aus ihrem Plattenvertrag entstandenen Zwänge driftete die Band zuweilen in einen beinahe schlagerartigen Mainstream ab. In der zweiten Hälfte der 80er ließen OMD wieder mehr ihrer experimentellen Seite durchblitzen, waren aber mittlerweile ziemlich zerstritten, weshalb eine Trennung unvermeidbar war.
OMD war dann ein allein auf Andy McCluskey zugeschnittenes Projekt, welches am Beginn der bunten 90er zwar noch große Überraschungserfolge verzeichnen konnte, im Laufe des Jahrzehntes aber langsam in die Bedeutungslosigkeit abdriftete. Okay, damit waren OMD nicht die Einzigen, wie zumindest die Älteren unter euch bestätigen können.
Ich hätte nie gedacht, dass mir das mal passieren würde, aber ich muss mich an dieser Stelle tatsächlich bei RTL bedanken. Dank ihrer Sendung Die ultimative Chartshow – Die erfolgreichsten Künstler der 80er-Jahre kam die Band erstmals wieder in Originalbesetzung zusammen und tourte danach mit altem Material.
Dies gipfelte dann in der neuerlichen Zusammenarbeit und Entwicklung der Band, sodass OMD im Jahre 2010 ein komplett in Eigenregie (Produktion/ Arrangements/ Mixing) geschaffenes Album releasen konnten.
Es folgten die Werke „English Electric“ im Jahre 2013 und „The Punishment Of Luxury“ 2017.
Nun also, weitere 6 Jahre später, beschert uns die Band „Bauhaus Staircase“
Zwischenstopp
Im Mainstream findet Synthpop mittlerweile nicht mehr wirklich statt. Es scheint, dass aufwändig arrangierte Songs mit großen Melodien nicht mehr verkäuflich sind. Die Charts werden dominiert von simplem Automaten-Pop mit austauschbaren Stimm(ch)en und Gesichtern, sowie krawalligem Rap, der meist keinen Inhalt liefert, dafür möglichst vielen Leuten durch routinierte Tabubrüche auf die Füße tritt.
Synthpop ist zur Spartenmusik geschrumpft, die durch die Schwarze Community vereinnahmt wurde, ohne diese wirklich zu wollen.
So tummeln sich in der Düsterszene etliche Acts, die auch dort nur Randnotizen sind. Dazu gehören große Namen wie eben OMD und auch ERASURE, aber auch Newcomer wie MENTAL EXILE (ja, nochmals spezialisierter durch den 80s Synthwave – der Autor), BEYOND OBSESSION, NEON SPACE MEN (die gerade mit „Seeds Of Love“ ein echtes Meisterwerk am Start haben, wovon ihr euch hier überzeugen könnt) und AFTER THE RAIN.
Das ist zwar einerseits traurig und den geschaffenen Werken meist nicht angemessen, aber wohl eben der Lauf der Dinge.
Für OMD hat dies aber auch zur Folge, dass sie bereits mehrfach als Main-Act das AMPHI FESTIVAL in Köln abschließen durften. Ein Umstand, auf den vorgenannte ERASURE sicher nicht spekulieren brauchen. Warum? Das erfahrt ihr sofort, wenn ihr die Album-Review lest.
“Bauhaus Staircase”
Seit ihrem Wiedererscheinen auf der medialen Bühne beweisen OMD durchgängig, dass sie nicht vorhaben, als veritable Vintage-Band ihre alten Erfolge einfach auf der Schaumkrone der aktuellen Retrowelle mitschwimmen zu lassen.
Immer noch sind die Jungs Vollblutmusiker, die im Studio ihre Kreativität ausleben und dabei die heute verfügbare Technik für ihre Experimente nutzen. Da unterscheiden sie sich nicht von anderen Tüftlern früher Tage, wie beispielsweise YELLO.
Andy McCluskey fasst das ganz gut selbst zusammen:
“Wir haben hart daran gearbeitet, uns seit der Reformierung wieder zu finden und sind in einer wunderbaren Position, in der wir so cool wie schon lange nicht mehr sind. Wir würden es uns nicht verzeihen, wenn wir ein Album herausbringen würden, bei dem die Fans sagen: ‘Oh nein, das ist das Album, bei dem sie ein Abklatsch von sich selbst sind’. Wenn Bauhaus Staircase unser letztes Album sein sollte, dann wollen wir mit einem starken Statement abtreten.”
Die Erwartungen sind hoch und das Duo verspricht uns nicht weniger als die Spitze der Evolution.
Ob dies zu hochgegriffen ist, oder ob wir hier die Speerspitze des Synthpop vor uns liegen haben, werden wir umgehend feststellen.
Empfangen werden wir direkt mit dem Titeltrack „Bauhaus Staircase“, der musikalisch ordentlich Gas gibt und uns dank Breakbeats und vieler verspielter Details tatsächlich beeindruckt. Musik von Erwachsenen, die gar nicht abgeklärt und routiniert klingt. Keine Offenbarung, aber ein deutlicher Spaßbringer. Die Anspielung auf ein 90 Jahre altes Gemälde mit selbem Namen ist nicht zufällig gewählt. Wir überlassen euch hier aber gern selbst das Googlen und Verknüpfen der Informationen. Dieser Beitrag überschreitet nämlich schon jetzt spielerisch die euch statistisch zugeschriebene Aufmerksamkeitsspanne, weshalb wir es gar nicht zu sehr verlängern wollen.
Spätestens beim zweiten Song „Anthropocene“ ist relativ klar, wohin die Reise geht.
Der Song verbindet perfekt moderne digitale Sounds mit Kompositionsmodellen der 80er. Älteren Hörern fällt eine Adaption leicht, obwohl es so gar nicht nach Retro klingt.
Inhaltlich geht es hier bereits in die Vollen. OMD haben nicht vor, uns mit belanglosem Geseier zu unterhalten.
Sie befassen sich mit aktuellem Geschehen und bohren recht ungeniert tief mit ihren Fingern in den unzähligen Wunden der Menschheit.
Für Nerds ganz interessant: als gestaltendes Element wurde hier Googles Text-To-Speech-Funktion genutzt, statt Vocals mit einem Vocoder zu erzeugen.
An „Look At You Now“ werden sich die Geister scheiden. Es ist einerseits eine wunderbare Ballade in der bekannten OMD-Manier, hat jedoch einen Einschlag, den man hierzulande gern sofort mit einem Schimpfwort assoziiert: Schlager! Die Hook ist an sich zuckersüß und der Song schon vom Grund auf konträr zu den beiden Vorgängern – wenn da dieses “aber” nicht wäre….
Aber, hey – sie verleugnen keinen einzigen Moment ihrer langen Schaffensphase.
Paul Humphreys sagt dazu:
“Das ist ein roter Faden bei OMD. Wir mögen unsere poppige Seite: Wir sind mit dem Talent gesegnet, kommerzielle Melodien zu schreiben. Aber es gibt auch immer eine tiefere Ebene”.
Bei „G.E.M.“ fühlt man sich sofort an die gute alte KRAFTWERK-Zeit erinnert, als deren Sound noch innovativ war. Kurz, aber wundervoll.
„Where We Startet“ ist ebenfalls sehr kurz und hat den wohl größten Retro-Einschlag mit Moog-Zitaten und einem kurzen, prägnanten Text. Ach, hier nutzen wir doch glatt die Selbstbeschreibung durch Andy McCluskey, um den Inhalt zusammenzufassen:
“Ich hatte nicht mehr zu sagen als diesen Text. Es ist ein Lied für jemanden, der mir sehr am Herzen liegt, das sagt: ‘Es tut mir leid, dass du verletzt bist. Ich liebe dich und wenn du jemals eine Umarmung brauchst, lass uns zum Anfang zurückkehren.‘ Während der Pandemie waren wir alle voneinander isoliert, besorgt um unsere Gesundheit und Zukunft, aber es war auch eine Zeit des großen Mitgefühls. Mehrere Songs auf diesem Album handeln, wenn auch völlig unbewusst, von Liebe und Unterstützung in schwierigen Zeiten.”
Sehr theatralisch wird es bei „Veruschka“. Herrlich ruhig und melancholisch, aber doch eben sanft genug, um den Hörer nicht fallen zu lassen. Und auch inhaltlich geht es genau darum – sich nicht aufzugeben. Feines Stück.
Bei „Slow Train“ habe ich schon wieder so einen ‚das hast du schon mal gehört‘- Moment. Der Song erinnert mich so ein bisschen an die wilderen Stücke von CLIENT und einen ganz speziellen Song: „Ooh La La (When ANDY BELL Met The Manhattan Clique Mix)“ von GOLDFRAPP aus dem Jahre 2007.
Es gibt deutlich schlechtere Inspirationen, muss ich zugeben. Der Song hat Drive, funktioniert daheim und im Club, dazu ist er ein Garant für gute Laune. Da kann der Text noch so fies, hart, whatever sein – damit tanzen wir fröhlich Richtung Abgrund!
Den Sound, den Kenner am ehesten von OMD erwarten, bekommt man bei „Don’t Go“. Das ist ihr Iconic Sound, immer mit einigen KRAFTWERK-Zitaten. Und sie haben diese Klangwelt perfekt in die Moderne transformiert, denn hier klingt nichts altbacken oder angestaubt.
Jetzt knallt es aber richtig! Nein, hier folgt jetzt kein Hard Techno- oder Heavy Metal-Brett. Aber inhaltlich geht es hier mal richtig zur Sache und es wurde nicht einmal versucht, es besonders elegant zu umschreiben. Die Musik jedoch bildet einen harten Kontrast zur übertragenen Botschaft, denn die könnte kaum poppiger und fluffiger daherkommen. Ich mag da gerne als Querverweis die Alben „III: In Stein gemeißelt“ von VERSUS (gönnt euch hier die limitierte Erstauflage der CD mit ganz viel tollem Bonusmaterial)und „Arrived.“ von WIEGAND anbringen, da beide diese Masche ebenso gut beherrschen. Zur Entstehung des Songs und der Motivation, ihn auf „Bauhaus Staircase“ zu packen, sagt Andy McCluskey:
“Die Anspielungen auf Trump, Johnson und Putin sind leider immer noch aktuell. Sie wollen sich einfach nicht verpissen. Enola Gay war nicht der angenehmste lyrische Inhalt, aber die Melodie ist ein echter Ohrwurm.”
Paul Humphreys ergänzt:
„Auf ‚Dazzle Ships‘ ging es um den Kalten Krieg, aber wir waren noch nie so offen politisch. Je älter wir werden, desto unverblümter werden wir. Im gegenwärtigen Klima muss man sich politisch bewusst sein, denn es passiert so viel Wahnsinn, dass man zu einer Meinung gezwungen wird.”
Nach all dem wilden Geklöppel holt uns „Aphrodite’s Favourite Child“ wieder etwas runter. Viele Chorals und eine leichte Melancholie, gepaart mit zart-poppigen Synthesizer-Sounds.
„Evolution Of Species“ haut in die selbe Kerbe wie „Anthropocene“ und bedient sich der selben Stilmittel. Es ist jedoch ungleich düsterer und elektronischer. Natürlich dennoch unverkennbar OMD.
Die Vocals stammen hier ausschließlich vom Computer, Andy schweigt. Sehr simpel und gerade dadurch sehr beeindruckend.
Den Abschluss bildet die Ballade „Healing“. Dieser Song erdet uns nach dem wilden Ritt durch die gesamte Palette an Gefühlen. Zuckersüß, dabei absolut nicht kitschig – ganz großes Kino.
Interessante Info dazu: der Text stammt von Andy McCluskeys Freundin und Songwriterin Caroline England, die Produktion auf Basis des Rohwerkes übernahm Uwe Schmidt (SENIOR COCONUT, ATOM TM).
Es ist ein würdiger Abschluss für „Bauhaus Staircase“.
Fazit
Oha, des Autoren große Stunde hat geschlagen…
Es ist schwierig, soviel kann man sagen.
Ich bin mit OMD großgeworden und mochte ihren Stil. Über manch schlagerhaften Ausfall habe ich immer wohlwollend hinweggesehen und mich dafür an die großen Werke geklammert.
Ich freue mich, dass die Band wieder vereint zu neuen Höhenflügen angesetzt hat und der Ablehnung des Mainstreams gegenüber Synthpop im Allgemeinen trotzt.
Dieses Album ist grandios – irgendwie, aber irgendwie auch nicht.
Kann man das wirklich objektiv bewerten?!
Es ist verdammt gut geschriebener und produzierter Synthpop mit verdammt großen Melodien.
Trotz der Verwendung teils alter Gerüste und Ideen klingt es zu 99% topmodern und frisch.
Es hat aber eben auch dieses spezielle Etwas, während am anderen Ende etwas zu fehlen scheint.
Es ist dieser ganz besondere OMD-Sound, an dem sich die Geister scheiden – mag man, oder eben nicht. Zudem ist es musikalisch halt auch keine Offenbarung, die einen heftigen Impact auf die aktuelle Musiklandschaft haben wird.
Dafür verkauft es uns einige bittere Pillen mit dem süßesten Lächeln, das Gevatter Tod auf seine Lippen bringen kann.
Kurz: es ist ein richtig gutes Album geworden. Nicht unverzichtbar, aber definitiv empfehlenswert.
Bewertung: 8/10
Daten
Act | Orchestral Manoeuvres in the Dark (OMD) |
Release | Bauhaus Staircase (Album) |
Release Date | 27.10.2023 |
Label | White Noise Ltd. |
Medien | CD, Vinyl, Stream |
Quellen | Im gut sortierten Musikhandel und auf den großen Streamingplattformen >>> schaut direkt hier |
Tracklist
- Bauhaus Staircase
- Anthropocene
- Look At You Now
- G.E.M.
- Where We Started
- Veruschka
- Slow Train
- Don’t Go
- Kleptocracy
- Aphrodite’s Favourite Child
- Evolution Of Species
- Healing
Live abchecken könnt ihr “Bauhaus Staircase” bei folgenden bisher bestätigten Terminen:
- 29.01.24 Jena – Sparkassen Arena
- 30.01.24 Offenbach – Stadthalle
- 01.02.24 Düsseldorf – Mitsubishi Electric Halle
- 02.02.24 Hamburg – Sporthalle
- 03.02.24 Chemnitz – Stadhalle
- 11.02.24 Leipzig – Haus Auensee
- 12.02.24 Berlin – Tempodrom
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