THE SISTERS OF MERCY Tour 2023 – No Mercy mit ihren Fans

Es gibt für uns alle wohl Bands, die wir seit unseren jeweiligen Anfängen in der schwarzen Szene kennen und lieben. Bands, zu denen wir seit Jahren singen und tanzen, die uns Tränen in die Augen treiben oder uns über selbige hinwegtrösten. Besonders die alten Szenegrößen gehören für viele dazu und eine eben dieser Größen sind zweifelsfrei THE SISTERS OF MERCY um Frontmann und Mastermind Andrew Eldritch. Obwohl sei 30 (!) Jahren kein neues Album veröffentlicht wurde, ist ihre Anhängerschaft unverändert treu und begeistert.
Entsprechend groß war der Andrang zur diesjährigen Tour und viele der Veranstaltungsorte schon nach wenigen Wochen ausverkauft. So auch das Capitol in Hannover, dass am 2.10. ab 18:30 seine Pforten für die schwarzen Pilger öffnete. Ein Hauch von Patchouli und Nostalgie wehte über die Versammelten am Eingang und es versprach ein wundervoller Abend zu werden, an dem wir eine Institution der dunkelromantischen Szene feiern und uns ganz persönlichen Erinnerungen hingeben könnten.

Ich wünschte von ganzem Herzen, ich könnte genau so weiterschreiben. Von Begeisterung, erfüllten Träumen, besonderen Momenten und einem fantastischen Abend. Bedauerlicherweise wäre das aber eine Lüge.

Bei der Vorband VIRGIN MARYS war die Erwartung für den weiteren Verlauf des Montagabends unverändert hoch. Pünktlich um 20 Uhr rockten sie das Capitol, mit einer wilden und passenden Mischung aus Punkgesang der 80er und rockigen Klängen der Moderne. Für die meisten war das britische Duo mit Sicherheit unbekannt und die wohl positivste Überraschung des Abends.

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Fotos: Rattchen

Als dann nach ihrem schweißtreibenden Auftritt und einer kurzen Umbauphase zu blauem Licht die ersten zunächst sphärischen Klänge auf der Bühne ertönen, bricht sich die angespannte Begeisterung der Fans endlich Bahn. Mit lauten Rufen, Pfiffen, Klatschen und dem ein oder anderen Quietschen werden THE SISTERS OF MERCY in Hannver begrüßt.
Die Begeisterung auf der Bühne scheint nicht die des Publikums zu spiegeln, aber wir fingen ja auch gerade erst an, nicht wahr?
Nachdem allerdings auch beim vierten Song „Alice“ noch kein Wort des Grußes von den Musikern kommt, wirkt das doch etwas irritierend, wenn nicht gar grob unhöflich. Generell scheint Frontmann Andrew Elfritsch hier eher ein Pflichtprogramm zu absolvieren, als an einer gemeinsamen Party interessiert zu sein. Lust am Tun sieht anders aus.
Tatsächlich vermeidet Eldritch jegliche Ansage oder auch nur ein freundliches Wort. Bei den momentanen geopolitischen Entwicklungen hätte spätestens zu „Dominion/Mother Russia“ zumindest etwas ähnliches wie ein Statement kommen können und sollen, doch auch hier bleibt sich der unablässig über die Bühne tigernde Sänger treu und verzichtete auf zu viel Interaktion.

Der teilweise eher vernuschelte Gesang wurde zum Glück ein wenig vom Publikum ergänzt und aufgefangen und wenn die omnipräsente nicht brennende Zigarette in Eldritchs Hand eine Kunstinstallation sein sollte, dann definitiv eine, die ihr Ziel verfehlte.
Keines des Lieder wurde unnötig über eine Radiolänge von ca. drei Minuten hinaus erweitert und vollkommen egal, wie sehr die Anwesenden reagierten, mitsangen oder eben auch nicht, das einstudierte Programm wurde lieblos heruntergerasselt.

Nach dem erlösenden „letzten“ Song „When I’m On Fire“ erfolgten nur sehr leise und vereinzelte Zugabe-Rufe. Anscheinend waren alle froh, diese enttäuschende Mischung aus Katastrophentourismus und Fremdscham endlich überstanden zu haben – und dabei wurden die Hymnen der Band noch gar nicht gespielt!
Dies erfolgte dann in der unabwendbaren Zugabe mit der gleichen Passion und Begeistertung wie in den letzten 65 Minuten. Besonders als „Temple Of Love“, der sich durchaus auf eine Länge von über neun Minuten erweitern lässt, so lieblos und gelangweilt vorgetragen wurde, haben einige schon längst beschlossen, doch lieber daheim die CD zu hören und sich an eine Zeit zu erinnern, zu der ihnen die Band wirklich noch Spaß gemacht hat.
Zumindest bei „This Corrosion“ setzten sich die Fans über den offenkundigen Willen der Band hinweg und sangen einfach laut und wesentlich verständlicher mit – so lange sie wollten. Vielen Dank an alle Anwesenden dafür, es war neben der Vorband das zweite Highlight dieses Abends.

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Fotos: Rattchen

Fazit:
Ich bin enttäuscht und auch beim Schreiben dieser Zeilen noch immer ein bisschen entsetzt. Wenn ich zahlende Fans zu einer Party einlade und mich so benehme, wie THE SISTERS OF MERCY an diesem Abend, darf ich mich nicht wundern, wenn irgendwann kein Mensch mehr Lust auf meine Feiern hat. Das Publikum hat Besseres verdient, als ihnen hier geboten wurde und definitiv auch mehr Mitgefühl mit ihrer Zeit und ihrem Geldbeutel.

Setlist:
1. I Will Call You
2. Ribbons
3. I Don’t Drive On Ice
4. Alice
5. But Genevieve
6. Dominion/Mother Russia
7. Summer
8. Marian
9. More
10. Giving Ground (The Sisterhood cover)
11. Doctor Jeep/Detonation Boulevard
12. Eyes Of Caligula
13. Something Fast
14. Crash And Burn
15. Vision Thing
16. On The Beach
17. When I’m On Fire
Encore
18. Lucretia My Reflexion
19. Temple Of Love
20. This Corrosion

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