Review: PORCUPINE TREE – „Closer/Continuation”

Puuuh, die schwerste Rezension des Jahres steht an. 13 Jahre hat es vom letzten PT-Werk “The Incident” bis heute benötigt, um unter dem Namen Porcupine Tree wieder Musik des kreativen Nukleus Wilson/Barbieri/Harrison in den Händen zu halten. Waren vor allem Steven Wilsons Solo-Eskapaden in den letzten Jahren zwar qualitativ höchstwertig aber dennoch musikalisch unberechenbar und streckenweise sehr viel poplastiger als es dem Ottonormalprogger lieb ist (man denke nur an “Permanating”), erfüllten auch andere im Vorfeld der Veröffentlichung bekannt gewordene Faktoren (z.B. das vollständige Fehlen von Colin Edwin am Bass oder Wilsons Umstieg von PRS-Gitarren zur Fender Telecaster als Hauptinstrument) die Wartenden mit Bedenken.

Bedenken, welche –so sei es direkt vorweg genommen– zu 95% unbegründet waren. Denn “Closure/Continuation” präsentiert sich weniger als ein neues Album, sondern vielmehr als eine Werkschau, die dem Zuhörer vor allem eines vermittelt: PORCUPINE TREE haben nichts verlernt und knüpfen direkt dort an, wo sie aufgehört hatten. Ein erster Hördurchlauf, und schon ist alles wieder beim Alten – oder?

Das achtminütige “Harridan” eröffnet den Reigen mit einem ungehobelt polternden Bass als Leadinstrument, über den Gavin Harrison einen Zählalptraum legt, der sich gewaschen hat. Der Chorus lässt kaum Härte vermissen, und insgesamt erinnert der Song an die frühen 2000er der Band. Noch weiter zurück geht es mit “Of The New Day”, einer Nummer für die Hippies, die an Großtaten wie “Lazarus” erinnert, um dann später in Richtung Alt-Rock, mit leichtem “The Incident”-Feeling abzuwandern. “Rats Return” katapultiert uns ein paar Jahre in die Zukunft, hier haben wir wieder eines der beißenden, latent sozialkritischen Stücke aus der “Fear Of A Blank Planet”-Phase, der stückweise sehr minimalistisch-trockene Song hätte auch auf der “Nil Recurring”-EP einen guten Platz gefunden. Auf “Dignity” wird dann wieder die der Basis-DNA der Band innewohnende floydig-sphärische Combo aus wabernden Flächen und beatle-esken Elementen zelebriert, die ab und an in ihrer psychedelischen Verkifftheit sogar an ähnliche Momente der Niederländer von AYREON erinnert. Auch wenn “Herd Culling” zuerst im Klangbild an ein “Sound of Muzak 2.0” erinnert, überrascht das Stück auf seinen sieben Minuten Länge mit einem Wechselspiel aus Beklemmung und teilweise unangenehm fröhlichen Harmonien. Das folgende “Walk The Plank” enthält perkussive Elemente, die die Vermutung nahelegen, hier sei ein unveröffentlichtes No-Man-Demo kannibalisiert worden, bevor ein Piano mit dicken Schichten Delay und Tremolo sowie ein überaus dominanter Bass die Nummer straight im eher unberechenbaren aber immer noch unverkennbar die Handschrift der Band tragenden Teil des PT-Kosmos wiederfindet. Der dramatische Fast-Zehnminüter “Chimeras Wreck” schließlich entführt den Hörer in eine hypnotische Paralleldimension, in der man, erst als Wilson sich im Falsett versucht, das schmerzliche Fehlen von John Wesley bemerkt, und in der man sich erstaunlich an Mike Oldfields Werke der Crises- und “Five Miles Out”-Ära erinnert fühlt.

Drei Bonustracks (“Love In The Past Tense”, “Never Have” und “Population Three”) stehen in Stärke dem restlichen Material in nichts nach und werden fairerweise auch direkt am VÖ-Tag (24.06.2022) digital in die Wildnis entlassen.

Fazit: Die Prog-Helden sind noch immer so stark wie jeher, nur die wirklichen Überraschungen sind auf “Closer/Continuation” herzlich dünn geraten. Man wünscht sich das ganze Album über einen weiteren Schritt nach vorn, auf den wir (hoffentlich) nicht noch einmal 13 Jahre warten müssen.

Bewertung: 9 von 10 Punkten

Tracklist:

  1. Harridan
  2. Of The New Day
  3. Rats Return
  4. Dignity
  5. Herd Culling
  6. Walk The Plank
  7. Chimeras Wreck
  8. Love In The Past Tense (Bonus Track)
  9. Never Have (Bonus Track)
  10. Population Three (Bonus Track)

 

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