Festivaljunkies trotzen Corona – Musikfestival der besonderen Art mit Weltpremiere
Corona, Corona, Corona! Wer kann das derzeit noch hören? Richtig. Niemand mehr. Und dementsprechend haben sich einige findige Köpfe auch schlicht über dieses alles isolierende Motto hinweg gesetzt und ein absolut sehens- und hörenswertes Musikfestival der Extraklasse ins Leben gerufen – vermutlich ein Once-in-your-Lifetime Event und dazu noch eine Weltpremiere – wer hätte so etwas in diesen Zeiten erwartet. Achja, das Wichtigste. Natürlich alles unter strenger Einhaltung sämtlicher (vielleicht auch nicht? 😉 ) Quarantäne- und Selbstisolierungsvorgaben seitens der Behörden in good old Germania.
Wie bei fast jedem Festival, so ist die kurze Vorfreude vor dem eigentlichen Start des Festivals an sich schon ein Highlight für so manchen hartgesottenen Konzert- und Festivalhasen. Allein die Diskussionen und wilden Hasstiraden über Overlaps der Spielzeiten der Bands die man ja unbedingt sehen will, die aber parallel und dann auch noch auf unterschiedlichen Bühnen spielen – nein, so etwas wurde hier von vornherein vermieden. Also bestens durchdacht sollte dem Abfeiern und dem Corona Covid-19 Virus den Mittelfinger Zeigen nichts im Wege stehen. Naja, einzig und allein vielleicht die Infrastruktur bei Einigen – kennen wir aber auch von den großen Festivals bestens – wenn die Mobilfunkverbindung partout einfach verkackt. Aber wer weiß das schon – und vor allem – wen kümmert es… Wichtig sind heute endlich mal wieder andere Dinge – unsere Musik!
Mit der Weltpremiere vom neuen Synthpop Stern am Himmel, der über alle Grenzen hinweg eine Teilnahme und die damit verbundenen Mühen gescheut hat – gerüchteweise muss einer der Beiden als fester Bestandteil der kritischen und systemrelevanten Versorgungsinfrastruktur arbeiten, blasen die beiden BEYOND BORDER Musiker das Publikum mit “Construction” regelrecht in Ohren Acht Stellung und die erste Synthwave Extravanganza des Tages flasht die Mehrheit der Zuhörerschaft erfürchtig zu einer seltsam anmutenden stummen, vermutlich mit offenem Mund da stehenden, Masse.
- 17.00 – 17.35 Uhr Logic & Olivia (official)(official) (DrumSet von Kalle Vogel)
- 17.40 – 18.35 Uhr Egoamp
- 18.40 – 19.35 Uhr NOYCE™
- 19.40 – 20.25 Uhr RROYCE
- 20.30 – 21.00 Uhr JanRevolution
- 21.00 – 22.00 Uhr VERSUS
- anschl. After-Show-Streaming-Party aus dem Bunker Dresden mit DJ Phil Violence & Julsi Sioux
In gewohnter Weise gab es auch zu diesem High Class Festival jemanden, der sich zwischen den Bandautritten zum Clown machen wollte und derjenige, den wir schon von unterschiedlichen Veranstaltungen lieben gelernt haben, hat es auch dieses Mal souverän wieder geschafft. Also zum Clown zu machen. Oder zu Moderieren. Sucht es Euch aus, es ist jedenfalls unvergeßlich geworden. Ist aber auch schwierig live vor einem Millionenpublikum in der ausverkauften Internetarena die Nerven zu behalten ohne solche Faux-pas. Aber genau das macht Puppekopp ja auch so liebens- und erlebenswert! Besinnliche Worte zum Sonntag und eine kurze Erläuterung, wie es zu diesem besonderen Festival kommt fallen, inklusive den notwendigen Laudationes an die Verantwortlichen.
Was auch besonders erwähnenwert war, so im Vergleich zu so manch anderem Festival, endlich mal keine nervigen Handy-Kamera-Möchtegern Fotographen im Graben. Gekonnt konnten die Könner – die üblichen Nasen wie wir sie immer wieder kennen und lieben lernen dürfen – ihre Screenshots schießen und so den Verlauf des Festivals fotographisch für all die Verpenner festhalten. Sind schon tolle Bilder gewesen.
Aber nun zum ersten Akt des Abends.
LOGIC & OLIVIA
Das Trio trat heute als Solo auf. Vermutlich weil derzeit weder Réne oder Matthias dem Trommelgewitter von Kalle etwas entgegen zu setzen gehabt hätten – welcher offensichtlich den Corona Frust der letzten Wochen einfach auf den armen Musikgerätschaften rauslassen musste. Gegen so viel brachiale, aber dennoch musikalisch hochwertige und optisch auch souverän anmutende Kraft hätte vermutlich auch die stärkste Coronavire keine Chance. Warum wird so etwas seitens der Behörden eigentlich nicht nachhaltig als Heilung überprüft – uns irgendwie zu hoch – und um es mit Mica’s Worten zu beschreiben – EPISCH!
Die stylistisch wohlgewählten Drum Pausen konnten auch wir dafür nutzen, in Ruhe durchzuatmen. Zugebenermaßen war dieses primär dem Luft holen auf dem frisch gewachsten Tanzboden direkt hinter dem Graben geschuldet, denn jegliche Beinbewegung wurde mit einer entsprechend instabilen gesamtheitlichen Körperbewegung gekontert. Besonders bemerkenswert bei diesem Festival war, dass bisher jegliches störende Geknatter der Spiegelreflexkameras ausbleibt und auch die sonst übliche Anstoßerei in Reihe 1 von Astrid nicht erfolgt, vermutlich aus Ehrfurcht unseres so geübten Tanzstils gegenüber.
Einzig und allein störend zu Beginn war der fehlende Nebel aus den Hazern, hier sollten die Verantwortlichen schnellstens die Technik überprüfen und für atmosphärische Abhilfe schaffen, sonst droht das ganze Festival zu klar zu sein, was natürlich final auch niemanden optisch störte. Aber der fehlende Nebel störte nicht wirklich, das unscharfe Sehen wurde trotzdem punktuell und zeitlich sehr kurz – aber repetetiv – ermöglicht. Nach gut 40 Minuten war der Wasservorrat von Kalle leer und er gab erschöpft auf, bei ohrenbetäubendem Applaus und mächtig viel, aber unbeantworteten, Zugabe-Rufen.
Gekonnt überleitend wurde der Apmhi-Moderator #1 unter Zuhilfenahme katzischer Präsenz als Pausenclown aktiv, kurz gehalten und ohne besondere Hervorhebung der olfaktorischen Gesichtsmerkmale eines Clowns.
EGOAMP
Das Quartett aus drei männlichen und einer weiblichen Hauptakteurin bezogen stilvoll mit Zylindern und anderem Hutbekleidungssupport nach dem Moderatorenabgang die größte Bühne der Welt und legten auch unmittelbar mit ihren allseits bekannten Gassenhauern los. Tierischer Support war auch hier groß geschrieben und konnte nur unter selbstaufopferndem Einsatz seitens einer einzelnen Besucherin dem regulären Konzertablauf wieder entzogen werden. Abwechslungsreich in der Instrumentenwahl wurde gekonnt mit Megafon, Melodica, ApplePC, Synths und sonstiger musikalischer Lärmquellen gezeigt, warum das Ego keinen Amp braucht – die gut ausgesteuerte Lautstärke veranlasste sogar die Fotographen, die Ohrschutzstöpsel wieder in die vorgesehenen Hüllen zurück zu verfrachten.
Nach einem unglaublich schnell verflogenen 35 Minuten regulären Set musste das Publikum doch geschlagene 15 Minuten applaudieren, um so zumindest eine zweiliedrige Zugabe nostalgischer 80er Jahre Songs zu erwirken. Die vier Künstler achteten zudem penibelst auf die Einhaltung des verordneten Mindestabstandes, um so auch ihren Beitrag zur Bekämpfung einer möglichen Ausbreitung beizutragen, zumal der CV mit der Musik sicherlich schon in die Schranken gewiesen werden sollte. Zusammenfassend war der kurzweilige Auftritt dieses Quartetts wiederholungswürdig, mit einem würdigen Cover von “Sweet Dreams” abschließend als die zweite Zugabe.
Frenetischer Beifall rundete diesen zweiten Akt ab und zwangen Puppekopp zum erneuten Auftritt. Kurz erläutert, dass wir im Laufe nicht nur Noise – scusi – NOYCE und RROYCE hören, aber dabei nicht durcheinander kommen sollten. Auf seinem vergangenen Gastauftritt bei NOYCE™ ausruhend, schaffte er dennoch die Anmoderation.
NOYCE™
NOYCE™ schafften es anfangs nicht, das immer noch euphorisierte Publikum ruhig zu stellen, aber nach kurzem Anspielen der weiteren Takte war das Quartett – ohne Puppekopp – derart dominant, dass auch die lauteste Quasselstrippe verstummte und sich das Quartett als Quintett entpuppte. Sichtlich überrascht ob des Künstlerwachstums um 20% traten doch wieder Störgeräusche auf und jedes noch so laute Fluchen und Ermahnen unsererseits konnte das überwiegend britische Publikum nicht davon abhalten, sich störend laut – vermutlich ging das Ale aus – zu verhalten. Im Nachhinein und gut drei Jahre später konnte die tatsächliche Ursache immer noch nicht bestimmt werden.
Ein relativ unspektakulär ablaufendes Konzert auf einem gewohnt guten Level ging auch nach einer guten dreiviertel Stunde vorbei – wie so viele gute Dinge und eh wir uns versahen, war die Halbzeit des Festivals bereits erreicht. Das Konzerte erinnerte sehr stark an den 2017er Auftritt auf dem Infest – was vielleicht auch das Verhalten des britischen Publikums erklären könnte.
Die Vorzüge der diesjährigen örtlichen Gegebenheiten anpreisend und noch ein paar weitere besonnene, aber nichtssagende, Worte später verließ der sonst erstklassige Moderator erneut die Bühne und machte Platz für das Trio um den charismatischen Sänger Casi.
RROYCE
Casi, Kay und Al richteten zu Beginn ein paar mahnende, aber durchweg aufmunternde Worte an die große Zuhörerschaft – und wiesen noch einmal darauf hin, dass man sich auch belohnen sollte – was sie mit ihrem heutabigenden Auftritt für uns alle machen wollten.
Das Trio legte fulminant los und fegte, wie bereits im letzten Jahr in der Turbinenhalle in Oberhausen, zum damaligen eTropolis 2019, das Publikum einfach weg. Mit den seit dem sogar noch weiter verbreiteten Hits konnten RROYCE das vorhandene Publikum in gewohnter Manie mitreißen und einen unvergleichlichen Augen- und Ohrenschmaus abliefern. Die gewohnte Rampensaushow von Casi war auf üblich hohem Level und mit gerade in dieser Zeit sehr aktuellen Worten – so als ob die Chartstürmer RROYCE es damals bereits ahnten – verabschiedete sich das Trio von diesem Festival.
Auch ohne eine Überleitung vom Moderator könnte es dann direkt zum nächsten Hauptakt gehen, aber nach einer ausgeklügelten Schleichwerbung für den größten deutschen Speiselieferdienst leitete Jens über, aber nicht ohne dem Publikum sabbernd ob der hinter der Bühne im Backstage-Bereich angepriesenen Bier- und Speisenvielfalt ein faden Eindruck zu hinterlassen, mangels VIP und Backstage Bändchen der vermutlich sehr großen Mehrheit der Anwesenden.
JAN REVOLUTION
Nach einer gekonnten Danksagung von Jan an die Beteiligten dieses immensen Projektes startete die Revolution so richtig durch. Gekonnt synchronisiert gaben JANREVOLUTION mit Réne an den Keys und Alex an der Gitarre ein Potpourri der besten Lieder zum Besten und konnten so das überwältigend vielfältige Publikum zum Schwitzen bringen. Durch geschickte Varianz der Positionen der Künstler Abwechslung in den sonst recht monoton erscheinenden Bühnenauftritt bringend, konnte musikalisch um so mehr überzeugt werden. Optisch sauber, klare Linien, saubere Riffs, klarer Klang – ungewöhnlich Spitze für solch ein Festival – gilt dem Mann oder der Frau am Mischpult großer Dank! Alles schien ideal für JANREVOLUTION ausgepegelt zu sein, da war ein Könner am Werk!
Nach einer viel viel zu kurzen halben Stunde Spielzeit kamen unsere drei Gewinner der Herzen zu einem fulminanten Abschluss mit ihrem derzeitigen Dauerbrenner”Chasing Through The Night”, gefolgt von einer erneuten aufmunternden und auffordernen Abschlussgesangsrede von Jan hinsichtlich des Ausharrens in der derzeitigen Situation und dem positiven Ausblick, auf ein gemeinsames Musikerlebnis eines Tages danach, ging das Wort wieder an unseren Class A Moderator über, dem es sichtlich schwer fiel, seine Beherrschung nicht zu verlieren, so ging es doch mit schnellen Riffs auf den finalen Endgegn…. Künstler des Abends entgegen.
VERSUS
Live direkt aus dem Bunker in Dresden sollte es pünktlich weiter gehen, aber die bisher sehr pünktlich verlaufene Festivaleinhaltung gerät das erste und hoffentlich letzte Mal ins Wanken. Zeitverzug beim Headliner des Abends kennen die meisten Festivals, die eher an Ihre Fans als an die strikte Umsetzung von Zeitplänen denken. Hier sind es jedoch technische Hürden, die zu dieser unvorhergesehenen Verzögerung führen.
Als es dann endlich in die wohlverdiente Livestreamung geht, wird sehr schnell klar, dass sich das Warten absolut gelohnt hat. André, welcher sich erst jüngst vom traumatischen Ereignis des Endes des Kosmonaut-Festivals erholen musste, startete souverän und kraftvoll an diesem Abend, zusammen mit 50% der restlichen Band auf der Bühne (Daniel wirkte heute Abend sehr statisch), um dem Publikum eindrucksvoll die Mächtigkeit von Ahoi Pop nahe zu bringen. Auch kleinere technische Störungen wurden gekonnt und vor allem schnell gelöst, sodass der Hörgenuss des Publikums maximiert erfolgen konnte.
Mit einer weiteren Weltpremiere des Abends äußerte sich André gewohnt gesellschaftskritisch und der Refrain des neuen Stücks war auch schnell vom Publikum textsicher mitgesungen, was zu einer unglaublichen Atmosphäre beitrug, ergänzt durch eine geschickt akzentuierte Beleuchtung. Fast zwanzig Jahre Band wurden selbstironisch überspielt und die dahinter stehende große Auswahl der Lieder für diesen Abend wunderbar zusammen gestellt. In gewohnter Manier dominiert André die gesamte Breite der Bühne im Bunker, lediglich die Interaktion mit dem Publikum will nicht so recht gelingen am heutigen Abend – aber an der Musik kann das tatsächlich nicht gelegen haben.
Auch bei dem letzten Akt dieses unglaublichen Festivals ging die Zeit viel zu schnell vorbei, aber so ist es auf eigentlich jedem Festival – irgendwie. Mit der letzten Weltpremiere für heute Abend, eines erst am Mittwoch ersonnenen Liedes, und einer fast vollumfassenden Danksagung an die Organisatoren hinter diesem Mega Event endet der erste Stay at Home 2020 Festivalreigen. Aus dem Nichts erklang dann auch der Ruf nach Zugaben – die wundersamer Weise dieses Mal auf Gegenliebe bzw. Gehör stießen – und wurde mit “This Is Not Enough” quittiert – ein absolut passender Mottospruch des Tages.
Die völlig überfüllte After Show Party, übertragen live aus dem Bunker in Dresden im Anschluss an das Konzert von VERSUS, konnte hinsichtlich Festival After Show Parties überraschend mithalten und so auch das entfernteste Publikum mit einer hochkarätigen Auswahl an aktueller kurzweiliger Unterhaltungsmusik mitreißen, das Gekreische, Mitgesinge und Abgefeiere konnte bis in die entferntesten Weiten des Internet vernommen werden. Wir mussten uns leider vorzeitig ausklinken, um diesen Bericht zeitnah fertig stellen und die unglaublich große Screenshotauswahl entwickeln zu können.
Fazit:
Das heute unter strengsten Anti-Corona-Maßnahmen durchgeführte Festival ist als vollkommender Erfolg zu werten. Die Künstlerauswahl war angemessen für solch einen Anlass – abweichende Meinungen gibt es ja immer – und auch die Art der Inszenierung geschickt gewählt. Es gibt immer ein paar Abstriche bei solchen Veranstaltungen, aber dieses Mal sollte es zumindest nicht zu durch dieses Festival zusätzlich notwendigen Rachenabstrichen geführt haben – wurde doch sowohl der Schutz des Publikums, der Künstler als auch der im Hintergrund agierenden Personen sehr groß geschrieben. Die Aussicht auf eine zweite Instanz einer solchen Veranstaltung mag zwar auf den ersten Blick erheiternd und motivierend wirken, aber sobald man sich die wahren Hintergründe dieser Aussage auf der Zunge zergehen lässt, kommt ein ziemlich fader Beigeschmack hoch.
Der post Festival Blues setzt bei manchen früher, bei manchen später ein. Zumindest war unser Eindruck, dass sich solch ein Format als zukunftsfähig erwiesen hat. Also mehr davon!
Bleibt gesund, und #Stay@Home.
Die Links zu den Videos sind noch bis zum 05.04.2020 abrufbar (also beeilen!):