“Melancholische Leichtigkeit” – Quo vadis, alternative Musikszene? Ein Interview mit Torben Wendt (DIORAMA)

Vor dem DIORAMA-Konzert im Frannz Club Berlin am 7. Oktober, hatte unser Sharpshooter-Redakteur Marvin (SPX) Gelegenheit, kurz mit Torben Wendt, dem Mastermind der Band zu sprechen. Es war ein sehr angenehmes, lockeres Interview.

SPX: „Wir haben heute Torben Wendt hier, von Diorama. Ich habe einen Zettel gemacht, ganz analog, ich bin ja auch ein bisschen älter. Erste Frage: Was hälst du von Interviews? Plauderst du gern aus dem Nähkästchen oder bist du wie so ein Fußballer, den man dann vor die Kamera zerrt und sagt: Wie haben Sie die 36. Minute erlebt?“

Torben: „Das ist wirklich von der Tagesform abhängig bei mir. Da gibt es so die Tage, wo ich total Lust habe auf Erzählen und es gibt die Tage, wo ich generell denke: Lasst mich bitte alle in Ruhe und das würde dann Interviews mit einschließen.“

SPX: „ Also wie bei jedem Menschen eigentlich…“

Torben: “Ich glaube: ja. Also grundsätzlich bin ich schon mitteilungsbedürftig, sonst wäre ich auch kein Künstler. Und mein großer Traum ist es ja immer noch, dass ich irgendwann mal mit 60 oder 70 interviewt werde und dann werde ich angesprochen auf die Nuller oder 10er-Jahre und dann beugt sich der Interviewer so nach vorne, guckt mich an, so erwartungsschwanger und sagt: Sie waren ja damals auch schon aktiv als Künstler. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Und dann lass ich was vom Leder!“

SPX: „Dann werden es wirklich 596 Stunden!“ (Der Redakteur hatte vorher überprüft, wieviel Speicherplatz für Audioaufnahmen zur Verfügung steht und dort wurden 596 Stunden angezeigt, Anm. d. Red.)

Torben: „Ja, dann bitte mir gönnen, dieses Erlebnis und dann danke ich ab“

SPX: „Das ist ein guter Plan. Erstmals festgehalten: Hier in Berlin, im Frannz Club. Erzähl uns doch weiter etwas über „Fast Advance – Fast Reverse“ (anstehendes Diorama-Release 09.12.22, Anm. d. Red.). Was erwartet uns da? Kannst du schon was verraten? Was wird es genau?“

Torben: „Eine relativ kleine, kompakte CD mit neun Tracks, fünf davon sind Fremd-Remixe von Songs des letzten Albums, aber von anderen Künstlern, und vier sind Neuinterpretation von uns selber. Es war eigentlich eine Idee, die so von außen an uns herangetragen wurde. Es haben sich zwei,drei Künstler gemeldet mit dem Interesse, Remixe zu erstellen für das Album, und da haben wir natürlich nichts dagegen, solange das eine Substanz hat und interessant klingt. Und dann haben wir gesagt: Mensch, wir haben doch selber noch alternative Versionen hie und da in der Hinterhand und in Ansätzen auf der Festplatte rumliegen, vielleicht können wir was draus stricken. Diese Remix-Compilation ist jetzt das Ergebnis dieser Überlegungen.“

SPX: „ Interessantes Projekt, ist auch nicht alltäglich sowas. Nunja, Remixe… zweischneidiges Schwert, irgendwie. Das kann auch nach hinten losgehen. Was ist, wenn es einem nicht gefällt, was der andere draus gemacht hat, was macht man dann?“

Torben: „Den Vorbehalt muss man immer machen. Damit man sich ehrlich in die Augen schauen und sagen kann: Du, ich erkenne den Input an, der drinsteckt und die Arbeit, danke, aber wenn’s mir nicht gefällt dann tut’s mir leid, dann kann man das so auch nicht nehmen. Möchte ich dann auch nicht, dass es so in der Form veröffentlicht wird, das ist mir aber bisher auch nicht passiert. Ich habe auch meine Meinung zu Remixen und Coverversion etwas geändert, ich bin etwas milder geworden. Ich war so vor 10-15 Jahren ein Hardcore-Gegner und Verneiner und hab das alles eigentlich eher verabscheut, und habe immer dafür plädiert, dass Leute ihre eigene Musik gefälligst machen sollen. Aber inzwischen… es gibt ja wirklich eine Reihe von tollen Neuinterpretationen, das muss man ja anerkennen und insofern… es ist alles okay und jeder soll das machen, was er künstlerisch mag“

SPX: „Im besten Fall ist es eine Hommage. Ja… Die aktuelle Lage! Viele Kollegen haben ja Touren abgesagt. Man hört es ja fast täglich: Der Vorverkauf läuft schlecht. Denkst du, das sind dauerhafte Umbrüche oder ist das jetzt vorübergehend? Daniel Graves hat z.b. etwas ketzerisch rausgehauen: In fünf bis zehn Jahren gibt es keine Touren mehr, das kann sich keiner mehr leisten, dann gibt’s nur noch Festivals. Wie blickst du in die Zukunft, auf die ganze Tour-Sache?“

Torben:“ Das ist ein hochkomplexes Thema, da weiß natürlich keiner so ganz genau, in welche Richtung es geht. Zumal das von ganz vielen Rahmenbedingungen abhängt, die noch überhaupt nicht klar sind. Ich glaube aber schon, dass der Dämpfer, den wir gerade erleben, für diese ganze Szene, den ganzen Marktbereich, nachhaltig ist! Also haben wir es nicht mit einer kurzfristigen Erscheinung zu tun und es ist nicht damit zu rechnen, dass in einem halben Jahr wieder alles ist wie vorher, sondern es ist auf jeden Fall eine Kurve, die nach unten geht. Und das wird auch noch eine Weile nach unten weitergehen und erstmal da unten bleiben. Ich rechne eigentlich schon damit, dass sie auch wieder nach oben geht. Vielleicht langsam, aber stetig hoffentlich. Ich weiß nicht und ich zweifle auch daran, dass das… Vor-Corona-Niveau, so nenne ich das mal, so wieder erreicht wird. Ich weiß aber auch auf der anderen Seite nicht, ob das nicht eine Entwicklung ist, die ohnehin in irgendeiner Form auf ähnliche Weise gekommen wäre, durch die Krisen, die wir gerade beobachten, nur dadurch sehr stark verstärkt. Das sind natürlich Entwicklungen, die auch auf anderen Ebenen passieren, als nur auf der rein sozio-gesellschaftspolitischen. Also ich bin mal verhalten optimistisch und freue mich tatsächlich, und das ist eine Lehre, die ich aus dieser ganzen Zeit ziehe: Ich freue mich an dem, was ich habe, ich freue mich wirklich, heute Abend hier spielen zu können, dass genug Leute kommen, dass es sich trägt. Morgen das Gleiche, die letzten Shows auch. Ich freue mich, dass wir bisher nicht zu den Bands gehörten, die absagen mussten. Das hat auch vielleicht was mit Glück zu tun und natürlich mit wunderbar tollen Songs!” (lacht)

SPX (lacht auch): „Natürlich!“

Torben: “… aber ich fühle das mit, wenn… Ich weiß, wie schwer das ist, sowas zu canceln. Das ist für die Leute schlimm, für die Künstler auch. Ich habe da auf jeden Fall eine starke Anteilnahme an der ganzen Geschichte und ich sehe es auch mit Sorgen. Ich glaube auf der andern Seite auch, dass wir vielleicht noch ein bisschen beobachten werden, dass sich die die Spreu vom Weizen trennt. Das heißt, dass unter Umständen große Acts wie Die Fantastischen Vier oder Seeed oder Rammstein und Konsorten weiterhin erfolgreiche… Placebo fällt mir noch ein… fast ausverkaufte Konzerte spielen können. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Schwergewichte auch weiterhin vor vollen Hallen spielen können, aber dass sich der mittlere Bereich und der Underground-Bereich sehr stark dann auch gegenseitig Publikum wegnimmt und sehr stark in die Bredouille gerät, und dass vielleicht so eine Art Ausdünnung stattfindet. Da bin ich mal gespannt, wie es weitergeht. Ich möchte mir nicht anmaßen, dass ich‘s wirklich überblicken kann.“

SPX: „Nein, überblicken kann es sicherlich keiner, aber naja es ist ja sehr besorgniserregend, gerade in der Musikbranche. Früher hat man Geld mit Platten, mit CDs verdient, das fiel dann irgendwann weg durch Streaming, jetzt funktionieren Touren im Moment nicht, wegen der Kosten… Was bricht als nächstes weg? Kein Merch mehr, weil alle nur noch virtuelles Merch tragen? Wer weiß? Also es wird eng, hat man so das Gefühl!“

Torben: „Ja. Man muss wirklich jeden Kanal nutzen, über den irgendwie was zurückkommt. Was über den Shop kommt, über das Merchandise, dann doch über Konzerte… da mit kleinen Beträgen zufrieden sein, es sich irgendwie zusammenstückeln. Das ist alles ein bisschen anders geworden. Vielleicht ging es uns auch eine ganze Weile lang ZU gut, das weiß ich nicht“

SPX: „Was mich auch beschäftigt hat, ist, dass viele Leute es heutzutage sehr kritisch sehen, wenn eine Band sich in andere Richtung entwickelt. Die haben so den Eindruck, Kunst sei eine Dienstleistung und: „Wieso macht „meine“ Band nicht mehr meine Musik? Die müssen das ja!“ Aber der Künstler macht eigentlich doch für sich selber Musik, oder? Und wenn es vielen gefällt ist das schön und dann freut man sich, aber… Wie ist für dich diese Rollenverteilung?
Kunst ist keine Dienstleistung, da sind wir uns sicherlich einig und die Band darf sich in jede Richtung entwickeln, die sie möchte oder?“

Torben: „Kunst an sich ist keine Dienstleistung, würde ich auch sagen, aber der Auftritt und die Unterhaltung, die man anbietet auf der Bühne und bei Veranstaltungen ist dann letztendlich schon, wenn man so will, im erweiterten Sinne eine Dienstleistung. Das würde ich auch nicht negativ konnotiert sehen. Dienstleistungen können ja auch honorig sein (für die Jüngeren und Nicht-Terry-Pratchett-Leser: Das bedeutet „ehrenhaft“, Anm. d. Red.) und was so die Resonanz des Publikums angeht und den eigenen Anspruch, so ist es immer eine Gratwanderung. Ich glaube, es ist nicht hundertprozentig ehrlich, wenn man sagt: die Resonanz des Publikums ist einem komplett egal, a priori. Man hat natürlich auch immer im Auge, am Ende gefallen zu wollen, dass man gemocht wird, dass man irgendwo die Leute erreicht. Aber was uns angeht, muss ich sagen, dass es immer richtig war, eine gewisse Authentizität beizubehalten. Also auch wenn sich die künstlerische Entwicklung oder die stilistische Entwicklung in diese oder jene Richtung weiterbewegt hat, war doch immer erkennbar, dass wir dahinter stehen, und dass nicht irgendein Kunstprodukt erreicht werden soll oder irgendein erfolgsversprechendes Konzept eingearbeitet werden soll, sondern das ist immer sehr organisch gewesen und war auch insoweit vielleicht mit einem gewissen Mut verbunden gewesen, der uns geglaubt wurde. Und deswegen meine ich, dass wir glücklicherweise eine der Bands sind, deren Fans es verzeihen oder vielleicht sogar ganz gut und interessant finden, dass wir eben nicht 30 Jahre in Schema F abliefern, was auch gut sein kann, sondern dass auch immer wieder Überraschungen dabei sind. Aber klar, es gibt vereinzelt natürlich auch Stimmen oder Menschen, die man über die Schiene dann nicht mehr erreicht oder verliert, aber das darf dann so sein, weil auf der anderen Seite gibt es dann immer wieder auch neue Leute, die dann auf den Zug aufspringen. Ich glaube, dass aber trotz aller stilistischer Wechsel und Umbrüche immer so eine gewisse innere Anziehungskraft da ist bei Diorama, die alles zusammenhält. Eine…”

SPX: „Handschrift?“

Torben: „Ja, eine Handschrift, die durchschimmert…”
An dieser Stelle setzte der Keyboard-Soundcheck ein und wir mussten den Raum wechseln

Torben: „Da würde ich gern noch hinzufügen, nachdem wir den Raum jetzt gewechselt haben: Ich umschreibe es am liebsten mit dem Begriff ‚melancholische Leichtigkeit‘. Und das ist immer irgendwo vorhanden, als roter Faden, und solange das so ist, können sich die Leute auch darauf verlassen, dass wir wir bleiben!“

SPX: „Gut. Ihr seid ja nicht Combichrist, die plötzlich anfangen, Metal zu machen und dann ist alles anderes als vorher…“ (alle lachen)

Torben: „Ja, weiß nicht. Da kenne ich jetzt nicht die Triebfeder oder was da sonst dahintersteckt… Das müsst ihr dann Combichrist fragen“

SPX: „Das machen wir. Letzte Frage: Wie schafft man es als Band, zusammenzubleiben, sich zusammen zu raufen? Immer wieder trennen sich Bands, es kommt immer wieder zu Dramen, zu persönlichen Differenzen, musikalischen Differenzen… Jetzt sag nicht, es ist Kommunikation. Aber wahrscheinlich ist es das?“

Torben: „Man muss bei uns sehen, dass wir auch freundschaftlich verbunden sind. Felix ist mein Sandkasten-Buddy, wir sind schon zusammen zum Kindergarten gegangen, insofern ist da auch eine gewisse Verwurzelung vorhanden, die nicht so leicht aufbricht, selbst wenn man sich mal uneinig ist. Markus haben wir während des Studiums kennengelernt, und auch da erstmal auf der freundschaftlichen Schiene, und da ist dann so eine Basis gelegt, die auch nicht wegbricht. Ja, also ich würde sagen: Es hat etwas mit gegenseitigem Respekt zu tun, damit, sich so sein zu lassen, wie man ist, sich gegenseitig die Freiheit zu geben, auch die „Beinfreiheit“, dass jeder sich entfalten kann und dann ist es halt die Chemie, die stimmt oder auch nicht stimmt. Jetzt sind wir aber natürlich auch keine Band, die jetzt vor absoluten strategischen, wirtschaftlichen Entscheidungen mit einer millionenschweren Tragweite gestanden hat, wo sich dann irgendjemand übervorteilt fühlen könnte oder ähnliches. Auf dem Underground-Level, auf dem wir unterwegs sind, ist es natürlich, wenn man so will, vielleicht ein bisschen einfacher, eine faire Geschichte draus zu machen, für alle Beteiligten.“

SPX: „ Gut, dann würde ich sagen: Freuen wir uns aufs Konzert heute Abend im Frannz Club. Danke für die Information und den Blick in dein Leben“

Torben: „Ich freue mich auch sehr. Danke für das Vorbekommen von Bonn aus, für die vielen Kilometer, die du abgerissen hast”

Unseren Konzertbericht von diesem Abend findet ihr HIER

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