Neuroticfish im Interview – “Let me show you what it’s all about…”
Vor ihrem Heimspiel 5.0 im Oberhausener Kulttempel nahmen sich Sascha Klein und Henning Verlage Zeit für uns. Lehnt euch zurück und taucht mit uns in die Welt von NEUROTICFISH ein:
Wie kam es dazu, euren Hit „Velocity“ nochmal neu aufzulegen?
Sascha: Es war für das Heimspiel 2020 gedacht. Da hatten wir die Idee, mal wieder etwas anzugehen. Zu dem Zeitpunkt hatten wir noch kein Album in der Mache. Das ist erst jetzt soweit. „Velocity“ ist in dem Jahr 20 Jahre alt geworden, da will man nochmal was machen. Dann habe ich angefangen, die neue Version zu bauen und habe alle befreundeten Bands gefragt, ob sie nicht mal mitmachen wollten. Dabei ist dann SOLITARY EXPERIMENTS herausgekommen, dazu ASSEMBLAGE 23. FADERHEAD habe ich gefragt, er hatte auch Bock drauf und dann folgte Fabricio Viscardi von [AESTHETISCHE] aus Brasilien, mit dem ich ständig Remixe und Beats tausche. Es hat richtig Spaß gemacht, die Nummer einfach nochmal neu zu denken. Wie würden wir sie heute machen? Wir würden sie genauso machen, wie wir die „Velocity N20“ Version gemacht haben.
Henning: Also eigentlich auch ein soundliches Update. Das wurde vielleicht nach 20 Jahren auch einfach mal Zeit.
Sascha: Ich hab den Song damals mit Olaf Wollschläger in seinem Studio in Neuss gemacht. Das war eine tolle Sache. Nach „No Instruments“ war es das erste Mal, dass ich mich auch wirklich mit Produktion beschäftigt habe. Henning war noch gar nicht dabei. Er kam erst 2001/2002 dazu. Und tatsächlich sind die Hörgewohnheiten ja auch anders. Die Leute hören es ja vorwiegend über Streaming, über Kopfhörer, wenn es nicht im Club läuft. Und da klang die alte Version einfach nicht UpToDate. Da ich die alten Gesangsspuren aus dem Jahr 2000 noch habe – ich habe es nicht neu eingesungen – habe die alten Bänder herausgesucht, diese digitalisiert und dann haben wir es neu gemacht. Ich hätte nie damit gerechnet, dass es nach vorne geht und nochmal die DAC Charts climbed. Ich dachte, die Leute hätten die Schnauze voll von der Nummer, weil sie die seit 20 Jahren im Club hören. Und plötzlich geht das Ding wieder auf die Eins! Ich habe Henning angerufen und gefragt, ob er das gesehen hat.
Henning: Es ist ja auch manchmal eine Gefahr, wenn man ein Re-Release macht. Dass alle so sehr an der alten Version hängen und die neue dann nur dagegen verlieren kann. Das ist hier Gott sei Dank nicht passiert.
Sascha: Wir wollten die alte Version ja nicht damit invalidieren. Sie sollte erkennbar bleiben. Eine ganz neue Klangfarbe sollte man auf einem Release draufhaben. Wie z.B. beim Remix von [AESTHETISCHE]. Der ist ganz verschachtelt und intensiv. Wir haben gesagt, bei der N20 Version halten wir uns so nah wie möglich am Original, heben es aber in die jetzige Zeit. Das hat Spaß gemacht. Als ob ein alter Freund nochmal zu Besuch kommt.
Sascha, du trägst auf der Bühne gerne Karohemden. Ob du heute eins trägst, weiß ich allerdings nicht. Handelt es sich hier um ein Stage Outfit, oder trägst du die Hemden auch gerne privat? Wieviele davon hast du in deinem Schrank hängen?
Die trage ich jetzt schon länger nicht mehr. Ich habe tatsächlich nur drei oder vier. Das war zu der Zeit geboren, als wir nach unserer Auszeit wieder auf die Bühne gegangen sind. Wir wollten uns optisch ein bisschen abheben. Wenn wir uns die Bands in der Szene angucken, sind meistens alle schwarz gekleidet. Ganz klassisch, was ich aber nie an mir gesehen habe. Ich bin auch ein Goth aus den 90ern. Damals bin ich auch noch in Lederhosen, langen Hemden und allem herumgelaufen. Ich hatte die Haare an der Seite abrasiert. Aber wir wollten uns dann optisch davon absetzen. Weil unsere Musik auch ein Stück weit anders ist. Die ist immer an der Grenze zu Gothic/EBM/Trance/Dance/Synthiepop. Dementsprechend habe ich gesagt, warum nehmen wir nicht einfach ein Karohemd? Ich habe in den Nuller Jahren nicht nur Karohemden getragen, sondern auf Bühne waren es sogar Hawaiihemden. Einfach um diesen Kontrast zu erzielen, dass die Leute sich wundern. „Hä? Wie läuft er denn auf der Bühne herum?“. Schon hast du die Aufmerksamkeit und die brauchst du für eine Show. Das ist auch so ein Stück weit… aus der Tagesrolle aussteigen, in die Bühnenrolle oder Bühnenpersona hinein, und wieder heraus. Mittlerweile trage ich das Karohemd nicht mehr. Zuerst hatte ich ein rotes Karohemd, dann ein blaues, zuletzt ein graues. Jetzt habe ich nur einen etwas längeren Cardigan auf der Bühne an und damit fühle ich mich einfach wohler.
Henning, jetzt trägst du die Karohemden!
Henning: Ich darf die auftragen, wie der jüngere Bruder!
War Neuroticfish deine erste Band oder hattest du vorher bereits eine andere?
Sascha: Ich hatte davor eine Gothic Band, die sich total an DEINE LAKAIEN orientiert hat. Wir wollten gerne so sein. Da habe ich aber nicht gesungen, sondern mein Part waren das Keyboard und die Produktion. Wir hatten auch ein Release auf einem kleinen Dortmunder Label. Das war, sagen wir mal, mäßig erfolgreich und dann ist man aber in den 90ern auseinandergegangen. Dann habe ich alleine für mich weitergemacht und der Name NEUROTICFISH existierte da schon – für etwas härtere Elektronik, es war etwas düsterer, SKINNY PUPPY-mäßig. Da habe ich auch nur geshoutet. Als das dann mit der anderen Band auseinanderging meinte ich zu meiner Freundin und jetzigen Frau „Jetzt muss ich mir einen anderen Sänger suchen!“ Und sie meinte “Nee, dann shoute doch mal nicht und sing einfach mal.” Das habe ich ausprobiert und dabei kam „Black Again“, als erste Nummer heraus. Daran habe ich dann Spaß gefunden und daraus ist später „No Instruments“ entstanden. Es war tatsächlich eine Initialzündung. Als die andere Band zu Ende war, musste ich weitermachen und daraus ist NEUROTICFISH entstanden. Davor habe ich natürlich auch in Kirchenbands und so gespielt, wie man das so macht. Henning hatte auch zig Bands, bevor er bei NEUROTICFISH dazugestoßen ist. Aber nichts, was irgendwie Erfolg gehabt hätte. Der Erfolg kam dann tatsächlich mit NEUROTICFISH.
Wann hast du gemerkt, dass du singen kannst? Du hast eine sehr besondere Stimme, mit der du unheimlich viele Menschen abholst und berührst. Gab es da einen besonderen Moment?
Sascha: Ich mache seit meiner frühesten Kindheit Musik. Mein Vater war in den 60er Jahren Rockmusiker, ist dann mit den LORDS und so herumgezogen, die haben 60ies Beatmusik gemacht. Davon habe ich sehr viel mitgekriegt. Er hatte einen Probekeller und da war ich immer als Kind dabei und habe auch immer mitgesungen – auch diese ganzen ROLLING STONES Lieder. Bis er mir eine Orgel gekauft hat und dann durfte ich auch mitspielen. Dadurch habe ich immer ein bisschen gesungen. Wenn ich zu Hause ganz alleine bin und gerade die Küche putze oder etwas koche und da läuft gerade irgendein Song im Radio – den sing ich mit. Es ist egal, ob es BRITNEY SPEARS mit „Baby One More Time“ ist oder was auch immer. Ich singe das immer mit. Ich singe halt gerne und hab Spaß daran. Es ist auch meistens nicht gut, wenn ich mitsinge. Ich muss ja keinen damit bespaßen, also singe ich dann auch mal schief. Aber so eine richtige Initialzündung gab es nicht. Heute beim Soundcheck habe ich gelernt…
Heute sogar? Nach all den Jahren?
Sascha: Ich war ja lange Zeit krank und konnte nicht singen. Es ging überhaupt nicht. Als ich hierhin gefahren bin, hatte ich wahnsinnige Panik, ob das noch funktioniert. Gerade habe ich mich dann hingestellt, wir haben ein paar Songs gespielt und ich habe gemerkt, ok das geht. Und es geht sogar besser als vor meiner Krankheit, wesentlich besser. Zumindest vom inneren Gefühl. Ob es nun draußen so klingt, wie ich mich fühle, weiß ich nicht. Aber das war eine richtige Erleichterung. Es war an einer Scheidegrenze, an der ich gesagt hätte “Kann ich in meinem Leben je wieder singen?“ So schlimm war es. Nun ist alles wieder ok. Jetzt sitzen wir zum Glück wieder hier und haben ein Heimspiel.
Kannst du dich an dein erstes Neuroticfish Konzert erinnern? Erzähl uns gerne davon.
Sascha: Ja! Sehr gerne. Das war im Jahre ’99 auf einem Festival in Arnheim. DAS ICH waren Headliner und wir waren eine ganz kleine Vorband. Wobei wir – damals gab es kein wir, das war ich alleine. Ich hatte meinen damaligen Manager dabei und Sven Plaggemeier, der die deutsche Depeche Mode Seite aufgebaut hat. Mit ihm war ich befreundet. Ich wusste, dass er Keyboards spielt, und dann hab ich ihn gefragt, ob er den Keyboarder machen würde. Er meinte „Ja, gib mir die Tracks, ich übe ein bisschen und dann machen wir das.“ Wir wussten beide nicht, worauf wir uns eingelassen haben. Dann sind wir auf die Bühne gegangen. Ich hab das erste Mal in meinem Leben auf einer professionellen Bühne gestanden und bin sofort ausgerutscht! JÄGER 90 waren vor uns dran und haben die Bühne mit irgendetwas getränkt. Ich bin direkt beim ersten Track ausgerutscht. Dann dachte ich‚ ‘ok, jetzt kann nichts mehr schiefgehen. Mehr kann nicht mehr passieren.‘ Das war so der Initiationsritus, sag ich mal. Da standen glaube ich zehn Leute vor der Bühne, die uns nicht wirklich wahrgenommen haben. Danach hatten wir dann die „Pleasure & Pain“ Tour zusammen mit S.P.O.C.K. und MELOTRON. Da waren wir auch nur Aufwärmer, konnten aber bei zehn Gigs ein paar Erfahrungen sammeln.
Henning: In der Konstellation habe ich euch gesehen.
Sascha: Dann hast du dir gedacht DA möchte ich stehen.
Henning: Ich fand es super. Glaub, ich wurde da auch schon mit Hintergedanken hingeschleppt.
Sascha: Für mich habe ich jedenfalls gelernt, keine Touren zu machen. Das schaffe ich nicht. Ich bin gesundheitlich nicht in der Lage, zehn Gigs in zwei Wochen zu machen. Danach bin ich krank.
Von euch ist man es gewohnt, dass ihr einzelne Gigs gspielt, das ist doch ok?
Sascha: Aber es wird viel gefragt. Wann kommt ihr auf Tour? Ich habe sehr viele Anfragen für eine USA Tournee usw. das geht einfach gar nicht. Wir haben beide Hauptberufe, die uns voll ausfüllen. Das heißt, NEUROTICFISH spielt sich in unserer Nebenzeit ab. Da müsste ich meinem Chef sagen, dass ich jetzt mal einen Monat lang nicht mehr komme, weil ich auf einer USA Tournee bin. Das würde er auch nicht mitmachen. Der Luxus von NEUROTICFISH ist einfach, dass wir komplett independent von allem sind. Wir haben unser eigenes Label, machen alles selbst, bis zum Pressen. Da haben wir ein befreundetes Presswerk, das unsere Sachen presst. Der Vertrieb geht über Neuwerk. Es ist alles sehr familiär und macht uns relativ unabhängig vom Rest der Welt. Das ist ein Luxus, den wir uns gönnen. Deswegen ist die Musik, die wir machen auch wie sie ist. Weil wir uns nicht an irgendwelche Geschmäcker anpassen müssen, an keine Trends, etc., sondern wir machen das, was uns gefällt und wovon wir glauben, dass es den Leuten gefällt.
Wenn ihr an den gesamten Zeitraum denkt, seitdem NEUROTICFISH bestehen, was waren eure zwei absoluten Highlights?
Henning: Direkt der Start. Wir waren vor den Anschlägen in New York. Da stand das World Trade Center noch.
Sascha: Das Video, das heute zu „How To Suffer“ läuft, ist aus der Zeit. Da sind wir durch New York gegangen und haben eine Videokamera dabei gehabt. Das Videomaterial ist so zerstört, weil die Videokassette so alt war. Ich hab es digitalisiert. Man sieht nur noch Glitches und alles ist kaputt, aber ich fand die Ästhetik halt so schön.
Henning: Das war glaube ich unser Einstieg. Dort sind wir direkt auf Tour gegangen. Das war ein Highlight.
Sascha: Das war in vielen Dingen ein Highlight, weil es alles sehr hemdsärmelig war und nichts funktioniert hatte. In Orlando ist uns die komplette Technik ausgefallen. Das war Rock`n`Roll pur. Und wir beiden total naiven Vollidioten werden da von Gig zu Gig gezerrt, bis es nicht mehr ging. Ich war dann auch froh, als ich wieder zu Hause war. Das war lebensprägend. Da haben wir uns beide angeguckt und gesagt: „Ok, das brauchen wir auch nicht mehr.“ Was mich angeht, ich war 2019 in Kanada auf dem Terminus Festival. Henning war leider nicht dabei. Dafür hat Daniel Myer von HAUJOBB die Keyboards übernommen, weil diese neben COVENANT auch da waren. Ich war kurz davor zu sagen „Ich bleib jetzt hier.“ Kanada finde ich von der Landschaft und von den Leuten her wahnsinnig toll. Ich war in Calgary, in Victoria (British Columbia), herrlich! Ich lieb das da. Es ist ganz toll. Wir haben uns ein Auto gemietet, sind in die Berge gefahren, haben uns einen glasklaren See angeguckt und das Festival war auch sehr hemdsärmelig. Aber es rockte auch richtig gut. Es war wirklich schön. Ja und unser erstes WGT zusammen. Das war 2001. Ich war in einem Polyester Flammenhemd auf der Bühne, das ich Backstage noch versucht habe zu bügeln. Und dieses Polyester klebte dann an dem Teppich fest! Das Hemd war knuddelig, kam aus dem Koffer und ich dachte, jetzt lege ich dich eben auf den Teppich und bügel dich und dann bügel ich das am Teppich fest. Das kann man, glaub ich, auch noch auf Videoaufnahmen sehen. Wir haben damals in der Agra Halle gespielt. Dann stehen wir da auf der Bühne. Ich weiß gar nicht, wieviele tausend Leute dort waren und ich stand da natürlich in meinem Hemd. Und ich sehe, wie meine damalige Freundin – jetzige Frau – mit einem Bierchen in der Hand im Publikum steht, und hinter ihr steht Jean-Luc De Meyer (FRONT 242). Und ich rufe zum Publikum heraus: „EBM is deaaaaaaaad.“ Und Jean-Luc De Meyer nimmt die Hände samt seinem Bier hoch und ich dachte, ‘Ja! Alles richtig gemacht.’ Sehr viele Jahre später haben wir Jean-Luc auch mal persönlich kennengelernt und haben eine leichte Freundschaft entwickelt. Er findet das auch immer lustig, wenn ich mit „EBM is dead“ ankomme. Tatsächlich ist es immer noch kontrovers. Wir haben jetzt ein T-Shirt gemacht und da fühlen sich Leute persönlich direkt angegriffen, obwohl ich das als Diskussionsbeitrag nehme.
Ich werde dazu übrigens keine Frage stellen
Sascha: Da können wir stundenlang drüber diskutieren, gerne.
Henning, würdest du im nächsten Leben erneut Musikproduzent werden?
Henning: Doch, wahrscheinlich würde ich es genauso nochmal machen, obwohl ich immer sage “Boah, im nächsten Leben werde ich etwas Anständiges.” Das hat auch immer den ernsten Hintergrund, weil man sich dieser Musiksache wirklich komplett verschreibt. Mit seinem Leben und seinem Herzen. Man muss das dann einfach so bedingungslos durchziehen und machen, weil es einfach sehr viel Zeit frisst, man sehr viel Herzblut reinsteckt und es auf gar keinen Fall ein ‘Nine to Five’-Job ist. Manchmal wünscht man sich ja das Gegenteil. Das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner. Und manchmal denkt man sich dann ach, ich hätte auch gerne ein normales Wochenende und würde das vielleicht mit mehr Abstand betrachten können, als wenn man da ständig drinhängt. Aber, wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, kann ich mir auch nichts anderes vorstellen. Also ich würde es wieder so tun.
Sascha: Du hast ja auch noch das Glück, dass du ein ziemlich erfolgreicher Musikproduzent bist.
Henning: Aber auch das kann man nicht planen. Wenn man das nur darauf ausrichten würde, wäre das glaube ich auch der der verkehrte Ansatz. Man muss es halt einfach gut finden und wollen. Von daher ja, ich würd es genauso nochmal machen… und weiter drüber schimpfen.
Hört ihr privat viel Musik? Wenn ja, was z.B.?
Henning: Nein.
Sascha: Ich höre sehr viel Musik. Im Moment habe ich für mich den Retro Wave entdeckt.
Henning: Das ist schon wieder ein alter Hut!
Sascha: Ja ich weiß, ich bin auch nicht immer aktuell. Das heißt, aktuelle Popmusik geht komplett an mir vorbei. Ich habe es schon lange aufgegeben, mich da reinzuhören. Ich suche mir immer etwas und fange dann an, mir über Spotify oder irgendwelche Streaming Plattformen eine kleine Playlist mit fünf Tracks zu machen, die ich interessant finde. Dann schlägt einem der Algorithmus ja Sachen vor und da gehe ich dann auch mal durch. Berlin Techno habe ich für mich entdeckt, deshalb ist auch „Sleep“ entstanden, weil ich mich damit sehr intensiv auseinandergesetzt habe und ich dachte, das willst du auch mal machen, da hast du richtig Bock drauf. Vielleicht entstehen da auch noch mehr Tracks zu. Das macht gerade richtig Spaß. Und dieser Retro Wave, der mehr 80ies ist, als es die 80ies selbst waren. Im Moment mag ich THE ANIX. Die gehen ein bisschen in die Grunge Richtung hinein, die machen elektronischen Grunge. Der Brandon ist großartig darin. Dann gibt es noch so etwas wie ESSENGER. Das ist dann sehr in diesem Synthie Gewaber, sehr 80ies und amerikanisch. Dann kann ich mir im Moment sehr gut Industrial von HEALTH anhören, oder auch MORIS BLAK. Aber das wechselt bei mir auch. Was wirklich klassisch szeneclubmäßig gehört wird, weiß ich tatsächlich nicht, weil ich recht wenig im Club bin. Da habe ich fast keine Zeit für. Dementsprechend suche ich mir dann meine eigenen Inspirationsquellen. ROBOT KOCH ist auch ein sehr toller Ambient Künstler. Den höre ich auch sehr gerne, auch wenn er mit Dehlia de France zusammenarbeitet und er ganz sphärische, technoide Songs macht. Und die Sachen von Christoph Schauer von CYTO höre ich auch besonders gerne. Nicht nur, weil wir befreundet sind. Er macht ja auch Filmmusik und das interessiert mich gerade fachlich auch sehr. Das ist ein Thema in das ich mich gerne reinarbeiten möchte, weil ich das spannend finde. Henning, dir muss ich immer Playlists machen.
Henning: Genau, er ist da für mich so eine Art musikalischer Redakteur, der stöbert, sucht und spezielle Sachen findet. Ich finde es immer toll, wenn er mir Playlists rüberschickt, die meinen Horizont erweitern. Ansonsten muss ich mich ja eh immer mit allem beschäftigen und höre mir die ganzen „New Music“ Friday-Listen und alles immer an, um auf dem Laufenden zu bleiben. Wenn ich aber meinen Rechner ausmache, bin ich ganz froh, dass es einfach ruhig ist.
Sascha: Bei mir ist es so, wenn ich von der Arbeit komme und etwas Zeit habe, setzte ich mich an den Rechner, höre ein bisschen Musik oder fange an selbst Beats zu schrauben. Das ist mein Eskapismus. NEUROTICFISH ist ein Stück Eskapismus für mich. Dann mache ich halt Henning die Playlists fertig. “Guck mal, ich hab das gefunden, hör da mal rein, ich hab dir drei Demos gemacht” und dann kommt auch von ihm zurück – ganz Musikproduzent – „Das ist ein Hit und das nicht. Das könnte ‘ne Single werden.“ “Nee das ist zu cheesy.” „Ja eben drum.“ Wir streiten uns nicht wirklich, aber wir diskutieren dann immer ganz intensiv, in welche Richtung wir produzieren wollen und das finde ich immer ganz spannend. So nehme ich Musik wahr. Früher war das oft im Club der Fall. Man hört was und denkt, cool. Aber das ist ja leider nicht mehr so. ich bin auch über fünfzig, also…
Also hast du während des Lockdowns auch keine DJ Streams gehört?
Sascha: Doch, zwischendurch höre ich Streams von „I Die, You Die“ aus Kanada. Die beiden habe ich in Calgary kennengelernt. Deren Expertise, was der neueste heiße Scheiß ist, finde ich sehr cool, weil die auch viel ausgraben und sie setzen die ganzen Bandcamp Links auf ihre Webseite. Man hört dann da rein und denkt sich, ‘ok, das ist der neueste…?’ Ok, kann man mal reinhören. Wenn ich klassische Szenemusik hören will, höre ich mal „Communion After Dark“. Die hatten letztens eine Sendung gemacht, in der sie über die neue „Velocity“ Single geredet haben. Darin haben sie gerätselt, wofür das „N20“ steht. Fand ich nett und sie hätten ja mal fragen können. Aber sie haben da spekuliert, das ist das 20-jährige Jubiläum von NEUROTICFISH. Nein ist es nicht, sondern von „Velocity“, aber leider zwei Jahre zu spät. Ich wollte es jetzt nicht „N22“ nennen, das wäre doof gewesen.
Besucht ihr Konzerte?
Sascha: Ja, im Moment wenig, pandemiebedingt. Aber vor der Pandemie bin ich sehr gerne zu THE NATIONAL oder den EDITORS gegangen. Das ist relativ szeneunabhängig und eher im Rockmusik- oder im Britpop-Bereich. Ich wäre auch echt gerne zu SUEDE gegangen. An solchen Sachen habe ich viel Spaß.
Henning, du wirst vermutlich von deinen Bands eingeladen, die du produziert hast?
Henning: Genau, „komm doch mal vorbei“ und dann mache ich das auch gerne. Aber da ist es ähnlich wie dem Musikhören. Wenn ich tatsächlich mal Freizeit habe, mag ich es einfach, da zu sitzen. Ansonsten bin ich natürlich viel unterwegs und gucke mir das alles an, aber eben meistens, weil es eben mit mir zutun hat. Weil wir eh zusammen arbeiten oder mal zusammen arbeiten wollen und ich mir mal was anschauen will, um zu gucken, wie wird es da gemacht? Es hat also immer den musikalischen und technischen Aspekt.
Gibt es einen Song von Neuroticfish, den ihr nicht mehr hören könnt?
Henning: Ja. Meinen wir den Gleichen? Fängt mit „P“ an? „Prositute“.
Sascha: Ach ja, die Nummer haben wir mit José gemacht. Er ist vor ein paar Jahren verstorben. Bei mir ist es etwas anderes: „They’re Coming To Take Me Away”. Ich kann ihn nicht mehr hören.
Oh nein, ausgerechnet der Track?
Sascha: Wir werden ihn heute auch nicht spielen.
Henning: Ich habe ihn heimlich hinten mit drangepackt. Er steht nicht auf der Liste, aber es wird nachgefragt.
Sascha: Sollen wir den noch machen? Nach der Nummer brauch ich ein Sauerstoffzelt, weil mich der Stakkato Gesang regelmäßig fertigmacht. Als der Song 2005 herauskam, ist der so eingeschlagen – besonders in den USA. Es ist ja ne Coverversion von dem DR. DEMENTO mit seiner „Radio Show“. Und selbst das war eine Coverversion von dem Originalsong aus dem Jahr 1964 von NAPOLEON XIV. Die Platte habe ich im Plattenschrank meines Vaters gefunden und fand die SO absurd dämlich, dass ich mir gesagt hab, Henning, da müssen wir mal was machen!
Henning: Und dann haben wir die Nummer hochgezogen.
Sascha: Und seitdem verfolgt die mich, ernsthaft. Es gibt noch andere NEUROTICFISH Songs, die ich nicht mehr so gerne habe, weil die in gewissen Phasen entstanden sind, in denen es mir vielleicht auch nicht so gut ging. Und wenn man die spielt, kommt man auch ein bisschen in die Phase hinein. Tasächlich konnte ich jahrelang „Suffocating Right“ nicht spielen. Das war das Lieblingslied meines Vaters und er ist 2016 verstorben. Dann haben wir das über zwei Jahre lang nicht mehr gespielt. Irgendwann, ich glaub beim Heimspiel 2018 ging es wieder. Ich kann mich nicht hinsetzen und sagen ich schreib jetzt einen Song. Ich setze mich hin, wenn mich eine Inspiration kickt. Wenn ich über etwas reden will, schreibe ich das in Textfragmente rein und daraus entstehen die Lyrics. Die sind meistens sehr ambivalent, oft auch in Bildern gesprochen. Und da muss ich ehrlich sagen, die haben auch alle eine besondere Bedeutung für mich. Viele Lieder handeln von Personen, denen ich begegnet bin, von Dingen, die mich beschäftigen. Vielleicht sozial oder vieles hat auch mit Angst zutun, weil NEUROTICFISH handelt immer von Angst. Das ist das Grundkonzept, das sich bei uns immer durchzieht. Und ich setze mich mit dem Thema auseinander. Wenn ich etwas über Leute höre, die bestimmte Ängste haben, Klaustrophobien oder was auch immer. Dann versuche ich mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, weil es mich interessiert. Ich versuche mich künstlerisch in die Lage zu versetzen. Ob ich es schaffe, weiß ich nicht. Manche Dinge entstehen auch daraus, wie ich mich fühle und deswegen gibt es Songs, die ich dann zu einer bestimmten Zeit meines Lebens nicht mehr spielen möchte, aber irgendwann kommt die Zeit auch wieder. Im Moment habe ich aber keinen Song, wo ich sage, da hätte ich überhaupt keinen Bock drauf.
Henning: Dann spielen wir heute alle!
Sascha: Du weißt, ich kann mir die Lyrics nicht merken und ich habe mein iPad nicht voll programmiert, also wird das lustig.
Welche fünf Bands würdet ihr für ein Festival engagieren, wenn ihr Veranstalter wärt? Einigt euch.
Sascha: Oh, da wüsste ich was: SKINNY PUPPY, EDITORS?
Henning: MUSE!
Sascha: Dann natürlich MORTAJA und CYTO, ne? Ich liebe SKINNY PUPPY. Das ist die Initialzündung für mich gewesen, dass ich solche Musik mache, wie ich sie mache. Vorher war ich technomäßig unterwegs. Dann bin ich irgendwann durch einen Freund mit der Gothicszene in Verbindung gekommen. Ich hab SKINNY PUPPY mit „Assimilate“ gehört und hab gesagt “das geht? Wahnsinn! Das will ich auch. Solche Sounds möchte ich auch machen.” Danach habe ich alles von SKINNY PUPPY gekauft, was es gab.
Henning: Dann brauchen wir aber auch noch NINE INCH NAILS.
Sascha: Den können wir glaub ich nicht bezahlen, aber egal. Lass mich mal scharf überlegen. Dann würde ich THE ANIX sagen. Die würde ich buchen. Der hat auch ne geile Lightshow. Oder CELLDWELLER. Klayton habe ich schon so lange nicht mehr gesehen. 2016 haben wir ihn in England gesehen, in Sheffield.
Wie habt ihr euch gefunden?
Sascha: Er wurde mir vorgestellt.
Henning: Deshalb war ich auch auf diesem Konzert!
Sascha: Tatsächlich war ich 2001 auf der Suche nach einem Live-Keyboarder und mein damaliges Management hat ihn angeschleppt. Nein, er hatte auch einen Vertrag mit dem Management für seine damalige Band MAGMA, war das glaube ich? Ja ich, kann mir sowas merken. Meine eigenen Texte nicht, aber das merke ich mir. Dann hat man sich beschnuppert, hat mal zwei Gigs zusammengespielt und hat gemerkt, oh, das passt ganz gut. Und dann war er erstmal Live-Keyboarder.
Henning: Dann ist zusammengewachsen, was zusammengehört.
Sascha: Ja, und als wir angefangen haben, für „Gelb“ zu arbeiten, haben wir gemerkt, dass unsere Arbeitsteilung auch immer intensiver wurde. Ich hab mich viel um das Schreiben gekümmert. Er viel um die technische Produktion und das verwuchs sich dann.
Henning: Wir sind total verwachsen!
Sascha: Wir sind total verwachsene, alte Männer!
Henning: Altes Ehepaar!
Sascha: Das ist mit uns immer schlimm. Mittlerweile hat sich unsere Arbeitsteilung über die Jahre auch wieder verändert, zu „Sign Of Life“. Das ist noch immer wie bei „Gelb“. Als ob wir nie aufgehört hätten. Und nun ist es so, dass Henning die gesamte, technische Sache übernimmt. Das heißt, ich schreibe, ich produziere, nehme auf, arrangiere und mache die Pre-Produktion und wenn ich glaub, der Song hat den Feel, den es braucht, gebe ich ihn weiter und wie sagt er immer? Er macht dann seinen Sternenstaub darüber. Er nimmt es alles wieder auseinander und produziert es sehr hochwertig aus. Dann kriege ich es wieder und sage nee, die Stimme ist noch zu laut. Die muss leiser. Dann diskutieren wir hin und her.
Henning: Dabei sagen die meisten immer: „Die muss lauter!“
Sascha: Wenn ich meine Stimme zu laut höre, habe ich zu sehr dieses Pop-Gefühl, dass es zu sehr in Richtung Popmusik geht. Deshalb nehmen wir die Stimme immer ein bisschen zurück. Das ist so eine Krankheit von mir. So arbeiten wir auch in der Pandemie. Das heißt, wir haben uns drei Jahre nicht gesehen. Wir schicken uns aber Tracks hin und her.
Henning: Zwei Leute an einem Rechner sind auch meistens einer zuviel.
Sascha: Wenn wir das früher gemacht haben… bei „Gelb“ saß ich dann immer neben ihm. Er hat etwas programmiert. Und dann ging das hin und her. “Nee, mach das lauter.” “Nee, das muss nicht lauter.” Mittlerweile schicke ich ihm die Sachen so, wie ich sie mir vorstelle. Er hat natürlich die bessere, technische Ausstattung, das bessere Studio, als ich. Und macht es mit seinen Mitteln so, wie ich es mir vorstelle. Dabei sprechen wir mittlerweile eine eigene Sprache. Ich schicke ihm immer Referenz-Tracks dazu. Wenn ich sage, guck mal, den Sound möchte ich ungefähr, oder diese Atmosphäre.
Henning: Damit man in seinen Kopf reingucken kann. Weil es sonst sehr schwer zu beschreiben ist. Wie will man sonst technisch eine Stimmung beschreiben?
Sascha: Du wirst ja heute „How To Suffer“ hören. Das ist die erste Nummer in meiner gesamten Musiker-Karriere, die ich in Dur geschrieben habe. Ich schreibe sonst immer nur in Moll. Dementsprechend ist die auch mal, ich sag mal, ein bisschen positiver. Etwas schleimiger.
Henning: Nein!
Sascha. Und ich hab die erst mit einem sehr harten Beat versehen und habe dann festgestellt, dass sie dann zu sehr in so eine EBM Schlager Richtung geht. Da gibt es ja viele Bands, die so arbeiten.
Das möchte man nicht!
Sascha: Das möchte man nicht. Das mochte ich nicht.
Henning: Früher hieß das Weiberelectro.
Sascha: Ja, fuck it. Da wurden wir auch mal drunter gehandelt. Aber Spaß beiseite, das gefiel mir nicht. Dann habe ich mir ein paar Tracks angehört. So diese Retro Wave Sachen von EMPIRE OF THE SUN und all so ein Zeugs und hab ihm dann ein paar Sachen geschickt und sagte, DEN Vibe will ich da rein haben. Wir haben uns darauf geeinigt, die Beats ein bisschen anders zu produzieren und die Atmosphäre mit Hall und so etwas aufzubauen, damit es in so eine Richtung geht. Dafür brauchen wir solche Referenz-Tracks, um die Kommunikation zu erleichtern. Wie wollen wir den Sound haben? Und er versteht das auch, wenn ich ihm das so schicke.
Wie kam es zu dem NEUROTICFISH Logo?
Sascha: Das ist ein Scribble von einem Tattoo, das ich mir stechen lassen wollte. Ich habe das mal gemacht und auf einem Blatt Papier gespiegelt. Ein guter Freund von mir, der Oliver, hat zu dem Zeitpunkt in Dortmund Grafikdesign studiert. Ich hab ihm das Scribble geschickt und gefragt, was hältst du davon, wenn ich daraus ein Logo für die Band mache? Er ist dann mit seinem Grafik-Tool hingegangen und hat es verfeinert. Über die Jahre habe ich es dann selbst nochmal ein bisschen modifiziert. Ich hab es ein bisschen eckiger gemacht, usw. Das verändert sich auch immer und letztens fand ich es ganz lustig. Ich hab auf der NEUROTICFISH Seite einfach nur eine Hälfte von dem Sign geposted, weil ich wieder ein neues Grafikdesign gemacht hatte und denke, nehmen wir mal die eine Seite weg, lassen wir nur die rechte Seite stehen. Was war los?! Meine ganze Timeline war voll! „Oh mein Gott, trennen sich NEUROTICFISH?“ Und ich meinte, nein, ich habe doch nur ein Grafikdesign erstellt. Alles easy.
Henning: Das zerschnittene Foto!
Sascha: Ja, diese Assoziation weckte das. Da habe ich nicht mit gerechnet.
Social Media: Fluch oder Segen?
Sascha: Weder noch. Für mich ist es ein reines Promotional Tool, um Menschen zu erreichen. Denn privat mache ich Social Media fast nichts mehr, außer ein paar Instagram Postings von meinem Hund. Deshalb steht auch auf meinem Instagram Profil „Mostly dog content.“ Aber ich nutze die Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram, um auf unsere Shows aufmerksam zu machen, auf neue Songs, an denen wir arbeiten. Aber, dass ich mich da groß engagiere und mit Freunden auf Social Media interagiere… das war in der Anfangszeit viel. Mittlerweile ist es das nicht mehr. Ich telefoniere lieber.
Henning: NEUROTICFISH ist ja auch nicht so ein Act, wo man jeden Tag irgendwelchen Content erwarten würde. Wenn du dann anfängst, dein Essen zu posten, weil dir sonst nix mehr einfällt, dann wird es auch kritisch. Wenn es mehr Raum einnimmt als das eigentliche Musikmachen…
Sascha: Was ich schön finde ist, dass man Kontakte zu Musikern bekommt, zu denen man vorher keine hatte. Man konnte zwar Mails schreiben, das war ganz nett. Aber über Social Media ist es einfacher. Da geht das schnell hin und her. Auch bei der Zusammenarbeit mit [AESTHETISCHE]. Ich scrolle schon ständig durch Instagram, da bin ich ganz schlimm. Second Screen, da bin ich der König drin. Wir gucken ‘ne Serie auf Netflix und ich sehe mir die ganze Zeit auf Instagram Hundevideos an. Da bin ich schlimm, das weiß ich. Aber viel Interaktion ist da nur, wenn es um NEUROTICFISH geht.
Henning: Es ist eher ‘ne musikalische Visitenkarte.
Immerhin bekommt man direktes Feedback. Das ist ja heutzutage auch ganz schön.
Sascha: Ich sag ja, das Video zu „Sleep“ schlug auf YouTube ein und die Leute reagierten mit „Wow!“ Ich hab das Ding eigentlich als B-Seite geplant und wollte einfach mal anteasern, ob man auch noch anderes machen könnte, als NEUROTICFISH. Das scheint zu funktionieren. Finde ich gut, es gibt sofort ‘ne Rückmeldung. Ok, in diese Richtung könnte man also auch mal gehen. Die Leute mögen das. Schon allein, weil es auch eine Richtung ist, die ich sehr sehr mag.
Das passt direkt zur nächsten Frage, als hättest du es geahnt. Uns erwartet 2023 ein neues Album. Sascha, in einem Interview sagtest du mal, ihr habt euer musikalisches Alphabet gefunden, dessen Buchstaben ihr euch bedient. Bleibt dies beim neuen Album dabei oder kommen gar Sonderzeichen hinzu?
Sascha: Man wird ja auch davon beeinflusst, was man selbst hört. Das neue Album wird synthiepoppiger werden. Es hat ein anderes Thema. Jedes Album hat ein Thema. “Antidoron” hatte das Thema Trauer. Da ging es in zwölf Songs um Trauer und Trauerbewältigung. Das habe ich selbst gar nicht gewusst, als ich es geschrieben habe. Ich hab es erst gemerkt, als es fertig war. Dafür ist Social Media z.B. gut. Ein Fan hat mir eine sehr, sehr lange Nachricht geschrieben. Er schrieb, er habe zu jedem Song geweint, weil er an dies und das erinnert wurde. Und das fand ich sehr, sehr, sehr berührend. Dabei ist mir klar geworden. Ja, damit hast du auch selbst deine Trauer verarbeitet. Das neue Album wird „The Demystification Of The Human Heart” heißen. Ein sehr langer Titel, aber ich wollte schon immer mal einen schönen langen Titel für ein Album haben. Das wird vorwiegend von Künstlichkeit, von ‘was ist Mensch’ handeln. Wie weit entfernt sich unsere Gesellschaft von sich selbst? Sachen, die von Eskalation handeln, von Streit… man merkt es ja gerade in Social Media ganz stark, wie sehr sich Fronten bilden, sich Dinge hochschaukeln, wie sehr man eskaliert, weil man den Gegenüber ja gar nicht vor sich hat, weil der 2.000 km von einem entfernt ist. Der sitzt auch vor dem Rechner. Das ist das Grundthema. Was ist das menschliche Herz? Warum entfernen wir uns immer mehr, obwohl wir eigentlich die technischen Möglichkeiten haben, immer näher zusammenzuwachsen. Das ist der Grundtenor des ganzen Albums. Stilistisch wird es das klassische NEUROTICFISH Œuvre haben. Aber wir werden an gewissen Stellen ein bisschen härter werden. Wir werden sehr viel mehr in den richtigen Synthiepop hereingehen, ein stückweit auch in den Retro Wave, weil ich das halt geil finde. Etwas Drum‘n‘Bass wird auch mit reinkommen. Ich habe auch Drum‘n‘Bass mit Synthiepop gemischt, was auch bisher noch keiner so gemacht hat, wie wir es an der Stelle machen. Das wird noch ‘ne spannende Nummer werden. Rückblickend zu den Anfängen Anfang der 90er wird es auch Einflüsse von FRONT LINE ASSEMBLY oder so geben. Da habe ich auch ein paar Beats eingearbeitet.
Für den Hörer ist es ja gerade spannend, wenn man nach und nach immer mehr entdecken kann.
Sascha: Momentan verfremde ich meine Stimme auch sehr gerne. Ich lasse sie verkünstlichen. Das wird man dann bei „Bring The Noise“ hören. Da sind viele Vocoder Sounds eingearbeitet. Auch, um diese Entmenschlichung in den Vocals widerzuspiegeln.
Wir haben natürlich auch Songs, da wird die Stimme ganz präsent sein. Es gibt auch eine Ballade, die wahrscheinlich im Januar herauskommt. Die ist ganz klar gesungen: “Imposter Syndrome”. Das ist ein ganz reduzierter Song, der nur auf der Stimme basiert. Da ist keine Verfremdung oder ähnliches drin. Aber dann hast du natürlich so eine Nummer, wie „Bring The Noise“, wo die roboterartige Stimme im Hintergrund sagt „You bring the noise“. Das ist das Thema, das ich produktionstechnisch durchbringe. Ich will neue Arten der Vocal Produktion ausprobieren.
Manchmal schieße ich auch über mein Zeil hinaus, dann muss mich Henning einbremsen. Aber das wird das Thema sein. Wir hoffen, dass das Album im Herbst fertig wird, vielleicht sogar etwas eher. Im Sommer werden wir vielleicht schon neue Tracks anteasern. Und uns streiten, was eine Single wird und was nicht. Im Moment denke ich auch noch über das Artwork nach, das wird von mir sein. Wir müssen noch neue Fotos machen.
Jetzt mit schwarzem Nagellack!
Sascha: Ja! So richtig mit Pose. Dass Chris Pohl neidisch wird, so werden wir posen. Nein, das schaffen wir nicht. Wir können nicht so perfekt Gothic sein, wie Chris… das werden wir nicht hinkriegen.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit MORPHOSE? Setzt du dich eher in ein gemachtes Nest und bringst nur deine Vocals ein, oder entstehen die Ideen gemeinsam?
Sascha: Da muss man zunächst ein bisschen zurückgehen. Als Christoph mich angesprochen hat und sagte, er möchte mit Musikern zusammenarbeiten und neue Wege gehen und einfach mal Kollaborationen ausprobieren, hat das bei mir einen ziemlich langen Knoten, den ich beim Songwriting hatte, gelöst. Er hat mir seine Beats und Tracks geschickt. Ich hab sie zerschnitten, neu zusammengesetzt, dann entstand eine Inspiration. Dann habe ich angefangen Texte zu schreiben. Der erste war „Moveout“ und dann ging das hin und her. Dadurch entstand für mich eine neue Art zu arbeiten, weil der Song sonst komplett bei mir entsteht und dann irgendwann zu Henning wandert. So kam ein Teil des Songs von Christoph, ich habe dazu gearbeitet, er hat weitergemacht. Also ich komme nicht erst dazu, um den fertigen Text zu singen, nee. Wir machen alles zusammen. Das ist ja nicht nur mit mir so, sondern mit anderen auch. Viktorija und Lennart haben auch so gearbeitet und jetzt kommt ja noch jemand dazu.
Der Herr Friedrich.
Sascha: ja. Das wird lustig. Wir spielen ja zusammen auf dem Bergfest. Ich fand das witzig, als Christoph mir schrieb „Hast du am 24.06. Zeit? Da treten wir mit Morphose auf dem Bergfest auf.“- Ich bin schon da!
Wenn ihr an Weihnachten einen Wunsch frei hättet, welcher wäre das?
Sascha: Ich hätte gerne Frieden für die Ukraine. Das hört sich jetzt total nach Weltfrieden an, aber ich meine das auch so. Meine Frau hat über ihren Beruf Bekannte in der Ukraine, mit denen sie auch zusammenarbeitet. Dadurch kriegen wir halt sehr viel mit, wieviel Leid dort existiert. Wie es in Kiew aussieht, dass manche Zoom-Konferenzen nicht sind, weil kein Strom da ist. Dass kein Wasser da ist. Vor zwei Tagen wurde wieder ein Luftangriff gestartet. Was ich mir wünsche, ist tatsächlich, dass der Krieg in der Ukraine zu Ende ist und zwar so, dass die Ukraine frei bleibt. Das wünsche ich mir.
Henning: Ich brauche mehr Zeit, wobei ich mich an Saschas Wunsch anschließe. Doch, ich habe das Gefühl, die Zeit rennt mir manchmal einfach weg. Vielleicht, weil zuviel zu tun ist, oder vielleicht ist das schon eine Art Midlife-Crisis. Es ist schon wieder ein Jahr um. Allein die letzten 3 Jahre sind im Flug vergangen. So kommt es einem zumindest vor.
Sascha: Der Lack ist ab!
Was erwartet ihr vom heutigen Abend? Was habt ihr vor?
Henning: Spaß!
Sascha: Wir freuen uns einen Ast darüber ab, dass alle unsere Freunde hier sind. Dass der Jörn hier ist, der Peddy, dass wir alle mal wiedersehen und einen schönen Abend mit allen haben. Dass wir alle ganz laut „Expressing Velocity“ schreien und einen schönen Jahresabschluss damit hinkriegen. Da freuen wir uns. Wenn man bedenkt, ich habe gestern Abend zu Hause die ganzen technischen Vorbereitungen gemacht. Dann habe ich angefangen die Bude zu putzen, weil ich so aufgeregt war. Meine Frau kam abends spät von und der Arbeit und fragte was hier los sei. „Ich bin gerade wie ein Eichhörchen. Ich bin völlig fertig und muss jetzt hier weitermachen. Gehen Sie mir aus dem Weg, gehen Sie mir aus dem Weg.“ Und das ist heute auch so. Ich bin total aufgeregt und werde total rumflippen. Ich werde mich 1.000x versingen und es wird mir scheißegal sein. Das schöne ist, es ist der Kulttempel, unser Wohnzimmer hier. Als ich heute wieder im Backstage zum Peter reinkam dachte ich, das ist wie ein nach Hause kommen.
Hier nimmt es euch auch niemand übel, wenn etwas passiert.
Sascha: Aber das ist schon immer passiert. In Orlando ist uns der Strom ausgefallen, die Koffer kamen gar nicht an, wir hatten kein Equipment. Dann habe wir uns das geliehen und haben eine Show gespielt, bei der uns mitten drin der Strom ausgefallen ist und die Leute dann meinten „Ja, jetzt mach was.“ Wir stehen auf der Bühne, alles ist dunkel und was habe ich gemacht? Ich hab was BRITNEY SPEARS gesungen „Baby One More Time“. Die Leute haben gelacht und hatten Spaß.
Henning: Da ist der Song wieder. Heute schon zum zweiten Mal!
Vielleicht möchtest du den mal covern?
Henning: Don’t jinx it, don’t jinx it! Nein, wir freuen uns einfach mega, dass es wieder klappt.
Das war’s!
Henning: Das war’s schon?
Schluss, aus, Ende! Wie das Heimspiel 5.0 verlief, haben wir hier für euch festgehalten.
Herzlichen Dank an Sascha, Henning und an Peddy Sadighi von Neuwerk Music.
Überschrift “Let me show you what it’s all about” – Textzeile aus “Illusion Of Home”, Neuroticfish, aus dem Album “A Sign Of Life”. Lyrics: Sascha Klein