WACKEN IS BACK! Faster, Harder, Louder – Tag 3 (Freitag)

Am Freitag hatte es endlich ein wenig abgekühlt und es entwickelte sich langsam zu idealem Festivalwetter.
Den Tag starten durften um 11:30 Uhr BLIND CHANNEL. Die Finnen wurden im letzten Jahr durch ihre Teilnahme am Eurovision Song Contest bekannt, wo sie für ihr Heimatland den sechsten Platz belegt hatten (seit LORDIs Sieg im Jahr 2006 die höchste Platzierung Finnlands). Seitdem geht es steil bergauf für die Jungs: Touren mit ELECTRIC CALLBOY und die Teilnahme an SLIPKNOTs „Knotfest“ folgten. Nun also waren sie hier auf den Brettern, die Rock- und Metalbands die Welt bedeuten. Als der Vorhang auf der Faster Stage fiel, startete direkt „We Are No Saints“ und die von dem Blitzstart überraschten Fans bekamen direkt ein „Jump!“ als Befehl um die Ohren gehauen. Puh, Frühsport. Aber den sympathischen jungen Finnen nimmt man es nicht krumm und es wurde auch gleich fleißig gesprungen. „We were part of the „Metal Battle“ eight years ago and now we are back, playing at Main Stage, holy fuckin‘ shit“, fasste Joel die Entwicklung der Band zusammen, bevor zu „Alive Or Only Burning“ weitergeleitet wurde. Danach erinnerte der Sänger noch einmal daran, dass die erste Show der Band außerhalb Finnlands damals hier auf dem Wacken Open Air stattgefunden hatte. Natürlich stand die Setlist ganz im Zeichen des aktuellen Albums „Lifestyles Of The Sick And Dangerous“, mit dem die Band Ende des Monats eine Headliner-Tour durch Europa starten wird. Auch „Bad Idea“ stammt von diesem Album. Nach dem ANASTACIA-Cover „Left Outside Alone“ und dem „Rocky“ gewidmeten Song „Balboa“ war erst einmal Schluss. Aber natürlich fehlte noch der Song, mit dem alles angefangen hatte. Und BLIND CHANNEL ließen die Fans nicht im Stich. Für den Eurovision-Song „Dark Side“ kehrten sie noch einmal auf die Bühne zurück.

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Fotos: Kristina Meintrup

Keine langen Pausen! Auf der Harder-Stage warteten bereits KISSIN‘ DYNAMITE. Die Schwaben haben sich einen Namen als Glam Rock-Institution gemacht. Dieses Wacken war das der Jubiläen. Auch hier stehen mittlerweile schon 20 Jahre auf dem Zähler. Glückwunsch, KISSIN‘ DYNAMITE. Vor einem riesigen Ibanez-Gitarrenhals begann die Retro-Party mit „I’ve Got The Fire“ und „Somebody’s Gotta Do It“ vom „Ecstasy“-Album. Das Mikrofon musste bereits beim ersten Song ausgetauscht werden. Zwischen den Songs strahlte Sänger Hannes Braun über das ganze Gesicht. Vermutlich kann man nur gute Laune bekommen, wenn man dieses Meer von Menschen sieht. „We worked hard to play on the Main Stage of the world’s biggest metal festival“, sagte Braun nach dem Song „Only The Dead“. Der Chor bei „Sex Is War“ war jedenfalls beeindruckend laut, also die positive Energie der Band sprang trotz der frühen Stunde über. Das sah man auch an den vereinzelten Crowdsurfern. Der große Gitarrenhals war zwischendurch von der Bühne entfernt worden, denn dort, in der Mitte der Bühne brauchte man Platz für den „Thron“. Einen großen silbernen Stuhl, auf dem der Fronter beim Song „I Will Be King“ Platz nahm, ausstaffiert mit Königsumhang und Zepter. Danach erinnerte er daran, dass KISSIN‘ DYNAMITE Anfang des Jahres das neue Album „Not The End Of The Road“ herausgebracht hatten und nun wurde noch zum Abschluss der Titeltrack daraus gespielt, gefolgt von „You’re Not Alone“ und „Flying Colours“.

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Fotos: Kristina Meintrup & Dirk Jacobs

Nun stand ein wahres Kuriosum an. Auf der Louder-Stage sollte tatsächlich ein Rapper spielen. Rap wird von vielen Metalern als Antithese zum Metal verstanden und vehement abgelehnt. Aber ALLIGATOAH war stets mehr als ein Rapper. Er schien das Genre immer zu parodieren und sein herrlich sarkastischer Humor und die deutschen Texte sprachen schon immer für ihn. Das Label Trailerpark, dem der Sänger angehört, genießt eine hohe Popularität, aber auch unter Metalern? Es war völlig unklar, wie dieses Experiment ausgehen würde, als ich mich zur Louder Stage begab. Ich persönlich hatte bereits seine Frühwerke „ATTNTAAT“ und „In Gottes Namen“ sehr gerne gehört und die Religionskritik darin gefeiert. Nanu? Bereits etliche Meter vor der Louder war plötzlich kein Durchkommen mehr. Es war verdammt voll, so voll, wie ich es noch nie vor dieser Bühne erlebt hatte. Waren die Leute einfach nur neugierig und wollten den Besucher aus einer anderen Welt angaffen wie im Zoo? Als die Bühne enthüllt wurde, gleich der erste Lacher. ALLIGATOAH hatte auf die Louder Stage mit ihren beachtlichen Ausmaßen eine kleinere Bühne gebaut, die mit dem Schriftzug „Mega Stage“ versehen war. Auf ihr zertrümmerte der Sänger erst einmal eine Gitarre, bevor er verkündete „Niemand hat die Absicht, eine Ballade zu spielen!“. Er ist der König der überspitzten Gesten. Er gibt der Welt einen ironischen Anstrich und lässt die Leute über sich selbst lachen. Doch der Sound war zunächst dumpf und wenig durchdringend. Dass das durchaus Absicht war, wurde deutlich, als der Fronter „Es gibt keinen schlechten Sound, nur die falschen Klamotten“ ins Mikro brüllte. Sein Begleiter, Labelkollege Basti Boi, mit Helm und Warnweste wie ein Bauarbeiter verkleidet, stopfte schließlich einen großen Stecker in eine Steckdose und sofort schwoll der Sound mächtig an. Beim Eröffnungssong „Monet“ gab es bereits die ersten Crowdsurfer. Alligatoah hielt derweil eine Ansprache gegen Bodyshaming. Er wolle alle Hände sehen. Und auch wenn manch einer vor dem Spiegel stünde und sich nicht schön oder perfekt finde, so hatte er als Botschaft für Wacken: „Eure Hände sind wunderschön und haben es verdient, gesehen zu werden. Ihr habt einzigartige Hände, die sich gewaschen haben oder die sich auch sehr lange nicht gewaschen haben“. Nach dem Song erklärte er auch das mit den beiden Bühnen. „Natürlich kennt ihr das Problem, Wacken! Die großen Konzerte sind scheiße und unpersönlich. Aber keine Angst, ich bin ja da. Denn ich habe es euch versprochen: Ich bringe die kleinen Bühnen wieder auf die großen Bühnen. Denn nur vor den kleinen Bühnen wird richtig gefeiert. Nur vor den kleinen Bühnen gibt es richtige Moshpits“. Das sollte sich tatsächlich noch bewahrheiten.
Neben seinem Background-Sänger Basti bestand ALLIGATOAHs Truppe aus einem Synthmann am Laptop, einem E-Gitarrist, einem Drummer und einem Flötisten. Letzterer spielte auch die Klarinette, griff aber für den zweiten Song „Ein Problem mit Alkohol“ zur Blockflöte, die er mit der Nase spielte. Unfassbar! Da spielte ein Typ die Nasenflöte, ein anderer rappte vor sich hin und die Menge sang laut mit und es bildeten sich zwei Moshpits. Auch weiter hinten, um mich herum, gab es eine beeindruckende Textsicherheit. Die Erkenntnis verfestigte sich also: Wacken liebte ALLIGATOAH und seine Songs. Die Zeiten der Trve Metal-Puristen, die sich hinter ihrer metallischen Burgwand verschanzten und niemanden reinließen, sind hiermit endgültig beendet! Mit „Fuck Rock n‘ Roll“ wurde nun der erste Song aus dem aktuellen Album „Rotz & Wasser“ gespielt und die Securitys kamen fast in Bedrängnis angesichts der vielen Crowdsurfer. Alligatoah schubste nach dem Song eine der Absperrungen um, die zur Kulisse gehörten und verkündete „Ich zerstöre Bühnen seit 2014. Aber keine Sorge, für jede Bühne, die ich zerstöre, fliege ich in den Regenwald und umarme einen Baum“. Und dennoch, so dozierte der Sänger weiter, wisse man ja, dass die meiste Energie, die in der Natur vorkommt, bei einem ALLIGATOAH-Moshpit entstehe. Ein solcher formierte sich auch sofort in der Mitte, als Circle Pit rund um jemanden, der eine Pflanze nach oben reckte. „Lass liegen“, eine der Singles aus „Musik ist keine Lösung“ lieferte die Musik dazu. ALLIGATOAH turnte mittlerweile auf den Attrappen der Boxentüme herum, die seine Bühneneinrahmung bildeten und sang, passend zur Umweltproblematik „Feinstaub“. Nach dem Song stieg er wieder vom hohen Ross herab und begab sich zu uns Normalsterblichen, um „Fick Ihn Doch“ zu performen. Währenddessen begann der linke Boxenturm oben zu brennen, wobei man sich kurz fragte, ob das Show war oder nicht. Aber da niemand das Konzert abbrach und hektisch herbeieilte, wohl ersteres. „Wacken, habt ihr Angst vor Feuer?“, fragte der Fronter schließlich. Dies wurde verneint. „Habt ihr Angst vor Balladen? Vor irgendwas? Nein? Aber mit einer Sache kriege ich euch. Es handelt sich um eine Urangst des Menschen. Ich rede von Hochzeiten“. Dies war die Einleitung für die beiden Songs „Verloren“ und „Stay In Touch“. Alligatoah begleitete sich dabei selbst auf dem Keyboard. Danach wurde es Zeit für etwas gepflegte Kapitalismus-Kritik. „Früher wurde ich von großen Firmen gesponsort. Nestlé und Monsanto und wie sie alle heißen. Aber dann haben sich diese Firmen mit meiner Vergangenheit auseinandergesetzt und mussten sich von mir distanzieren. Aber das ist nicht so schlimm, denn ich habe bessere Sponsoren“. Vor den Sommerfestivals hatte es nämlich eine Aktion gegeben, bei der auf Social Media dazu aufgerufen worden war, ALLIGATOAH Werbung zu schicken. Werbung von den Fans für sich selbst. Also selbst entwickelte Logos und Fotos etc. Einige dieser Werke waren als Ausdruck auf dem Bühnensockel angebracht worden. Währenddessen hatten sich einige Fans hingesetzt und mit typischen Ruderbewegungen begonnen. Üblicherweise geschieht sowas bei Bands wie KORPIKLAANI, aber hier waren ohnehin alle Regeln aufgehoben. Mit „Hass“ wurde nun das Straßenverkehrslied gespielt, gefolgt von dem Hit „Alli-Alligatoah“, der natürlich wieder lautstark vom Publikum mitgesungen wurde. Den Klarinettisten konnte man zwischendurch beim Headbangen beobachten. Eine Combo, die man sonst nur von COPPELIUS kennt. Aber es gab noch mehr Sonderbares zu bestaunen. Während des Songs tauchten mehr „Bühnenarbeiter“ in Warnwesten auf und begannen, Teile der „Mega-Stage“ abzubauen. Umbau noch während gespielt wird? „Wacken, wir haben doch keine Zeit!“, rief Alligatoah. „Ich bin doch noch neu hier. Ich darf noch nicht so lange spielen! Die bauen meine Bühne ab. Aber ich gehe nicht von dieser Bühne, bevor ich ein Gitarrensolo gespielt habe“. Während also die Arbeiter immer mehr Teile der Deko entfernten, spielte die Band „Nachbeben“. Ein Blick auf die Uhr verriet natürlich, dass die Band hier keineswegs überzog und das Abbauen ebenfalls ein Showelement war. Gegen Ende spielte Alligatoah dann auch das angekündigte Solo. Zu einem schönen Moment kam es, als ein Fan im Rollstuhl samt Gefährt crowdsurfen durfte. „Habt ihr euch heute schon über den Fakt gefreut, dass ihr heute Morgen aufgewacht seid und am Leben wart?“, stellte der Sänger eine sehr philosophische Frage. Das Ganze war natürlich die Einleitung zum „Trauerfeier-Lied“, dass er auf einer der Staff-Kisten sang, bevor er sich gegen Ende in die Kiste legte und von der Bühne geschoben wurde. Aber natürlich kam es für die letzten Songs noch einmal zu einer Auferstehung. Der größte Hit „Willst Du“ stand nämlich noch an und als Abschluss „Wie zuhause“. Dass ein „Rapper“ sich auf dem Wacken Open Air so fühlt, ist sicherlich nicht selbstverständig, aber es hat trotz aller Fragezeichen im Vorfeld einfach super gepasst und war eins der absoluten Highlights am Freitag. „Die Leute fragten mich: Ist es nicht total schwierig für dich, extra deine ganzen Lieder auf Wacken so hart zu spielen? Aber ich sage euch ganz ehrlich: Viel schwieriger ist es für mich, seit Jahren meine Lieder auf den Alben und auf den anderen Konzerten immer so weich zu spielen. Wenn ich mir meine Lieder ausdenke, dann sind sie im Kopf immer genau so, wie sie jetzt hier sein dürfen. Endlich können sie fliegen und frei sein, so wie sie gedacht waren. Danke euch. Danke, Wacken“. Mit diesem schönen Statement verabschiede sich die Band. Danke an dieser Stelle auch an die mutigen Booker des Festivals. Experiment gelungen!

Anmerkung: Wegen Terminüberschneidungen unserer Fotografin haben wir leider keine Fotos von ALLIGATOAH, typisch Festival eben.

Wie kann man nach ALLIGATOAH den größtmöglichen Bruch herbeiführen? Mit BEHEMOTH natürlich. Die polnische Extreme Metal-Formation spielte direkt im Anschluss auf der Harder Stage. Die Bühne war durch schwarze, kantige Metallelemente und eine Kreuzformation aus Holz mit einer Schlange sowie dunklen Bannern bereits passend ausgestattet. Als LIMP BIZKIT abgesagt hatte, waren Nergal und seine Mannen kurzerhand eingesprungen. Leider waren die Merch-Textilien da bereits gedruckt gewesen, sodass sie dort leider nicht zu finden waren. Doch BEHEMOTH machten anderweitig Eindruck: Mit ihrer Bühnenperformance und natürlich mit ihrer brachialen Musik. Das Set begann mit „Ora Pro Nobis Lucifer“, also dem Gebet an den Lichtbringer. Die feierliche Gemeinde betete gerne mit, auch in Form von ausgedehnten Moshpits, die sich dank des Blastbeatgewitters direkt formierten. Bei „Of Fire And The Void“ gab es zahlreiche Pyroeffekte. Nach dem Song hielt Nergal zwei Rauchfackeln in den Farben blau und gelb in die Luft und setzte ein deutliches Zeichen gegen den Ukraine-Krieg. Polen hatte durchweg seine Solidarität mit dem Nachbarland erklärt, schließlich teilte man auch im Heimatland der Bahn leidvolle Erfahrungen mit feindlicher Besetzung durch Russland und Deutschland. Ein starkes Signal, Hut ab, BEHEMOTH. Passenderweise wurde dann der Song „Off To War!“ gespielt. Im Publikum sah man ukrainische Flaggen. Der Song entstammt, ebenso wie das nachfolgende Lied „Ov My Herculean Exile“ dem kommenden Album „Opus Contra Naturam“, das im September erscheinen wird. „In ancient Rome they used to say: Christians… „, Nergal winkte der Menge, den Titel des Songs zu vervollständigen. „Christians…“. Und die Menge antwortete „…To The Lions“. Nun wurde es Zeit für den ersten Kostümwechsel. Nergal legte eine aufwendig gestaltete schwarze Mitra an , die mit zahlreichen Kreuzen verziert war. Die Mitra (ein langer, spitzer Hut) ist üblicherweise ein Insignium hoher christlicher Würdenträger wie z.B. von Bischöfen oder auch des Papstes. Für „Chant 4 Ezkaton 2000 B.V.“ wurden neue, rote Banner mit dem Bandlogo entrollt und für den letzten Song „O Father, o Satan, o Sun“ legte Nergal ein neues rotes Gewand an und rote Schminke auf. Ich bezweifle, dass LIMP BIZKIT sich den Auftritt angesehen haben, aber was die Wacken-Besucher anging, so ist davon auszugehen, dass sie BEHEMOTH als äußerst würdige Vertretung angesehen haben.

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Fotos: Dirk Jacobs

Nebenan waren derweil hinter dem Vorhang natürlich schon die Vorbereitungen für IN EXTREMO getroffen worden. Die Mittelalter-Band veröffentlichte 2020 das Album „Kompass zur Sonne“, die dazugehörige Tour musste aber aus bekannten Gründen mehrfach verschoben werden. Daher haben die neuen Songs bisher nicht die ihnen zustehende Live-Aufmerksamkeit erhalten. Aber da sollte jetzt einiges nachgeholt werden. Als der Vorhang fiel, ging es auch direkt mit der ersten Single-Auskopplung „Troja“ los. „Habt ihr uns vermisst“, fragte Micha Rhein die Menge inmitten von Feuerfontänen. „Wir haben euch mehr vermisst. Glaubt ihr uns das?“. Schon bei „Feuertaufe“ tauchten die ersten Crowdsurfer und Mohshpits auf. Überhaupt war dieses Wacken geprägt von überbordender Lebensfreude. Nahezu bei jeder Band gab es diese Liebesbezeugungen und jeder wollte aus sich herausgehen. „Welche Band kann es sich leisten, die Hits gleich am Anfang zu spielen? In Extremo!“ rief Rhein selbstbewusst. Und in der Tat folgte dann der bekannte „Vollmond“, nachdem Dr. Pymonte das Intro auf der Harfe gespielt hatte. IN EXTREMO haben sich nie gescheut, sowohl Schatten als auch Licht zu besingen. Daher kam nach dem lunaren All-time-Favourite folgerichtig die Sonne zum Zug. Der Titeltrack von „Kompass zur Sonne“ schlüpfte aus dem Ei und fand sich direkt in einer brodelnden Menge wieder, während die echte Sonne sich langsam anschickte, unterzugehen. Live-Auftritte der Band gab es in den vergangenen beiden Jahren zwar kaum, aber die Fans hatten die neuen Stücke natürlich trotzdem in den letzten zwei Jahren eingeübt, daher gab es keine Textunsicherheiten. „Mein rasend Herz“ ist nun auch schon siebzehn Jahre alt. Der darauf enthaltene Song „Liam“ war aber oft fester Bestandteil der Setlist und so auch hier. Das Letzte Einhorn griff auch selbst zur Cister, um seinen Gesang zu begleiten. „Wacken, habt ihr Lust, richtig laut mitzusingen?“, schallte es von der Bühne. „Auch ihr da hinten?“. Das Infield war mittlerweile sehr, sehr voll. „Das nächste Stück heißt ‚Quid Pro Quo‘, was soviel heißt wie ‚Geben und Nehmen‘. Leider ist es heutzutage so, dass die meisten Menschen nur noch nehmen und das prangern wir an!“, führte Sänger Rhein aus. Später im Set blickte man auf 27 Jahre IN EXTREMO zurück mit Hits wie „Rasend Herz“ (2005), „Sängerkrieg“ und „Frei zu sein“ (2008), „Spielmannsfluch“ (1999). Aber auch die neueren Songs bekamen ausreichend Gelegenheiten zu scheinen. Bei „Sternhagelvoll“, der Hymne an den Alkoholkonsum, wurde ordentlich geschunkelt und kräftig mitgesungen. Das Crowdsurferaufkommen nahm auch rasant zu, auch wenn im Wetterbericht davon nichts zu hören gewesen war. Ein IN EXTREMO-Konzert feiert stets das Leben und es fühlt sich diesmal nach der Zwangspause noch einmal intensiver an. Das Set endete mit einem mittelalterlichen Lied in estnischer Sprache: „Pikse Palve“. Danke IN EXTREMO; das hat wieder richtig Spaß gemacht.

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Fotos: Kristina Meintrup & Dirk Jacobs

Nun war die Spannung praktisch mit Händen zu greifen. Die mächtigen SLIPKNOT sollten zum allerersten Mal auf dem Wacken Open Air spielen. Als „Einlaufmusik“ wählte man AC/DCs „For Those About To Rock (We Salute You)“ Als die Band die Bühne betrat, war der Jubel grenzenlos. „I’ve been waiting my whole fucking life to say these words: Good evening, Wacken“, schrie Corey Taylor hinter seiner typischen Maske hervor. Auf der Bühne wurde ein wahrer Horrorzirkus abgefahren. Abgetrennte Köpfe wurden in die Höhe gestreckt und es wurde mit Keulen auf großen Fässern getrommelt. Als ob der Sound noch weiterer Brutalität bedurft hätte! Nach dem Eröffnungssong „Disasterpiece“ vom Album „Iowa“ ging es ins Jahr 1999 zurück, aufs selbstbetitelte Debutalbum. „Wait And Bleed“ ist eines der bekanntesten Stücke der Band. Hatten sie IN EXTREMO auf der Nachbarbühne zugehört und beschlossen, auch ihre größten Hits am Anfang zu spielen? Vom aktuellen Album „We Are Not Your Kind“ kam jedenfalls recht wenig. Vielleicht hatte SLIPKNOT sich für Wacken einfach vorgenommen, ein Best of zu spielen. Die Hits „Before I Forget“ und „Duality“ gehörten ebenso zur Setlist wie „Psychosocial“, was aber fehlte war „Snuff“. Die Stimmung vor der Bühne erreichte einen Siedepunkt. Die Moshpits waren die größten des ganzen Festivals und es wurde soviel gedrückt und geschoben, dass man schon hartgesotten sein musste, um in den ersten Reihen auszuharren. Die Crowdsurferinvasion kam noch hinzu, daher hatten die Metal Guards sich in hoher Mannstärke im Graben versammelt. Bei „Spit It Out“ sollte man sich erst hinducken und dann springen, was die Menge auch zahlreich tat. Niemand störte sich an der Tatsache, dass Taylor die Anwesenden überwiegend mit „Moterfuckers“ ansprach. So sind sie eben, die Amerikaner. Nach zwei Zugaben („People = Shit“ und „Surfacing“) endete dieser jetzt schon legendäre Abend. Wacken-Debuts sind immer etwas ganz Besonderes und auch dieser wird den SLIPKNOT-Fans noch lange in Erinnerung bleiben.

Anmerkung: Die Anzahl an Pässen für den Fotograben ist begrenzt! Bei den Headlinern konnten wir daher nicht immer fotographisch vor Ort sein. Daher auch zu JUDAS PRIEST nur Text!

Mir und meiner Gothic-Seele stand der Sinn aber noch nach einem schönen Abschluss im Mondschein. Zum Glück gab es da etwas: Die Gothic Novel-Rocker ASP hatten den Spagat vor, den ich nicht geschafft hatte: Sowohl auf dem Wacken Open Air als auch dem M’era Luna aufzutauchen, die nahezu gleichzeitig abgehalten wurden. Also auf zur Louder Stage. Dort spielten gerade PHIL CAMPBELL & THE BASTARD SONS“ ihren letzten Song und nach Ende des Stücks kam es zu einem lustigen Zwischenfall. Ein Fan mittleren Alters in der ersten Reihe war der festen Überzeugung, dass er das Konzert nicht ohne ein „Souvenir, Souvenir“ verlassen konnte. Er brüllte sich also die Seele aus dem Leib, um die Aufmerksamkeit der aufräumenden Band oder ihrer Roadies zu erhaschen. „GIVE ME A DRUMSTICK! I NEED IT FOR MY LIFE“, schrie er und schreckte auch nicht davor zurück SLIPKNOTs Lieblingsbeleidigung zu adaptieren. Die wartenden ASP-Fans schüttelten über so viel schlechtes Benehmen und Aufdringlichkeit nur den Kopf und auch seine Freunde versuchten, den offensichtlich betrunkenen Schreihals vom Ort des Geschehens wegzuzerren, aber er ließ nicht locker und schrie weiter. Schließlich erbarmte die Bühnencrew sich und reichte dem Tobenden nach Absprache mit Campbell einen Stick herunter. Die übrigen Fans beklatschten das erleichtert, schließlich bedeutete das das Ende der Kakophonie. Nun konnte man sich auf die Hochkultur konzentieren. Das übliche Schmetterlings- und Vollmond-Backdrop war nun nach Jahren ausgetauscht worden, das neue Banner trug die Aufschrift „Die letzte Zuflucht“, was der Name der aktuellen Single ist, mit der das Konzert auch eröffnet wurde. Die Band um Alexander „Asp“ Spreng war nun zum vierten Mal auf dem WOA, drei der Auftritte hatte ich miterlebt. Doch es war der erste WOA-Auftritt ohne den langjährigen Bassisten Tossi, dieser war im vergangenen Jahr auf eigenen Wunsch ausgetreten und durch Lias Schwarz ersetzt worden. Der Wunsch im Songtext „Es werde Licht, es werde Lärm“ erfüllte sich auch zugleich in Form von Pyroeffekten und natürlich dem begeisterten Jubel der Massen. Nach dem neuen Song, der gut angenommen wurde, ging es besinnlich mit „Wechselbalg“ weiter. „Ihr schönen Menschen auf dem Wacken. Das ist einfach unglaublich, das ist nicht zu fassen, wie viele hier noch wach sind“, begrüßte der glückliche Fronter das dunkle Menschenmeer. „Habt ihr denn noch etwas Treibstoff im Tank?“, fragte er provokant. „Ohje, ohje, die anderen Bands… Haben Sie euch vielleicht jegliche Energie ausgesaugt? Habt ihr noch etwas übrig? Oder haben sie euch eventuell… ruiniert?“ – was die Überleitung zu „Ruine (FremdkörPeson, viertens)“ einleitete. Nun prüfte Asp direkt mal, ob die alten Rituale von vor der Pandemie immer noch von den treuen Fans beherrscht wurden. Das übliche Call&Response-Duell mit „Eeeeo“ begann. Der erste Versuch fand keine Zustimmung. „Ihr lieben Kollegen af der anderen Bühne, wenn ihr kurz etwas still sein könntet, ich kann die Menschen hier nicht „Eeeeo“ rufen hören“, wandte er sich Richtung Harder Stage, wo gerade THE HALO EFFECT spielten. „Nur ganz kurz. Nein? Das wollen sie nicht, dann müsst ihr lauter rufen“. Danach war der Meister offenbar zufrieden, denn die Band stimmte den Song „Denn ich bin dein Meister“ an. Asp berichtete hernach, dass sie natürlich nicht gezögert hatten, als die Anfrage kam, ob sie auf dem WOA spielen wollten. Er erzählte, dass es nur noch vereinzelt Stimmen gäbe, die der Meinung seien, dass die Band auf einem Metalfestival fehl am Platz sei. Wer meint, zu ASP nicht moshen zu können, habe es vielleicht noch nicht genug versucht. „Solange freuen wir uns über unseren Exotenstatus und bleiben weiterhin so ein klitzekleines bisschen… fremd“. Ich kam nun in den Genuss, meinen Lieblingssong vom aktuellen Album „Endlich!“ live zu hören: Die „Seerosenblüten von einst“ wuchsen im mondhellen Teich von Wacken und erblühten auf der Louder Stage. Nach zwei Klassikern („Ich bin ein wahrer Satan“ und „Duett (Das Minnelied der Inkubi)” ) wurde mit der Kosmonautilus abgetaucht. „Am meisten liebe ich an diesem Festival, dass trotz der ganzen Attraktionen rundherum… ich meine, Metal-Yoga?? Wikinger-Zombies? Und alles was hier so den ganzen Tag durch die Gegend läuft… und trotzdem: Man spürt es. Das, worum es wirklich geht, ist eine einzige Sache. Vielleicht erratet ihr es“ führte uns der Meister der Überleitungen in den Song „Abyssus II (Musik)“. Beim Folgesong „Schwarzes Blut“ wurde natürlich wieder das alte Ritual belebt, mit den Händen die „Vorwärts-Abwärts“-Choreographie zu vollziehen. Schön, dass die Pandemie das alles nicht zunichtegemacht hat. Man ist immer noch eine verschworene Fanbase, die die Konzerte in gewohnter Manier zelebriert. Ein neuer Song wurde noch gespielt: Die Singleauskopplung „Raise Some Hell Now“ schloss die „Endlich!“-Tracks ab und jetzt gab es zu meiner großen Freude einen der wenigen Headbang-Songs von ASP auf die Ohren: „Kokon“. „Vielleicht mögen wir nicht ganz, ganz Metal genug sein, aber wisst ihr was? Metal ist doch nicht nur eine Sache, wie viele Noten man in einer Minute spielen kann, sondern es ist eine Sache des Herzens. Und ich sehe, ihr seid auf jeden Fall Metal genug für alles. Vielen Dank, dass ihr hier wart und mit uns gebrannt habt“, verabschiedete sich der Frontmann mit einer tollen Botschaft, bevor zum Abschluss natürlich der Signature-Song von ASP „Ich will brennen erklang und die Pyros noch einmal ausgereizt wurden. Um 2 Uhr nachts endete der Wacken-Freitag im Gothic-Gewand und es wurde Zeit für den Schlafanzug.

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Fotos: Sven Bähr
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