Wenn der Schweiß von der Decke tropft – SPIRITBOX, MOTIONLESS IN WHITE & INVISIONS in Hannover

Am vergangenen Mittwoch (14.06.2023) gastierten die beiden Metalcore Bands SPIRITBOX und MOTIONLESS IN WHITE im Zuge ihrer auf zwei Daten in Deutschland begrenzten Co-Headliner-Tour im Capitol in Hannover. Als Support mit von der Partie: Die aus York in England stammenden Herren von INVISIONS.
Kurz zuvor hatten die beiden Headliner des Abends bereits Rock am Ring und Rock im Park bespielt – das mit 1.600 Zuschauern ausverkaufte Capitol wirkte damit zunächst weitaus beschaulicher.
Dennoch hatten die anwesenden Fans genug Energie für richtigen Rock am Ring-Flair und die Halle verwandelte sich bereits während der ersten Töne von INVISIONS bis hoch zum Balkon in eine heiße Moshpit-Sauna.
Eingeleitet wurde das 30-Minuten dauernde, mit Power beladene Set der Engländer mit dem ersten Track des „Deadlock“-Albums „The 669“ – und damit direkt mit einem absolut treibenden Song, der bereits erste zaghafte Bewegungen ins Publikum brachte. Da Frontmann Ben Ville die Kürze des Abends für seine Band bewusst war, wurden alle direkt aufgefordert, sich aktiv für mehr Bewegung im Publikum einzusetzen. „I need a little more movement in the crowd. Don’t be afraid. This is a safe space.”
Mit “Annihilst” folgte dann auch sogleich ein Song, der mit melodischeren Parts Spielraum zum Tanzen oder auch einfach nur Ausrasten ließ. Der erste richtige Moshpit ließ dennoch noch bis „Gold Blooded“ auf sich warten. Und sogleich heizte sich die Halle gefühlt um weitere 20 Grad auf und keiner der headbangenden Köpfe blieb ohne Schweißperlen. Auch die Band wirbelte unentwegt über die Bühne. Scheinbar mühelos growlte sich Ben Ville von der linken zur rechten Seite, ohne dabei Müdigkeitserscheinungen zu zeigen, eher im Gegenteil: Man sah der Band an, wie mit jedem Song die Freude an der Performance wuchs. Auf „DVPE“ folgte mit „Deadlock“ der Titeltrack des gleichnamigen Albums, von welchem auch die meisten der sieben Songs an diesem Abend stammten.
Mit „Inertia“ schlug die Band dann als vorletzten Song einmal ruhigere Töne an und bat zeitgleich das Publikum, dazu doch die Handytaschenlampen zu erheben. Diese ließen sich nicht lange bitten und verwandelten so die Location in ein Lichtermeer.
Den Abschluss bildete dann der ebenfalls von „Deadlock“ stammende Track „Fall With Me“. Unter tosendem Applaus und sogar Zugabe-Rufen verabschiedeten sich dann die vier Musiker mit dem Hinweis, dass kein Zeitfenster für eine Zugabe sei, um die Bühne für MOTIONLESS IN WHITE zu räumen.

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Fotos: Mirco Wenzel

Nach einem kurzen, an „Cyberhex“ angelehnten elektronischen Intro erklangen beim ersten Headliner des Abends bereits wohl bekannte zunächst ruhigere Töne, bevor der Titelsong des gleichnamigen Albums „Disguise“ von Minute eins an das Publikum zum lauten Mitsingen verleitete. Hier musste nicht erst zum Moshen aufgerufen werden und auch die ersten Crowdsurfer des Abends ließen sich bereits zu Beginn auf Händen über das Publikum tragen – viele Weitere sollten folgen.
Mit „Sign Of Life“ war der zweite Song bereits der erste vom aktuellen Album „Scoring The End Of The World“ . Wer jetzt allerdings erwartete, dass die 5-köpfige Band um Sänger Chris „Motionless“ Cerulli sanftere Töne anschlagen würde, lag falsch. „When I give you a HELL, you give me a YEAH. HELL YEAH! This is the title track of our most recent album. Here is “Scoring The End Of The World!”
Die tobende, sehr verschwitzte Menge ließ sich nicht lange bitten und gab auch während des dritten Songs des Abends alles. Hier und da mussten Leute bereits wegen Überhitzung und Kreislaufproblemen aus dem Publikum gezogen werden.
Mit „Thoughts And Prayers“ folgte sogleich der nächste bekanntere Track von MOTIONLESS IN WHITE.
In vollkommener Einigkeit kam von allen Anwesenden auf „So when you face the truth“ ein „OPEN YOUR FUCKING EYES“. Es war sehr offensichtlich, dass die Mehrheit der Fans für die Band aus Scranton angereist war. Textsicher waren alle auf jeden Fall. Mit „Break The Cycle“ folgte dann ein Song, der bereits während der gemeinsamen Tour mit BEARTOOTH im März gespielt worden war. Wer Angst hatte, dass die typischen Klassiker der Band fehlen könnten, wurde spätestens im Anschluss daran eines Besseren belehrt. Die Ankündigung von „Voices“ ließ die gesamte Halle in Freudentiraden erbeben.
Zu diesem Song wurden dann auch Flaggen für die LGBTQ+-Bewegung hochgehalten – und Chris nahm diese nur zu gerne mit auf die Bühne. Es folgte im Sturzflug ein Stift, um dem Sänger zu signalisieren, dass das Objekt nicht nur zum Schwenken gedacht war. Und was tut man als Frontmann während eines Songs? Man nimmt das Mikrofon in die andere Hand und unterschreibt mal eben, während man den Chorus gemeinsam mit allen Anwesenden singt. Wie bei der Hitze, die in der Halle vorherrschte, sowohl Sänger Chris als auch Gitarrist Ryan den gesamten Abend in schweren, langärmeligen, teils Leder-Klamotten überlebten ohne komplett zu schmelzen, wird wohl immer ein Rätsel bleiben.
„When I say ‚One Mutilation‘ you say….“ – „Under God!“ antworteten die angereisten Fans bereits bevor der Frontmann den Satz zu Ende bringen konnte. Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, setzte damit dann schon das nächste brachiale Highlight des Abends ein: „Slaughterhouse“.
Spätestens jetzt war von Atemluft in der Halle so gut wie nichts mehr übrig. Der Band schien bewusst zu sein, dass auch Atempausen existieren und so folgte nun der erste tanzbare Song des Abends. Mit Wolfsgeheul, literweise Kunstnebel und der Ansage aus Michael Jacksons „Thriller“ wurde das innere Tier zum Heulen aufgerufen. Es folgte „Werewolf“ inklusive einer kurzen Moonwalk-Einlage von Chris Cerulli. Das performen dieses Songs machte der Band sichtlich mit am meisten Spaß an diesem Abend.
Ohne Umschweife blieb es danach bei ruhigeren Tönen. Alle Saiteninstrumente-Spieler verließen zunächst die Bühne und nur Drummer Vinny Mauro und Sänger Chris “Motionless” verblieben für die ersten melodischen Töne von „Masterpiece“ auf der Bühne. Erst nach und nach kam der Rest mit Einsatz ihrer Instrumente zurück ins Licht und vor die Menge, die gerade bei den ruhigeren Songs mit Crowdsurfern zu kämpfen hatte. „Take good care of each other!“, hieß es dann auch als Appell von der Bühne nur kurze Zeit später.
„Are we all ready for some heavy shit now?!“ Als hätte diese Frage noch gestellt werden müssen an diesem ausverkauften Abend. Es ging schlagartig zurück zu dem was MOTIONLESS IN WHITE am Besten können: Köpfe zum Vor-Und-Zurück-Wippen bringen. Mit „Brand New Numb“ und „Cyberhex“ wurde das Publikum wieder aus der Reserve gelockt. Immer wieder spielte die Band dabei in Form von Mimik und Gestik mit den anwesenden Fans.
Mit einem lautstarken „YOU’RE MINE MOTHERFUCKER!“ wurde dann der letzte Songblock des Abends eingeläutet. „Soft“ stellte einen der härtesten Songs des Abends dar und brachte auch die Leute auf dem Balkon zum Headbangen.
„The next song is already a Motionless-Oldie since it was released nine years ago. Feels fucking weird to say that, but it’s the truth. It is also our last song of the evening.” Bei “Reincarnate” hörte man über den Gesang der Menge hinweg kaum noch den Sänger selbst im Refrain.

Natürlich war damit noch nicht Schluss! Nach einigen Minuten energischen „MOTIONLESS! MOTIONLESS!“-Rufen der tosenden Fans kamen alle fünf erneut mit einem Klassiker zurück auf die Bühne des Capitols. „Another Life“ brachte die Handy-Taschenlampen zum Leuchten und die Tränen ins Gesicht manch eines Fans. Zum tatsächlich letzten Song des Abends waren dann noch einmal die Fang-Fähigkeiten aller mit angereisten Partner gefragt: Warf Chris Cerulli doch echte Rosen zu „Eternally Yours“ in die Hände der ersten Reihen. Unter absolut verdientem Applaus und mit leichter Verbeugung verabschiedeten sich dann alle von der Bühne, um Platz zu machen für den zweiten Headliner des Abends.

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Fotos: Mirco Wenzel

„Rule Of Nines“ bildete an diesem Abend den Einstieg für die Band rund um Sängerin Courtney Laplante, die bereits mit dem ersten Song einen Einblick in Ihre stimmliche Bandbreite geben konnte.
„We are Spiritbox from Vancouver in Canada and we are very happy to be back here in Germany!”
Mit “Hurt You” verlangten die Kanadier auch gleich von den ersten Minuten an vom Publikum vollen Einsatz, der ebenfalls nicht lange auf sich warten ließ.
Die Bühnenpräsenz von Laplante zog auch an diesem Abend wieder alle in ihren Bann.
Das eigentlich als Feature angelegte „Yellowjacket“ konnte auch alleine mit der Stimme der Sängerin vollends überzeugen und beim Refrain war die gesamte Halle bereits in ekstatische Chöre versunken.
Es folgte die neue Single der Band – „The Void“ schlug insgesamt die ersten melodischeren und teils ruhigeren Töne des Abends an.
Mit „Halcyon“ folgte nun bereits der nächste Track aus dem aktuellen Album „Eternal Blue“. Mit treibenden Gitarren und vergleichsweise sanftem Einstieg reihte sich der Track gut nach „The Void“ ein, um den Fans eine Verschnaufpause und Zeit zum Atmen zu geben.
Zur Hälfte des Sets war es dann bei „Circle With Me“ wieder vorbei mit der Ruhe. Immer wieder spielte Courtney dabei sowohl mit dem Publikum, indem sie vor der ersten Reihe tanzend in die Knie ging oder sich an den Gitarristen Mike Stringer oder die Schulter des Bassisten Josh Gilbert anlehnte.
„For the next one I wanna see you all dance.“ Mit „Rotoscope“ wurden von SPIRITBOX Töne angeschlagen, die zu einem Abend im Club an einem Samstag ebenfalls gut gepasst hätten. Das Publikum tat es Laplante gleich und tanzte und feierte dazu ausgelassen. Parallel kamen die Securities kaum noch damit hinterher Wasser zu verteilen. Der Abend hatte definitiv den Zenit der Party-Stimmung erreicht.
„Secret Garden“ läutete wieder eine kurze Pause für die feiernde Menge ein, aber Headbangen funktionierte auch zu sanfteren Klängen.
Zu „Holy Roller“ wurde dann erklärt, dass es im Laufe der Tour bereits einige körperliche Kollateralschäden bei den Bandmitgliedern gegeben hatte: Bassist Gilbert etwa hatte sich den Fuß gebrochen und rotierte am Konzertabend mit Schiene beinahe mühelos über die Bühne. Bei Gitarrist Josh war einer der rechten Finger zwei Tage zuvor nach einem Unfall operiert worden und dennoch bearbeitete dieser auch sein Instrument, als gäbe es keinerlei Beschwerden.
„The next one is about a dear person that I lost, but still love very much“. Die absolut magischen Clear Vocals von Laplante und sanfte Synthie- und Gitarrenklänge füllten zu „Constance“ die Halle und schmeichelten den Ohren der Zuhörer. Definitiv ein Moment des Innehaltens.
Mit „Hysteria“ blieb die Band auch beim vorletzten Song dem melodischen Klangteppich treu, ohne dabei die von den Fans so geliebte Härte zu verlieren. Ruhe finden und Eskalation gingen bei SPIRITBOX den gesamten Abend in perfekter Harmonie Hand in Hand.
Den Abschluss bildete schließlich nach gut 1,5h der Titeltrack des aktuellen Albums und der zuletzt gespielten US-Tour „Eternal Blue“. Mit einer tiefen Verbeugung und einem Luftkuss verabschiedete sich Courtney im Anschluss sichtlich strahlend mit ihren Bandkollegen von der Bühne.
Beide Headliner hatten an diesem Abend trotz der Tatsache, dass MOTIONLESS IN WHITE 15 Songs und SPIRITBOX insgesamt 12 Songs gespielt hatten, ungefähr die gleiche Bühnenzeit und auch die Begeisterung und der Applaus ließ keine Rückschlüsse zu, dass eine der beiden Bands weniger durch das Publikum gefeiert worden wäre.
SPIRITBOX verschlägt es am 20.06.2023 nun noch einmal gemeinsam mit INVISIONS und UNPROCESSED nach Münster in den Skaters Palace, wohingegen MOTIONLESS IN WHITE-Fans nun auf unbestimmte Zeit auf neue Deutschland-Termine warten müssen. Wie bereits bekannt ist, wird die Band 2024 ins Studio zurückkehren und nach ausgiebiger US-Tour und eigenem Festival die Ruhe nach dem Jahr 2023 wohl auch gut gebrauchen können.

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Fotos: Mirco Wenzel