Wacken Open Air 2023 – Metal siegt über den Schlamm – Teil 1

(Hinweis: Aufgrund der extremen Wetterbedingungen bei der Anreise hat unsere eigene Fotografin ihre Anreise zum diesjährigen WOA verständlicherweise abgebrochen, sie war mit dem Auto unterwegs. Daher beschränken sich unsere Fotos/Videos auf Impressionen. Wir bedanken uns sehr für die Fotospenden von Sven Bähr von dark-festivals.de.

Statistisch gesehen wurde es mal wieder Zeit für ein nasses Wacken. Kaum haben die Besucher von 2015 ihre langjährigen Therapien beendet, in denen ihnen der Hass gegen den konspirativen Erdboden wieder ausgetrieben wurde, da geht das Schlammcatchen in die nächste Runde. Und dennoch wird 2023 als kein Jahr wie jedes andere in Erinnerung bleiben. Mann über Bord! Hätte es auf dem Gelände Laternen gegeben, hätten wir gut 25.000 Vermissten-Zettel aufhängen müssen. Ihr habt gefehlt! Das größte Metal-Festival der Welt war in diesem Jahr unvollständig. Ja, es kam sogar zur Bildung von Kolonien! Das Außenlager “Hungrigen Wolf” (gemeint ist der Flugplatz bei Itzehoe mit diesem kuriosen Namen) könnte eine dauerhafte Eigendynamik entwickeln. In den letzten Tagen des Festivals sah man etliche “Wacken Exile”-Shirts trotzig über den Platz stapfen…

Doch was war es denn nun? Eine Katastrophe? Herausfordernd? Inakzeptabel? Oder doch im Rahmen dessen, was man auf dem WOA erwarten muss? Die Meinungen gehen hier stark auseinander, aber zum Glück ist das hier mein Artikel, über den ich diktatorisch das Szepter zu schwingen beliebe! Aber den Deutsch-Leistungskurs kriegen auch Nässe und Dreck nicht aus mir raus, daher: Das Fazit kommt zum Schluss. Fangen wir von vorne an: Bei der *dramatische Horror-Musik* Anreise am Montag! Aus dem gebuchten Direktzug Düsseldorf-Itzehoe wurde nichts: Streckensperrungen. Mit Umweg über Hannover dauerte die Reise drei Stunden länger. Meine Hamburger Camp-KollegInnen waren da längst in Itzehoe, hatten aber wenig davon: Es kam kein Shuttlebus. Stundenlang. Schon zu diesem Zeitpunkt gab es Warnungen, die Anreise für den Montag möglichst abzubrechen, da die Campingflächen überflutet seien. Da wir ohne Fahrzeug anreisten, wagten wir es trotzdem. Kurz wurde erwogen, die Nacht in Hamburg zu verbringen, aber ich wollte bei meinen durchnässten KollegInnen sein und ihnen beistehen. Meine Anwesenheit brachte ganz offensichtlich Glück, denn schon eine halbe Stunde nach meiner Ankunft kamen mehrere Shuttlebusse. Zuvor konnten wir beobachten, wie frustrierte Metalheads versuchten, mutmaßlich einen örtlichen Itzehoer Linienbus zu kapern und ihn zur Änderung der Route in Richtung Wacken zu veranlassen. Doch als dann alle im Shuttle waren, hob sich die Stimmung wie üblich, es wurde gesungen und gescherzt. Wer erinnert sich an die ellenlangen Bändchenschlangen vom Vorjahr in glühender Hitze? Weder das eine, noch das andere quälte uns dieses Jahr. Schon am Einlass gab es eine Bändchenausgabe, man hatte aus dem Desaster vom Vorjahr gelernt. Als Pressevertreter musste ich natürlich trotzdem den Weg zur Check in-Scheune am anderen Ende des Dorfes antreten, aber sei’s drum. Wenigstens konnte der Rest die Bändchenmission schnell abschließen und wir konnten, von kühlenden Regenschauern begleitet, die Zelte aufschlagen. Dann trat ich den Fußmarsch von Gribbohm nach Wacken Upper East Side an, begleitet von meinem wortkargen dänischen Campkollegen, der “Auslauf” benötigte. Die nassen Straßen waren menschenleer. Ich sagte, dass die Atmosphäre mich an “The Purge” erinnere, mein Däne brummte nur und zeigte den Zimmermanns-Hammer, den er im Rucksack dabei hatte vor. Auch in der Scheune ging die Bändchenausgabe schnell und das vorher aufgeladene Guthaben war auch auf dem Chip – Daumen hoch! Auf dem Rückweg kam es dann knüppeldicke. Auch wenn wir keine Rookies waren, unsere Regenponchos hatten wir auf dem Zeltplatz gelassen. Böse Falle! Skandinavier sind mindestens zwei IPX-Level wasserdichter als unsereiner, ich hatte im Wolkenbruch keine trockene Faser mehr am Leib. Sei’s drum! No shits were given this evening! Wir waren auf dem Gelände, hatten alles aufgebaut und unsere Bändchen. Es war Montag 21 Uhr.

2015 hatte es zuletzt eine Schlammapokalypse auf Wacken gegeben. Damals hatte ein nächtliches Unwetter mit Starkregen und viel Wind eine Vielzahl von Zelten zerstört. Als ich an jenem Morgen erwacht war, sah es um mein völlig unversehrtes Zelt (ein weiteres Loblied auf hochwertige Quechua Fresh&Black-Wurfzelte hier einfügen!) aus wie auf einem Schlachtfeld. Nasse, stöhnenden Menschen lagen in halb eingestürzten Zelten, Pavillons lagen mit gebrochenen Beinen verstreut umher. Ich habe Freunde, die seit diesem schicksalhaften Jahr nie wieder auf Wacken waren. Das Fatale an 2023 war eher die Stetigkeit des Regens und dass er schon vor Veranstaltungsbeginn eingesetzt hatte. Wenn erst einmal alle aufem Platz sind – wie 2015 und 2012 – ist die Situation nicht mehr so schlimm, dann gibt es kein Verkehrschaos und steckengebliebene Autos. Aber 2023 traf es den Anreiseverkehr und das war eine neue Dimension. Über den Dienstag hinweg spitzte sich die Lage zu, das Befahren der Campingflächen war nur noch mit Hilfe von Treckern möglich und das verlangsamte die Befüllung der Flächen natürlich deutlich. Zu der Zeit wurde langsam klar: Wir schaffen das nicht! Eine äußerst fatale Situation: Für die noch nicht vollständig angereisten BesucherInnen und natürlich für die Veranstalter und örtlichen Behörden. Wacken hat einen guten Ruf! Alljährlich wird das größte Metalfestival der Welt organisiert und alle Herausforderungen gestemmt, im Einklang mit DorfbewohnerInnen und Behörden. In der Metalszene wird das Zusammengehörigkeitsgefühl zudem großgeschrieben. Die Polizei traf letztendlich eine historische Entscheidung zugunsten der Sicherheit und der Veranstalter nahm es auf sich, ohne den Urheber der Weisung zu benennen: Die Anreise zum WOA 2023 musste gestoppt werden! Ab da gab es die Spaltung der Familie in jene, die es geschafft hatten und all jene, die auf den Straßen und Zufahrten noch feststeckten. War man erst einmal auf dem Platz, setzte der typische Wacken-Trotz ein und man zuckte nur mit den Achseln bezüglich des Wetters und packte die Gummistiefel aus. Auf den Wegen und Campgründen konnte ich keinen Unterschied zu 2012 oder 2015 feststellen, aber das war lediglich die Perspektive von den infieldnahen Campingplätzen P und L. Weiter draußen wurden etliche unpassierbare Flächen gestrichen, die Kapazität verringerte sich, der Kreis zog sich eng zusammen. Und viele tausend Besucher hatten keine Heimstatt mehr für die Woche. Dramatisch! Auf dem Campingplatz lasen wir die vielen Kommentare unter den Posts des Wacken Open Airs. Hunderte individuelle Geschichten des Scheiterns. Und während der Wettergott Welle um Welle auf uns niedergehen ließ, gab es noch eine weitere, viel größere Welle da draußen in Schleswig-Holstein und Hamburg: Eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft! Als es noch Hoffnung gab, dass die Anreise an den folgenden Tagen wieder möglich sein könnte, wurden überall im Umland Schlafmöglichkeiten angeboten: In Gärten, Schuppen, Scheunen, Stellplätzen… Was für ein starkes Zeichen des Zusammenhalts. Unaufgefordert beschrieben Einwohner der Gegend, was sie den Gestrandeten anbieten konnten und wie man dorthin finden könne. Englischsprachigen BesucherInnen wurden die Hilfsangebote übersetzt, es wurde gelotst und vermittelt und zusammengerückt, während das auch auf dem Campground die Devise war und wurde. Als Metalfan fühlt man sich sehr wohl bei dem Gedanken der großen Hilfsbereitschaft innerhalb der Szene und durch die unterstützenden Anwohner, das spricht sehr für den großartigen Zusammenhalt in Szene und Region.

Bereits am Dienstag wurde ein finaler Anreisestopp für Kraftfahrzeuge aller Art verhängt, die Veranstalter riefen dazu auf, Anreisen mit Fahrzeugen unbedingt abzubrechen. Wer in unmittelbarer Nähe des Geländes in der Autoschlange stand, wurde noch auf den Platz gelassen, Ausnahmen galten auch für geführte, offizielle Busreisen. Die Shuttle-Busse verkehrten ebenfalls weiterhin vom Bahnhof Itzehoe. Noch gab es Hoffnung für Zugreisende. Wie schon erwähnt, gab es ab diesem Zeitpunkt zwei Welten: Die innerhalb Wackens und die da draußen. Drinnen hatte das Programm ganz normal begonnen, trotz schwieriger Wetterbedingungen. Der Landgasthof Wacken (LGH), als “neunte Bühne” bezeichnet, bot schon ab Montag Konzerte an. Mit einem kleinen Fußweg ins Dorf konnte man sich also schon einmal in Metal-Stimmung versetzen lassen. Auch am Dienstag ging das Programm dort weiter. Der Mittwoch galt dieses Jahr erstmals als “vollwertiger Programmtag” mit einer Bespielung von Hauptbühnen.

Fotos: Marvin Römisch

Für die Außenwelt kam am Mittwoch allerdings die nächste Hiobsbotschaft: Vollständiger Anreisestopp! Camping-Kapazitäten ausgeschöpft, auch Nicht-PKW-Anreise nicht mehr möglich. Das war’s! Für ca. 25.000 Ticketinhaber platzte der Traum von Wacken 2023 im Platzregen. Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Wacken Open Airs. Dass die Anordnung von der Polizei gekommen war, erfuhren wir erst viel später, der Veranstalter ließ nichts davon verlauten, sondern stellte sich seiner Verantwortung. Wie schwer den Wacken-Gründern das gefallen sein muss, lässt sich nur erahnen. Besonders schlimm war das Ganze sicherlich für Wacken-GängerInnen, die aus dem Ausland, teils mit Flugzeugen, angereist waren und nun, nach tausenden von Kilometern vor überfluteten, deutschen Wiesen kapitulieren mussten. Wir Glücklichen im Inneren der schmutzigen Wacken-Bubble machten das Beste aus der Situation. Mit großer Verspätung startete das Programm auf der Louder und der Faster Stage, für HOLY MOSES war auf der Faster Stage bereits um 16 Uhr alles aufgebaut worden. Aber der Start verzögerte sich mehrfach, da das Infield nicht in einem Zustand war, der das Einlassen der Massen möglich gemacht hätte. Als sich das um 18 Uhr immer noch nicht ausreichend geändert hatte, wurde die Band zunächst gecancelt. Später am Abend sollte DORO auf der gleichen Bühne ihr 40jähriges Jubiläum feiern und diesem Act wurde Vorrang eingeräumt. Für HOLY MOSES war das besonders schade, da die aktuelle Tour die letzte sein wird. Am Ende des Jahres wird die Formation um Sängerin Sabina Classen sich auflösen. Zum Glück wurde dann später noch eine Möglichkeit gefunden, die letzte Show auf Wacken für die Band doch noch möglich zu machen. Um Mitternacht dufte HOLY MOSES auf der kleineren W.E.T. Stage auftreten. Auch die für den Mittag angesagte “Lemmy-Parade” zu Ehren des 2015 gestorbenen MOTÖRHEAD-Sängers und Bassisten Lemmy Kilmister startete mit einiger Verzögerung. Kurz vor dem Festival war überraschend bekanntgegeben worden, dass es eine besondere Zeremonie in Anwesenheit der MOTÖRHEAD-Mitglieder Phil Campbell und Mikkey Dee geben würde und dass ein Teil von Lemmys Asche auf dem Holy Ground seine letzte Ruhestätte finden solle. Die Meinungen darüber gingen auseinander. Der überwiegende Teil der BesucherInnen fand das vermutlich angemessen, da Lemmy und die Band eng mit Wacken verbunden waren. Es wurden aber auch Stimmen laut, die von einer unangemessenen “Karnevals-Parade” sprachen. Eine weitere Überraschung war der Auftritt der Punk-Formation BROILERS, ebenfalls auf der Faster-Stage. Mein erster Act hingegen waren die Finnen von BATTLE BEAST auf der benachbarten Louder Stage. Irgendwie hatte man die ganze Zeit ein mulmiges Restgefühl gehabt, ob nicht doch noch ein Abbruch der ganzen Veranstaltung nötig werden würde. Aber als BATLLE BEAST mit “Circus Of Doom” ihr Set eröffneten, waren die Sorgen wie weggeblasen und man freute sich einfach, dass Wacken nun so richtig begonnen hatte. Was uns aber gründlich ausgetrieben worden war, war das Gefühl der Selbstverständlichkeit. Das spürten auch die Bands und BATTLE BEAST widmeten den Song “Where Angels Fear To Fly” den verhinderten Wacken-BesucherInnen, die es nicht mehr geschafft hatten und hoffentlich wenigstens den Live-Stream von Magenta Music und Magenta TV schauen konnten. “We are so happy to be back here at one of the most awesome festivals in the world”, erklärte Sängerin Noora ihre Liebe zum Wacken Open Air. Nach dem Song “Bastard Son Of Odin” fragte sie noch, ob wir den Start des Festivals genossen hätten und erntete allgemeines Grummeln, aber das vortreffliche Konzert der Band sorgte definitiv dafür, dass sich die Stimmung hob. Auch nach dem Schlusssong (“Beyond The Burning Skys”) blieb ich noch an der Bühne, denn direkt im Anschluss spielten BEYOND THE BLACK. Die Symphonic-Band um Jennifer Haben hatte ihre Geschichte auf dem Wacken Open Air 2014 begonnen und kehren seitdem zuverlässig regelmäßig an diesen Ort zurück. Die Band schlug nach dem Eröffnungssong “Is There Anybody Out There?” auch gleich die Brücke in diese Vergangenheit: “Lost In Forever” war einer der ersten Songs der Truppe, der damals Popularität erlangt hatte. Im Vergleich zu früher hat besonders die Bühnenshow an interessanten Elementen zugenommen. So performte Jennifer etwa zu Beginn mit Leuchtröhren und schwarzen Engelsflügeln (beim Song “Free Me”). Was nicht neu war, war die unbändige Energie der Band auf der Bühne, die sich natürlich auch auf das Publikum übertrug. Der angeforderte “Arm-Support” für “Dancing In The Dark” wurde selbstverständlich gern gewährt. Auch die großen Hits “In The Shadows” und “Hallelujah” fanden natürlich ihren Platz gegen Ende des Sets. Ich persönlich kann sagen, dass ich mit diesem Auftakt am Mittwoch sehr zufrieden und definitiv im “Wacken-Fieber” angekommen war.

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Fotos: Sven Bähr

Für viele Wacken-Gänger war natürlich die “40th Anniversary-Show” von DORO DAS Highlight des Tages. Die Queen of Metal hat scheinbar noch lange nicht genug und kündigte in einigen Interviews auf dem Holy Ground das neue Album “Conqueress – Forever Strong And Proud” an, das am 27. Oktober erscheinen wird. Auch die “Late Night”-Show auf der Faster Stage enthielt bereits neues Material. Für ein rundes Jubiläum war es natürlich auch üblich, zahlreiche Gäste und Wegbegleiter einzuladen. Wir erinnern uns noch an das 30jährige Jubiläum 2013, als DORO unter anderem Chris Boltendahl, Eric Fish, Frau Schmitt, Biff Byford, Uli Jon Roth und Phil Campbell auf die Bühne holte. Die letzteren beiden waren auch diesmal wieder mit dabei. Mit Campbell sowie Mikkey Dee sang DORO die MOTÖRHEAD-Cover “Love Me Forever” und “Ace Of Spades”. Roth war beim JUDAS PRIEST-Cover “Breaking The Law” mit an Bord. Ich bin allgemein kein Fan der sehr simplen Texte von Doro Pesch, aber man muss kein Fan sein, um die zahlreichen Verdienste dieser Frau für die Metal-Szene zu würdigen. Und sie schaffte es auch diesmal wieder, eine äußerst epische Atmosphäre herbeizuzaubern und selbstverständlich lässt es einen nicht kalt, wenn zigtausend Metalheads “All We Are” zusammen singen. Mit “Time For Justice” wurde auch ein ganz neuer Song performt, der später auch in einer Pressekonferenz in der Wacken United Area vorgestellt wurde. Die illustre Gästeliste war aber noch nicht zuende. Micha Rhein von IN EXTREMO lieh seine Duettstimme für “Blood Sweet and Rock n’ Roll” und Joey Belladonna von ANTHRAX sang zusammen mit der Queen “Antiscoial ” von TRUST sowie das ikonische “Raise Your Fist In The Air”. Für “Rock Till Death” gab es einen Gastauftritt von Hansi Kürsch und Sammy Amara von den BROILERS sprang Doro beim WARLOCK-Song “East Meets West” bei. Doro Pesch bringt sie alle zusammen und hat eine Message, auf die sich irgendwie alle einigen können. Damit das gelingt, muss diese Botschaft eine simple sein! “Wir stehen zusammen und wir sind gemeinsam stark und zeigen unsere Stärke auch nach außen!”, so könnte man es zusammenfassen. Als “Living After Midnight” von JUDAS PRIEST als Outro erklang (übrigens als Cover auf dem neuen Album feat Rob Halford himself zu finden) , standen die Herzen der Anwesenden längst in Flammen und sie wären der Queen of Metal überall hin gefolgt.

Donnerstag

Leben in Gummistiefeln… Als es auf dem Summer Breeze-Festival 2022 zu einem Wetterumschwung gekommen war, hatte ein findiger Händler im örtlichen Baumarkt schnell alle Gummistiefel aufgekauft, um sie dann auf dem Festivalgelände weiterzuverkaufen. Diese schlecht passenden Baumarkt-Stiefel hatte ich auch für das diesjährige WOA dabei und das blieb nicht ohne Folgen. Irgendeine Stelle am Fuß scheuert immer und das Laufen in den tiefen Schlammgräben erfordert immer wieder ruckartige Befreiungsbewegungen. Aber mit Pflastern und Panzertape geht es! Aufhalten lassen durfte man sich auf diesem Festival keineswegs, wir waren es auch all den Verhinderten schuldig, der Witterung zu trotzen und jedes Quäntchen aus diesen Tagen herauszupressen. Um 13:30 Uhr war für die Wackinger Stage die aufstrebende Symphonic Metal-Band AD INFINITUM angekündigt und dieses Wacken-Debut wollte ich nicht verpassen. Die Frühstückszelte verfügen leider über so gut wie keine veganen Alternativen, lediglich trockene Laugenstangen kann man sich einverleiben. An dieser Stelle sei daher der Hinweis an die Organisatoren gestattet, dass Veganer sich sehr über Frühstücksmöglichkeiten freuen würden. Nun ja, dann eben Metal zum Frühstück. Das Wackinger Village war praktisch in jedem Jahr schlammig, hier gehört es aufgrund der Mittelalter-Stimmung ohnehin dazu. Und die Übergänge zwischen den verschiedenen Areas waren zudem zusätzlich mit Rindenmulch stabilisiert worden. Die verwendeten Hackschnitzel waren wenigstens vegan 😉
AD INFINITUM um Melissa Bonny haben im Frühjahr ihr aktuelles Album “Chapter III – Downfall” veröffentlicht, das sich mit der ägyptischen Mythologie beschäftigt. Dieses Album stand auch im Fokus der Wacken-Setlist. Ein solider Auftritt der Wacken-Debuttanten. Der Platz vor der Bühne war auch recht gut gefüllt, man kennt Bonnys Band mittlerweile und auch ihre Songs. Besonders “Unstoppable” und “Eternal Rains” (*hust*) wurden begeistert mitgesungen. Melissa Bonny hat übrigens erst vor wenigen Tagen geheiratet, ihr und Morten alles Gute von der Redaktion.
Die Mittagspause verbrachte ich in der Wacken United-Area, wo es ein spontanes zusätzliches Konzert von YE BANISHED PRIVATEERS gab. Die schwedische Piratenband trat einfach so, ohne Mikrofone oder eine Bühne auf und sorgte für viel Spaß unter den anwesenden Presseleuten. Toll, dass die Wacken-Orga auch für uns noch zusätzlich etwas zur Unterhaltung anbot!

Mich zog es mich wieder zur Wackinger Stage, um UNZUCHT zu sehen. Die Niedersachsen sind einfach immer ein Partygarant und haben 2023 viele Festivals mitgenommen. Auch wenn ich sie erst wenige Tage zuvor auf dem Amphi-Festival gesehen hatte, so ist Wacken einfach ein ganz anderer Rahmen und so fühlte sich das Konzert auch anders an. Sänger Daniel Schulz legte auch diesmal wieder seine übliche Stagediving-Einlage ein und DeClercq leitete den “NEIN”-Sprechchor souverän an. Beste Unterhaltung zur Nachmittagszeit! Und die eingängigen, deutschsprachigen Texte garantierten auch diesmal einen gigantischen Background-Chor. Toll!

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Fotos: Sven Bähr

Huch! Schon wieder Wackinger-Stage. Der Donnerstag war wohl mein Wackinger-Tag. CELLAR DARLING ließ ich mir natürlich nicht entgehen. Die außergewöhnliche Band aus der Schweiz um die ELUVEITIE-Exilanten Anna Murphy, Ivo Henzi und Merlin Sutter hat bereits zwei Studioalben veröffentlicht und präsentiert um Drehleier und Querflöte angereicherten, tiefgründig-düstere Rockmusik. Leider war Annas Mikrofon zunächst zu leise eingestellt, aber sie ist sowieso nicht für ausschweifende Ansagen bekannt, sondern lässt lieber die Musik sprechen. “Ironically the next song is called “Freeze”, ließ sie immerhin verlauten und nahm somit Bezug auf das stellenweise sonnige Wetter am Donnerstag. Auch CELLAR DARLING widmeten einen Song denjenigen, die es nicht mehr auf den Platz geschafft hatten und zwar “Black Moon”. “It’s incredibly sad”, sprach Anna aus, was wir alle dachten. Gegen Ende schwoll der Jubel noch einmal deutlich an, als der sehr populäre Song “Avalanche” angespielt und natürlich fleißig mitgesungen wurde. CELLAR DARLING ist ab Anfang Oktober auf Europa-Tour.

Die unweigerlichen Überschneidungen führten dazu, dass ich von HAMMERFALL nur noch die letzte halbe Stunde mitbekam, aber ich finde es wichtig, auch die kleineren Bands zu supporten, statt den Headlinern immer den Vorzug zu geben. Natürlich machen die altgedienten Schweden immer eine tolle Show, aber eine Perle wie CELLAR DARLING auszulassen, die nun wahrlich nicht immer auf Wacken anzutreffen ist, kam einfach nicht in Frage. Einen “Vorteil” hat ein spätes Auftauchen natürlich: Man bekommt die großen Hits wie am Fließband serviert. So konnte ich auf dem brechend vollen Infield noch inbrünstig “Let the hammer FALL” mitsingen und natürlich auch “Hearts On Fire”, das sich im Zugabenblock befand.

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Fotos: Sven Bähr

Es war nur ein kurzer Fußmarsch ostwärts zur Louder Stage, was auch geographisch gut passte, denn von Schweden ging es nun nach Finnland zu den legendären AMORPHIS. Auf der Hauptbühne schloss sich derweil die Thrash-Institution KREATOR an, die ein sehr ausgewogenes Set aus fast allen Alben präsentierte. Bedingt durch die Abwesenheit von KREATORS üblichem “Wacken-Gegenspieler” AVANTASIA gab es leider 2023 kein unterhaltsames Wortgefecht zwischen Tobias Sammet und den KREATOR-Fans. Mille Petrozza und seine Mannen zerlegten die Harder-Stage und machten dem Namen alle Ehre. Mir war allerdings mehr nach etwas Melodischem. Was AMORPHIS angeht: Man muss diese Band in der Dunkelheit sehen, erst dann entfalten die melancholischen Hymnen ihr volles Potenzial. 22:00 Uhr bis 23:30 Uhr war für die Verhältnisse von AMORPHIS sogar ein relativ früher Slot. Seit über 30 Jahren begeistert diese Truppe nun schon mit progressivem Metal, der Klargesang und Growling zu einer perfekten Einheit zusammenschmiedet und deren unverwechselbare Signatur auch starke Einflüsse von traditioneller finnischer Musik enthält. Angefangen bei “Northwards” vom aktuellen Album nahmen Tomi Joutsen und seine Mannen uns mit auf eine wundervolle Reise, die auch Abstecher in das “Land Of Thousand Lakes” mit “Into Hiding” und “Black Winter Day” enthielt. “You fucking kick some ass!”,zollte Tomi dem Support der Menge Tribut. “The next song is about wandering around”, leitete er dann zu “Wrong Direction” über. “Have you heard about an album called Halo?”, stellte der Fronter eine rhetorische Frage und erhielt die passende Antwort. “It is a decent album I think so maybe we should play a song from it”, gab sich der Sänger bescheiden und kündigte so “On The Dark Waters” an. Mit “The Bee” gab es am Ende auch noch eine Zugabe, nachdem das Publikum noch mit einem “It was a fucking honour to play for you, beautiful people of Wacken” geehrt worden war. Für mich war das AMORPHIS-Konzert der Höhepunkt des Tages. Die Band schafft es einfach immer, eine wunderbar intensive Stimmung zu erzeugen, was auch an der exzellenten Lichtshow liegt. Die Stimme von Tomi Joutsen, mal sanft, mal hart und die abwechslungsreichen Klänge versetzen einen ins wilde Finnland. Aber der Tag war noch nicht vorbei, es gab ja auch noch einen heimischen Headliner!

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Fotos: Sven Bähr

Man kann schon verdammt stolz auf HELLOWEEN sein. Sie sind das beste Aushängeschild, was man sich für den deutschen Metal wünschen kann – neben BLIND GUARDIAN natürlich (die kommen nächstes Jahr!). Die Wacken-Gemeinde war nahezu vollständig vor der Faster und Harder Stage versammelt. Nun merkte man durchaus die Abwesenheit der knapp 25.000 nicht zugelassenen Wackengängern, denn an den Seiten war noch einiges an Platz. Trotzdem war die Stimmung erwartungsgemäß grandios, als Michael Kiske und Co. die Bühne stürmten. Natürlich war auch die Bühnendekoration wieder entsprechend gestaltet, u.a. mit einem riesigen leuchtenden Kürbis, über dem das Drumkit von Dani Löble aufgebaut war. Die Show begann mit dem Intro der “United Forces”-Tour auf dem LED-Bildschirm und entsprechenden Animationen des “Keepers of the seven keys”, bevor das Set mit Gesang von Michael Kiske und Andi Deris und der zwölfminütigen Single “Skyfall” fulminant startete. Die Wiedervereinigung der verschiedenen HELLOWEEN-Mitglieder vor einigen Jahren stellt schon etwas Besonderes da. Gerade bei den Sängern verschiedener Epochen gibt es normalerweise kein einträchtiges Miteinander, sondern starkes Konkurrenzdenken. Hier ist es allerdings gelungen, Kiske und Deris zusammenzubringen und das Ergebnis ist wohl das stärkste HELLOWEEN aller Zeiten. In der Vergangenheit ging es nicht ganz so harmonisch bei der Band zu, aber sie raufen sich nun mittlerweile zusammen und davon können sich manche Kollegen eine Scheibe abschneiden. Andy Deris forderte für den Song “Mass Pollution” tatkräftigen Support vom Publikum für die Textstelle “Make some noise” an und bekam ihn natürlich. Für “Future World” übernahm Michael Kiske wieder das Szepter. Und so führte die Speerspitze des deutschen Power Metals uns durch einen lauschigen Abend, der unter anderem ein Medley aus “Metal Invaders”, “Victim Of Fate”, “Gorgar” und “Ride The Sky” sowie Solos von Sascha Gerstner und Dani Löble enthielt. Auch der Titelsong des legendären “Keeper Of The Seven Keys”-Albums kam natürlich zur Aufführung , genauso wie das ikonische “I Want Out”. Ein würdiges Metal-Finale für den zweiten Wacken-Tag.

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