Summer Breeze – So war der Samstag!
Finale in Dinkelsbühl-Sinbronn! Die Schlammschlacht vom Vortag war halbwegs gewonnen worden, nun galt es, noch einmal einen kräftigen Schluck aus der Pulle guter Musik zu nehmen, bevor wir das Schlachtfeld wieder der Renaturierung überlassen würden. In den frühen Morgenstunden – um 13:50 Uhr – wollte eine Power-Metal-Formation aus Ostwürttemberg unsere Ohren erfreuen und uns für’s Aufstehen belohnen. BRAINSTORM gibt es seit… holy shit, schon seit 30 Jahren. Ich hielt mich im Power Metal-Bereich eigentlich für nicht ungebildet. Trotzdem war ich nie in den Genuss eines Konzertes der Jungs gekommen. Mein Festivalkumpan Carlos aus Spanien pflegte allerdings bei nahezu jeder Gelegenheit, ein BRAINSTORM-Shirt zu tragen. Sah ich ihn je ohne? Vielleicht ist es auch eine Ganz-Oberkörper-Tätowierung. Es hatte natürlich schon wieder zu regnen begonnen. Oder hatte es jemals aufgehört? BRAINSTORM blickte jedenfalls auf eine im wahrsten Sinne des Wortes bunte Mischung aus verschiedenen Plastikverpackungen und zelebrierten ihren hervorragenden Power Metal. “Shiva’s Tears” gab es jedenfalls reichlich von oben. Am Vortag hatte noch Schicksal das Würfelspiel gewonnen, ging diese Runde vielleicht an den hinduistischen Gott? Andy Francks Stimme reichte weit und lockte offenbar auch noch weitere Leute aus ihren Zelten, jedenfalls wuchs das Auditorium während des Konzertes noch einmal ordentlich an. Der Song “Where Ravens Fly” wurde vom Summer Breeze für das Aftermovie des Samstags verwendet. Im Oktober startet übrigens die Double-Headliner-Tour mit RAGE namens “Brainrage”. Wer gepflegten Power Metal mit variierender Tonhöhe mag (hier wird nicht pausenlos Falsett gesungen), sollte den Platten von BRAINSTORM mal einen Spin geben.
Fotos: Andreas Theisinger
Bei FIDDLER’s GREEN erreichte das Samstagswetter seinen Tiefpunkt. Es donnerte kräftig in der Ferne und viele verzogen sich in Autos, unter Pavillons und Zelte. Trotzdem zog das Gewitter letztendlich vorüber und stellte für das Breeze keine Gefahr dar. Die Hartgesottenen und Feierwütigen ließen sich aber natürlich ohnehin nicht von dem Regen aufhalten, gepflegten Folk Rock mit den Franken durchzuziehen. Wer die aktuelle Erfolgsserie “Sandman” auf Netflix gesehen hat, bekam eine gute Vorstellung davon, wie es an einem paradiesischen Ort namens “Fiddlers Green” aussehen würde. Von gewittrigem Regen war dort allerdings keine Rede gewesen. Nun ja, dann musste man sich eben mit Hilfe der Musik dorthin träumen. Die Band war jedenfalls so gutgelaunt und energiegeladen wie immer und spielte natürlich “Whiskey In The Jar”, “The Night Paddy Murphy Died” und “Folk’s Not Dead”. Bei “Yindy” wurde vermutlich der Rekord für die meisten springenden Menschen auf schlammigem Untergrund gebrochen und auch die “Wall of Folk” durfte samt folgendem Pit nicht fehlen. FIDDLER’S GREEN haben es geschafft, den Regen an die Wand zu spielen und die Besucher vollkommen mitzureißen.
Fotos: Birger Treimer
PRIMAL FEAR hoben den Staffelstab von BRAINSTORM auf und spielten ihren bewährten Power Metal. Die Band feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Sänger Ralf Scheepers hatte bei den Auftritten mit AVANTASIA seine Stimme offenbar nicht verloren und konnte sie hier vortrefflich bei Songs wie “Final Embrace” und “Chainbreaker” einsetzen. Aber auch Gitarrist Mat Sinner kam natürlich nicht zu kurz und bestritt den Chorus der Hymne “Metal Is Forever” bravourös. Das 2020er-Album “Metal Commando” war äußerst erfolgreich gewesen und hatte sogar in Deutschland und der Schweiz die Top 10 geentert. Unsere “primäre Angst” war aber auch, als Pressevertreter wichtige News zu verpassen, also besuchten wir dann noch die Pressekonferenz der Veranstalter. Schon in den Tagen davor war aufgefallen, dass etwas mit der Reinigung der Toiletten nicht nach Plan lief. Als die Beschwerden über die Situation überhand nahmen, ging das Orga-Team des Breeze der Sache natürlich nach. Jetzt, auf der Konferenz, erfuhren wir, dass die ursprünglich beauftragte Reinigungsfirma nur mit 20% des versprochenen Personals aufgetaucht war und das führte natürlich zu unzureichender Reinigung. Die Firma hatte zudem noch versucht, die Situation zu vertuschen. Es ist ein wahres Wunder, dass das Breeze-Team es schaffte, praktisch über Nacht eine neue Firma zu engagieren, die dann auch direkt mit 40 Leuten anrückte. Man merkte nach dem Wechsel, wie sehr die neue Firma ihre Aufgabe ernstnahm und ständig mit Reinigung und Auffüllen des Toilettenpapiers beschäftigt war. Großes Lob für das effiziente Krisenmanagement! Der Regen am Freitag war indes ein anderes Problem. Es fielen über 50 Liter pro Quadratmeter und das brachte den Boden an seine Belastungsgrenze. Positiver Nebeneffekt war allerdings die Verringerung der Waldbrandgefahr. Mit 45.000 erfúhren wir auch noch die offizielle Besucherzahl. Was eine tolle Metal-Party mit so vielen Gleichgesinnten!
Fotos: Andreas Theisinger
DARK FUNERAL sollten eigentlich, passend zu Name und Ausrichtung, tief in der Nacht spielen. Allerdings hatte die Band in diesem Festival-Sommer einen straffen Zeitplan. Nachdem ein gebuchter Flug gecancelt bzw. die Flugzeit ungünstig verschoben wurde, war fraglich, ob die Band pünktlich beim nächsten Gig auf dem Motorcultor-Festival in Frankreich würde sein können. J.B.O. erklärten sich schließlich bereit, den Slot mit den Black Metalern zu tauschen. So war der Auftritt der Schweden doch noch möglich, statt nachts um 1 dann eben um 16 Uhr nachmittags. Die düstere Atmosphäre mit den martialischen Bannern, den Rüstungen, Eisenspitzen usw. hätte nachts natürlich besser gewirkt, aber auch so gab es genug Zuspruch für die Schweden. Der Regen legte endlich mal eine Pause ein und die Truppe um Gitarrist Lord Ahriman und Sänger Andreas Vingbäck konnte ihren rasanten Metal auf die Menge loslassen, die auch sogleich mit dem Crowdsurfing anfing. Natürlich wollten die Anwesenden auch Songs des im Frühjahr erschienenen Albums “We Are The Apocalpyse” hören und sie wurden nicht enttäuscht. Mit “Leviathan” , “Let The Devil In” und “When I’m Gone” gab es drei der “neuen” Songs zu hören. Natürlich wurde auch wieder auf ein Kruzifix gespuckt und so unmissverständlich klargemacht, was man jenseits der Ostsee vom Christentum hält.
Fotos: Mirco Wenzel
BURY TOMORROW bestritten ihre erste Tour ohne den im letzten Jahr ausgestiegenen Clean-Sänger und Gitarristen Jason Cameron. Auch Ed Hartwell an der Gitarre und der Keyboarder Tom Prendergast sind erst seit kurzem dabei. Von daher waren wir gespannt, wie BURY TOMORROW in dieser neuen Formation klingen. Der verbliebene Sänger Daniel Winter-Bates hatte die Menge voll im Griff und forderte vollen Körpereinsatz: “I want this whole fucking place spinning!”. Die Band startete mit den “Cannibal”-Songs “Choke” und “The Grey (VIXI)”. Mit dem Resultat war er offenbar zufrieden, denn er bezeichnete das Summer Breeze zwischenzeitlich als “Best festival in the summer”. Crowdsurfer gab es zwar ohnehin schon reichlich, aber möglicherweise hatte der Fronter von den Rekord-Bemühungen von ELECTRIC CALLBOY erfahren. Während seine Band die beiden erst vor wenigen Wochen erschienenen Songs “DEATH (Ever Colder)” und “LIFE (Paradise Denied)” spielte, forderte Winter-Bates “1000 Crowdsurfer”. Gegen Ende des Sets bekam er zumindest 150 Stück innerhalb von vier Minuten, was die Grabenschlampen ins Schwitzen brachte. Zuletzt wurde das Set mit “Cannibal”, dem Titelsong des 2020er Albums abgeschlossen.
Fotos: Mirco Wenzel
BLIND GUARDIAN sind ein Headliner, wie er im Buche steht. Wie man Hansi Kürsch und seine absolut bodenständige und bescheidene Truppe kennt, würden sie sicherlich jede Laudatio, die das Wort “Speerspitze” enthält, ablehnen. Aber ganz ehrlich: Würde man Werner Schulze-Erdel bitten, noch einmal eine Ausgabe des “Familien-Duell” zu veranstalten und wäre die Aufgabe “Wir haben 100 Leute gefragt… Nennen Sie die beste deutsche Metal-Band”, so würde es ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen HELLOWEEN und BLIND GUARDIAN geben. Und trotzdem waren BLIND GUARDIAN unfassbarerweise noch nie auf dem Summer Breeze zu Gast, wir erlebten also eine echte Premiere. Die Band begann ihr Set tatsächlich ein paar Minuten ZU FRÜH. Anlässlich des dreißigsten Geburtstags des Albums “Somewhere Far Beyond” spielten sie das Album in kompletter Länge, zumindest die regulären zehn Nicht-Cover-Songs. Man konnte also nach den Openern “Into The Storm”, “Welcome To Dying” und “Nightfall” eine Zeitreise ins Jahr 1992 machen, wo sich J.R.R. Tolkien und Stephen King die Hand gaben. Während man natürlich bei jedem GUARDIAN-Konzert “The Bard’s Song – Into The Forest” hört, so ist das bei Teil 2 , “The Bard’s Song – The Hobbit” längst nicht immer der Fall gewesen. Hier wuchs nun setlisttechnisch zusammen, was zusammen gehört. Kürsch konnte sich dann nicht verkneifen, auf die lange Abwesenheit der Band vom Breeze Bezug zu nehmen, indem er sagte: “Mir wurde über die Jahre immer wieder gesagt, das Summer Breeze sei kein BLIND GUARDIAN-Publikum. Aber ich stelle fest: Es ist eins, das waren also alles Fake News”. Damit hatte er verdammt recht, denn nicht nur der “Bard’s Song” wurde laut mitgesungen, sondern nahezu jedes Stück. Die Summer Breeze-Premiere der Krefelder kann nur als triumphal bezeichnet werden und so wurden sie natürlich nicht ohne eine saftige Zugabe von der Bühne entlassen. “Time Stands Still”, “Mirror, Mirror” und “Valhalla” besiegelten das Schicksal der Anwesenden, künftig dem blinden Seher folgen zu müssen. Die “Valhalla”-Chöre hielten sich hartnäckig während der ganzen Umbaupause.
Fotos: Andreas Theisinger
Die Härte liebenden Zuhörer waren mit BLIND GUARDIAN trotz aller Qualität natürlich nicht zufriedenzustellen. Hier wollte man nicht nur wegen des ständigen Regens den Himmel brennen sehen. Brandmeister des Tages waren natürlich die Gesamt-Headliner HEAVEN SHALL BURN. Ohne Intro kam die Band auf die Bühne und Zugführer Marcus Bischoff forderte die Zuhörer auf, noch einmal “Valhalla” der Vorgänger a capella zu singen. Danach fiel gleich beim 1. Song “My Heart And The Ocean” der Ton aus. Die Band hat in ihrer Geschichte durchaus einige Stilwechsel vorgenommen, als besonders hart gilt der Bruch nach “Antigone” hin zu einem aggressiveren Stil ab “Deaf To Our Prayers”, als die Band zu Century Media Records wechselte. Doch “Voice Of The Voiceless” von “Antigone” kommt keineswegs zahnlos daher, sondern beschäftigte die Nackenmuskulatur auch auf dem Breeze ordentlich. Bischoff kündigte nun ein Cover an, aber “nicht Valhalla, das wäre ja Gotteslästerung”. Stattdessen frischte “Black Tears” von EDGE OF SANITY die Setlist auf. Der Bandname war übrigens durchaus wörtlich zu nehmen. Neben der Bühnen-Pyrotechnik waren auch auf dem Dach der Bühne an den Seiten Flammenwerfer installiert, die bei den anderen Bands eher sporadisch zum Einsatz gekommen waren. HEAVEN SHALL BURN indes hauten alles raus, was ging und so wurde die Mehrheit aller Songs von Flammenfontänen begleitet. Zwischendurch tauchte das merkwürdige Crowdsurfer-Duo vom Vortag wieder auf, sie stehend auf ihm, der auf der Menge lag. “Du stehst in seinen Weichteilen!”, bemerkte Bischoff entsetzt. “Ihr habt schon fünf Kinder, oder?” Mit “Behind A Wall Of Silence” wurde der älteste Song der Setlist angestimmt, er stammt aus dem Jahr 2002, hier hatten wir also das nächste Jubiläum. Vor dem Song “Tirpitz”, der von dem gleichnamigen deutschen Schlachtschiff handelt, das in Norwegen von der Royal Air Force versenkt worden war, nahm Bischoff die Gelegenheit wahr, sich noch einmal deutlich gegen den Krieg zu positionieren. Am Ende gab es dann gleichzeitig Feuer vom Dach, vom Bühnenrand und eine Explosion von “Lamettakanonen” (siehe Beitragsbild).
Fotos: Andreas Theisinger
Unser Tag war noch lange nicht vorbei. Wir wussten genau: Hinter dem Headliner-Horizont geht’s weiter. Am letzten Tag klammert man sich wie ein Ertrinkender an die Running Order, denn man weiß genau: Wenn man dem Infield jetzt den Rücken kehrt, wird man in diesem Jahr nicht mehr zurückkehren können. Während ich zur T-Stage hinüberstiefelte, erlebte ich einen Flashback. 2013. Es war 2 Uhr nachts am letzten Tag, dem Samstag. So wie jetzt auch. Ich war noch schwermütiger als sonst, wollte partout nicht loslassen. Die T-Stage hieß damals noch Party Stage und befand sich in einem Zelt mit Bretterboden. Auf diesem lag ich dann letztendlich auf dem Rücken und wunderte mich über das lange Intro von LONG DISTANCE CALLING. Dass die Band aus Münster keinen Sänger hat, sondern rein instrumental spielt, hatte mir keiner gesagt. Einen Monat später war Michael “Mr. T” Trengert tot, der Mitbegründer des Summer Breeze. Und so kam die T-Stage zu ihrem neuen Namen. Ich hoffe, Mr. T ist stolz auf die Entwicklung, die sein Event genommen hat. Und auf dieser T-Stage sollte nun COMBICHRIST spielen. Als die Band 2015 gemeinsam mit BLUTENGEL für das Summer Breeze erstmalig gebucht worden war, gab es noch Diskussionen darüber, ob Electro-Bands auf einem Metal-Festival etwas zu suchen hätten. COMBICHRIST haben sich seitdem verändert, sind deutlich metaliger geworden. Heutzutage stellt niemand mehr in Frage, dass sie auf’s Summer Breeze gehören. Ich für meinen Teil bin großer Fan der “Electro-COMBICHRIST”, trotzdem war es natürlich keine Frage, dass ich der Band die Ehre erwies. Der Sound, der aus den Boxen donnerte, war dermaßen zermalmend, dass viele erstmal zwei Schritte zurückwichen. Zum Glück hieß die metalige Ausrichtung nicht zwingend, dass nur neuere Songs gespielt wurden. Auch Klassiker wie “Blut Royale” wurden dargeboten. Da das Ganze aber noch als Teil der “Not My Enemy”-Tour angesehen wurde, wurden natürlich auch dieser Song von der aktuellen EP “Heads Off” gespielt.
Der brachiale Sound brachte die Hardcore-Fans jedenfalls dazu, noch härter abzugehen und zwischendurch erschein als kleine Überraschnung plötzlich eine zweite Bassistin auf der Bühne: Danika Ruohonen spielt auch den Bass in Elliot Berlins zweiter Band NIDBILD und war eigentlich als Merchlady mit in Dinkelsbühl. Wo wir gerade von Elliot sprechen… Er ließ es sich am Ende des Sets nicht nehmen, ein kurzes Bad in der Menge zu nehmen und ein paar Meter weit zu crowdsurfen. Auch Sänger Andy LaPlegua hatte einen beachtlichen Bewegungsdrang und wirbelte über die gesamte Bühnenbreite. Der bewährte Abschlusssong “Maggots At The Party” rundete auch den Summer Breeze-Auftritt gebührend ab.
Fotos: Andreas Theisinger
Der Release-Tag von HYPOCRISYs aktuellem Album “Worship” lag nun schon neun Monate zurück, also konnten wir hier auf dem Summer Breeze gewissermaßen die “Live-Geburt” des neuen Materials bezeugen. Die Worship-Tour 2022 hatte in den USA bereits stattgefunden, aber die Deutschen hatten abgesehen von Wacken bisher wenig Gelegenheit zur Vor-Ort-Verehrung gehabt. Die Band um Fronter Peter Tägtgren lief zu AC/DC-Klängen ein und spielte direkt den Titelsong “Worship”. Der lupenreine Death Metal der Schweden trug uns alles andere als sanft über die Datumsgrenze in den Sonntag hinein. Die Single “Chemical Whore” kam besonders gut an, wenn man dem lautstarken Jubel der elektrisierten Menge Glaubens schenken durfte und auch wenn einige Besucher schon vorzeitig die Segel gestrichen hatten, blieben immer noch genug für’s Crowdsurfen und amtliche Moshpits übrig. Auch die Langzeitfans von HYPOCRISY kamen natürlich auf ihre Kosten: “Impotent God”, Opener des Debutalbums “Penetralia” ist nicht oft in der Setlist. Als die Band gegen halb eins von der Bühne verschwand, runzelten einige die Stirn. Sie werden doch nicht… Nein, natürlich war das Ganze nur ein Bluff, denn der Über-Hit “Roswell 47” fehlte noch und das ließen die Schweden natürlich nicht auf sich sitzen, sondern zerlegen die Main Stage noch einmal amtlich.
Fotos: Birger Treimer
So langsam dünnte das Programm dann aber doch erheblich aus. Im Magazin des Summer Breeze 2022 verblieben nur noch wenige Patronen. Eine davon war natürlich CYPECORE. Die Geschichte der Band ist eng mit dem Breeze verknüpft, schließlich hatten die Mannheimer hier mal vor etlichen Jahren den Band-Contest gewonnen. Als Boten einer postapokalyptischen Welt erschienen sie uns bei den Auftritten der letzten Jahre wie aus einem Science-Fiction-Film gefallen. Aber die Strahlenschutzanzüge, die die Band auf der Bühne üblicherweise trägt, sind leider angesichts der aktuellen Ereignisse nicht mehr ganz so weit hergeholt. Die Zukunft von CYPECORE kann schneller kommen, als man denkt. Trotzdem wurde natürlich unbeschwert mit den vier Musikern gefeiert und gemosht, inklusive der obligatorischen Wall of Death beim Song “Values Of Death”. Auch die aktuelle Single “Chosen Chaos” wurde natürlich gespielt. Pyroeffekte gab es diesmal allerdings nicht, dafür kam aber eine Nebelpistole zum Einsatz. Die Stimmung war ohnehin sehr gut, trotz der späten Stunde und der Wetterkapriolen.
Fotos: Mirco Wenzel
Wie setzt man den fettesten Schlusspunkt überhaupt hinter ein Festival? Wir erinnern uns: DARK FUNERAL hatte den “Sack zu”-Slot auf der Main Stage getauscht und zwar mit den Sendboten des Wahn- und Blödsinns themself: J.B.O. Der Pinkanteil im Publikum war sprunghaft angestiegen, dazu passend lautete die Eröffnung auch gleich “Planet Pink”. Sonst spielen ja nachts immer die ganzen bösen Black Metal Bands. Vermutlich wurde das überwiegend weiße Corpsepaint erfunden, damit man die Finstervögel nachts nicht sämtlich überfährt. J.B.O. hingegen kommen natürlich in knalligen Warnfarben daher und in der Natur heißt das üblicherweise: Friss mich nicht, ich bin ungenießbar! Die Menge hingegen genoss den Fun Metal der Verrückten sehr. Wie FIDDLER’S GREEN kommen J.B.O. aus Erlangen, es hatte einst sogar eine Drummerwanderung zwischen den beiden Hauptquartieren der guten Laune stattgefunden. Kröten haben das mit dem Corpsepaint nicht so drauf und werden beim Wandern oft überfahren. Drummer offenbar nicht. Hä? Wo war ich? Was hat diese Stadt namens Erlangen nur an sich, dass sie so viele spaßige Gesellen hervorbringt? Ich dachte immer, da gibt’s nur eine Firma, die Waschmaschinen baut und eine Uni, an der man lernen kann, wie man Waschmaschinen baut und das war’s! Aber offenbar kann man dort auch besonders gut Ruhm und Ehre als Musiker… erlangen. Nun gut. Wir weilten weiter auf dem Planet Pink und wurden nun mit landwirtschaftlichen Fragen konfrontiert. Stalltore werden nämlich ganz anders gebaut als Waschmaschinen und weil diejenigen wackeren Studenten, die darauf hoffen, einen Inscheniörsgrad zu… erlangen, keine Ahnung davon haben, wie man Tore zimmert, stellt sich in Franken öfters mal die Frage, wer die Sau rausgelassen hat. In Dinkelsbühl wollte es mal wieder niemand gewesen sein, aber jeder reihte sich ein in die “Wall of Sau” und ließ seine eigene raus. Die ganz großen Klassiker kamen hier natürlich auch nicht zu kurz: “Ich will Spaß” und “Ein guter Tag zum Sterben” sangen sich praktisch von alleine. J.B.O. könnten eigentlich wie LONG DISTANCE CALLING komplett auf Gesang verzichten und stattdessen die faulen Säue an den Vocals arbeiten lassen, die sich Zuhörer nennen. Aber nein, wir brauchen natürlich G. Laber Holzmann für die gute Laune. Der labernde Holzmichel lebt nämlich immer noch, jawoll! Der Blödsinn wurde jedenfalls wahrhaft königlich verteidigt, hier in der Schlammhölle von Sinbronn. Und das Feld war rappelvoll bis hinten. Man soll ja abends keinen Kaffee mehr trinken, weil man dann angeblich die ganze Nacht nicht schlafen kann. Viel schlimmer ist die Wirkung eines nächtlichen J.B.O.-Konzertes. Danach kann man eigentlich nie wieder schlafen. Zum Glück ist das Summer Breeze nur einmal im Jahr. Oder war es Wacken? Keine Ahnung. Hauptsache Italien. Dass man als Blödeltruppe bekannt ist, heißt aber nicht, dass man komplett jenseits des Regenbogens lebt. Dass es in der realen Welt mitunter wenig zu lachen gibt, ist auch Hannes, Vito, Holmer und Schmitti bekannt. Und so war es den Musikern eine Herzensangelegenheit, noch einmal zu betonen, wie sehr sie den russischen Angriffskrieg und Krieg im Allgemeinen verabscheuen. Das untermalten sie auch gleich musikalisch mit dem Neil Young-Cover “Rockin’ In The Free World”. Denn das würden wir gern alle tun, an der Seite unserer ukrainischen Freunde. Wir hoffen alle, dass das bald wieder möglich sein wird. Danke, J.B.O. für Jubel, Trubel, Heiterkeit, aber auch den ernsthaft-nachdenklichen Schlusspunkt.
Fotos: Cynthia Theisinger
Es war vorbei… der Gedanke lähmt einen immer am Ende eines Festivals und der letzte Gang vom Infield aus Richtung Campground geht immer nur im Schneckentempo. Weil man noch zehnmal stehen bleibt und sich zur Bühne umdreht, mit dem stummen Versprechen, an diesen Ort zurückzukehren. Die Musik war uns ans Herz, der Schlamm an den Schuh gewachsen. Bis zum nächsten Mal, Summer-Breezer und -Breather. Wir atmen gemeinsam aus und verabschieden den Sommer.