“Ausverschenkt” : Für die besten Gäste der Welt: FROZEN PLASMA + Support im Kulttempel
“Für die besten Gäste der Welt” – den Titel dieses Konzertabends kann man ruhig mal stehen und auf sich wirken lassen. Er ruft wieder in Erinnerung, dass die Beziehung zwischen Konzertgängern und Konzertveranstaltern eine horizontale ist. Beide Seiten geben und nehmen und zusammen wird ein Schuh draus, oder besser gesagt: Ein Stiefel, oder noch besser: ein StiefelPAAR. Beide “Seiten” stellen je einen Stiefel und zusammen kann man dann voranschreiten und Abenteuer erleben. Peter Jurjahn vom Kulttempel hielt es für angebracht, sich für die gute Annahme der Zirkuskonzerte in der Seuchenzeit zu bedanken und für all den Support und den Zusammenhalt, den es in der Pandemie rund um den Oberhausener “Place to be” gegeben hatte. Er tat dies, indem er einen Abend mit vier wunderbaren und allseits beliebten Bands in seinen Hallen organisierte und das vollkommen KOSTENLOS. Eine wunderbare Geste und ein weiterer Beweis dafür, dass man in der Schwarzen Szene wirklich eine Heimat finden und sich rundum wohlfühlen kann, weil die eingangs erwähnte Beziehung auf Augenhöhe stattfindet. Wir waren dankbar, als Peter zusammen mit Pluswelt mitten in der Pandemie die Zirkuskonzerte praktisch aus dem Hut zauberte und das enorme unternehmerische Risiko einging, das damit zweifellos einherging. Schließlich gab es enorme Unsicherheiten durch die sich ständig verändernde Lage und den wechselnden Bestimmungen dazu. Doch der Plan ging tatsächlich auf: Die Szenegänger klammerten sich an diese zauberhaften Abende im Zirkus Probst wie an ein Stück Treibholz und alle fühlten sich im großen Zelt im Park schon nach kurzer Zeit genauso zuhause wie in ihrem “Wohnzimmer”, dem Kulttempel Oberhausen. Nun überraschte der Tausendsassa Peter Jurjahn also alle mit einem kostenlosen Abend voller hochkarätiger Künstler, eine Art “Best of Kulttempel” für umme und die Menge jubelte.
FROZEN PLASMA, selbst schon vorher unzählige Male zu Gast in Oberhausen, waren ein Headliner, wie er passender nicht hätte sein können. Gleiches galt für ROTERSAND, die aber leider schweren Herzens aus gesundheitlichen Gründen absagen mussten (Gute Besserung weiterhin an Rascal!). Für ROTERSAND kündigten sich kurzerhand gleich ZWEI andere Bands an: Szene-Urgestein IN STRICT CONFIDENCE und der Springinsfeld aus Niedersachsen BEYOND BORDER. Das Line up komplettierte mit RROYCE ein weiteres “Eigengewächs” aus dem Pott, die sympathischen Schwiegersöhne aus Dortmund. Ein dermaßen pointiertes Line up versprach einen wundertollen Abend und der Run auf die Karten war selbstverständlich entsprechend groß: Ein Sturm fegte durch die Oberhausener Kassen und wirbelte alle verfügbaren Tickets sogleich hinfort. “Ausverkauft” wurde gemeldet, aber da die Tickets kostenlos waren, korrigiere ich zu: Ausverschenkt!
Keiner wollte diesen Abend verpassen! Schließlich ging es hier um nicht weniger als die Wiederbelebung der Tradition, im Kulttempel bis in die Morgenstunden bei guter Musik zu feiern. Viele waren auf der Suche nach “diesem Gefühl”, das man in solchen Nächten stets bekam. Das Gefühl von Freude und Freiheit und unbeschwertem Tanz im Blitzlichtgewitter. War dieses Gefühl noch da? Würde es zurückkehren und jedem einzelnen beweisen, dass wir wieder solche Nächte erleben können? Wochenlang wurde sich vorgefreut und dann pilgerte tatsächlich auch am Festabend alles Schwarzvolk nach Oberhausen, um den Kulttempel auf die Probe zu stellen. Es konnte nur ein hochemotionaler Abend werden.
BEYOND BORDER
Was Peter als Gastgeber ausmacht, ist, dass er nicht nur auf Großes und Altbewährtes setzt, sondern auch immer ein Gespür für Neues in der Szene hat. Und als ROTERSAND nun letztendlich aus Krankheitsgründen absagen mussten, dachte er sich wohl „Warum sollte ich mich denn entscheiden, wenn ich doch einfach beides haben kann?“ Neben den Urgesteinen von IN STRICT CONFIDENCE kamen also auch die Jungs von BEYOND BORDER ins Spiel, um das Publikum mit ihrem kraftvollen Synthpop aufzuwärmen. Das ließen sich Kai und Deity nicht zweimal sagen und pünktlichst zur angegebenen Zeit stürmten die beiden mit „Construction“ die Bühne. Anders als bei anderen Festivals oder Konzerten, wo das Publikum bei der ersten Band gerne erst nochmal ein Bierchen trinkt, war hier das Feiervolk bereits zur ersten Band nahezu vollständig versammelt. Der Tempel platzte fast aus den Nähten und egal ob Tanzfloor oder Empore – massives Feedback in Form von Klatschen, Jubel und einzelnen, eindeutig weiblichen „Whooohooos“ zeigte, dass die Party von Sekunde eins an auf vollen Touren lief. Der Funke sprang direkt über und Kai gab direkt körperlich und stimmlich Vollgas. Von „Construction“ bis „Pry Open“ – jeder Song wurde super geliefert und von den Fans – und denen, die es an diesem Abend noch nicht waren, aber sicher wurden, begeistert aufgenommen und gefeiert. Sogar Deity, sonst eher der sanfte Riese hinter den Keys, kam aus sich heraus, tanzte, winkte und feuerte das Publikum an, mitzumachen. Mit dem melancholischen „Where Are You“ wurde es kurz andächtig, was der generellen Stimmung aber gar keinen Abbruch tat. Vielmehr konnte Kai hier nochmal seine stimmlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Auch eine Live-Premiere hatten die beiden dann noch im Gepäck – der Song „You“ soll Appetit machen auf das demnächst erscheinende Album „Welcome To The Future“. Und dass BEYOND BORDER ein Teil der musikalischen Zukunft dieser Szene sein werden, davon sind nach 45 Minuten Spielzeit sicherlich alle Anwesenden überzeugt! Ihren wohl bislang größten Auftritt hat das Duo großartig gemeistert. Tolle Stimme, super Performance. Ein würdiger Opener, den wir in Zukunft hoffentlich häufiger im Kulttempel und auf den Bühnen der Welt sehen werden.
Fotos: Cynthia Theisinger
RROYCE
Noch vor wenigen Jahren musste ich ständig Leuten erklären, dass das auf meinem T-Shirt kein Schreibfehler ist. Mittlerweile kennt jeder RROYCE. Immer gut gekleidet und mit einem Gespür für eine gute Show, sind Casi, Kay und Al Garanten (oder Granaten, Buchstabendreher hin oder her, es stimmt ja beides!) für volle Tanzflächen. Wenn man ganz genau liest, beinhaltet die gesetzliche Regelung in der Coronaschutzverordnung verschärfte Regeln für sogenannte “körpernahe Dienstleistungen”. Ich glaube, RROYCE-Konzerte gehören definitiv dazu und so konnte der berühmte Formationstanz bei “Run, Run, Run” heute endlich wieder stattfinden, auch wenn einige noch nicht aus der Pandemiesteifigkeit zurückgefunden hatten. Egal – es war uns ein Fest! Dass die Dankbarkeit in beide Richtungen fließt, bewiesen RROYCE auch dadurch, dass sie für diesen Song den Gastgeber Peter sowie den Moderator Jens an Casis Seite riefen, um mit den beiden gemeinsam zu tanzen. Genau wie die Funkenfontänen, die ihren Widerschein in den glücklichen Augen der RROYCE-Ultras fanden, die wie gewohnt die ersten Reihen gekapert hatten, ließ dieses Konzert uns glückselig vor- und zurückschwappen. Leider waren bei aller Dankbarkeit auf Seiten des Kulttempels immer noch keine Tiere zugelassen und angesichts der mit der Festgemeinde prall gefüllten Saales, verzichteten die Dortmunder auf ein “Schafrennen”. Dafür wurden aber neue Stücke vom kommenden Album präsentiert, die teilweise beeindruckend wucht-gitarrig daherkamen. Hier ist noch einiges in der Wundertüte, das nächste Album dürfte also gehörig in die Gehörgänge kratern. Wir freuen uns drauf.
Fotos: Cynthia Theisinger
IN STRICT CONFIDENCE
Die älteste Formation des Abends versprach Nostalgie pur, schließlich sind ganze Generationen mit den Hits von IN STRICT CONFIDENCE aufgewachsen. Ich sah Dennis Ostermann zum ersten Mal ohne Bommelmütze , aber mit genauso viel dunkler Stimmgewalt wie sonst. Diese erfrischende Melange aus Melancholie und Manie – lebendig, aber doch auch vom Hauch des schmerzhaften Schwindens durchsetzt… IN STRICT CONFIDENCE haben ein einzigartiges Rezept für berührende, ambivalente Musik und hüten es eifersüchtig. Bisweilen hart, aber auch filigran und sanft und zwar mit Schwermut durchsetzt, aber auch elektrisierend. Man könnte sagen: Wir haben einen Springbrunnen aus Alabaster vor uns, aus dem helles Herzblut sprudelt – heute genauso wie schon vor 30 Jahren.
Ein gestandener Extreme-Metaller aus meinem Dunstkreis gestand im Vorfeld, dass selbst er “Zauberschloss” kenne, mehr muss man über die prägende Kraft dieser Formation eigentlich gar nicht wissen. Unterstützt von den stilvollen Videos der Band, traten alle Anwesenden eine wohltuende Zeitreise an und siehe, es fand sich kaum einer, der “Engelsstaub” nicht mitintonierte.
Ja, ROTERSAND wurde schmerzhaft vermisst und unsere Gedanken weilten bei Rascal (Krischan war anwesend!), aber wie schon gesagt: Keine Tiere im Kulttempel. Der Electric Elephant hätte also auch draußen angebunden werden müssen.
Von daher: Danke an IN STRICT CONFIDENCE für das Einspringen und die zauberhafte Darbietung.
Fotos: Cynthia Theisinger
FROZEN PLASMA
Da es an diesem speziellen Abend um die Gäste des Kulttempels und nicht um die Bands gehen sollte, hatten FROZEN PLASMA von vornherein den Titel “Headliner” eigentlich abgelehnt. Als letzte Band des Abends hatten sie sich aber natürlich vorgenommen, noch das letzte Quäntchen verbliebener Energie aus dem Publikum herauszuquetschen. Aber entgegen dem normalen Countdown und dem Einstieg ins Set mit einer Partynummer, begannen sie diesmal ihren Auftritt mit einem sehr schönen Intro, welches in „Home“ überging – eine Hommage an den Kulttempel als Heimat für Musik und Freundschaft. Aber dann war es erstmal genug mit Besinnlichkeit, und mit „Age After Age“, „Westend“ und „Gefühlsmaschine“ wurde alles rausgeholt, was an feiertauglichem Hitmaterial zur Verfügung stand. Aber nicht nur musikalisch wurde einer eingeschenkt: Vasi ließ es sich nicht nehmen, kräftig die grüne Flasche mit alkoholhaltiger Kräutertunke zu schwenken und diverse Pinneken im Publikum zu verteilen. So waren bei „Irony“ alle in Bestlaune als quasi unerwartet und eigentlich eher szenefremd, Felix zum stage diving ansetzte. Doch die verdutzten Zuschauer der ersten Reihe fingen sich – und ihn – in Rekordzeit und ließen ihn, unter besonderer Hilfe von Moderator Jens, über die Menge schweben. Dort strahlte er mit seinen leuchtenden Turnschuhen um die Wette und obwohl die Stimme minimal wackelte, schaffte er den Weg zurück auf die Bühne einwandfrei. Rock’n’Roll im Kulttempel! Zu „Living on Video“ und „Murderous Trap“ holte jeder nochmal raus, was er noch hatte – Stimme, Tanz, Glitzer, Wodka-Wackelpudding. Felix schien den Kontakt mit der Menge genossen zu haben und tanzte zum letzten Song die “Revolution” im Publikum. Hier wurde abgeklatscht, umarmt und ins Mikro gesungen was das Zeug hielt, ein wirklich würdiger Abschluss eines rundum phänomenalen Konzertabends. Dann wurde es nochmal kurz andächtig, als Mitarbeiter und Freunde von Peter auf die Bühne kamen, alle gekleidet in Shirts, die Peters Konterfei mit dem Kulttempel und dem Schriftzug „Bester Gastgeber der Welt“ zeigten. Nach einer kurzen lobenden Ansprache durch Vasi skandierte der gesamte Kulttempel „Peter! Peter!“, ein Moment, der keinen kaltließ. Danach wurde aber nicht nach Hause gegangen, sondern bei Getränken und Musik die heilige Dreieinigkeit aus Club, Veranstalter und Publikum gefeiert bis in den frühen Morgen. Danke Peter, für dieses tolle Geschenk und den Wahnsinns-Abend. Alle Anwesenden werden noch lange gern daran zurückdenken.