SPOTLIGHT: Herr “KJEW” WESENBERG doziert übers Produzieren

Willkommen zu einer neuen Ausgabe unseres SPOTLIGHT!

Vor ungezählten Tagen kam irgendwo im staubig grauen Ruhrgebiet ein höchst interessantes Wesen zur Welt. Ein Mysterium, zu dem nicht allzu viel gesagt werden kann. Man weiß nicht seit wann, man weiß nicht, woher es kam, es ist halt da.
Persönliche Daten zu unserem heutigen Protagonisten sind schwerer zu finden, als Zugänge zu anderen Dimensionen. Wie jetzt, so etwas wurde bisher gar nicht gefunden? OK, dann habt ihr mich verstanden.
Unser heutiges Thema ist der Produzent/die Produzentin. Und vertreten wird diese Sparte hier durch den Betriebswirt und Vollblut-Musiker KRISCHAN JAN-ERIC WESENBERG.

Ja, wow, den Namen kennen wir und auch sein beruflicher Titel lässt sich mit ein wenig Recherche im Internet finden.
Bei weiterer Recherche finden wir heraus, dass unser Mann hier schon seit den Neunzigern elektronische Musik macht und mitnichten nur in der Düsterszene unterwegs war und ist. Im Gegenteil, die allmächtige Musikdatenbank Discogs weist für Herrn Wesenberg seit 1996 Releases in den hedonistischen Stilen House, Techno und Trance aus, wobei der melodische Vocal House wohl am stärksten vertreten ist. Er hat unter anderem mit NATHALIE DE BORAH, CORNELIUS HARRIS (aka ATLANTIS/ X-101), MATEO & MATOS und MIKE HUCKABY († 2020), sowie den Labels RADIKAL FEAR/ THEE BLACK LABEL und FORCE INC. MUSIC WORKS zusammengearbeitet, auf der Love Parade und der Nature One Sets bestritten und DJ Residencies in diversen Clubs im Pott gehabt. Nach eigener Aussage ist KJEW, wie er sich selbst gern abkürzt, erst seit 2003 und seinem Einstieg in das Projekt ROTERSAND in der schwarzen Szene angekommen. Quasi ein Quereinsteiger, ganz ähnlich dem Autor dieser Zeilen.
Mittlerweile kennen wir ihn als festen Bestandteil von ROTERSAND, RADIOAKTIVISTS, FUTURE LIED TO US, STRAFTANZ und neuerdings auch CYTO, dazu das völlig überraschend nach ihm benannte Projekt WESENBERG.

KJEW als WESENBERG in der Subkultur Hannover bei MORPHOSE 2022
(c) Cynthia Theisinger 2022

Doch mit all dem ist dieser Mann noch längst nicht ausgelastet, denn sein Name taucht immer wieder bei anderen Bands auf, deren Werke er in seinem Studio, dem Studio-600 mastert. Dazu später mehr, das werden wir in unser Gespräch übers Producing integrieren. Als Beispiele für seine Arbeit als Produzent wären unter anderem COVENANTs „Ritual Noise“, L’AME IMMORTELLE und 2 Alben von AESTHETIC PERFECTION zu nennen. Wenn er nicht in seinem Studio steht und Kunst erschafft, tourt er als Sound Engineer (dieses Thema wird hier noch in einer der kommenden Ausgaben behandelt werden, Anm. der Redaktion) / FoH/ Live-Sound-Designer mit so großen Namen wie NITZER EBB, VNV NATION, CRYO, NEUROTICFISH, FIXMER/McCARTHY, TYSKE LUDDER und anderen durch die Welt.

Ach ja, KRISCHAN zeichnet auch für Werbejingles, musikalische Logos et cetera verantwortlich und reist als Künstler mit Bildungsauftrag unter anderem für das Goethe Institut rund um den Planeten. Es entbehrt bei dieser Aufzählung nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Mann mit der gepflegten Fleischfrisur Musik für eine Shampoo Werbung kreiert hat.
Kenner unter euch ahnen jetzt schon, dass das folgende Gespräch sehr interessant werden dürfte, weil die Niveauebenen von Autor und Protagonist ganze Dimensionen auseinander liegen.
Was ebenfalls interessante Wendungen nehmen wird, ist unser Verständnis vom „Produzieren“ an sich, wenngleich es da sicher noch kleinere Unterschiede bei den verschiedenen Musikrichtungen gibt. Herr Wesenberg vertritt hier natürlich das Feld der elektronischen Musik.

künstlerisches Graphik Arts Selfie von KJEW 2022
(c) KJEW 2022

Damit ist auch schon das Wesentliche als Einleitung geschrieben, denn der Rest wird in Form eines livehaftigen Gespräches aufbereitet, welches wir am Morgen nach der MORPHOSE Release-Party in Hannover führten. Wir möchten ihm vorweg dafür danken, das er sich geduldig bemüht hat, dieses Gespräch auf der Ebene der absoluten Laien zu führen.

SPX: Hallo, Krischan, stell dich unseren Lesern doch bitte noch einmal selbst vor.

KJEW: Sich selbst vorstellen ist da halt schon schwierig. Man lebt halt davon, dass man tut, was man tut und eben keine ganz eigene Identität hat. Man macht ja schon irgendwie alles gleichzeitig und das Eine unterfüttert das Andere.

SPX: Wer wie wir regelmäßig mit Musikern zu tun hat, stellt sich ganz laienhaft die Frage, was genau ein Produzent macht. Wenn du, im elektronischen Bereich, einen Song am Computer oder whatever erstellst, bist du doch eigentlich bereits selbst ein Produzent, oder?

KJEW: Nein, bin ich nicht. In dem Moment, wo ich ein Instrument spiele, bin ich erst einmal ein Instrumentalist. In dem Moment, wo ich etwas Neues erschaffe, bin ich Komponist. In dem Moment, wo ich dem eine Form gebe, die in eine manifeste Niederlegung führt, also im Sinne von „es gibt ein fertiges Werk“, bin ich dann ein Produzent. Wenn ich nur irgendetwas mache, bin ich gar nichts. Der Produzent bildet ja das Scharnier zwischen dem traditionell kreativen Prozess des Songwriting und der Übersetzung davon in eine verbreitbare Niederlegung, also in dieser Definition. Ein Live Mitschnitt beispielsweise  hat ja keinen Produzenten.

SPX: OK, machen wir das etwas haptisch greifbarer: Band X hat ihre Musik bisher selbst geschrieben, komponiert, produziert und veröffentlicht. Dann aber sucht sie sich Produzent*in Y für weitere Produktionen …

KJEW: … sucht sie diesen aus ästhetischen, oder aus technischen Gründen? Das ist ja noch einmal eine weitere Frage.

SPX: Aber was genau ist denn die Aufgabe eines Produzenten?

KJEW: Das ist dann ja so eine Hybrid-Ecke zwischen Produzenten und Mischer. Das mache ich auch viel, weil in der elektronisch geschaffenen Musik große Teile der Produktion per se natürlich schon gegeben sind. Tauchen da schon auf, sind verbessernd austauschbar oder im Sinne dessen, was die Band da eigentlich will, verstärkbar. Da lässt man dann von außen ein Auge drauf werfen, da eine Band naturgegeben natürlich etwas „betriebsblind“ ist.

KJEW mit ROTERSAND im Kulttempel Oberhausen 2022
(c) Cynthia Theisinger 2022

SPX: Weil Künstler das eigene „Baby“ immer für das Schönste und Beste halten?

KJEW: Na, nicht zwingend das Beste, aber es ist, wie es ist. Man säuft es sich ja auch schön beim Hören.  Und dann holst du die einfach mal ein Ohr und eine Expertise von Jemandem, der sich eben auch einen anderen Hut und eine andere Identität anziehen kann. Der wie das gute Gewissen sagt, es geht hier auch nicht nur um euren Geschmack, sondern was will die Band damit eigentlich sagen, was will die Platte denn eigentlich sagen und dürften ein paar Sachen da im Sinne der Band ‘nen anderen Schnack haben. Die Leute sind da auch gefangen in ihren eigenen Handwerksklischees, wie sie ja Dinge lösen. Und Komposition ist ja auch ein Arbeitsprozess. Also der erste Tropfen Blut auf dem weißen Blatt ist da ja so der Magic Moment, aus der sich das dann entfaltet, also die erste Ursprungsidee. Und da hängst du als Band aber manchmal schon so sehr an der Form, dass du gar nicht mehr den geistigen Freiraum hast, da weg zu kommen. Sozusagen „ja, das ist schon ganz ok, aber es gar nicht wirklich so das, was wir damit erreichen wollen.“
Also als Produzent bist du immer auf dem Schnittpunkt, wo eine ästhetische Idee eine kunsthandwerkliche Umsetzung braucht. Auf der Schnittstelle sitzt man. Da ist ein Song, der ist geschrieben, und liegt eben schon als Demo vor. Dann verlässt er die Sphäre des geschmacklichen Schaffens in eine kunsthandwerkliche Umsetzung, die es dann in ein manifestes Ding bringt. Da liegt dann irgendwo der Bereich des Produzenten. So musst du dann die ästhetische Idee aufgreifen und an ein paar Stellen schon durchaus kunsthandwerkliche Übersetzungen dafür anbieten.

SPX: Wie läuft das so üblicherweise ab, heutzutage? Sitzt man da zusammen, brainstormt, macht sich gegenseitig Vorschläge?

KJEW: Man muss erstmal ergründen, was will denn die Band mit dem Album, was will die Band mit dem Song, was will die Band denn grundsätzlich. Das muss eine Band ja definieren können und da verzweifeln selbst ganz große Bands dran. Und das ist nicht mal ein enges Feld. Es ist nicht das „wir sind die Synthpop Band mit den roten Hemden“, das ist noch nicht mal der Punkt. Sondern es ist schon dieses „yeah, es ist schon klar elektronisch, es ist tanzbar, es hat auszustrahlen beispielweise einen Grundmodus der Band, von mir aus eine gewisse Melancholie, was dann alles Mögliche sein kann.“ Da kann man noch jede Menge Kategorien hinten dranhängen. Das betrifft dann die Band, aber das gilt dann ja auch für ein Album, das einen Namen und ein Topic hat, also auch das muss ja mit dem Rest zu tun haben. Also das erstmal mit den Leuten klar zu ziehen, „was meint ihr, was ihr da tut“, „was soll das jetzt werden“.
Daraus kannst du ja schon eine Menge ableiten, so im Sinne „wo findet ihr das in euren Demos, was hat das Eine mit dem Anderen zu tun, findet sich das da, oder kann man da ein paar Sachen mal anders machen.“

SPX: Zeichnet das am Ende einen guten Produzenten aus, wie gut er sich auf etwas einlassen kann, wie gut er einwirken kann?

KJEW: Das Einlassen, nicht das Einwirken. Das Einwirken ist immer noch ein Band Call…

SPX: Als Außenstehender bekommt man ja des Öfteren mit, dass Künstler mit ihren Produzenten unzufrieden sind, weil sie beispielsweise anders klingen, als sie es wollten…

KJEW: Der Produzent ist ein Fußballtrainer, der ist am Ende immer schuld.
Also eine Band, die nicht die Eier hat, an ein oder anderer Stelle ihre Ideen dann auch durchzuziehen, ist dann auch selber schuld. Also wie beim Fußballtrainer: wenn die Spieler Scheiße spielen, ist halt auch der Trainer schuld.
Ne Band muss halt wissen, was sie will. Wenn das Argument ist „es muss nur besser klingen“, kann man gerne Produzent dran schreiben, ist es aber nicht. Am Ende ist er dann halt ein Mischer und ein bisschen Sound Designer, aber eben kein Produzent. Also von mir aus auch „technischer Produzent“, aber nicht der Produzentenbegriff, wie ich ihn ganz gerne habe.

SPX: Jetzt bin ich ein völlig unbekannter Künstler, der jemanden sucht, der mich unterstützt. Wir kennen uns nicht. Wie läuft das dann ab, schick ich dir einen kurzen Steckbrief…

KJEW: Nee nee, erstmal einen Song. Dann hör ich mir das an und frag dich mal, was das soll.
Es gibt ja Leute, die wollen einfach nur Musik machen. Das ist ja auch legitim als Haltung, ist aber ein bisschen ein anderer Schnack. Man kann natürlich einfach Musik machen und ist dann auf der Ebene von einem Instrumentalisten. Die spielen halt auch irgendwas, was da ist, oder interpretieren das für ihre Form. So kann man das mit Musik auf Computerebene auch angehen. Also ich mach irgendwas, das fühlt sich so an und klingt irgendwie so, wie die Sachen, die ich gut finde. Das ist durchaus ein üblicher Modus, wie man ans Musikmachen gerät. Also man findet irgendetwas gut und will das dann auch machen. Das ist erstmal ein legitimer Ansatz und dann hat man halt auch was gemacht, Punkt. Was ist es dann?
Wenn man etwas Glück hat, landet man auf irgendeiner Bühne und ist technisch eine Band, aber man ist dann weder Musiker, geschweige noch Künstler. Man ist halt einfach nur eine Band und steht auf einer Bühne.
Und daher sollte man sinnstiftend mit denen reden, was sie eigentlich wollen. Also manche sehen das nicht. Ist ja auch gar nicht schlimm, man verläuft sich da selber eh nochmal. Das muss man der Band erst einmal rauskitzeln. Es ist halt Kommunikation. Kommunikation und Übersetzen…

SPX: Also bist du hauptsächlich ein Kommunikator…

KJEW: Tatsächlich ist irgendwie Dreiviertel der Arbeit eine Art der Kommunikation. Das muss ja nicht mit Worten sein, das kann ja auch über Töne gehen. Ich mach dann erstmal an der Nummer irgendwie was rum, was ich so glaube und vielleicht mach ich noch eine Zweite, dann hat man nämlich eine gewisse Spannweite, was so ein Album anbieten kann. Das ist ja dann, was man sieht, was man sucht.
Neben dem, was eine Band, wenn sie nicht das erste Album macht, sowieso schon in der Tasche hat. Die kommen da Traditions-Leerkörper ästhetisch daher gelaufen. Also was wollt ihr dann überhaupt hier, das ist immer die Grundfrage. Wollt ihr euren Rahmen erweitern, wollt ihr nur vertiefen, was ist hier der Punkt?

KJEW mit CYTO auf dem SoR (Ship Of Rebels) 2022
(c) Cynthia Theisinger 2022

SPX: Es geht also deutlich über das rein Technische hinaus.

KJEW: Ja, klar. Früher gab es so wirtschaftliche Produzenten, die da Geld reingeben, meist für Label und so, diese Möglichkeit ist im elektronischen Bereich sowieso tot. Dann so Sound Design, das ist am Ende ja auch nur die Übersetzung von „was will ich denn hier an Ausdruck haben“. Sound Design ist dann auch eine Funktion, die Ausdruck und Funktionalität beinhaltet. Natürlich kommen auch Leute zu mir, weil sie irgendwie eine Art clubbigen Sound mögen, den man mir offenbar zuschreibt.
Die Düstersound Szene hat halt immer noch eine große Schwäche im Beat- Programming. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber die Leute in der Synthpop, Future Pop etc Ecke haben halt kein Gefühl für den Beat. Die sind halt der Meinung, dass ein “Four-Beat” einfach ein “4-Beat” ist, ist er aber nicht. Natürlich ist ein “4-Beat” technisch ein “4-Beat“, aber man sucht nicht nach dem Detail, der die Magie dessen ist. Ich bin ja bekennender “Four To The Floor“-Fetischist, weil das echt mehr ist, als “4 2 The Floor“. Es ist mehr als das Programmieren einer geraden Bassdrum. Die Magie des “4 2 The Floor” entsteht natürlich durch die Bassdrum, aber die muss halt bestimmt sein. Sie muss halt eine Magie haben. Jeder Dummkopf meint immer, das ist „Bum Bum Bum“ und wenig komplex. Natürlich ist es wenig komplex, eine Bassdrum in einem normalen “16 Cut” auf 1, 5, 9 und 13 zu setzen, das ist null komplex. Es ist aber auch null komplex, da noch ein paar Pünktchen dazwischen zu setzen. Aber wenn da dann so eine gerade, steife und hoch repetitive Form hast, steckt ja die Unterscheidung zwischen einem echt gut fließenden “4 2 The Floor” und einem echt nicht so geilen “4 2 The Floor” im Detail, ist also super offensichtlich fühlbar.

SPX: Das ist dann natürlich die Unterscheidung für die Leute an der Bar, ob es sie unweigerlich auf den Dancefloor zieht und dort hält, oder eben nicht.

KJEW: Natürlich! Ich mein, das hört sich immer so detaillig und technisch an, aber ist immer so ein schöner Punkt, wo ich finde, dass Leute, die auch so ein bisschen wie ein Produzent denken, die Unterscheidung finden. Und das steckt dann auch in diesen Details. Also warum fließt der jetzt, warum ruft der jetzt? Oder warum stampft der jetzt, das ist ja auch noch mal eine andere Funktion. Hat dann in der Ästhetik der Nummer eine andere Aufgabe und entsprechend ist dann auch dieser Mikrosound ein ganz anderer, braucht ein anderes Design.

SPX: Für jeden Nicht-Musikschaffenden klingt das jetzt schon ziemlich mystisch.

KJEW: Je technischer der Prozess auf der einen Seite wird, desto mystischer wird er auf der Anderen, weil die Unterscheidungen halt immer kleiner werden. Stell dich mal in den Club und beobachte, warum bei zwei Titeln mit gleichem Tempo der eine Beat fließt und der andere nicht. Da gibt es auch die Unterscheidung von „das ist jetzt aber eine groovige Nummer“, da ist der “4 2 The Floor” halt ein anderer. Der hat ein bisschen anders zu sein, als einer, der stampft. Den ganzen 115 bis 120 BpM Midtempo- Bereich, der grob gesagt in den Clubs immer noch der dominante Geschwindigkeitsbereich ist, kannst du ja sowohl in einer Stampfung auffassen, wie wir das aus Harsh und EBM kennen, als auch im weichen Gefließe des Synthpop. Bestes Beispiel in diesem Bereich ist VNV NATIONs „Homeward“. Eine klare 125 BpM Nummer, fließt aber wunderbar weich. Das ist halt die Frage: was will die Nummer? Machst du die halt mit einer normalen, harten „Tok Tok“ Bassdrum, funktioniert die halt nicht mehr, das ist nicht das Gleiche. Das fängt dann schon bei vielen Sachen an: was soll denn hier der Vibe sein und wie bekommen wir den auf den Tisch?  Was braucht man dafür und was braucht man dafür nicht?

SPX: Der Künstler liefert also das Rohwerk und du feilst und schleifst noch einmal nach?

KJEW: Ja genau, ich mach die technische Umsetzung eines Gefühls.

SPX: Gefühl ist tatsächlich immer wichtig. Selbst der stumpfeste Techno folgt immer einem Gefühl…

KJEW: Es geht immer um Gefühle. Gerade im Techno ist das unfassbar essentiell, weil du halt viel weniger Gestaltungsräume hast. Also so etwas wie Melodie, Kontrast, Refrain, etc., sowas hast du alles gar nicht. Du musst dich viel mehr auf den Fluss und die spirituelle Ebene begeben, ganz anderer Schnack. Also in allem, was popmusikalische Strukturen hat, also Gesang in Strophe, Refrains, Breakdowns, irgendwas, Intros und Outros. Da hast du ja immer schon Sachen, die klischeehaft eine Art Gefühl und Dramaturgie ergeben, oder den Ablauf der Teile. Und natürlich ist auch da drin was zu machen als Produzent.

SPX: Das geht dann aber eher ins Mischen, oder?

KJEW: Nö, das verschwimmt im Elektronischen eh immer alles ein bisschen. Aber eigentlich ist dieses „Übersetzen“ das Wichtigste darin. Man übersetzt das, was eine Band will und selbst nicht auf den Tisch kriegt. Sonst wäre sie ja nicht da, sonst könnte sie es ja selbst machen. Sie bemerkt eine Form von einem Mangel, was ja nicht schlimm ist, denn das ist ja nicht ihr Job. Es gibt halt Leute, die sind gute Komponisten, die Arbeitsteilung ist super, denn ein guter Bäcker ist halt kein Koch.

SPX: Dann kommt also Mischen, Arrangieren, etc. dazu…

KJEW: Die Grundschritte sind ja klar, wenngleich nicht mehr ganz linear, heutzutage. Produzieren, Mischen, das ist ziemlich durcheinander heut. Mastering fällt da noch raus, das ist ja am Ende…

SPX: Mastering ist auch so ein schönes Wort, was bedeutet das eigentlich?

KJEW: Mastering ist im Kern ein technischer Job, hat aber natürlich auch mit Gefühl zu tun. Neben dem, was da technisch normativ messbar eine Qualität des Masterns ist, ist es natürlich auch eine Frage der ästhetischen Zielrichtung. Geht dann also immer auch um Genres, natürlich.

Krischan mit Rotersand auf der Bühne beim Mera Luna 2022
(c) Cynthia Theisinger 2022

SPX: Also das spielt auch beim Mastering eine Rolle?

KJEW: Ja, da trifft es dann ja wirklich, das ist so ein bisschen die Quantenmechanik, das triffst du ja so ganz eng auf einer Spititualitätsebene. Die Entscheidung zwischen den Mastern, die dann auch niemand mehr hört, so nebenbei, also im Sinne von „sie erreichen nie die Öffentlichkeit“. Und da geht’s dann um Gefühl. Also wenn ein Master technisch ok ist, kann es immer noch unterschiedlich sein, das hat keine Eindeutigkeit. Also ein Metal Master ist durchaus anders als ein Dance Master, aber natürlich kannst du eine Metal Platte wie ein Dance Ding mastern. Technisch ginge das, ist nur die Frage, ob das irgendwer gut findet. Natürlich sind da kleine Punkte in den Unterscheidungen, das ist aber nahezu spirituell. Also den Unterschied von 0,5 dB auf irgendeinem Mittelfrequenzband hört niemand. Also niemand stellt sich mit dem Umkehrschluss hin und sagt „ei ei ei, also da bei 3000 Hz hätte ich aber noch mal 0,3 dB im Stereofeld rein gemacht“. Kannst du natürlich sagen, weil es geil klingt, ist aber großer Stuss. Macht aber eben tatsächlich manchmal den Unterschied. Nicht so auf einer präzisierten technischen, aber einer gefühlsmäßigen Ebene. Also beim Topic wie „Offenheit“ macht das dann doch mal den Unterschied. Da werden dann auch Begriffe wie „Luftigkeit“ gewählt, die weniger festgelegt sind. Da geht’s dann wie beim Würzen um Messerspitzenunterschiede.
Das ist immer auch ein Teil der Identitätsfindung. Es muss ja nicht zwingend die bestklingendste Hardstyle-Nummer sein. Also wo will man hin.

SPX: Wie bei PostPunk, Stichwort LoFi?

KJEW: Genau, aber da gibt’s dann auch kein Gut und Schlecht. Das ist ja die Ästhetik: Schlecht Klingen kann Absicht sein, schlecht Klingen kann aber auch nur schlecht Klingen sein. Absichtliches schlecht Klingen klingt aber ab und zu ganz gut, wenn man weiß, wie es geht. Es gibt da halt so wenig Kategorien von Richtig und Falsch. Es gibt keine normative Idee von Richtig und Falsch, aber eine von Wollen, Klischee und durchaus messbaren Zahlen.

SPX: Hatte Corona auf deine Arbeit einen Einfluss, haben die Leute mehr produziert/produzieren lassen?

KJEW: Ja natürlich wurde da mehr gemacht, aber für mich hatte das keine Auswirkungen. Klar, ich hatte genug zu tun. Ich mag Studioarbeit ganz gerne. Es gab so ein Momentum am Anfang, wo das alle als Inspirationsquell gesehen haben. Wir hatten da jetzt eine Krise, die nicht abstrakt war. In dem Segment, in dem wir uns bewegen, war ja immer ein größerer Kritikpunkt, dass wir viel über Krisen reden, mit denen wir nichts zu tun haben. Also diese ganze Serienmörder-Ästhetik, die da überall auftaucht und so ein Zeug halt. Das sind alles Krisen, mit denen haben wir nichts zu tun. Wir singen also von Dingen, von denen wir keine Ahnung haben, das ist nicht unser Erfahrungsraum. Und da hat man gemerkt, das betrifft uns, das ist echt. Das endete aber recht schnell in einem „Kunst-Markt-Gejammere“, welches ich ganz schrecklich finde. Wie sehr sich da ein popkultureller Bereich nur noch in seiner Marktlogik wahrnimmt…

An dieser Stelle nahm das Gespräch dann ein Wendung, die mit dem hier besprochenen Kernthema nicht mehr viel zu tun hatte. Wir wollen euch das nicht vorenthalten und werden es euch demnächst noch einmal separat unter die Näschen reiben.
Wir danken KRISCHAN JAN-ERIC WESENBERG für die intensive und doch gut verständliche Erläuterung. Wir wünschen ihm viel Erfolg mit seinen eigenen Projekten und natürlich auch für seine Aktivitäten in den Bereichen Producing, Mixing und Mastering.

Die Essenz aus dem Ganzen: ein Produzent ist, insbesondere im Segment der elektronisch konstruierten Musik, weniger ein rein technischer, als mehr ein organisatorischer und kommunikativer Job. Nicht jeder Künstler braucht einen Produzenten, aber der Job selbst ist unverzichtbar und ein weiterer wichtiger Baustein, welcher das Konstrukt der darstellenden und erschaffenden Kunst trägt.

Krischan mit ROTERSAND im Kulttempel Oberhausen 2022
(c) Cynthia Theisinger 2022

Schaut vorbei bei WESENBERG, ROTERSAND, RADIOAKTIVISTS, FUTURE LIED TO US und CYTO und bleibt bei diesen Projekten immer am Ball.

Noch viel mehr Infos, Reviews, weitere SPOTLIGHTs und bildgewaltige Konzertberichte findet ihr auf unserer Webpräsenz und natürlich auf Facebook und Instagram, sowie Youtube.

 

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner