10 Jahre Kulttempel – Tag 1: ZWEITE JUGEND, KLUTÆ und KIRLIAN CAMERA

Liebe Leser, bevor wir uns dem eigentlichen Geschehen des Marathonevents widmen, ist es an der Zeit einen Blick zurückzuwerfen. Erinnert sich noch jemand? Am Samstag, den 03.09.2011 lud der Oberhausener KULTTEMPEL zu seiner großen Eröffnungsparty. Doch die Geschichte unseres Lieblingsclubs im Pott begann wesentlich früher. In den 90er Jahren entstand der einstige STARCLUB, der sich mit einer Reihe von Live-Konzerten schnell in der Gegend etablierte. Dennoch kam es im Jahr 2000 zu einem Besitzerwechsel. Aus dem Starclub wurde das SAINT. Unter der neuen Leitung gestaltete man auch das Konzept um, und bot auch einen Diskobetrieb an. Da einige Clubs im Umland zu der Zeit gerade in die Knie gingen, stellte sich beim Saint schnell ein Erfolg ein. Es entstanden erste Partyreihen zu dunkleren elektronischen Klängen, wie die monatlich stattfindenden Depeche Mode Abende oder die Dimanche Noir Party, zu der man Sonntags einlud. Leider ließ man damals die Instandhaltung des Gebäudes außer Acht und somit geriet die Veranstaltungsstätte eines Tages in Schwierigkeiten.

Hier kam unser Peter Jurjahn ins Spiel und damit die Geburtsstunde unseres allseits geliebten Kulttempels. Als erfahrener Geschäftsführer der Duisburger Diskothek KULTKELLER entschloss er sich dazu, diesen in die Jahre gekommenen Club zu übernehmen und ihn sorgsam und gut durchdacht zu modernisieren und kundenfreundlich umzugestalten. Schließlich sollte man sich in seinem Club wohlfühlen und gern wiederkommen. Er schaffte es, dem Kulttempel eine Art Seele einzuhauchen. Ihm war es dabei stets wichtig, selbst nicht in den Fokus gerückt zu werden. Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Genau das hat sich Peter bis zum heutigen Tage bewahrt und es gehört wohl zum Schlüssel seines Erfolgskonzepts. Seine Bescheidenheit, gepaart seinem ungebremsten Engagement und dem Herz am rechten Fleck kamen immer gut an. Bei auftretenden Problemen entstanden Visionen und daraus entwickelten sich Lösungen, nicht nur für Peter, sondern auch für seine Mitarbeiter, seine Gäste und die Bands.

Nun war es an der Zeit einen rauszuhauen und mal gehörig zu feiern. Pandemiebedingt schummelte man ein bisschen bei der Ankündigung, man werde den 10. Geburtstag des Kulttempels feiern. Aber darüber sehen wir milde hinweg. Schließlich wissen wir alle, wie sehr die Branche in dieser Zeit gelitten hat. Da man sich durchaus bei dem Wunsch ertappt, dass besonders mitreißende Abende niemals enden mögen, entschloss man sich, dieses Event auf ganze drei Tage auszudehnen. Ganze 11 Bands sollten für Spiel(freude), Spaß und gute Laune sorgen. On top hat man sich ein besonderes Dankeschön ausgedacht: Für alle Besucher gab es anlässlich des Jubiläumsevents ein eigens angefertigtes Kulttempel T-Shirt mit dem beliebten Logo und rücklings prangten die Namen aller Bands auf dem weichen Stoff.

Am Donnerstag, den 08.09.2022 konnte die Party des Jahres starten. An allen Abenden führte unser allseits beliebter Jens Puppekopp durch das Programm. Seine lockeren Sprüche sorgen stets für Erheiterung und ebnen den jeweiligen Auftritten eine ungezwungenen Einstieg. Die ZWEITE JUGEND aus Osnabrück läutete den Konzertmarathon mit ihrer „elektronischen Körpermusik“ ein. Das Duo bestehend aus Eli van Vegas und Marcel Lüke, kniete während des Intros mit hoch erhobener Faust auf der Bühne. Währenddessen wurden die Jungs von einer gehörigen Nebelschwade umhüllt. Passend zum gerade umschlagenden Wetter begann das Set mit „Der Herbst Ist Da“. Marcel nahm seinen Platz an seinen Drums ein und Eli schnappte sich das Mikro. Gegen Ende des Songs entstanden kurzzeitig Tonprobleme, die von Eli sogleich erheitert kommentiert wurden „Der Herbst ist da, der Schlagzeuger ist nicht da! Wir sind die ZWEITE JUGEND und wir bringen euch den Herbst und die Liebe.“ Er hielt direkt Wort und es folgte „Liebe Ist Luxus“. Eine eingängige Melodie wurde mit dem Klang eines Schlages auf Stahl untermalt. Eli nahm auf der Bühne Fahrt auf und endete kurzzeitig mit einem übermütigen Move, der ihn auf dem Schlagzeug zum Stehen kommen ließ. Das Stimmungsbarometer kletterte mit dem Song „Euroträume“ empor. Nachdem zuvor zwar schon Bewegung unter den Partygästen aufgekommen ist, sang man nun eifrig mit „Die Straßen aus Gold, die Häuser aus Gold, die Kinder aus Gold und alles aus Gold“. Marcel sah man bei seinem Schlagzeugspiel besonders gerne zu. Seine Freude war unübersehbar und diese färbte schnell auf einen ab. Die „Stiefelliebe“ veranlasste das Publikum emsig zu klatschen und Eli war mittlerweile vollends in seinem Element. Er posierte gekonnt vor den Kameras der Fotografen und sorgte bei den EBM-Fans für Verzückung. „Schöne Augen“ hat die Band wohl auch einer Person im Publikum gemacht. Warf diese doch während des Songs einen rosafarbenen Schlüpfer auf die Bühne, den Eli gekonnt einfing. Nachdem er uns diesen stolz präsentierte, fand das Höschen einen neuen Platz auf der Monitorbox. Während im Song „Elektronische Körpermusik“ die Körperliebe besungen wurde, hüpfte der Sänger fröhlich umher, während er vom Publikum mit „Hey, Hey-Rufen“ angefeuert wurde. Kurzerhand dichtete er die Lyrics um. „Echte Liebe ist Oberhausenliebe!“ Stolz ergänzte er „Das habe ich mir gerade ausgedacht. Schön, oder?“ Der daraufhin folgende Applaus gab ihm recht. „Habt ihr noch Lust auf n viertel Lied? Ein halbes, oder ein ganzes? Habt ihr alle brav dem Kulttempel gratuliert? Hier kommt unser Lied für den Kulttempel. Das gilt für alle Zeit!“ An dieser Stelle folgte der Hit der Band: „Hoch Die Tassen“. Der Name war Programm. Eli klatschte munter die erste Reihe ab, während die Fans lautstark in die bekannten Zeilen mit einstimmten und kaum ein Ende fanden. Hiermit endete auch schon das kurzweilige Set der Jungs. Doch zehn weitere Acts sollten noch folgen.

Kennt ihr eigentlich den kleinen wilden musikalischen Ableger von LÆTHER STRIP? Der Däne Claus Larsen hat bereits im Jahr 1991 das Industrial-Musikprojekt KLUTÆ gegründet. Bis zum heutigen Tag habe ich den Bandnamen zwar mal wahrgenommen, was einen wirklich erwarten könnte, war mir jedoch unklar. Wunderlich ist dies kaum, schließlich spielen KLUTÆ hierzulande extrem selten. Claus beschreibt sein Projekt als insgesamt „lauter und lustiger“. Nun war also an der Zeit für die 2. Band des Abends. Auf der Leinwand erschien das Cover des letzten Albums: Ein pinkfarbenes Pentagramm samt dem Titel „Queer For Satan“. Und schon ging die Post ab. Claus nahm die Bühne routiniert und energisch für sich ein – und zwar ganz allein. Schließlich besteht KLUTÆ aus Claus Larsen himself und niemand anderem. Industrial Parts vereinten sich mit Elektroklängen und ab und an gesellten sich auch EBM-Einflüssen hinzu. Der straighte Musiker hatte zudem eine beeindruckende Mimik inne. Den treibenden Song „Insect Skin“ untermalte er auch mit einem schier irre gewordenen Blick- herrlich. „The Wire & The Cuffs“ kam dann im klassischen EBM Sound daher. Claus schüttelte dazu heftigst seinen Kopf und im Publikum kam ordentlich Bewegung auf. „Long Live EBM“ hatte richtiges Hit-Potenzial und machte richtig Laune. Leider war das kraftvolle Set im Nu vorbei. Claus breitete die Arme aus und verneigte sich „Wow. Dankeschön. Thank you so much. Have fun this weekend.“ Also Spaß hatten hier alle zu genüge. Eins ist sicher: zu Hause muss ich mich mal näher mit der Musik von KLUTÆ befassen. Die Lust auf mehr wurde hier erstklassig geweckt. Zwischendurch kam mal der Gedanke auf, dass dem Live-Geschehen ein bis zwei weitere Musiker nicht schaden könnten. Es war einfach ungewohnt, einen Macher allein auf der Bühne zu sehen. Dennoch hat Claus Larsen meinen tiefsten Respekt für seine Darbietung und der quirlige „Bruder“ von LÆTHER STRIP hat weitaus mehr zu bieten, als ich dachte. Danke für diese wunderbare Neuentdeckung.

KLUTÆ

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Fotos: Cynthia Theisinger

An diesem Donnerstag war der Kulttempel schon gut besucht, aber noch nicht ganz so prall gefüllt. Für den Einstieg war das ganz angenehm. Es haben übrigens auffällig viele Leute ihre kleidsamen neuen Geburtstags-T-Shirts getragen. Das Geschenk für die besten Gäste der Welt kam also gut an. Nun war es Zeit für den Headliner des Abends: KIRLIAN CAMERA. Es erklang ein Intro und auf der dunklen Bühne machten sich Nebelschwaden breit. Die vier Musiker kamen hinzu und ihre Gesichter waren durch schwarzen Sturmhauben getarnt. Sie alle hielten eine Taschenlampe in der Hand und stellten sich bedächtig nebeneinander. Ihre Lichtstrahlen richtete sich auf den mittleren Bereich des Raumes. Auf der großen Leinwand lief ein Video mit okkulten Szenen. Ein mystischer Beginn. Langsam nahmen alle ihre Plätze auf der Bühne ein und „The 8th President“ erklang. Sängerin Elena Alice Fossi trug schwere Lackboots, die mit etlichen silbernen Schnallen versehen waren. Ihre Hände waren von feinen Satinhandschuhen bedeckt. Ein breiter Taillengürtel hielt ihren langen Cardigan zusammen und an ihrem Kragen waren lange Ketten befestigt. Ein Ventilator sorgte dazu für wehendes Haar. Weiter ging es mit „Hellfire“- der Coverversion eines Songs der Fantasy Serie „Lucifer“. Der eingängige Refrain „Hellfire, Hellfire, take my soul“ bahnte sich zügig seinen Weg durch den gesamten Kulttempel. Elena ist eine Frau, die einfach weiß, wie man sich grazil bewegt. Ihr Blick war dabei immer wieder von ihrem etwas zu langen Pony verdeckt. Sie schaffte es aber dennoch stets, kess daraus hervorzulugen. Gehörigen Respekt verleibte uns derweil die Bassistin Mia W. Wallace ein. Mit theatralischen Bewegungen und Blicken des Todes musste man durchaus darauf achten, dass man nicht vergaß weiterhin ein- und auszuatmen. Zum Glück wechselten sich diese Momente aber mit einem verschmitzten Lächeln ab. Sonst wäre einem das Blut sicherlich in den Adern gefroren. Absolute Coolness wechselte sich auch mit einem Anflug von scheinbarer Arroganz ab. Ihre Mimik hatte wahrlich etwas für sich. Zarte Synthpopklänge entwickelten sich bei „Chrystal Morn“ zu einer tanzbaren Nummer. Die besondere Stimme von Elena verzaubert einen unweigerlich. Als es zu technischen Problemen kam, nahm Mia dies zum Anlass, eine Flasche Weißwein hervorzuholen und sich daraus erstmal einen großen Schluck zu gönnen. Elena Schloss sich ihr an. Der Durst der feinen Damen war gestillt und schon konnte es weitergehen. Der mitreißende Song „Night Glory“ sorgte für ein erstes Stimmungshoch. Die Fans sangen glücklich mit und klatschten dazu im Takt. Unverzichtbar war die Coverversion von Pink Floyds „Comfortably Numb“. Elena sang diesen Titel hingebungsvoll und als dieser ausklang, setzte sie sich mit geschlossenen Augen auf den Boden und ließ diesen Moment (zur Freude der Fotografen) auf sich wirken. Pure Freude breitete sich auf allen Seiten aus, als wir den Clubhit „Sky Collapse“ hörten. In der Hitsingle geht es um bittere Momente, in denen einem scheinbar der Himmel auf den Kopf fällt und jegliche Hoffnung zu schwinden scheint. In der völligen Verzweiflung tut sich aber dann doch ein Hoffnungsschimmer auf, man schöpft neuen Mut und beginnt auf den Trümmern zu tanzen. Dieses Gefühl transportiert der Song einfach perfekt. Euphorisch schloss Elena ihren Gitarristen Alessandro Algol Comerio in die Arme. Er ließ sich davon aber nicht beirren und spielte einfach weiter. Diese kleinen Überfälle war er bereits gewohnt. Allesandro schien den Auftritt generell zu genießen. Der melancholische Sound ließ ihn zwischenzeitlich seine Augen schließen und er wirkte angetan. Mit dem Klassiker „Heldenplatz“ stand auch schon (zumindest offiziell) der letzte Titel an. Die Italiener verabschiedeten sich, um nach gerade mal 5 Sekunden erneut auf der Bühne zu stehen. Einen solch arbeitnehmerfreundlichen Übergang hat man selten erlebt. „Eclipse“ heizte nochmal die Stimmung auf und mit „Odyssey Europa“ verabschiedeten sich KIRLIAN CAMERA endgültig von ihren Fans. Auch wenn man durchaus ein Schlagzeug auf der Bühne vermisst, die melodischen Arrangements gepaart mit der einzigartigen Stimme und der faszinierenden Aura von Elena Alice Fossi machen ein Konzert von KIRLIAN CAMERA stets besonders.

KIRLIAN CAMERA

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Fotos: Cynthia Theisinger

An dieser Stelle übernahm DJ Paranoid und bot den Partygästen noch die Möglichkeit, weiterhin durch die Nacht zu tanzen. Danach endete Tag eins der ausgiebigen Geburtstagssause. Folgendes muss aber unbedingt noch erwähnt werden: Rene Junge machte einen herausragend guten Job! Er hat eine beeindruckende Lichtshow ausgearbeitet, an der man sich die ganze Zeit über erfreut hat. Es gehört einiges dazu, die Bands so stimmungsvoll auszuleuchten. Die perfekt aufeinander abgestimmten Farben vereinten sich mit einzelnen Nebelschüben und ließen einen entzückt zurück. Erfreulicherweise beglückte er uns auch an den folgenden Tagen mit seiner Strahlleistung. Am Freitag stand uns dann ein Abend bevor, an den man sich noch lange zurückerinnern wird, soviel sei schonmal verraten…

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