30 Jahre VNV NATION – Ein Geburtstags-Festival der Emotionen

VNV NATION ist nicht erst seit gestern der ewige Headliner auf den meisten Festivals der dunklen Szene. 30 Jahre – zählt man die 2 Jahre von Corona nicht mit – steht die Band um Ronan Harris, immer wieder in verschiedenen Besetzungen, auf der Bühne. Diesen Meilenstein gilt es nun ausgiebig zu feiern. Dabei reicht es nicht einfach nur, ein Konzert zu spielen, es gibt ein eigenes, kleines Festival. So spielen zunächst STERIL, WIRES & LIGHTS, HELDMASCHINE und APOPTYGMA BERZERK, bevor VNV NATION selbst auf die Bühne des Amphitheaters in Gelsenkirchen kommt. Nebenbei bemerkt, einem Ort, der sich für viele wie “nach Hause kommen” anfühlt. Bis 2015 fand hier das Blackfield-Festival statt, welches für viele ein fester Bestandteil der Sommerplanung war und einen direkt wieder in Erinnerungen schwelgen lässt.

Die Sonne steht hoch am wolkenlosen Himmel. Es sind 26 Grad im Schatten, wenn es denn Schatten gäbe. Das Amphitheater in Gelsenkirchen ist so gar kein schattenreicher Ort. Neu ist die Situation aber für viele der Besucher nicht. Das Amphi-Festival die Woche zuvor am Tanzbrunnen in Köln, bei dem HELDMASCHINE und VNV NATION auch schon gespielt haben, ist von der Grundsituation her nicht anders. Da hilft nur ein Hut und viel trinken. Immerhin darf jede Benutzer eine Literflasche Wasser mitbringen und diese an den Wasserstellen kostenlos wieder auffüllen, was den Problemen zumindest etwas positiv entgegenwirkt.

“I hope you are not dying in the sun”

Den Anfang machen STERIL, welche selber grade ein 30-jähriges Jubiläum feiern. Dennoch sieht man den klassischen Gothic-Fan: Er meidet die Sonne. Vor der Bühne ist es zwar voll, jedoch ist ganz genau zu sehen wo es Schatten gibt und wo nicht. In der Sonne tanzen nur wenige, diese aber besonders viel zu der Mischung aus Electro, EBM und Industrial. Anders sieht es auch anschließend bei WIRES & LIGHTS nicht aus. Jedoch finden sich immer mehr Fans auf dem Gelände ein, ist es inzwischen immerhin schon 16 Uhr, und die Schlangen werden länger. Nicht nur an den Getränkeständen, auch am Merch oder den vielen Essensständen gegen den kleinen Hunger. Besonders jedoch an den Toiletten, sodass man sich teilweise doppelt überlegen sollte, ob der Griff zum kühlen Getränk gerade die beste Idee ist. “I hope you are not dying in the sun?!”, fragt uns Sänger Justin Stephens, während sich die meisten weiter im Schatten verstecken oder sich auf den erhöhten Positionen des Amphitheaters einen Sitzplatz gesichert haben – oftmals auch zumindest mit etwas Schatten, oder einem Sonnenschirm. Aber auch hier zeigt sich wieder der harte Kern, der stetig weitertanzt. Getreu dem Motto ‘See you on the Dancefloor – Rain or Shine’, sind wir noch kurz vor dem Wacken abgebogen, auch wenn der Modern Post-Punk der Band dort ebenfalls gut aufgehoben wäre. “I just wanna say: thank you for being here, thank you VNV for inviting us, happy birthday, i hope we see you all soon again”, sagt uns Justin noch, bevor er den letzten Song anstimmt. Beide Bands hatten nur einen kleinen Slot von 30 Minuten, konnten jedoch überzeugen und garantiert neue Fans gewinnen, unterscheiden sie sich doch musikalisch sehr von den noch Folgenden.

WIRES & LIGHTS

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Fotos: Cynthia Theisinger

“Es ist eine Riesenehre für uns, heute hier zu sein”

Okay, zugegeben: HELDMASCHINE heben sich musikalisch noch mehr vom Rest hab. “Es ist eine Riesenehre für uns heute hier zu sein, danke schön an Ronan, dass er uns euch zum Fraß vorwirft, obwohl wir ganz andere Musik machen und danke an euch, dass ihr uns so annehmt”, sagt Sänger René Anlauff selbst dazu. Währenddessen wird es vor der Bühne kuschelig. Die Sonne wird etwas milder und damit werden auch die Sonnenplätze ertragbarer. Dann steigt eben die Wärme durch die nähe Anderer. Während sich vor der Bühne die Fans über HELDMASCHINE-Geldscheine zu “Luxus” freuen, tun das auch die illegalen Fans hinter der Bühne. Auf dem Rhein-Herne-Kanal direkt hinter der Bühne befindet sich ein Stand Up-Paddler. “Winkt ihm alle Mal zu”, sagt uns René, was prompt passiert. “Jetzt spielt er Gitarre auf seinem Paddel, echt geil, bloß nicht runterfallen”, sagt er weiter. Aber auch am Ufer auf der anderen Seite haben es sich einige auf Decken bequem gemacht oder halten zumindest kurz mit dem Drahtesel an, um zu lauschen, was auf der anderen Seite passiert. Die Frage, warum er das “R” rollt, beantwortet René natürlich mit dem gleichnamigen Song. “Wir lassen das heute mit dem Crowdsurfen, denn ich finde, im Gegensatz zum Gesicht sollte das Gewicht eines Sängers nie bekannt werden”, sagt er weiter zum letzten Song “Weiter!”. Schließlich tut er es aber doch. Es folgen laute Zugaberufe, die heute jedoch leider unbeantwortet bleiben müssen.

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Fotos: Cynthia Theisinger

“you are loud, that makes us feel really good here on stage”

Als APOPTYGMA BERZERK die Bühne betreten, ist von der Tanzfläche nicht mehr viel zu sehen. Die Fans türmen sich schon fast. Wo kommen die alle her? Könnte man sich fragen, denn die sitzenden Fans sind auch nicht weniger geworden. Haben sich Kurzentschlossene von der anderen Uferseite noch ein Ticket gekauft? Der Stand Up-Paddler zumindest nicht, denn dieser befindet sich direkt zum Start wieder auf dem Wasser, hat er zwischendurch doch eine Pause machen müssen. Die Stimmung ist auf die nächste Stufe aufgestiegen. Es reicht, dass Sänger Stephan L. Groth auf die Bühne kommt, damit alle Hände gen Himmel ragen und die Kehlen blitzartig trocken werden. “ You are loud, that makes us feel really good here on stage”, sagt er uns. Der Blick auf die restlichen Musiker wirft jedoch eine Frage und bei vielen zugleich Freude auf: Keyboarder Jonas Groth ist aus beruflichen Gründen verhindert. Dafür ist Geir Bratland, welcher von 1995 bis 2009 Keyboarder der Band war, mit dabei. Ist das vielleicht auch ein Grund, warum sich besonders viele alte Songs auf der Setlist wiederfinden, bei welchen oft nur die beiden auf der Bühne sind? Natürlich fehlen aber auch “Shine On” und “Enjoy the Silence”, ein Cover von THE HOUSE OF LOVE bzw. DEPECHE MODE, nicht, bei denen die Fans nochmal besonders laut mitsingen. Viele Ansagen gibt es nicht, die Spielzeit wird vollständig für Songs genutzt. Für viele könnten sie noch “Until The End Of The World” weiter spielen, jedoch bleibt es nur bei dem Song als Abschluss.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Eine Reise durch die Zeit

Das gleiche Bild wie bei APOPTYGMA BERZERK spiegelt sich auch bei VNV NATION wider. Als die ersten Töne von “Joy” ertönen und Ronan Harris, der Mann des Abends, auf die Bühne kommt, verstummt der Ton förmlich unter den Rufen der Fans. Ronan ist direkt gerührt und schafft es nicht, den ersten Song fertig zu singen, ohne sich zu bedanken. “Vielen Dank für die ganzen irischen Fahnen”, sagt er und versucht kurz darauf, die Fans auf der seitlichen Empore mit schlechter Sicht, zentraler zu positionieren. “Was macht ihr hier drüben? Ist noch Platz hier!” sagt er und zeigt vor die Bühne, wo zugegeben der Platz nicht wirklich viel Platz hergibt. Eigentlich könnte sich Ronan heute Urlaub nehmen von den Interaktionen mit dem Publikum. Die Fans machen alles schon selbstständig, wie das Klatschen. “Ich muss nichts machen, ihr seid super”, sagt er selbst, kann es aber dennoch nicht lassen, mit ihnen zu spielen. So befiehlt er allen aufzuhören, was binnen Sekunden passiert, bis er wieder Gegenteiliges sagt. Das wiederholt sich noch einige Male und klappt bis auf die letzte Person. “Ich bin überwältigt – Ich kenne so viele von euch, das ist wahnsinnig”, sagt er den Tränen nahe, während er in das Publikum blickt. Wen er jedoch nicht kennt, ist der Stand Up-Paddler, der sich wieder hinter der Bühne eingefunden hat.

“Wir spielen nur Hits heute Abend – fast”, damit fasst Ronan die Setlist des Abends passend zusammen. Neben den Klassikern, die auf keinem Konzert fehlen dürfen, gibt es noch viel mehr zu hören. Es gibt kein Album, von dem nicht mindestens ein Song gespielt wird. “30 Jahre – wir werden alle eure Erinnerungen heute spielen”, erzählt er später weiter. Mit einem konnte jedoch niemand rechnen: “Control”. Okay, nicht dem Song selbst, aber dem Special Guest zum Song. Niemand geringeres als Alexander „Alexx“ Wesselsky von Eisbrecher, mit dem Ronan zusammen den Song performt. Mit steigender Dunkelheit kommt auch die Lichtshow immer besser rüber. Wo anfangs nur eine Leinwand im Hintergrund war, kommen immer mehr Lichtkegel zum Vorschein, die die Show in das richtige Licht rücken. Im Publikum erblickt Ronan jedoch nicht nur bekannte Gesichter, sondern auch einen kleinen Jungen, Jonas, den er prompt auf die Bühne holt und ihm ein Mikrofon in die Hand drückt. Leider kennt dieser den Song nicht, sodass ihm Ronan lieber auf der Bühne seinen Arbeitsplatz zeigt und der Song für kurze Zeit im Hintergrund verschwindet.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Die Emotion steht im Vordergrund

Dennoch steht für Ronan selbst die Musik an diesem Abend völlig im Hintergrund. Gefühlt vergehen keine fünf Minuten, in denen er sich nicht bei seinen Fans bedankt. “Es ist fast wie eine family reunion hier – ich habe fast etwas Angst, aber ich mag es”, sagt er, erneut den Tränen nah, mit einem breiten Grinsen. “I can’t believe I recognized so many people from all over the world” – “I sang these songs for many years but today, I still forget some lyrics because I’m so overwhelmed”, erzählt er weiter und versinkt in einem längeren Monolog. Er war in seinem Leben an einem dunklen Ort und die Musik war seine Möglichkeit, diesem zu entfliehen. Als er vor 32 Jahren angefangen hat, (nach seinen Worten) schlechte, Musik zu produzieren hatte er niemals die Intention, dass dies das heutige Ausmaß annimmt. Wenn er ins Publikum blickt, sieht er viele Gesichter, die von Anfang an dabei sind, aber einige auch erst seit gestern. Es ist ihm völlig egal, “Hauptsache ihr mögt, was ihr hört”. Egal ob alles oder nur einen Song, seine Arbeit ist genau dann getan. Er möchte nicht der Beste sein, aber der, der genau den einen Song geschrieben hat, der dir, wenn du ihn am meisten brauchst, weiterhilft.

Nach der Ansprache ist auch das Publikum den Tränen nahe oder hat den Punkt schon überschritten. Für viele ist VNV NATION ein ewiger Wegbegleiter und viel mehr als nur irgendeine Band. Das wird heute wieder einmal sehr bemerkbar. “You smile how I feel in this moment, thank you for your smile”, sagt Ronan während er anschließend in das Publikum blickt. Da kümmert es die Fans recht wenig, als Ronan kurze Zeit später schlechte Nachrichten verkünden muss. Der angekündigte neue Song kann aufgrund technischer Probleme leider nicht gespielt werden, soll dafür aber sehr, sehr bald online zur Verfügung stehen. Um ehrlich zu sein, brauchte der Abend aber auch kein neues Material. Viel schöner war es, in Gedanken, die letzten 30 Jahre VNV NATION erneut zu betrachten und in Erinnerungen zu schwelgen. Gegen Ende bedankt sich Ronan nochmal bei seiner Band, seinen für ihn sehr wichtigen Wegbegleitern, die ihm alles bedeuten. Der letzte Song des Abends “All Our Sins” endet dann aber doch abrupt. Plötzlich ist der Ton weg, nur das Mikrofon geht noch. Ronan nimmt es gelassen. So holt er nochmal alle Bands des Abends, welche sich in der Zwischenzeit alle neben der Bühne versammelt haben, auf die Bühne und bedankt sich nochmal ausgiebig bei allem und jedem, wie man Ronan nun mal kennt. Da stören auch ein paar Tropfen vom Himmel nicht.

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Fotos: Cynthia Theisinger
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