Heimspiel 5.0 – NEUROTICFISH und der Suchtreflex

Es war der 17.12.2022. Kurz vor Weihnachten ist es zu einem liebgewonnenen Ritual geworden, in den Oberhausener Kulttempel zu stiefeln. Hier haben sich schließlich NEUROTICFISH eingenistet. Zugegeben, das über alle Stadtgrenzen hinaus bekannte „Heimspiel“ musste auch schonmal aus diversen Gründen aussetzen. Aber eigentlich weiß man, dass man sich diesen Termin FETT im Kalender anstreichen kann. Nun stand also die fünfte Ausgabe dieses Events auf dem Programm. CYTO und MORTAJA hatten diesmal die ehrenvolle Aufgabe, die Partygäste auf ein angemessenes Stimmungslevel zu heben.

Um die 500 Fans fanden sich also an diesem Abend im beliebtesten Club des Ruhrpotts ein. Pünktlich um 21:00 Uhr enterte MORTAJA die Bühne. Ursprünglich waren LIEBKNECHT für den Abend angedacht. Die Verschiebungen sorgten aber dafür, dass uns heute mit Bert Lehmann ein guter Freund der Fishe seinen Sound präsentierte. Sogleich klang innerlich ein Glöckchen hell auf. Bert haben wir doch schonmal… exakt! Im Jahre 2016 war er bereits beim Heimspiel 3.0 am Start gewesen. Der Solo-Künstler positionierte sich direkt am Bühnenrand an seinen Reglern. Sein elektronischer Sound nahm unterschiedliche Ausmaße an und versetzte die ersten Reihen sogleich mit „Smashed“ in Bewegung. „Underground Movement“ begleitete Bert taktvoll an seinem E-Drumset. Beflügelt von den treibenden Bässen sprang er dazu voller Elan in die Luft. Ganze 40 Minuten bot er uns eine Mischung aus Dark Ambient-Klängen, Techno und Electronic Body Music. Stellenweise hätte es nicht überrascht, wenn Douglas McCarthy den ein oder anderen Shout eingeworfen hätte. Stattdessen wurden stellenweise Samples eingearbeitet. Zu den stampfenden Rhythm’n Beats von „Possession“ gesellten sich bestätigende „Woohoo“-Rufe seitens des Publikums. Der erste Gang endete schließlich mit dem treibenden Track „Banquet House“ und einer Menge Nebel. Bert überließ der nächsten Band sichtlich happy die Bühne.

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Bilder: Tatjana Krupka

Diese hüllte sich nach einer zackigen Umbaupause in ein kühles Blau. Zeit für CYTO! Christoph Schauer und Arc Morten trugen im ohnehin schon recht dunklen Raum lässige Sonnenbrillen. Zu den straighten Synthieklängen von „What You’ve Got“ setzte Arcs zunächst sanfte Stimme ein. „Guten Abend Oberhausen. Was’n hier los? Soviele Leute? Geil!“ Kurz darauf sprang er umher und stieß einen stattlichen Befreiungsschrei aus. Jegliche Anspannung war somit verflogen. Bei dem eingängigen Titel „Dressed To Creep“ sprangen zudem viele Funken über. Dazu breitete Arc seine Arme aus, während Christoph hinter seinem Synthie hervorkam und direkt vor der Menge Bass spielte. Es war eine Freude, die beiden auf der Bühne zu beobachten. Arc kam komplett aus sich heraus und fühlte jede Zeile, die er für uns sang. „River Runs Red“ wurde klatschend von der Menge begleitet. Zwischendurch nahm der glückliche Fronter seinen Kollegen Christoph in den Arm. Beide wurden von einer dichten Nebelwolke umhüllt. Lauter Jubel samt etlichen Pfiffen machte sich breit. Generell kam ihr New Wave Sound gut an. Einer besonderen Person im Raum wurde der Song „You“ gewidmet. Wer auf der Bühne alles gibt, braucht auch mal eine kühle Erfrischung, also kippte sich Mastermind Christoph erstmal eine Ladung Mineralwasser über seinen Schopf. Bei „Right Now“ waren nun alle gefragt. Hier galt es, die Hook mitzusingen: „I can feel right now, I can feel right now, would you come into my life?” Diese sollte auch noch Tage später in unseren Gedanken nachhallen. Zum Closer „Again“ jammte Christoph energisch. Beide Musiker ließen es sich nicht nehmen, sich gegenseitig vorzustellen und einen Extra-Applaus zu ernten. Die beiden entledigten sich final ihrer Sonnenbrillen, und verabschiedeten sich nach 50 Minuten vom Publikum. Ein gelungener Gig.

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Bilder: Tatjana Krupka

Und doch scharrte man jetzt beachtlich mit den Hufen, um beim Headliner des Abends freizudrehen. Für NEUROTICFISH rückten vorn alle enger zusammen. Knapp drei Jahre war es her, dass Sascha Klein und Henning Verlage gemeinsam auf der Bühne gestanden hatten. Genauso lange haben sie sich auch nicht mehr gesehen. All die Entbehrungen der Zwischenzeit waren nun erstmal Geschichte. Beide strahlten um die Wette und ihre Fans taten es ihnen nach. Eher bedächtig startete das Set mit „Colourblind“. Sascha trug einen langen Cardigan über seinem Shirt, seine Frisur saß wie eine Eins und – Achtung – seine Fingernägel glänzten ebenfalls in tiefem Schwarz. „Oberhausen, ich kann euch nicht hören. Wir sind Neuroticfish. Willkommen zum 5. Heimspiel.“ Mit „Bring The Noise“ präsentierten sie uns direkt danach einen neuen Titel, der eher im Midtempobereich anzusiedeln war. Der Spannungsbogen nahm an Fahrt auf. „Wisst ihr, was ich nicht abkann? Stille! Ich will euch alle hören!“ Mit dem ersten Jubelsturm gab sich Sascha allerdings nicht zufrieden. „Zu wenig! Ich will mehr! Wer hat gesagt, dass ihr die Hände runternehmen könnt?“ Spätestens jetzt waren alle auf Betriebstemperatur und der Kracher  „Silence“(is my enemy) läutete den treibenden Part des Abends ein. Stillstand war von jetzt an unmöglich. Lautstark sang das Publikum die prägnanten Zeilen mit. Henning nutzte hinter seinen Synthesizern jeden freien Zentimeter aus und gab in seinem persönlichen Tanzbereich Gas. Herausfordernd kündigte Sascha den Titel „Wake Me Up“ an. „Die Nummer könnt ihr doch allein, oder?“ prompt folgten eifrige „Don’t Wake Me Up“-Rufe seitens der Tanzfläche. Einzelne Parts sangen die Fans dann tatsächlich allein, und das Duo ließ diese herrlichen Augenblicke der Zuwendung auf sich wirken. Ein besonders lieblicher Ausklang des Songs ließ uns fasziniert zurück.

„Die nächste Nummer ist auch vom neuen Album. Keine Ahnung, ob sie euch gefällt. This is ,How To Suffer‘.“ Und dann geschah es. Unterlegt mit einer zauberhaften Melodie und einer unsagbar angenehmen Atmosphäre sang Sascha diesen Track auf eine ganz liebliche Art und Weise. Sofort huschte einem ein Lächeln über die Lippen, und man hätte am liebsten die Zeit angehalten oder 23x auf Repeat gedrückt. Es ist doch immer wieder spannend, was Musik in einem bewirken kann oder? Wenn das Album dann erscheint, werde ich mir diesen Song wohl bedacht ablegen. Wann auch immer man in eine Situation geraten sollte, die einen erzürnt oder überfordert, sobald dieser Titel erklingt, wird man sich entspannen können und wieder nach vorne sehen. Für diesen wertvollen Rettungsanker möchte ich mich an dieser Stelle schonmal herzlich bei der Band bedanken. Sascha versicherte sich vorsichtshalber nochmal, ob auch alle zufrieden waren. „Und? Dann machen wir so weiter, ne?“ Ich bitte darum! Von der Euphorie getragen, begann auch Henning zu „For A Greater Good“ zu klatschen. Sascha schien irritiert: „Henning klatscht! Er kann klatschen?!“ Ganz still wurde es hingegen bei der Ballade „Suffocating Right“. Hier beließ man es dabei, sich ganz seicht am eigenen Platz zu bewegen und lauschte den traurigen Klängen. Doch die Ruhe hielt nicht lange an. „Jetzt gibt’s erstmal was die Glocke!“ Gezündet wurde nun „The Bomb“! Völlig ausgelassen feierten wir die Dancefloor-Granate. „Da kann man auch mal springen… mehr… noch mehr!“ Gesagt, befolgt. „Ihr macht mich fertig.“ Die Pfiffe und der Applaus schienen kaum ein Ende zu nehmen.

„Könnt ihr euch noch an den Spruch ,EBM is dead‘ erinnern? Tragt ihr eigentliche alle die neuen Shirts? Auf das Fragezeichen habe ich verzichtet. Wir haben euch einen Song dazu. Der ist aber nur zum Rumgrölen und so.“ Zu dem abgedrehten Sound von „Is It Dead“ fegte Sascha mit irrem Blick über die Bühne. Auch hier blieb kein Bein neben dem anderen stehen. Bewegung kommt bei einem Konzert von NEUROTICFISH ohnehin nie zu kurz. „Der hat ‘nen wahnsinnigen Zahn drauf, ne? Die nächste Nummer ist 25 Jahre alt. Das wisst ihr, ne?“ An dieser Stelle folgte „Music For A Paranormal Life“. Man vermochte gar nicht wahrzuhaben, dass dieses musikalische Schätzchen bereits zu solch einem alten Electro-Eisen gehören sollte. Als der Uhrzeiger gerade die Mitternacht passiert hat, stoppten die Jungs ihr Set kurzzeitig. „Wir unterbrechen das Programm für eine wichtige Durchsage. Hier haben heute zwei Leute Geburtstag. Und zwar unser Bert und der Peter Jurjahn.“ Beide Geburtstagskinder sollten sich nun auf die Bühne begeben. „Wo ist der Peter? Ich mach hier nicht weiter. Schafft mir den mal hier her.“ Nun gesellte sich neben Bert Lehmann auch noch Peter als Inhaber des Kulttempels hinzu. „Das sind zwei Freunde von uns und wir singen jetzt alle ‚Happy Birthday‘.“ Der 500 frau- und mannstarke Chor sang den beiden einen stattlichen Geburtstagsgruß. „Das war schön cheesy, ne? Dafür sind wir bekannt!“ Weiter ging die fröhliche Sause. Henning hatte bei “Can’t Stop A Riot” mächtig Spaß und kam aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Auch Sascha genoss es sichtlich, wieder auf der Bühne stehen zu können. Mit 135 bpm ging es mit der Partygranate “Fluchtreflex” zur Sache. Der Song löste allseits einen erneuten Tanz- und Hüpfreflex aus.

“Wie ihr wisst, haben wir diese cheesy Nummer vor über 20 Jahren geschrieben. Die neue Version sollte eigentlich vor zwei Jahren erscheinen. Dann kam Corona. Jetzt erhaltet ihr die 20-fache Dosis! Ich will euch alle tanzen sehen!” Passend zum Song erschienen die Lyrics zu “Velocity N20” auf der Leinwand. Ob es diese gebraucht hätte? Schließlich könnte jeder unserer Synthpop-Generation die Zeilen im Halbschlaf aufsagen, wenn man mitten in der Nacht geweckt wird:  “And it really kicks my head, rips me up and makes me sad. Sending shiver down on me – expressing velocity.” Gerade erst eroberte der Klassiker erneut Platz 1 der DAC-Charts. Dieser Song war nie aus den Clubs wegzudenken und in der frischen Version setzt er sich sogleich ein Tanzmal. Sowohl auf der Bühne, als auch auf der Tanze war die pure Freude unübersehbar. “Wenn ihr den nächsten Song hört wisst ihr, welche Zeit es ist. Ein letztes Mal: Raise your fuckings hands!” Deutlich deuteten die Zeilen von “Need” das allmähliche Ende des Konzerts an. “Ich habe keine Eile von hier fortzugehen. Ich warte eine Weile, um EUCH nachzusehen. Ich kann es nicht vergessen. Ich kann es nicht verstehen. Vielleicht soll UNSERE Reise hier zu Ende gehen.” Ein Weilchen stand der Frontmann mit der glasklaren, warmen Stimme ganz still da, um diese Augenblicke für sich einzufangen. Henning kam mit nach vorne und die beiden bedankten sich beim Publikum. Ohne Zugaben hätte NEUROTICFISH heute allerdings niemand gehenlassen. Nachdem diesem deutlichen Zeichen nachgegeben wurden, folgten “Illusion Of Home” und “Rewind”. Sascha und seine Fans spielten sich nochmal eifrig die Lyrics zu. “Wir haben noch eine letzte Nummer für euch.” Ebenso wie das Set begann, endete es mit einer weiteren, seichten Ballade: “Invisible”. “Oberhausen, es war schön mit euch. Ihr wisst, was Peter auf seinen T-Shirts stehen hat ,Wer Zugabe ruft, baut ab!’ Die beiden Opis müssen jetzt ins Bett. Kommt gut ins neue Jahr.” Somit entließen wir das fulminante Duo nach guten 100 Minuten in die Nacht. Feierabend! 

Was löste solch ein Abend wie dieser aus? Einen SUCHTREFLEX! Und diesem kann man im Jahr 2023 frönen, denn neben einem neuen Album haben NEUROTICFISH bereits einige Konzerte und Festivalauftritte angekündigt. In 365 Tagen sehen wir uns zudem beim Heimspiel 6.0 wieder: Home is, where the Fish is.

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Bilder: Tatjana Krupka

 

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