WACKEN IS BACK! Faster, Harder, Louder 2022 – Tag 2 (Donnerstag)

Donnerstag! Der erste reguläre Tag von Wacken, wo das Infield komplett geöffnet wurde und auch alle vom Vortag ihr Bändchen hatten. Dass es voller geworden war, merkte man deutlich auf dem Campground und in den Schlangen vor Klo oder Frühstückszelt. An der Stelle sei einmal angemerkt, dass es im Frühstücksangebot für Veganer so gut wie nichts gab. Von Laugenstangen allein lässt sich schlecht leben 😉 Wer früh auf den Beinen war, konnte am Metal-Yoga vor der Jungle-Stage teilnehmen und die steifen Glieder dehnen, denn die Nächste waren kalt auf dem diesjährigen Wacken Open Air. Mein nordischer Kumpane schaffte es mit Ach und Krach zu den legendären TORFROCK um 11 Uhr auf der Louder-Stage und erzählte, wie rappelvoll es dort bereits war. Stoppen konnte die Massen offenbar nur ein Begrenzungspfahl und der war weit und breit nicht in Sicht.

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Fotos: Kristina Meintrup

Für mich startete der Tag sehr angenehm mit RELIQUIAE, ebenfalls auf der Wackinger Stage. Der deutschsprachige Mittelalter-/Dark Rock von Sänger Bastus und seiner Truppe war genau das richtige, um in den Tag zu starten. Schon beim Soundcheck stimmte der Fronter das Lied „Winter“ an und wurde bejubelt. Ich muss gestehen, dass ich eine Schwäche für Banner und Flaggen habe und überdimensionale Backdrops. RELIQUIAE ließ diesbezüglich keine Wünsche offen. Die Löwenbanner entführten uns in die Welt des antiken Babylon, ihr 2019er-Album heißt ebenso. Die als sündig geltende Stadt voller Versuchungen inspirierte auch ein weiteres Sharpshooter-Redaktionsmitglied, wie sich herausstellte. Der Sänger der Band sei ja wohl unverschämt gutaussehend. Nun, das mag zutreffen und es tut dem Auftritt jedenfalls keinen Abbruch, solange auch die Musik stimmt. Das tat sie hier natürlich. Egal ob Dudelsack, Geige oder Drehleier, die Reliquiaener beherrschen viele Spielarten und schafften es definitiv, uns in eine Welt voller Wunder vergangener Zeiten zu entführen. Das Konzert begann mit dem Song „Die Motte“, also in einem recht schnellen Tempo. Also kein Ersatzangebot zum Metal-Yoga, sondern direkt Vollgas. Auch die beiden nachfolgenden Songs „Hölle“ und „In 80 Stunden um die Welt“ entstammten dem „Babylon“-Album. Danach bekamen wir „Maskenbild“ auf die Ohren. Man könnte jetzt scherzhaft sagen, dass er zu den Songs gehört, die durch die Pandemie eine andere Bedeutung erhalten haben, aber natürlich bleibt die Grundaussage unverändert, denn um äußere Masken geht es mitnichten. Die Wackinger vor der Bühner hatten jedenfalls kein Problem damit, „Masken“ fallen zu lassen und sich so zu zeigen, wie sie waren: Freudig, hier zu sein und in der Laune, zu singen und zu tanzen. RELIQUIAEs Songs eignen sich dafür hervorragend. Die Menge war mittlerweile definitiv eingetanzt und ein Hand-hoch-Test ergab, dass es definitiv viele „Erstlinge“ unter den Zuhörern gab. Ideal also für die Band, neue Fans zu gewinnen. „Wir freuen uns darauf nach dem Konzert mit den Neuen zu kuscheln“, rief Bastus. Die angedrohte Körperlichkeit wurde sofort mit „Frühjahrstriebe“ unterstrichen, das paradoxerweise auf dem Album „Winter“ zu finden ist. Ich erinnere mich gut, dass FAUN an gleicher Stelle einst versuchten, mich dazu zu animieren, irgendwelche „Gevatterinnen“ neben mir zu betören. RELIQUIAE gewinnen den direkten Vergleich bei der „Paarungsanbahnung“. Wobei der Text ja durchaus viel Spielraum für Interpretation lässt, denn der „erwachende Trieb“ wird nicht näher definiert. Wieso bei der Musik der Osnabrücker auch von Dark Rock gesprochen wird, erschließt sich durchaus: Vieles bleibt im Dunkeln, Mysterien behalten ihren Reiz. Nach dem treibenden „Deine Flamme“ kam es dann zu einer Ballade. Das soll hier jetzt nicht wie Unfallberichterstattung klingen alá „Es kam zu einer Ballade mit vier Verletzten“. Die „Regel“, die vermutlich mal irgendein Death Metaller aufgestellt hat: Keine Balladen auf Festivals, galt eigentlich nie so wirklich, aber heutzutage noch weniger. Es geht nicht nur um Party und Pogo auf Festivals. Gefühle haben ihren Platz und es muss nicht immer brüllend laut zugehen. Emotionen sind in der DNA von RELIQUIAE fest verwurzelt und sanfte Töne außen vor zu lassen, wäre der Band nicht gerechtgeworden. Daher war es absolut richtig und erfrischend, auch „Die Sonne scheint“ zu spielen. Den Song gibt es übrigens auch in einer Streichquartett-Version, so wie 11 andere RELIQUIAE-Titel. Denn das aktuelle Album „Gestrichen“ präsentiert typische Songs der Band im neuen, sinfonischen Gewand. Die „Liebesglut“ des Publikums brachte die gespielte Ballade jedenfalls keineswegs zum Erlöschen und nun wurde es Zeit für den Kostümwechsel. Der sympathische Fronter schlüpfte in einen schmutzig-weißen Overall und schwang den Hammer, denn nun wurde „Bergmann“ gespielt und „tiefer, immer tiefer“ gegraben. Mit wuchtigen Hammerschlägen erzeugte Bastus einen Funkenregen, der bis in die Herzen der Zuschauer reichte. Nachdem die Büchse der „Pandora“ geöffnet und nur mit Mühe wieder verschlossen werden konnte, wurden zahllose Papierfähnchen verteilt. Im braunen Design und mit dem RELIQUIAE-Logo und babylonischen Löwen bedruckt, sollte so nochmal ein Stimmungskick herbeigewedelt werden. „Morti hat die alle geklebt“, verriet der Sänger und tatsächlich: Als ich ein Exemplar in die Hand bekam, sah man deutlich die von Hand verklebte „Naht“ am Stiel. Das ist Passion für die eigene Sache, Freunde. Auf jeden Fall gab es danach ein Fahnenmeer beim „Prinz von Babylon“ und auch einen ordentlichen Moshpit, der sich rund um einen geheimnisvollen Fremden in Kapuzenmantel und Stock bildete. An die Stockspitze hatte er eine RE-Fahne befestigt und dirigierte den Mahlstrom der RELIQUIAE-Jünger, die beim „Feuertanz“ direkt nahtlos weitermoshten. Nach „Enigma“ und „Sisyphos“ endete leider dieser Auftakt zum Wacken-Donnerstag. Das Konzert hatte einfach alles, was man braucht: Spaß, ordentlich Party, abwechslungsreiche Show-Elemente, große Gefühle und eine enge Verbundenheit zwischen Band und Publikum. Man war zufrieden, aber: The Show must go on! Auf zu THUNDERMOTHER!

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Fotos: Kristina Meintrup

Auf der Louder-Stage hatte sich das Frauen-Quartett THUNDERMOTHER eingefunden, um feinsten Hard Rock unter die Leute zu bringen. Hier ist der Name Programm, ein wahres Donnerwetter war zu erwarten und so war das Publikum auch bereits zahlreich erschienen und voller Vorfreude. Die Schwedinnen begannen ihr Set mit dem Song „Whatever“ des 2018er-Albums, das schlicht „Thundermother“ betitelt wurde. Es ist gute Tradition, im Rock- und Metal-Bereich, ein Album nach sich selbst zu benennen. Nur dann muss auch drinsein, was draufsteht, also die pure Essenz der Band. Das kann man hier ohne Weiteres attestieren, THUNDERMOTHERs „Whatever“ hat etwa die doppelte Power von SHAKIRAs „Whenever“ und sicherlich auch mehr Aussagekraft. „Good to be back. Our favourite festival, for sure“, freute sich Fronterin Filippa. Die Wetterverhältnisse auf dem diesjährigen Wacken Open Air konnte die Band damals definitiv noch nicht gekannt haben, aber jetzt spielten sie passenderweise einige Stücke vom Album „Heat Wave“, unter anderem den Song, der im Gegensatz zur Hitze das WOA diesmal NICHT repräsentierte: „Into The Mud“. Ein Security-Mitarbeiter berichtete uns, dass die Sehnsucht der Wacken-Besucher nach Schlamm, den es dieses Jahr so gut wie nicht gab, zu kuriosen Szenen führte. Als beim Übergang des Wackinger-Geländes zum Infield eine Abwasserleitung platzte und sich ein kleiner Pfuhl aus Exkrementen bildete, wähnten sich einige Schlammanbeter offenbar am Ziel ihrer Träume und… nunja, wir skippen die Szene an dieser Stelle und wenden uns wieder den THUNDERMOTHERs zu, die mittlerweile mit „Black and Gold“ eine gelungene Live-Premiere feierten. Hier konnte man definitiv den „Wohohoooo“-Part gut mitsingen und den Chorus allgemein. „This is a survivor song“ heißt es unmissverständlich. Es hatten definitiv genug Leute die Strapazen am Mittwoch überlebt, um jetzt alles im Background-Chor zu geben. Der Song „We Fight For Rock n‘ Roll“ ging nahtlos in das BEASTIE BOYS-Cover „(You Gotta) Fight For Your Right (To Party)“ über. Es wurde also eine Menge gekämpft, nach “Shoot To Kill“ verließen die dynamischen Schwedinnen allerdings das Schlachtfeld und auch für uns war es Zeit für eine Pause.

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Fotos: Kristina Meintrup

Als Redakteur besucht man in der Regel ganze Konzerte auf Festivals, während die Fotographen immer nur während der ersten drei Songs Aufnahmen aus dem Bühnengraben machen dürfen. Man will das Gesamtkonzept des Gigs einfangen und oft finden sich ja im späteren Verlauf des Sets noch Besonderheiten. Wenn ihr euch fragt, wie man so viele Konzerte sehen kann: Es ist nicht einfach und man kann sich nicht zweiteilen, aber mit genug Elan klappt es ganz gut, ausreichend Impressionen zu erhaschen. Aber Pausen sind wichtig, man muss essen und trinken und sich erholen, ggf. den Sonnenschutz aufbessern etc. Meine Fotographin konnte eine heftige Erkältung aber nicht davon abhalten, MR. MISERY live zu erleben. Die Horror-Metaler aus Schweden spielten auf der W.E.T. Stage und man kann sie durchaus noch als Newcomer bezeichnen, da das Debut-Album „Unalive“ 2019 erschienen war. Man kann durchaus davon ausgehen, dass die Pandemie hier ordentlich auf die Bremse getreten hat. Daher Hut ab vor MISTER MISERY, dass sie, obwohl sie ihren Durchbruch in der Pandemie-Zeit mit all ihren Restriktionen erlebt haben, am Ball geblieben sind. Nun gilt es aber einiges nachzuholen und so freuten sich die Skandinavier, für den Oktober eine kleine Tour ankündigen zu dürfen. Einen Vorgeschmack lieferte der Wacken-Auftritt mit Songs wie „Strangeland“ und „Mister Hyde“. Viele Fans vor der W.E.T. hatten sich extra analog zu den Bandmitgliedern schwarz-weiß geschminkt und so ihre Verbundenheit zum Ausdruck gebracht. Man kann den Ritterschlag auf Wacken also als gelungen bezeichnen. Die viele Schminke tat dem Minenspiel unterdes keinen Abbruch. Die jeweilige Stimmung der Songs spiegelte sich stets im Gesicht der passionierten Musiker wieder. Hier glaubt man an das, was man singt und spielt.

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Fotos: Kristina Meintrup

Um 17:15 Uhr war klar, dass die deutschen Legenden GRAVE DIGGER einen Besuch verdient hatten. Und sie starteten gleich bombastisch und unerwartet mit einigen Dutzend Dudelsackspielern und Trommlern, die in beeindruckender Mannstärke selbst die große Harder-Stage klein aussehen ließen. Die Kapelle spielte als Intro „Scotland the Brave“, eine der inoffiziellen Nationalhymen des Landesteils und die wohl bekannteste Dudelsack-Melodie überhaupt, während die Bandmitglieder die Bühne betraten und das Publikum zum Support animierten. Die volkstümliche Musik ging direkt in den ersten Song der Altrocker „The Dark Of The Sun“ über. Schon beim Folgesong „Excalibur“ bildete sich der erste Moshpit. Die Dudelsackspieler und Trommler waren nach ihrem Auftritt übrigens keineswegs von der Bühne verschwunden. Die Hamburger hatten sichtlich auch Spaß am Auftritt von GRAVE DIGGER und wippten ordentlich mit den Köpfen. „Ich hab hier n‘ paar Leute mitgebracht zu unserer „40 + 2 Jahre-Show“ von GRAVE DIGGER“, erzählte Fronter Chris. „Ein herzliches Dankeschön an Baul Muluy Pipes & Drums“. Die Teilzeitschotten kamen mit „The Clansman’s Journey“ erneut zum Einsatz, bevor GRAVE DIGGER „Lions Of The Sea“ zum Besten gaben. „Am 26. August veröffentlichen wir ein neues Album: „Symbol Of Eternity“ und von dem Album spielen wir jetzt einen neuen Song und der heißt: „Hell Is My Purgatory“, stellte Chris in Aussicht. GRAVE DIGGER gehören keineswegs zum alten Eisen, sie haben definitiv immer noch Lust und Power. Wir dürfen auf das Album gespannt sein. Von der Baul Muluy-Truppe wurde sodann „The Heart Of Scotland“ dargeboten. Die kurzen Zwischenspiele mit der feierlichen Musik waren ein ungewohntes Element in einem Metal-Konzert, aber an den begeisterten Reaktionen der Fans war ablesbar, dass die Sache gut ankam. Bei „Highland Farewell“ gab es noch einmal eine deutliche Zunahme an Crowdsurfern. „Vielen Dank, meine Freunde, ihr wart großartig, verabschiedete der Sänger schließlich seinen vielköpfigen, temporären Bandzuwachs und leitete über zum berühmten Song „Rebellion (The Clans Are Marching)“. Zunächst ließ er die Menge die allseits bekannten Zeilen singen und dann ging es noch einmal richtig ab. Mit „Heavy Metal Breakdown“ wurde das Konzert standesgemäß beendet.

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Fotos: Kristina Meintrup & Dirk Jacobs

ROSE TATTOO aus Australien hatten in ihrer langen Bandgeschichte einige Rückschläge zu verkraften. Mehrere Bandmitglieder verstarben an Krebs, darunter Gründungsmitglied Peter Wells und es gab mehrere Auflösungen. Seit 1998 ist der Sänger aus den 70ern Gary Anderson wieder dabei und er eröffnete das Konzert auch mit einem lauten Schrei: “Wackeeeeeen. Hooooooly Ground!”, bevor seine Bandmitglieder den Song “Out Of This Place” begannen. Auch wenn seit 2007 kein wirklich neues Material mehr erschienen ist, gehören ROSE TATTOO natürlich zum Inventar. Mit “Rock n Roll Is King” und “Scarred For Life” gab es dann auch waschechtes Material aus den frühen 80ern zu hören, was die Nostalgiker sicher gefreut haben dürfte. Den größten Anteil an der Setlist hatte aber das 2007er Album “Blood Brothers” und auch das Backdrop trug diesen Namen und das Cover des Albums. Mit Ansagen hielt die Band sich nicht auf, stattdessen schickte sie ihre Musik ins Rennen. “Black Eyed Bruiser” und “Creeper” bildeten einen “Blood Brothers”-Doppelpack und die Menge war längst im Rock n’ Roll-Fieber und ließ aufgeblasene Kondome durch die Gegend fliegen. Verhüten konnte unterdes niemand, sich mit dem ROSE TATTOO-Mood anzustecken. Man fühlte sich cool und lässig und rückversetzt in die 70er. Mit einem kleinen Medley aus “We Can’t Be Beaten” und “Bad Boy For Love” sang sich “Angry” Anderson in die Herzen der Zuhörer. Letzteres war der Song, mit dem die Band damals in Australien bekannt wurde, der Song erschien als B-Seite auch auf dem ersten Album “Rose Tattoo”. Dass Anderson beim Auftritt in Wacken nicht viel sprach, war nicht wichtig, sein breites Lächeln zwischen den Songs zeigten genau, wie wohl er sich hier fühlte. Der letzte Song auf der Liste “Nice Boys” zählt zu den bekanntesten Stücken und wurde begeistert mitgesungen. Dieser Besuch aus Down Under war auf Wacken höchst willkommen und da AC/DC und AIRBOURNE mit Abwesenheit glänzten, war es an ROSE TATTOO, die australische Fahne zu schwingen.

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Fotos: Kristina Meintrup

Anmerkung vorab: Aufgrund von Terminüberschneidungen bei den Bands, hatten wir leider keinen Fotographen bei VISIONS OF ATLANTIS, daher leider nur Textberichterstattung. Wir bitten um Verständnis.

Nun wurde es Zeit für mein persönliches Highlight des Tages. Während MERCYFUL FATE die Hauptbühne zum Beben brachte, konnte mich nichts aus der ersten Reihe der Wackinger-Stage vertreiben. VISIONS OF ATLANTIS setzten hier einen der wenigen Symphonic-Metal-Akzente des Festivals. Die Band hat gerade ihr neues Album „Pirates“ veröffentlicht und dementsprechend orientierte sich auch die Bühnendeko an diesem Thema: Fässer und Humpen und ein großes Schiffsbanner verwandelten die Wackinger-Stage in ein von der Gischt rutschiges Deck. Die Setlist stand auch ganz im Zeichen des neuen Longplayers und so wurde direkt mit „Masters Of The Hurricane“ eröffnet. Überhaupt fiel auf, dass es diesmal eine Setlist gänzlich aus den Nummern der letzten drei Alben gab, die üblichen Klassiker wie „Passing Dead End“, „Seven Seas“ oder „Wing-Shaped Heart“ mussten Platz machen für die Piratensongs. Dies war einerseits schade, denn langjährige Fans wie ich lieben die alten Alben wie „Trinity“ und „Cast Way“, aber so hatte man mal Gelegenheit, mehr neues Material zu hören. „We were waiting for more than two fucking years to return to the Holy Ground», sagte Clémentine. Genau genommen waren es sogar vier, denn VISIONS OF ATLANTIS spielten zuletzt 2018 in Wacken und zwar auf der selben Stage, allerdings kürzer und früher. Die multinationale Truppe ist auf dem Weg nach oben. Und man muss sagen, dass das neue Material ordentlich abgeht, auch wenn das Piratenthema sicherlich nicht als neu oder innovativ bezeichnet werden kann. Besonders „Clocks“, ebenfalls von „Pirates“ entwickelt live eine tolle Dynamik im Refrain und eignet sich hervorragend zum Mitsingen, wie die Crowd bewies. Diese wurde durchaus auch gefordert. „We need not just Metalheads, we need Pirates“, schwor uns das Frontduo aus Clémentine und Michele ein. Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fuhren, hatten entweder Bärte oder trotzdem genug Enthusiasmus für ein Abenteuer mit VISIONS OF ATLANTIS. „The Silent Mutiny“ entlud sich derweil wie eine Bugwelle über die entzückten Zuhörer. Der Flötenpart beim nachfolgenden „In My World“ wurde witzigerweise durch Drummer Thomas „begleitet“, der vorgab, Flöte auf einem seiner Drumsticks zu spielen. Bei „Heroes Of The Dawn“ zeigte sich der erste Crowdsurfer, immer ein Gütesiegel für eine Band. Irgendwann hat man das Gefühl, seiner Begeisterung für die Musik nicht mehr nur durch Rufen und Arme schwenken Ausdruck verleihen zu können. VISIONS OF ATLANTIS hatte Gefolgschaft für eine abenteuerliche Reise voller Gefahren eingefordert! Weit und breit war aber kein Recruiter in Sicht, auf dessen Pergament man sein Zeichen machen konnte. Also nichts wie in die Lüfte und über das schwarze Meer geschaukelt, um zu sagen: Hier bin ich! Teil des Schiffs, Teil der Crew. Ich bin auch ein „Hero oft he Dawn“. Danach wurde auch folgerichtig noch einmal das Hauptmotiv der Freibeuterei besungen: „Freedom“. Auf der Bühne spielte sich zwischendurch immer mal wieder eine Art „Reise nach Jerusalem“ ab, allerdings nicht mit Stühlen. Stattdessen schien es zu wenige Hüte zu geben und so wanderte der Dreispitz von Michele mal frech gelaunt durch Clémentine auf deren Kopf, mal trug ihn plötzlich Gitarrist Herbert Glos. Es sind diese kleinen Showelemente, die auch ihren Teil dazu betragen, dass ein Konzert Spaß macht. Doch mit dem Doppelpack „Melancholy Angel“ und „Legion Of The Seas“ endete leider diese famose Seereise. Die Ebbe setzte ein und spülte uns treibholzgleich an den Strand. Wohin nun mit dem wachen Geist und der Abenteuerlust?

Nun, es galt ja noch, ein mehr oder weniger gut gehütetes Geheimnis zu lüften. Vor einigen Tagen posteten AMON AMARTH auf ihrem Facebook-Profil die Ankündigung, dass eine Band namens „GUARDIANS OF ASGAARD“ einen kurzen Gig auf dem Wacken Open Air spielen würde und zwar zwischen den beiden Hauptbühnen Faster und Harder Stage. Da der Bandname in der gleichen Schriftart wie der von AMON AMARTH gehalten war und sich zudem auf einen gleichnamigen Song der Band von 2009 bezog, mutmaßte man schnell, dass es sich um einen „Undercocer“-Auftritt der Band selbst handeln musste. Zunächst zogen vor den Hauptbühnen Wikingerkrieger auf und bildeten einen Schildwall. Hoch oben, zwischen den beiden Hauptbühnen, direkt unterhalb des riesigen Wacken-Schädels erschienen die Mitglieder von AMON AMARTH in Shirts mit der Aufschrift „Guardians of Asgaard“ und spielten neben dem entsprechenden Song und drei anderen Hits auch zwei Songs vom kommenden Album „The Great Heathen Army“: Der Titelsong dieses Albums und der Song „Get In The Ring“ erlebten ihr Live-Debut. Und der Sound von der Mini-Bühne war hervorragend. Das neue Album wurde auch schon auf großen Plakaten am Bahnhof Itzehoe beworben und eingedenk der Tatsache, dass das nächste WOA ein Wikinger-Thema haben wird, kann man den Headliner für nächstes Jahr (neben IRON MAIDEN) eigentlich auch schon erraten.

Die Engländer von JUDAS PRIEST hatten etwas zu feiern, denn die Band besteht jetzt seit über 50 Jahren. 2019 wäre das Jubiläum gewesen, aber dank Corona können wir wie bei GRAVE DIGGER eine „+2“ dranhängen. 50 Jahre Heavy Metal, was ein Vermächtnis! Viele Wacken-Besucher sind nichtmal halb so alt. Nun könnte man meinen, dass das Headliner-Konzert vor allem alte Haudegen anzog, die noch einmal die Songs live hören wollten, die sie damals unwiederbringlich in den Strudel der Metal-Szene hineingeschleudert hatten. Bei einem Rundgang übers Infield (soweit möglich, es war natürlich rappelvoll) sah man aber auch viele junge Gesichter, neugierig darauf, eine lebende Legende zu Gesicht und Gehör zu bekommen. Mit „War Pigs“ wählte man als Intro wieder einmal einen Song der Zeitgenossen BLACK SABBATH. Aus dem Nebel erhob sich langsam eine riesige Version des Dreizacks aus dem Logo der Band und begann Orange zu leuchten. Nach fünfzig Jahren weiß man, was die Menge zum Toben bringt. Rob Halford, der letztes Jahr seinen siebzigsten Geburtstag feierte, bewies direkt zu Beginn beim Song „One Shot At Glory“ seinen enormen Stimmumfang, bevor es vom „Painkiller“-Album rüber zur „Firepower“ ging und „Lightning Strike“ gespielt wurde. Trotz diverser Warnungen sollte das übrigens der einzige Blitz auf Wacken sein, ein etwaiges Gewitter war einfach vorübergezogen. Aber wozu auch? Blitz und Donner lieferte JUDAS PRIEST schließlich genügend ab. Wie auch schon bei GRAVE DIGGER bestätigte sich hier die These, dass Metal jung hält. JUDAS PRIEST ist keine Rentnerband, sondern gibt einem immer noch „voll auf die Zwölf“. Ich erinnere mich gut an Wacken 2018, als PRIEST ebenfalls den Headliner stellte. Ich war damals recht nah an der Bühne und wurde von dem brachialen Sound vollkommen überwältigt. Diesmal hatte ich etwas Abstand gewahrt, aber die hervorragende Stimmung vor der Bühne übertrug sich auch über die großen Bildschirme. Der Song „Freewheel Burning fand sich vorher jahrzehntelang nicht im Live-Repertoire, wurde aber auch 2018 auf Wacken gespielt. Dennoch unterschied sich die Setlist in wesentlichen Teilen von dem vorherigen WOA-Auftritt. Neu im Repertoire waren beispielsweise „Hell Patrol“ und „The Sentinel“. Ersteres war auch erst 2021 aus der „Mottenkiste“ gekramt worden. Es gab also auch bei einer solch ehrwürdigen Band noch Abwechslung im Set. Kurz vor Encde des regulären Sets gab es Cover aufs Tapet. Zunächst „The Green Manalishi“ (ursprünglich von FLEETWOOD MAC) und dann spielte Riche Faulkner an der Gitarre das bekannte Riff von BLACK SABBATHs „Iron Man“, bevor die Band das JOAN BAEZ-Cover „Diamonds & Rust“ anstimmte. Nach dem Titelsong des 1990er Albums „Painkiller“ war dann das reguläre Set vorbei. Aber die Menge wollte mehr. Ohne eine Segnung der unsterblichen Priester des Heavy Metal wollte hier keiner ins Bett. Also mussten Halfords Mannen noch einmal ran und einen gehörigen Nachschlag servieren. Ein paar der alten Über-Hits fehlten ja noch! Das Album „British Steel“ war bisher nicht zum Zuge gekommen. Doch zunächst gab es mit „Electric Eye“ und „Hell Bent for Leather“ noch etwas anderes zu hören. Letzterer Song ist dem Motorradfahren gewidmet. Und Lederkleidung, mittlerweile in der Metalszene absolut etabliert, war damals etwas, was Rob Halford eingeführt hatte. Es gibt die Anekdote, dass er einmal vor einem Auftritt in den frühen Tagen nichts anzuziehen hatte und sich in einem BDSM-Shop neu einkleidete und so zum Trendsetter wurde. Musikalisch haben wir ihm natürlich auch einiges zu verdanken und nun war es auch endlich soweit: Die beiden großen Hits „Breaking The Law“ und „Living After Midnight“, die einfach jeder Metal-Fan mitsingen kann, rundeten diesen wunderbaren Headliner-Auftritt wirkungsvoll ab. Die Menge gab noch einmal alles, Crowdsurfer folgte auf Crowdsurfer und das Wacken Open Air verwandelte sich in einen einzigen großen, reißenden Strudel aus Freude und positiver Energie. Band und Publikum bildeten eine Einheit und es war klar: JUDAS PRIEST gehören einfach aufs Wacken Open Air und es passt kein Blatt zwischen Metal-Fans und ihre Helden aus Kindheitstagen. Lang leben Rob Halford und seine Truppe! Wer jetzt noch Puste hatte, konnte sich in die Metal-Disko begeben, aber ich gehörte definitiv nicht dazu. Schließlich war gerade einmal Halbzeit und am nächsten Tag sollte es wieder etliche Programmpunkte geben. Also ab ins Zelt, nachdem man mit den Freunden im Camp noch das ein oder andere Bierchen gezischt hatte.

Anmerkung: Die Anzahl an Pässen für den Fotograben ist begrenzt! Bei den Headlinern konnten wir daher nicht immer fotographisch vor Ort sein. Daher auch zu JUDAS PRIEST nur Text!

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