Elektrisierendes Frühlingserwachen – Das E-Tropolis-Festival 2024 eröffnet die Saison fulminant!

Jetzt, wo das Plage Noire-Festival sich wieder vom Frühling in den November verzogen hat, ist das E-Tropolis in Oberhausen nun uneingeschränkter Alleinherrscher im Frühjahr. Der “kleine Bruder des Amphi” lockte wieder mehrere Tausend Tanzwillige in den Palast der Industriekultur: die Turbinenhalle(n) in Oberhausen. Meiner Meinung nach ist das E-Tropolis der perfekte kleine Mikrokosmos und das absolute Maximum, was man aus einem Ein-Tages-Event herausholen kann. Bei anderen Veranstaltungen muss man deutliche Abstriche machen, wenn die Sause nur einen Tag geht. Natürlich gibt es auch hier kein Camping (brr) und somit auch kein heimeliges Campground-Feeling. Aber das E-Tropolis schafft es irgendwie, die tolle Atmosphäre und das Zusammengehörigkeitsgefühl eines Gothic-Abenteuerspielplatzes auch ohne Zelte zu kreieren. Die Amphi-Macher wissen einfach, was ein gutes Festival ausmacht und verwöhnen uns mit einem reichhaltigen kulinarischen Angebot, mehreren Floors und jeder Menge Pre- , After- und Währenddessen-Partys. Natürlich trägt auch das vortreffliche Biotop dazu bei, dass der schwarz schillernde Ball gelingt. Die Turbinenhallen sind einfach ein wunderbarer Ort mit schönen, großen Bühnen, einem satten Sounderlebnis und zudem weitläufig genug, dass man sich nicht auf den Füßen steht. Wenn da nur nicht die Bonpflicht wäre (Danke, Merkel!!)… das lästige Anstehen am Bonstand gehört nicht zu unserern Lieblingsbeschäftigungen, aber sei’s drum. Wir feierten trotzdem wieder, als gäbe es kein Morgen!

Den Anfang auf der Main Stage machten STURM CAFÉ. Die Pioniere des EBM entstammen den frühen 2000ern und wurden gleichsam wiedererweckt in 2015, als sie das Album “Europa!” veröffentlichten. Seitdem waren sie wieder recht produktiv und bereicherten die Szene erst im letzten Jahr mit der Veröffentlichung “Zeitgeist”, aus dem auch der Eröffnungssong “Staatsapparat” entnommen war. Ich muss zugeben, dass auch jemand wie ich, der mit Oldschool EBM wenig anfangen kann, durchaus angetan vom Sound der Truppe war. Das war eben nicht NUR minimalistisch, sondern da waren auch noch andere Zutaten beigemischt. tanzbar war es allemal und die große Turbinenhalle auch zu dieser frühen Stunde schon gut gefüllt. Auch wenn Jonatan Löfstedt und Gustav Jansson aus Schweden stammen, singen sie ausschließlich in Deutsch. Ein guter Auftakt für dieses E-Tropolis 2024!

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Fotos: Mirco Wenzel

Die 2nd Stage schlief noch einen unruhigen Schlaf, auch wenn schon fleißig für den Eröffnungsact in der zweiten Halle gewerkelt wurde. Doch noch lag alle Aufmerksamkeit auf der Main Stage, was auch dem nachfolgenden Act RROYCE zugutekam. Die Jungs aus Dortmund machen immer Party, egal ob vor zehn oder vor 1000 Leuten. Mit einer vollen Halle im Rücken macht es aber besonders viel Spaß. Natürlich war der Eröffnungssong “The Principle Of Grace”, also direkt ein Hitmonster. RROYCE gehört auf die große Bühne. Was der eingefleischten Fanbase schon lange klar war, sickert nun langsam auch ins Bewusstsein der Veranstalter ein, was ich sehr begrüße. Vielleicht stellen die drei schnieken Herren auch die letzte Hoffnung für Eltern dar, deren Töchter sich der Sekte der Leuchtkäfer angeschlossen haben und nun Nacht für Nacht in Clubs die puschelbewehrten Neonbeine schwingen. Electro geht auch seriös, Freunde. Aber bitte nicht hauen, ich führte damals selbst eine Beziehung mit einer wundervollen Cybergoth und tanzte durch die Nächte im benachbarten Duisburg. Dennoch muss man konstatieren, dass verdächtig wenige Cyber-Vertreter in den heiligen Hallen des E-Tropolis gesichtet wurden. Vielleicht stirbt die Art allmählich aus. RROYCE tut uns jedenfalls allen gut. Egal ob “Parallel Worlds” (mit Choreo, nimm das Macarena!!), “Rebuilt.Reborn” oder der fulminante Schlusspunkt “I Like It When You Lie”, hier wurde non-stop das Tanzbein geschwungen und frenetisch mitgesungen.

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Fotos: Mirco Wenzel

Was ist eigentlich ein “oberer Totpunkt”? Das Gegenteil von einem unteren Totpunkt natürlich! War doch gar nicht so schwer, woll? Hier eine Definition: “Der “obere Totpunkt” ist ein Begriff, der oft im Zusammenhang mit Verbrennungsmotoren verwendet wird. Er bezeichnet den höchsten Punkt im Kolbenhub eines Zylinderkolbenmotors, wenn sich der Kolben in der Nähe des Zylinderkopfes befindet und sich nicht mehr weiter nach oben bewegt. An diesem Punkt erreicht der Kolben seine maximale Höhe im Zylinder und das Einlassventil ist normalerweise geschlossen, während das Auslassventil noch geschlossen oder leicht geöffnet sein kann. Der obere Totpunkt markiert den Beginn des Kompressionshubs, bei dem das Kraftstoff-Luft-Gemisch im Zylinder komprimiert wird, um eine effiziente Verbrennung zu ermöglichen.”
Äh gut… Der obere Totpunkt ist also wichtig, damit eine effiziente Verbrennung erfolgen kann, genauso wie sein Pendant am unteren Ende natürlich. Aus Gründen des Brandschutzes war keinerlei Verbrennung gestattet, weshalb die Band OBERER TOTPUNKT nur eine kalte Fusion in der Turbinenhalle 2 initiieren konnte. Ein Höhepunkt war der Auftritt trotzdem und die… “Kolben” der Anwesenden gerieten ordentlich in Bewegung. Diese Metapher hat ihre Grenzen, merke ich gerade. Das dynamische Duo aus Bettina Bormann (Vocals) und Michael Krüger, ergänzt um die Live-Mitglieder, stellte gewissermaßen den Exoten im Line-up dar. Das Label Danse Macabre ist durchaus bekannt dafür, Heimathafen für alle möglichen, merkwürdigen Gewächse zu sein und das ist auch gut so. Bettinas eindrücklich rezitierte Lyrics, unterlegt mit Krügers druckvollen Soundgeschwadern versetzten die kleine Turbinenhalle in eine Art wohlig-düstere Trance. Nach dem älteren Stück “Blutmond”, bekamen wir gleich eine frisch veröffentlichte Komposition mit dem schönen Titel “Langfristig gesehen sind wir alle tot” zu hören. Mit solchen Betrachtungen rennt man in der Gothic-Szene natürlich offene Türen ein, aber dennoch… Wer nur tanzten will, ist bei OBERER TOTPUNKT nicht unbedingt richtig. Es gehört schon auch dazu, sich auf die kruden Texte einzulassen. Beim E-Tropolis fanden sich genug AbnehmerInnen für diese Klangkunstwerke. Auch das zum Abschluss interpretierte FEHLFARBEN-Cover “Paul ist tot” kam gut an.

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Fotos: Mirco Wenzel

Leichte Überschneidungen zwischen den zwei Bühnen sind beim E-Tropolis leider an der Tagesordnung, weshalb durchaus die ein oder andere schmerzliche Entscheidung getroffen werden musste. Nebenan auf der Main Stage hatten SONO bereits begonnen, sich auszutoben. Die Jungs um Lennart Salomon waren dafür zuständig, die Coolness in die Halle zu tragen und mit ihrem chilligen Club-Sound die Luft elektrisch aufzuladen. Die Frage “Oberhausen, habt ihr Bock?” war da schon fast überflüssig. Ich war längst auf Betriebstemperatur, als mir “Flames Get Higher” in die Beine fuhr und so ging es sichtlich auch vielen anderen der Anwesenden. Ziemlich früher Setplatz für den Über-Hit… Aber SONO hat so viele tolle Songs, dass auch danach noch ordentlich Tanzgaranten folgten. Den Beweis traten z.B. “Supersonic” und “Perfect Harmony” an. SONO ist einfach genau das Richtige für einen entspannten Nachmittag mit guter Laune. Diese Musik verursacht in einer Menge dynamische Wellenbewegungen. Während bei anderen Bands jeder für sich selbst tanzt, schafft SONO es irgendwie, dass alle sich stumm auf einen Bewegungsablauf verständigen. Das Publikum wird gleichsam flüssig und wogt wie eine bunt schillernde Woge auf und ab, getrieben von SONOS herrlich smoothem Sound. “In The Haze”, das aktuelle Album aus 2023 sorgte auch für neue Höhepunkte im Set. “Together” ist zum Beispiel längst zu einem Publikums-Favoriten avanciert, was man auch beim E-Tropolis deutlich merkte. “Es hat großen Spaß gemacht für euch zu spielen”, bedankte sich Lennart zum Schluss. Den Dank können wir nur zurückgeben.

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Fotos: Mirco Wenzel

Nahtlos weiter auf der 2nd Stage ging es mit ACCESSORY. Hier wurde die BPM-Zahl nun deutlich angezogen. Wer gerade von einer Kaffee-und-Kuchen-Pause auf der Empore gekommen war, erhielt nun eine deutliche Verdauungs-Unterstützung durch eine Ganzkörpermassage des Beats. ACCESSORY spuken nun auch schon über zwanzig Jahre durch die Szene und lieferten wie immer ein straffes Set aus stählernem Trance und EBM ab. Dirk und Mike schaffen es, ihren Sound jung und frisch zu halten, trotz der ganzen Bühnenjahre. Die gut gefüllte Turbinenhalle 2 bildete den idealen Resonanzkörper für die Jungs. Mit dabei war auch eine Live-Premiere, denn der neue Song “Dark Dance Of Life” wird erst am 22. März veröffentlicht. In Oberhausen durfte das neue Werk schon einmal Bühnenluft atmen. Wer eines der treibenden DJ Sets von Dirk Steyer miterleben will, kann das übrigens auf dem am Samstag stattfindenden KIELECTRIC-Festival tun.

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Fotos: Mirco Wenzel

Die beliebten Lokalmatadore [:SITD:] hatten derweil auf der Mainstage bereits die ersten beiden Songs absolviert. Es war so voll, dass einige sich auf die Empore verzogen hatten und das Set auf dem Bildschirm verfolgten. Mehr Platz zum Tanzen war dort oben aber auch und Tanzen ist Pflicht bei diesem Act. Auch diese Band hatte ein Debut im Gepäck: Die neue Single “Brieselang” war erst am 1. März, also am E-Tropolis-Vortag auf die Welt losgelassen worden. Der Song handelt von dem sogenannten “Brieselanger Licht”, einer modernen Sage, die darauf zurückgeht, dass im Wald bei Brieselang (Brandenburg) öfter des nachts unerklärliche Lichtphänomene gesehen worden sein sollen. Diese Erscheinungen werden in Zusammenhang mit dem Tod der damals 12-jährigen Elisabeth Wieja gesehen, die von Sowjet-Soldaten in diesem Wald 1945 umgebracht worden sein soll. Dieser traurigen Geschichte haben [:SITD:] ein musikalisches Denkmal gesetzt. Die Single elektrisierte gleich die ganze Turbinenhalle und sorgte trotz des ernsten Hintergrunds für Stimmung. Ich hoffe, Elisabeth freut sich im Jenseits darüber, dass wir sie nicht vergessen, und an ihr Schicksal auf diese ungewöhnliche Weise erinnern. Aber auch die All-time-Favourites wie “Richtfest” und “Snuff Machinery” brachten die alten Mauern zum Beben und erhöhten die Schweißproduktion beträchtlich. [:SITD:] sind und bleiben der Party-Garant im Line-up!

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Fotos: Mirco Wenzel

NNHMN (“NonHuman”, um der Frage vorzugreifen) und KITE sind beide große Ausrufezeichen im diesjährigen Line-up gewesen und das beste Argument gegen den Vorwurf, die großen Festivals würden immer nur die gleichen, glattgebügelten Bands buchen. NNHMN aus Berlin sind ein ungewöhnlicher Act, der aus Lee Margot and Michal Laudarg besteht und trotz des Erfolges etwas Pures, Undergroundmäßiges an sich hat. Die psychedelischen Klänge und die verträumte Stimme von Lee erschaffen eine synthetische Seifenblase aus Klängen, die schillernd die wie in Trance auf- und abwogende Menge einschließt und sie so sanft gefangen nimmt, dass sie gar nichts davon bemerkt. Dass sie am Vortag das Konzert von KITE in Leipzig eröffnet hatten, passte wie die Faust aufs Auge. Auch auf dem E-Tropolis gaben sich die beiden Bands die Klinke in die Hand. NNHMN präsentierte vor allem neuere Stücke aus dem sehr produktiven Jahr 2023. Zu “Gloomy Heart” wurde auch ein Video produziert. Hört mal rein!

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Fotos: Mirco Wenzel

KITE löst stets sehr starke Emotionen in den Menschen aus. Meistens glühende Verehrung. Die Schweden bekommt man hierzulande auch nicht allzu häufig zu Gesicht und so war der Auftritt auf der Main Stage des E-Tropolis für die meisten Pflichtprogramm. Eröffnet wurde der Abend mit “Remember Me” und “Changing”. Wenn man überhaupt irgendeine Band mit IAMX vergleichen kann, dann ist es KITE. Zumindest von der Wirkung her, denn die elektrischen Pheromone, die hier über den Klang verteilt wurden, versetzten das Publikum samt und sonders in Entzücken und luden die Luft nachhaltig auf. Widerstand war zwecklos, man musste sich KITE einfach hingeben. Ich hoffe, die Getränkeumsätze brachen während dieses Sets nicht allzu dramatisch ein, denn niemand wollte sich vom Fleck bewegen, um jede Sekunde des schwedischen Zaubertranks aufzusaugen. In der Mitte wurde ohne Pause ein Hit-Dreierpack aus “Dance Again”, “Jonny Boy” und dem neuen “Glassy Eyes” gespielt, der keinen Zuschauer unberührt ließ. Eben weil KITE so selten auftreten, haben sie hier wie eine bunte Florfliege, die aus ihrem kurzen Leben das Beste machen muss, ihre großartigsten Stücke in dieses einmalige Set gepackt und als Konzentrat allen Anwesenden intravenös verabreicht. Die einzigartige Stimme von Nicklas Stenemo berührte mich tief und damit stand der Höhepunkt des E-Tropolis 2024 zumindest für mich bereits fest.

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Fotos: Mirco Wenzel

Vorbei war das Festival aber natürlich noch lange nicht. Mit POTOCHKINE stand auf der 2nd Stage auch kein alltäglicher Act an. Die Franzosen kamen gefühlt aus dem Nichts, in den letzten zwei Jahren. Das Wort “Geheimtipp” passt so gerade eben noch, aber nicht mehr lange. Wenn die Band eine Aktie wäre, würde ich genau JETZT kaufen, denn ab hier geht es nur noch nach oben. Letztes Jahr konnte man sie bereits auf dem Amphi-Festival bewundern und davor das Jahr auf dem Wave Gotik Treffen. Aber jetzt treten sie aus dem selbstgewählten Schatten ins Rampenlicht. Die Genre-Diskussion mache ich an dieser Stelle gar nicht erst auf. Pauline und Hugo haben die Stempelfabrik direkt niedergebrannt und auch die Schubladenfertigung in die Luft gejagt, nur um auf den Trümmern zu tanzen. Dass beide KünstlerInnen einen Theaterhintergrund haben, erschließt sich sofort. Die Bewegungen auf der Bühne, wie sie mit der Musik verschmelzen und sich ganz und gar dem Moment hingeben, setzt einzigartige Energien frei. Diese Kraftquelle erschließt sich auch direkt dem Publikum. Neben neueren Stücken aus dem 2021er Album “Sortilèges” wie “Les Chevaux” und “Pogo” gab es auch älteres Material zu hören, wie zum Beispiel “Je déteste attendre” vom Debutalbum “Potochkine” (2018). Die ungewöhnliche Performance überraschte einige ZuschauerInnen sichtlich, aber schnell hatten sie die beiden KünstlerInnen ins Herz geschlossen.

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Fotos: Mirco Wenzel

SUICIDE COMMANDO – die Band, die die zweifelhafte Ehre mit THE BIRTHDAY MASSACRE teilt, dass das Suchen des Namens auf Facebook eine Warnmeldung auslöst, dass man sich doch bitte Hilfe suchen soll. In Oberhausen war Hilfe jedenfalls unterwegs. Nicht nur, dass die wachsamen SanitäterInnen auf dem linken Balkon immer alles im Blick hatten (danke an dieser Stelle an diejenigen, die aufpassen, dass es uns im Partyrausch gutgeht), nein auch das belgische Kommando war angetreten, um die dunklen Triebe in uns anzusprechen. Das Set begann mit einer Überraschung: Das über zwanzig Jahre alte “Mindstripper” hatte ich sehr lange nicht mehr live gehört. Eine Veteranen-Band wie SUICIDE COMMANDO macht sich natürlich Gedanken, wie man das Set hin und wieder aufmischen kann. Ich finde es sehr gut, wenn man mal alte Schätze hervorkramt und den üblichen Hits auch mal eine Pause gönnt. Doch natürlich hatten auch die “Schlachtschiffe der Vergangenheit” ihren Platz im Programm bekommen, allen voran “God Is In The Rain” und “Dein Herz, meine Gier”. Die Belgier um Johan van Roy beserkten wieder einmal durch die Gehörgänge und setzten ein Ausrufezeichen in der härteren Gangart. Jedes Gebäude braucht nun mal ein festes Fundament und eine stählerne Stützstrebe wie SUICIDE COMMANDO bildet den verlässlichen Rahmen für solch ein Festival. Nur, wenn die Leute zu einem gewissen Teil wissen, was sie erwartet, lassen sie sich auch darauf ein, vor Ort spontan Neues auszuprobieren. Gewissermaßen schaffen Bands wie SUICIDE COMMANDO also auch den Nährboden, auf dem Newcomer erst gedeihen können. Das sollten vielleicht all die KritikerInnen bedenken, die bemängeln, dass auf den Line-ups oben immer die gleichen Namen stehen. Die Band lieferte eine verlässlich gute Show ab und der Sound war auch großartig. Was will man mehr?

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Fotos: Mirco Wenzel

Wem das belgische Geballer zu hart war, konnte nebenan natürlich auch mit FROZEN PLASMA Love, Peace and Harmony zelebrieren. Vasi Vallis und Felix Marc haben es sich zur Aufgabe gemacht, Botschafter der Positivität zu werden. Irgendwie wollte diese Rolle in der schwarzen Electro-Szene bisher niemand übernehmen und so ist es schön, dass eine Band das Szepter ergreift und daran erinnert, was wir uns alle insgeheim natürlich wünschen: Eine friedliche Welt, in der die Liebe zueinander im Zentrum steht. Diese Entwicklung manifestierte sich erstmals mit der Single “Let It Rain Love” und wer auf dem E-Tropolis-Festival den Merchstand besuchte, fand ein brandneues Shirt mit dem Motto “All we have is now”. Auch als der besagte Song live gespielt wurde, regnete es Konfetti und Herzballons, die die verrückte Erste Fangarde organisiert hatte, die sich auf der linken Bühnenseite ansammelte. Die “Handfeuerwaffen”, die das Konfetti abschossen, waren vorher diskret aus dem Backstage herumgereicht worden. “Möge die Party niemals aufhören!”, forderte Felix zwischendurch überschwänglich. Für manch einen war die FROZEN PLASMA-Party aber von vorneherein begrenzt, da direkt im Anschluss COVENANT auf der Main Stage spielen sollten und man sich gute Plätze sichern wollte. Die Schweden überraschten vor allem mit ihrer Songauswahl. Hits wie “Bullet” und “Like Tears In Rain” fehlten, dafür bekamen wir aber seltene Perlen wie “20 Hz” und “Wir sind die Nacht” auf die Ohren. Für “Lightbringer” durfte einmal mehr Daniel Myer ans Mikro, der auch später am Abend noch seinen großen Auftritt haben sollte. “I can feel you. Thank you”, bedankte sich dieser beim Publikum. Mir persönlich gefiel die technoide Song-Auswahl nicht ganz so gut, aber wer den Stimmen des Publikums nach dem Konzert lauschte, hörte durchaus viel Begeisterung für die Abwechslung. Die Tonprobleme vom Amphi-Auftritt gab es jedenfalls nicht, sodass COVENANT seiner Co-Headliner-Rolle vollauf gerecht werden konnte. Vereinzelt hatten es auch ein paar Herzballons von FROZEN PLASMA rüber in die Haupthalle geschafft und wurden nun zu den COVENANT-Rhythmen geschwenkt.

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Fotos: Mirco Wenzel

Auf der 2nd Stage war nun endgültig Headliner-Time und die guten Tanzplätze rar gesät. Es sammelte sich allerlei Jungvolk sowie alte Recken, vorzugsweise in Uniform. So wusste auch jemand, der kein Blick auf das Line-up geworfen hatte, was jetzt anstand: Natürlich die österreichische Brigade von NACHTMAHR! Gleich der Opener “Beweg dich!” ließ keinerlei Interpretationsspielraum. Der Tanzdiktator wollte uns tanzen sehen, also gehorchten wir natürlich. Der Titelsong der 2021er-EP legte die Messlatte gleich einmal nach oben, was das Tempo betraf. Die Set-Mischung war sehr ausgewogen und changierte zwischen “Stellungskrieg” von 2021 und “Feuer frei” von 2008. 17 Jahre gibt es diese Truppe nun schon, Freunde. Thomas Rainer und seine Mannen sind aus der Szene jedenfalls nicht mehr wegzudenken. Natürlich gibt es bei Nachtmahr gnadenlos auf die 12, es bleibt wenig Platz für tiefgründige Gedanken. Und doch gab es Momente… Das berühmte Rolf Hochhuth-Zitat “Pazifisten sind Menschen, die andere für sich kämpfen lassen” flackerte zwischendurch in einer abgewandelten NACHTMAHR-Version über den Bildschirm. Inwiefern man bei der heutigen Weltlage noch Pazifist sein bzw. bleiben kann, ist durchaus eine wichtige Frage. Aber die Rasantheit der Show warf immer nur kurze Schlaglichter auf solche Überlegungen. Stattdessen bekam man den Beat eingeprügelt und schuldete der Band einen Tribut an Schweiß, den man willig bezahlte. So läuft das! Die erst wenige Monate alte Single “Luzifer” und das SECOND DECAY-Cover “I Hate Berlin” in einer deutlich härteren Fassung rundeten den Auftritt ab. Natürlich waren auch die Trommelmädchen in Uniform wieder mit auf der Bühne und überwachten den Stimmungspegel. Gemessen an der Schlagzahl und dem Jubel am Ende kann man nur sagen: MACHTMAHR! Ein würdiger Abschluss für die 2nd Stage!

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Fotos: Mirco Wenzel

Das war haarscharf! Noch wenige Stunden zuvor war keineswegs sicher, dass der Headliner NITZER EBB seinen Auftritt würde absolvieren können. Grund war die gesundheitliche Verfassung von Vokalist Douglas McCarthy. Nur wenige Kilometer weiter westlich, in Belgien, hatte er am Vorabend einen desolaten Eindruck hinterlassen und so stand das E-Tropolis-Konzert auf Messers Schneide. Alte Bands sind auch nicht gerade für ihre Flexibilität bekannt, hier sind alle Abläufe bestens eingeübt und mal so eben einspringen ist eigentlich nicht möglich. Umso beachtenswerter, dass tatsächlich eine Lösung gefunden worden war, die den Auftritt in Oberhausen sicherte: Bon Harris wechselte ans Mikro und seinen Platz an der Klangstation bzw. den Drums nahm niemand anderes als Daniel Myer ein. Was kann der Typ eigentlich nicht? Natürlich fehlte McCarthy trotzdem und die Show blieb ein Provisorium, die einige Fanlieblinge leider auslassen musste. Dennoch voller Respekt an die Band, dass der Auftritt möglich war. Es hat natürlich auch seinen ganz eigenen Reiz, die Songs mal in einer anderen Fassung zu hören. Die Stimmung war auch durchaus sehr gut in der prall gefüllten Turbinenhalle 1 und die Menge feierte diese ungewöhnliche NITZER EBB-Besetzung genauso frenetisch. “Getting Closer” fehlte, aber dafür gab es zum Beispiel den 1987er-Song “Alarm”. Man kann nur sagen, dass es einen Glücksfall darstellt, dass NITZER EBB sich nach den Auflösungen doch wieder zusammengefunden haben und uns den Beat der Vergangenheit konservieren. Man kann nur hoffen, dass Douglas McCarthy sich wieder vollkommen erholt und bald wieder mit seinen Jungs auf der Bühne stehen kann. Die um einige Minuten verkürzte Slot-Zeit endete gegen 00:45 Uhr und beendete das diesjährige Live-Programm des E-Tropolis-Festival. Natürlich blieben noch etliche für die After-Show-Party.

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Fotos: Mirco Wenzel

Das E-Tropolis wieder auf den ursprünglichen Platz im Frühjahr zu verschieben, war die richtige Entscheidung. Dieses feine, kleine Festival-Juwel verdient den konkurrenzlosen Platz im März und die ehrenvolle Aufgabe, die Saison einzuläuten. Ich möchte als Veganer auch das breite Angebot an kulinarischen Köstlichkeiten ausdrücklich loben. Die Jäger-Kartoffeln mit Champignons waren ein Gedicht, ebenso schmeckte die gewohnt humurvolle Moderation der einzelnen Bands durch the one and only Jens Domgörgen. Das E-Tropolis ist einfach eine runde Sache und wenn man das stets großartige Line-up, die geräumige Location Turbinenhalle, die Champignons und Jens zusammenmischt, wird ein Schuh draus. Bzw. ein schwarz glänzender Stiefel, den wir uns immer wieder gerne anziehen.

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