Summer Breeze – So war der Donnerstag
Unter “Camping” auf Festivals versteht im Detail jeder etwas anderes. Es gibt Puristen, die einfach nur ihr Ein-Mann-Zelt aufbauen und tagtäglich kalte Ravioli essen. Andere wiederum bestehen auf einem Stromaggregat, mindestens Feldbetten zum Schlafen, es wird warm gekocht und täglich geduscht. Der Begriff “Glamping” wurde erfunden, um recht komfortable Camping-Ansprüche zu beschreiben. Ich selbst zählte am Anfang zur ersteren Gruppe, aber man wird älter und bisweilen auch bequemer. Einen Wohnmobilbesitzer mit Stromaggregat in unserer Gruppe zu haben, bescherte uns allmorgendlich frischen Kaffee und man muss schon sagen: Das macht eine Menge aus! Festivals sind – das muss man bei all dem Spaß, den man selbstverständlich hat- auch zugeben: anstrengend! Zumindest wenn man statt nur saufend im Camp zu sitzen, viele Bands sehen möchte. Wir hatten uns für den Donnerstag einiges vorgenommen.
Unsere erste Band auf der Mainstage war GHØSTKID. Anders als die Schreibweise vermuten ließe, haben wir es hier nicht mit Skandinaviern zu tun. Das Project des Ex-ESKIMO CALLBOY-Sängers Sebastian Biesler kommt aus Deutschland. Gleich beim zweiten Song wurde Frühsport eingefordert: Alle sollten sich hinsetzen und dann gemeinsam hochspringen, was auch gelang. Biesler wusste genau, was er vom Publikum erwartete und forderte die Mitarbeit aktiv ein. Bei “Start A Fight” gab es den ersten größeren Moshpit. “Bewegt euren Arsch! Bewegung, Summer Breeze. Ihr könnt das!”, drillinstructerte es von der Bühne. Zwischendurch gab es dann nochmal Ansagen anderer Art. Der Sänger erzählte von der aktuellen, schwierigen Situation, in der sich vor allem kleinere Bands und Veranstaltungsorte befinden. Die Ticketverkäufe laufen längst nicht mehr so gut wie vor der Pandemie und etliche Konzerte und Festivals mussten wegen zu schlechter Vorverkaufszahlen abgesagt werden. Biesler appellierte eindringlich, dass hier ein Teufelskreis in Gang geraten ist. Denn wenn die Leute wegen Angst vor Absagen durch veränderte Pandemiebedingungen nicht mehr im VVK kaufen, provozieren sie damit erst recht diese Absagen, und zwar Pandemie hin oder her. Dass sich gerade viele Künstler ähnlich äußern, zeigt, dass die Lage wirklich ernst ist. Und darum schließen auch wir uns der kollektiven Bitte von GHØSTKID und Co. an: Wenn ihr Veranstaltungen besuchen möchtet, nutzt so früh wie möglich den Vorverkauf, damit die Veranstalter Planungssicherheit erhalten. Danke schön. Die Band beendete ihr Set mit dem Song “Yøu And I”.
Fotos: Mirco Wenzel
Die Umbaupausen auf der Main Stage waren überwiegend recht kurz, weshalb es auch nicht lang dauerte, bis MR. HURLEY & DIE PULVERAFFEN die Bühne stürmten und “mit n’ Hut” nach “Tortuga” segelten um dort ihren “Untergang” zu feiern. Mitten im Song fiel mal kurz der Sound aus, wodurch sich die Piratenbrüder aber nicht beirren ließen. (Die Bandmitglieder sind sämtlich Geschwister, Anm. d. Red.) Hier war selbstverständlich gute Laune genauso sicher wie der Pulverdampf nach dem Abfeuern einer Kanone. “Wer Mr. Hurley & Die Pulveraffen anschaut, tut das nicht wegen der Musik”, glaubte der Fronter zu wissen. “Ihr wollt doch nur sehen, wie wir uns auf der Bühne besaufen”. Nun ja, bei Piraten erwartet man schon eine gewisse Trinkfestigkeit. Zum Glück war dafür gesorgt, es wurde Pfefferminzlikör auf die Bühne gebracht und die Band entführte uns mit dem Song “Santa Sangria” nach Kuba. Der große Vorteil der eingängigen und oft deutschsprachigen Lieder der hurley’schen Truppe besteht darin, dass die Mikrofone eigentlich ruhig ausfallen können. Das Publikum singt ohnehin alles lautstark mit. So auch bei der berühmten Walfängerhymne “Soon May The Wellerman Come”. Aber es wird nicht immer tatsächlich gesegelt, manchmal geht es auch um ganz alltägliche Alltagsprobleme in den Texten der Band. So zum Beispiel bei “Auf zu neuen Ufern”, wo das Ende einer Beziehung im Mittelpunkt steht. Der Wunsch “Ich hoffe, dein Neuer kriegt Skorbut” wurde dieses Mal kurzerhand in “…kriegt Corona” abgewandelt. In unserem Camp war die Gefahr übrigens gering, da wir Zitronensaftkonzentrat dabei hatten. Alle behielten ihre Zähne und haben es in einem Stück nach Hause geschafft. Die Technikprobleme hatten indes anfangs etwas Zeit gekostet, weshalb es am Ende ein bisschen hektisch wurde. Aber natürlich ging es nicht ohne den Song aller Songs zu Ende. “Blau wie das Meer” hörte man nicht nur auf und vor der Bühne, sondern auch immer mal wieder auf den Campgrounds erschallen.
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Fotos: Andreas Theisinger
Ich persönlich freute mich nun ganz besonders auf die Band BEAST IN BLACK. Die Finnen hatten seit der Tour im Vorprogramm von NIGHTWISH 2018 einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Natürlich kam das Markenzeichen der Band, nämlich die Verknüpfung von elektronischer Musik mit Power Metal nicht immer gut an und ist vor allem den Trve Metalern ein Dorn im Auge. Das Quintett ließ sich davon natürlich nicht beirren und zog seine beeindruckende Show durch. Die gesanglichen Fähigkeiten von Yannis Papadopoulos sind mittlerweile weithin bekannt und sein ungewöhnlich hoher Gesang befähigte ihn bereits zu Covern von Symphonic Metal-Songs, die eigentlich für Sopranstimmen geschrieben worden sind. “Being on the road again feels like being born again”, lyrikte der Sänger. Vor ihrem Backdrop, das das Cover des aktuellen Albums “Dark Connection” zierte, setzten BEAST IN BLACK ihre wahnsinnig hohe Energie frei, die ihre Spielweise ausmacht. Da ich mich in der ersten Reihe befand, konnte ich auch die pure Freude der Die Hard-Fans gut beobachten, die unermüdlich auf und ab sprangen und ihre Helden begeistert anfeuerten. Egal ob Songs des Debutalbums wie “Beast In Black” oder neuere Stücke wie “Hardcore”. Hier wurde bereits am Nachmittag eine Party gefeiert. “I have one question for you: What about going to Japan for a trip?” fragte Papadopoulos das Interesse an der aktuellen Single ab. Das war natürlich riesig. Die Band hat bereits mehrere Konzerte in Japan gespielt und da der Name sich auf die japanische Anime- und Mangaserie “Berserk” bezieht, ist die Verbindung und die Geschichte des Songs leicht herzuleiten. Zwischendurch sah man den Kabarettisten und TV TOTAL-Moderatoren Sebastian Pufpaff im Graben (Ja, ich habe die Schreibweise dreimal überprüft!). Er hatte angekündigt, einen kurzen Gastauftritt mit ELECTRIC CALLBOY später am Abend zu haben. Im Graben wurde er von den Securitys herzlich begrüßt und bekam sogar ein Grabenschlampen-Shirt geschenkt. Eine hohe Ehre! BEAST IN BLACK hatten sich die größten Hits natürlich für das Ende aufgehoben. Der Kracher “Blind And Frozen” wurde gespielt, bevor das Set mit “End Of The World” leider verebbte. Die Energie hielt sich aber noch eine ganze Weile und konnte direkt mit zu den Landsmännern von FINNTROLL getragen werden.
Fotos: Andreas Theisinger
Wir blieben musikalisch also in Finnland, aber nun wurde es deutlich “folkiger”. Mit eher traditionellen Instrumenten wie dem Akkordeon wird hier ein Metal gespielt, der gleichzeitig einen großen Teil des finnischen Humppa enthält. Sänger “Vreth” Lillmåns freute sich sichtlich, diese Show auf dem Summer Breeze spielen zu können. “Good to be back”, rief er der feierwütigen Menge zu. FINNTROLL hatten 2020 das Album “Vredesvävd” (zu deutsch: “Aus Zorn gewoben”) veröffentlicht, aber alle Live-Pläne hatten sich natürlich aus bekannten Gründen zerschlagen. “There should had been an album release show in 2020. Shit happened. But now we’re here. Let’s play some new stuff”, verkündete der Fronter den Hergang. Im Set fanden sich gleich mehrere neue Stücke wie “Ormfolk” und “Ylaren”. Wie man an den Titeln und auch am Nachnamen des Sängers sehen kann, ist die Ursprungssprache hier mitnichten Finnisch, sondern Schwedisch. Das liegt daran, dass Lillmåns der schwedischsprachigen Minderheit in Finnland angehört, genau wie sein Vorgänger am FINNTROLL-Mikrofon Tapio Wilska. Aber die Sprache passte auch sehr gut zu den Trollthemen der frühen Alben. Bei gegrowlten Texten macht das ohnehin nur einen marginalen Unterschied. Auch bei dieser Band traten vereinzelt technische Probleme auf, so streikte die Basedrum mitten im Set, aber die sympathischen Musiker überspielten die Pause mühelos. Mit ihrer weißen Schminke und den spitzen “Trollohren” kamen sie genauso gut an wie die Kollegen von KORPIKLAANI vom Vortag. Das 2010er Album, das die zwischenzeitliche Abkehr von rein trollbasierten Themen kennzeichnete, kam im Set natürlich auch nicht zu kurz. Zum Beispiel wurde gegen Ende der Song “Solsagan” gespielt.
Fotos: Andreas Theisinger
Puh, wie findet man in kürzester Zeit gedanklich raus aus den finnischen Wäldern und den Weg ins nordrhein-westfälische Castrop-Rauxel? Der Spagat wurde nötig, um sich mental auf die Show von ELECTRIC CALLBOY vorzubereiten. Wenn man die Menge an umherwanderndem Bandmerch als Indikator heranzog oder aber den Füllstand des Infields, dann hatte die Band jedenfalls mit Vorsprung gewonnen. Keiner weiß so genau, die die Irren aus dem Pott den Sprung von einem Underground-Phänomen hin zu nationalem Ruhm geschafft haben, aber Fakt ist: ELECTRIC CALLBOY sind in aller Munde. Die gescheiterte Teilnahme am Eurovision Songcontest-Vorentscheid (wobei, kann man “gescheitert” sagen? Viele Deutsche äußerten sich trotzig, unterschrieben Petitionen und erklärten ELECTRIC CALLBOY zum Sieger der Herzen. Die Wahl des recht farblosen Sängers Malik Harris als deutschen Beitrag zum ESC und das desaströse Abschneiden Deutschlands waren die Folge) brachte die Band bis in die Mainstream-Medien. Seit dem Gewinn des Wettbewerbs durch LORDI 2006 dürfte klar sein, dass man auffallen muss. Und “Auffallen” ist einer der vielen Vornamen von ELECTRIC CALLBOY. Sie waren in meinem Dafürhalten irgendeine Coreband, die zwar sehr hart arbeitete und viele internationale Touren bestritt, sich aber nicht wirklich von den anderen abhob. Core hatte damals eine Hochphase und es gab ein Überangebot, von daher war es schwer herauszustechen. Aber dann geschah mit “Hypa Hypa” sowas wie ein Vulkanausbruch. Mit dem neuen Sänger Nico Sallach wurde die Band plötzlich bekannt und ab da setzte sich der zu Musik geronnene Wahnsinn namens ELECTRIC CALLBOY in den Ohren der Republik hartnäckig fest. “Pump It” und “We Got The Moves” setzten den Siegeszug fort und auch die bizarren Videos der Band trugen zum Erfolg maßgeblich bei. In Dinkelsbühl sah man schon den ganzen Tag über immer wieder Fans, die Trainingsanzüge in grellen Farben, neonfarbene Schweißbänder oder Poolnudeln mit sich herum trugen und somit den Stil der Band in den besagten Videos nachahmten. Auch auf der Bühne trug man zunächst Vokuhila-Perücken und Trainingsjacken, aber nur zu Beginn, dann wurde sich halbwegs normal umgezogen. Es war wie gesagt brechend voll auf dem Infield vor der Main Stage und das bis hinter den zweiten Wellenbrecher. Alle wollten die “Naturkatastrophe” namens ELECTRIC CALLBOY sehen. Mit “Pump It” wurde auch gleich der verworfene ESC-Song gespielt und dazu Papierschlangen aus Kanonen abgefeuert, danach folgten überwiegend Songs aus der Phase vor der wegweisenden EP “MMXX”. Schon beim Stück “My Own Summer” wunderten sich die besagten Trainingsanzüge, dass sie tatsächlich mal bei sportlichen Einlagen eingesetzt wurden, statt nur als Styleaccessoire des bewusst schlechten Geschmacks zu dienen. Es wurde nach Aufforderung der Fronter Sallach und Ratajczak kräftig gesprungen. “Für wen ist das das erste Festival nach zwei beschissenen Jahren?”, kam die Frage von der Bühne. Etliche Hände gingen hoch. “Das Summer Breeze verbinden wir immer mit besonderen Erlebnissen. Auf dem Breeze hatten wir immer den Arsch voll”. Die Securitys mussten sich unterdessen trotz der heißen Temperaturen warm anziehen. Man wurde direkt an “Crowdsurferapokalypsen” wie bei Bands wie KNORKATOR erinnert. Hier bekamen die Grabenschlampen im wahrsten Sinne alle Hände voll zu tun. Der Band gefiel es: “Wahnsinn wie viele hier crowdsurfen. ich steh drauf”, bekannte Ratajczak. Aber man blieb auch fair den “Schlampen” gegenüber, die laut ELECTRIC CALLBOY den ganzen Tag Schwerstarbeit leisten und dafür kräftig Applaus ernten durften. Die neue “Ehren-Grabenschlampe” Sebastian Pufpaff machte unterdes die Ankündigung wahr und durfte kurz mit auf die Bühne. Überhaupt muss man wieder einmal betonen, wie nett und gut gelaunt die Jungs in den roten Shirts im Graben waren. Nicht bei allen Festivals haben die Securitys aus Sicht der Besucher “ein Gesicht”, also eine wiedererkennbare Identität. Beim Summer Breeze ist das glücklicherweise anders. Zwischendurch wurde auch immer wieder ordentlich Pyrotechnik gezündet, einer der Sänger musste von einem Crewmitglied sogar kurzerhand zurückgezogen werden, bevor eine Feuerfontäne losging. Bei “MC Thunder II” gab es dann zusätzlich auch noch eine Wall of Death und mehr Luftschlangenkanonenfeuer und einen dermaßen großen Moshpit bei “Hypa Hypa”, das dürfte Rekord gewesen sein. ELECTRIC CALLBOY setzen neue Maßstäbe und sind gekommen, um zu bleiben. Aber natürlich wurde auch Werbung für das demnächst erscheinende neue Album “Tekkno” gemacht und einige neue Songs gespielt. Unter anderem “Fuckboi” und “Spaceman”. Für die Zugabe in Form von “We Got The Moves” setzten die Bandmitglieder dann auch tatsächlich die Pagenschnitt-Perücken und weißen Klamotten aus dem Musikvideo auf. Die Bonsai-Heckenschere war aber wohl zu Hause geblieben. Ein denkwürdiger Auftritt war das und sicherlich Teil der Identität des Summer Breeze 2022.
Fotos: Andreas Theisinger
So bekannt ELECTRIC CALLBOY mittlerweile auch sind, den Headlinerposten dürfen sie wohl erst beim nächsten Mal übernehmen, hier hatte das Breeze wieder auf eine klassische Metalband gesetzt. ARCH ENEMY aus Schweden war angereist und stellte ihr neues Album “Deceivers” vor, für das es auch überall auf dem Gelände Werbung in Form von Zaunbannern und Trinkbechern gab. Zunächst fielen die großen Backdrops auf, die in fünf Streifen geteilt die Zeichnungen verschiedener Gesichter zeigten, sowohl dämonische, als auch menschliche. Alissa White-Gluz und ihre Mitstreiter enterten die Bühne und legten mit dem Song “The World Is Yours” los. Der erste Teil der Setlist war mit der von Wacken identisch. Zu “Ravenous” bekannte die Fronterin: “This is one of my favourite songs!”. Vielen Fans dürfte es da ähnlich gehen. Aber auch die neuen Stücke wurden dankbar angenommen. So gab es bei “In The Eye Of The Storm” zahlreiche Crowdsurfer und natürlich wurde auch in mehreren Kreisen kräftig gemosht. Einer der “Surfer” fiel besonders auf, weil er stehend auf einem liegenden Kumpanen surfte. Der untere Teil des… “Kunstprojektes” musste über stahlharte Bauchmuskeln verfügen. Der 2003er-Song “Dead Eyes See No Future” war in Wacken nicht gespielt worden, kam aber nun zum Einsatz. Das Summer Breeze-Headliner-Set gab nämlich 15 Minuten mehr Spielzeit her. “We spent the pandemic years with writing new songs and making a bunch of videos”, erzählte Alissa zwischendurch von dem kreativen Output unter erschwerten Bedingungen. Auch die beiden Saitenisten Loomis und Amott zeigten wieder einmal, dass die unbändige Kraft dieser Truppe nicht nur auf Alissa konzentriert ist. Was eine Soundwand einem da entgegenwaberte, war outstanding! Insgesamt gab es am Ende zwei Zugabe-Blöcke mit Hits aus frühen Tagen, z.B. “Nemesis” und “Snow Bound”.
Fotos: Andreas Theisinger
Zwischendurch trat ich den Gang zur benachbarten T-Stage an, um auch einen Blick auf ENISFERUM zu erhaschen. Die finnischen “Schwertträger” (so die Übersetzung des lateinischen Namens) sind längst eine feste Konstante des nordischen Metals und immer einen Besuch wert. Schon der Soundcheck der Jungs wurde bejubelt und mit “Zugabe”-Rufen quittiert. Als Intro ertönte Wellenrauschen und das Knarren eines Bootes, um einen Bezug zu den oft wikingösen Themen der Band herzustellen. Ich muss zugeben, dass ich das 2020er-Album “Thalassic” nicht angehört hatte. Daher wurde ich auch als einziger davon überrascht, dass ENSIFERUM jetzt einen Keyboarder in der Band haben. Pekka Montin spielt aber nicht nur die Tasten, sondern steuert dem Sound der Band Klargesang bei. Ich sah hier also gewissermaßen ein erneuertes ENSIFERUM und muss sagen, dass die neue Komponente mir ausgesprochen gut gefällt. “Token Of Time” vom Debutalbum konnte ich immerhin misingen, genauso wie die “Twilight Tavern”. Ich habe den Eindruck, dass Frontsänger Petri sich jetzt mit noch einer Stimme mehr an Bord, öfter als früher traut, das Mikro mal zu verlassen und sich zwischendurch auch ganz dem Gitarrenspiel zu widmen. Die übrigen Saitenzupfer fungieren ja auch immer wieder als Background-Vocals und mit allen zusammen klingt die Refrainzeile “In My Sword I Trust” eindrucksvoller denn je. Es waren im Moshpit auch vereinzelt aufblasbare Gummischwerter zu sehen. Bei dem neuen Song “Run From The Crushing Tide” durfte Pekka auch mal seinen Platz hinter dem Keyboard verlassen und im Duett mit Petri vorne am Bühnenrand singen. Da habt ihr einen guten Fang gemacht, ENSIFERUM. Das “Sandwich-Crowdsurfen” bei ARCH ENEMY hatte sich offenbar rumgesprochen, auch hier sah man plötzlich ein blondes Mädchen auf einer männlichen Unterlage surfen. Sie fiel aber zwischenzeitlich runter und kletterte mühsam wieder zurück auf ihren menschlichen Thron. Leute, bei aller Liebe und Verständnis, aber vielleicht solltet ihr häufiger darüber nachdenken, was gut für eure Gesundheit, die der Securitys und der Menge unter euch ist. Doppeldecker-Crowdsurfing dürfte für niemanden gesund sein. Auf der Bühne ging es derweil munter weiter. Bei “Midsummer Magic” sangen alle Bandmitglieder zusammen, bevor sich mit den ikonischen Songs “From Afar”, “Lei Lei Hei” und “Iron” der finnische Kreis schloss. Hatten wir schon erwähnt, dass finnische Bands auf jedes Festival gehören?
Fotos: Andreas Theisinger
Skandinavische Bands ganz allgemein sind immer wieder verlässliche Konstanten im Festivaltreiben. Hier lebt man den Metal tagtäglich und diese Authentizität ist es, die oft den Unterschied ausmacht. AVATAR aus Schweden bilden da keine Ausnahme. Auch hier verbietet sich wieder jegliche Genre-Diskussion. Es kommen einfach sehr viele Einflüsse zusammen und die Songs der Band sind sehr unterschiedlich in ihrer Ausrichtung. Vor dem Bandschriftzug in Leuchtbuchstaben begann die Late-Night-Show mit “Colossus” vom aktuellen Album “Hunter Gatherer”. Schnell fiel auf, dass die Bandmitglieder offenbar hart daran arbeiteten, eine neue Sportart bei Olympia zu etablieren und zwar Synchronheadbangen. Sie stellten sich oft in einer Reihe auf und ließen gleichzeitig ihre Haare kreisen. Drummer John war zwischendurch offenbar der Meinung, für einen Song mehr Kraft zu benötigen, denn ein zweites kleines Drumset wurde auf die Bühne gebracht, vor dem er sich dann im Stehen austoben durfte. Die Mischung aus alten und neuen Songs ging derweil weiter. Der mittlerweile zehnjährige Song “Let It Burn” wurde vom neuen Song “Silence In The Age Of Apes” abgelöst. Der horrorclownartig geschminkte Fronter Johannes Eckerström überraschte mich als AVATAR-Neuling zwischendurch mit Ansagen in perfektem Deutsch: “Meine Damen und Herren, liebe Kinder, Alte, Junge, Dicke, Dünne, Outcasts, Freaks! Wir sind den ganzen Weg aus Schweden gekommen”, rief er der jubelnden Menge zu, bevor die Bands Klassiker wie “Paint Me Red” und “Bloody Angel” anstimmte. Das Charisma des Sängers sorgte für rege Mitarbeit im Publikum. Zwischendurch suchte Eckerström den Schulterschluss mit allen, die sich im Kampf mit sich selbst befinden. “Wir mussten unsere Dämonen zuvor allein bekämpfen”, erinnerte er an die Isolation in der Pandemie. “Heute Abend ist es anders. Wir bekämpfen sie gemeinsam. Wenn ihr blutet, dann bluten auch wir: Seid ihr mit uns?”. Soviel persönliche Schützenhilfe von oben ist man nicht gewöhnt und dementsprechend groß fiel auch die Zustimmung aus. AVATAR haben uns blendend unterhalten. Offenbar war gerade “Hail The Apocalpyse”-Mottoabend. Das 2014er-Album wurde noch mit drei weiteren Songs ausgiebig beleuchtet, mit dem Titelsong desselben endete das Set und die meisten machten sich auf Richtung Campground.
Fotos: Andreas Theisinger
Nicht so die Sharpshooter-Crew. Müde waren wir natürlich auch und etwas abgekämpft. Aber das diesjährige Summer Breeze-Line-up litt unter einer gewissen Schieflage, was meinen bevorzugten Metal-Substil Symphonic anging. Natürlich brachte der Co-Headliner WITHIN TEMPTATION als Schwergewicht das Pendel deutlich zum Schwingen, aber dennoch… rein quantitativ hätte ich mir mehr Melodic gewünscht. Daher kam es am Donnerstag auch nicht in Frage, vorzeitig die Kampfbahn zu verlassen. Ich begab mich erstmals zur dritten Bühne, der “Wera Tool Rebel Stage”. Schon auf Wacken war uns ein merkwürdiger Heißluftballon in der Form eines Schraubendrehers aufgefallen und auch hier war das ungewöhnliche Gefährt am Himmel gesichtet worden. Der Grund liegt in dem Sponsoring der Firma Wera Werkezuge mit ihrer Untermarke Wera Tool Rebels. Der Werkzeugfabrikant hatte auch einen rege besuchten Stand auf Wacken und auf dem Breeze, wo nun auch die dritte Bühne nach ihnen benannt war. Nun, Werkzeug kann man immer gebrauchen, gerade auch beim Camping. Auf der Wera Stage sollte SERENITY den Schlusspunkt setzen, mittlerweile war es kurz vor halb zwei nachts. Der späten Stunde war es sicherlich auch zuzuschreiben, dass die Leute für das Konzert eher locker standen. Aber trotzdem war immer noch eine erkleckliche Anzahl erschienen, um den epischen Geschichten der Band zu lauschen. Das Set begann mit “My Kingdom Comes” vom aktuellen Album “The Last Knight”. Die Bühne war sehr ansprechend mit schwarz-weißem Schriftzugbanner und Drachenköpfen-Sidedrops dekoriert. Mit “United” vom “Lionheart”-Album ging es schnell und dynamisch weiter. Georg Neuhauser hatte den Tag mit den WARKINGS auf der T-Stage bereits mittags eröffnet gehabt und durfte nun hier den Sack zumachen. Trotzdem duldete die Band keine Schwäche “Es ist ganz schön, für euch die Gute-Nacht-Musik zu machen”, rief Gitarrist Chris von der Bühne herab. “Aber so müde wirkt ihr gar nicht”. “Die Banane hat noch Power, die leuchtet noch”, stimmte ihm Georg zu und nahm Bezug auf einen Besucher im Ganzkörper-Bananenkostüm in der ersten Reihe. In den nächsten Reihen fanden sich zahlreiche Fans, die zu den melodischen Klängen enthusiastisch tanzten und jede Zeile mitsangen. Ich war also doch nicht allein mit meiner Vorliebe für Metalarten, die ohne Gebrüll und Blastbeat auskamen. “Velatum” (zu deutsch: “verschleiert”) vom “Fallen Sanctuary”-Album vertrieb jedenfalls alle Restmüdigkeit mit seinen opulent-orchestralen Zwischeneinlagen und dem sehr eingängigen Chorus. Mit “Legacy Of Tudors” wurde auch ein Hit von “War Of Ages” gespielt, das Album, mit dem ich die Band damals erst kennengelernt hatte. Bei “Spirit In The Flesh” kam dann auch wieder die Gesangseinlage von Bassist Fabio D’Amore zum Einsatz, der den zweiten Teil des Refrains wie üblich hervorragend bestritt. Zum Abschlusssong “Lionheart” wurde von Georg dann noch eine große rot-gelbe Löwenfahne geschwenkt. Danke für die hervorragende Gutenachtgeschichte in gesungener Form, SERENITY.
Fotos: Andreas Theisinger
Im Camp traf ich dann noch auf meine Kollegen, die meine Vorliebe für große Melodien nicht teilen und lieber den härteren DARK TRANQUILLITY oder den brachialen EISREGEN gelauscht hatten. Bis spät in die Nacht bediente das Summer Breeze also die verschiedensten Geschmäcker. Das war ein langer zweiter Tag für unsere Redaktion, aber wir haben trotzdem jede Sekunde geliebt. Am nächsten Tag sollte es dann knüppeldicke kommen, aber das wussten wir noch nicht…