“I’ve still got black sand in my shoes…” – Zauberhaftes PLAGE NOIRE-Festival 2022 – Tag 2

Wenn man von Möwengeschrei geweckt wird, weiß man: Der Traum geht weiter! Der gestrige Tag hat etliche Highlights bereitgehalten und die dunklen Batterien sind wieder zur Hälfte aufgeladen. Aber da geht noch was… das schwarze, gallische Dorf am Strand erwachte langsam und hie und da hörte man die ersten zaghaften Beats verschlafen aus den Lautsprecherboxen kriechen, um den Möwen Konkurrenz zu machen.
Der Salon de beauté im Le Bazar und das MakeUp-Théâtre in der La Galeria öffneten diesmal schon um 10:30 Uhr, der Mittelaltermarkt eine halbe Stunde später. Man hatte also reichlich Gelegenheit, sich ordentlich frisch machen zu lassen für den zweiten Tag und die Seele bereits wieder einzustimmen auf die folgenden Ereignisse.
Um 11 Uhr gab es zudem das berühmte Fotoarrangement am Strand, eine liebgewonnene Tradition der Frühaufsteher des Plage Noire. In diesem Jahr wurde eine Art Sternschnuppe aus Menschen geformt, das Motiv wird aus der Vogelperspektive sichtbar. An Fashion gab es diesmal Vorführungen z.B. von Amatoris Latex-Couture, Dragons Chain und Janna Gierga (Schattengewänder) zu bestaunen.
Der zweite Tag auf Festivals ist so eine Sache. Wer am Vortag frei nach DAS ICH ordentlich “Destillate” geordert hatte, mag dem zweiten Tag eher mit Schlagseite entgegenblinzeln und sich einreden, dass man ja vielleicht doch kein sooooo großer Fan von THE FOREIGN RESORT oder WISBORG sei. Aber man lügt und man weiß genau: Wenn ich das jetzt verpasse, werde ich mich hinterher tierisch ärgern. Und man kann nicht behaupten, dass die Plage Noire-Macher ihre Teilnehmer überfordern. Die beiden genannten Opener spielten komfortabel kurz nach 14 Uhr. Reichlich Zeit also für Regeneration und Meditation über der Frage: Wieviel Alkohol ist genau richtig und wo verläuft eigentlich die Grenze zu “Ich muss im Bett bleiben und höre heute leider nur Seevogelkonzerte” (Die Setlist der Möwen ist übrigens ähnlich abwechslungsreich wie die der Cantina-Band).

Ein Blick in die “Handreichung” offenbart Sonderbares. Was war nochmal eine “Lesung”? Sowas wie ein Konzert ohne Instrumente? Abgefahren… Die Erfahrungen der letzten Jahre (M’era Luna, WGT usw.) sagen uns: Wer zu spät Richtung CHRISTIAN VON ASTER aufbricht, muss stundenlang stehen und wer steht, könnte dem Autor sogar auffallen und müsste ggf. sogar als Sidekick dienen. Drum gilt: Anders als zwischen den Laken ist frühes Kommen ein absolutes Muss. Der Saal “Cri de Mouette” (übersetzt: “Schrei der Möwe”, verdammt, da sind sie ja wieder!) füllte sich jedenfalls bis auf den letzten Platz. VON ASTER wurde längst in die Schwarze Szene eingebürgert und auch wenn er gelegentlich versucht, auch außerhalb davon zu existieren, so ziehen wir ihn doch immer wieder hinein zur Stippvisite in unseren mitternachtenen Strudel von Tod und Verdammnis. Ich persönlich möchte ihn mittlerweile keineswegs mehr missen, denn egal was er diesmal für einen haarsträubenden Unfug vorbereitet hat: es kickt immer! Im letzten Jahr erfreute der Autor uns durch herrlichsten Klamauk mit seiner Gegenspielerin, einer gewissen leidgeprüften Security-Dame. Ob sie sich mittlerweile in einem Sanatorium befindet, ist nicht überliefert. Auch wenn christian von aster (ich werde ihn ab jetzt nicht mehr großschreiben, er mag keine Majuskeln) oft erfolglos gegen die sehr konformistische Welt der Verlage ankämpft, so findet er doch hin und wieder eine Veröffentlichungsgesellschaft die wahnsinnig genug ist, seine herrlichen Ergüsse zu drucken. Diesmal präsentierte er uns “Fifty Shades of Schwarz”, um mit dem Mythos aufzuräumen, schwarz sei etwas Absolutes. Hernach zeigte er uns das zauberhafte Buch “Eine Socke namens Rechts”, in dem wir endlich erfuhren, wohin die einzelnen Socken verschwinden, die nach dem Waschen nicht mehr der “Donnertrommel” entsteigen und ihr Konterpart einsam zurücklassen. Der Autor führte uns in eine postapokalyptisch anmutende Landschaft, in der die pragmatisch als “Rechts” benannte Protagonisten-Socke erwacht und sich mit der Frage beschäftigen muss: “Wie bin ich hierhergekommen und wie komme ich zurück zu meinem Links?”. Ein wunderbares Buch über uns, unseren (vermeintlichen) Platz in der Welt und über Zusammengehörigkeitsgefühl. Hernach gab es scheindemokratische Abstimmungen über Verschiedenes und eine gute Schüppe tiefgründigen Wahnwitz namens “Von Luther bis Copperfield – Kleine Meditation über nassem Handtuch”. Habt ihr je über die Daseinsberechtigung von nassen Handtüchern nachgedacht? Dürfen sie sein? Oder sind sie wirklich nur ein Ärgernis, das schleunigst getrocknet gehört? Kann man die Nässe akzeptieren oder muss der Gebrauchsgegenstand gefälligst immer seinem von uns hochmütig zugebilligten Zweck entsprechen? Der in schnellem Tempo vorgetragene Text ist herrlich unterhaltsam und regt zum Nachdenken an. Zum Abschluss bekommen wir noch eine Posse über Herrn Müllers Gewissen vorgetragen, mitsamt überraschender kulinarischer Wendung und “Die Laterne Jost van Jansens” erleuchtete uns ebenfalls. Danke an Christian Von Aster für diesen wunderbar inspirierenden Start in den Tag.
Mit MARKUS KAVKA gab es auch mal einen neuen Leser auf dem Festival zu bestaunen. “Neu” selbstverständlich nur im Line-up, denn der Tausendsassa hat schon viele verschiedene Projekte durchgeführt. Ob als Moderator bei VIVA und MTV damals, im Radio oder im Web, MARKUS KAVKA jongliert wie selbstverständlich mit allen Medien und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Sein jüngstes Werk: “Markus Kavka über Depeche Mode” stand auch im Mittelpunkt der Lesung. Das Dilemma, das alle (Musik-)Journalisten umtreibt ist ja bekanntlich: Wenn ich ein Interview führe, entweder mit Künstlern, deren Fan ich bin oder aber im Gegenteil, denen ich nichts abgewinnen kann, wie verhalte ich mich dann professionell und wie minimiere ich den Einfluss persönlicher Meinungen, um möglichst objektiv zu bleiben? Von daher war die Lesung ein unterhaltsames Lehrstück für die genannte Gratwanderung. Der Autor ist weiterhin auf Lesereise quer durch Deutschland. In den nächsten Tagen stehen Lesungen z.B. in Mannheim, Münster und Stuttgart an.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer / Virginia Weidhaas

Da haben wir wieder das Monster, was – ähnlich dem Finanzamt – immer einen Tribut von unseren Festivalerfahrungen abknabbern möchte: Die ÜBERSCHNEIDUNG! Die Lesungen überschnitten sich bereits mit den ersten Musikacts THE FOREIGN RESORT UND WISBORG.
Den Wave, den wir im Wellenbad nicht gefunden hatten, reichten uns die Dänen von THE FOREIGN RESORT im Salle de Fête nach. Im letzten Jahr veröffentlichten sie “OutRemixed” mit hervorragenden Remixen von Weggefährten und Kollegen. Das letzte Full-Length-Album datiert von 2019 und heißt “Outnumbered”. Auch wenn es nur ein kurzes Set war, so war der durch Post-Punkt-Elemente aufgemischte wabernde Dark-Wave doch ein hervorragender, köstlicher, erster Gang am Buffet des Tages.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

Rüber zu den Jungs von WISBORG. Es gibt Bands, die leicht zu beschreiben sind. WISBORG gehört nicht dazu. Wo sie plötzlich hergekommen sind, weiß auch niemand so genau aber jetzt fragt man sich doch, wo sie die ganze Zeit gesteckt haben und wie wir ohne sie ausgekommen sind. Kennt ihr den Cocktail “Black Death”? Er ist von geheimnisvoller blau-schwarzer Farbe und der vielschichtige, merkwürdige Geschmack entsteht durch das Zusammenspiel von Blutorange mit Tequila und Blue Curacao. Sehr stark und nicht süß, eher ein wenig bitter und vor allem berauschend. Ungefähr so würde ich WISBORG beschreiben. Man wird in eine Klangdecke gehüllt, die sich erst warm anfühlt, dann aber rauher wird und man spürt, dass wohl der ein oder andere Dorn eingearbeitet wahr, der einen kaum merklich angeritzt hat. Wer den berühmt-berüchtigten Stummfilm “Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens” aus dem Jahr 1922 kennt, weiß, dass “Wisborg” der fiktive Handlungsort für die Dracula-Adaption darstellt. Das Set startete gleich mit “I Believe in Nothing” vom aktuellen Album “Into The Void”. Die Single, zu der es auch ein handgemachtes Video gibt, gab gleich die Richtung des Abends auch für alle Debüttanten im Publikum vor. Das leicht poppige Intro und die Eingängigkeit bewies gleich einmal, dass WISBORG keine Genre-Grenzüberschreitung scheut. Überhaupt ist die Musik der Band vielschichtiger geworden, seit dem doch recht dark-rockigen Erstwerk “The Tragedy Of Seconds Gone”. Mit “Fall From Grace” schloss sich auch gleich die zweite “Void”-Single an. Konstantins tiefe Stimme, in ihrer Intensität auf- und niederschwankend, hat etwas Sinnliches und schwebt über dem Sound der beiden Mitstreiter. Wir dürfen von diesen interessanten Künstlern sicherlich noch viel erwarten. Mit “Spirits That I Called” vom zweiten Album endete jedoch erst einmal der Nachtflug und wir ließen die Dornendecke auf einem erkaltenden Stuhl zurück.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

Allzu groß war die Umstellung zum nächsten Act LACRIMAS PROFUNDERE jedoch nicht. Die Sad ‘n Roller aus Bayern warten ebenfalls mit dunklen Texten und melancholisch-druckvollen Melodien auf. Sänger Julian Larre trat oberkörperfrei auf, was u.a. die Ladys sicherlich begeisterte. Überhaupt war er nah am Publikum und begab sich mitten in die Menge, um sich mit den Zuhörern gemeinsam zu bewegen und sie direkt einzubinden. “Here is my family”, begründete er die besondere Fannähe, während Leadgitarrist Oliver und die anderen weiter die Bühne zum Vibrieren brachten. “Remembrance Song” wurde als letzter Song bezeichnet, aber: “I just wanted your energy”, grinste Julian und leitete die Zugabe ein.

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Fotos: Birger Treimer

Mit CLAN OF XYMOX hatten wir im Salle de Fête wieder etwas aus der Sparte “Legenden” im Repertoire. Es ist schon auffällig, wie viele Bands im Plage Noire-Line-up auf eine Jahrzehnte lange Geschichte zurückblicken können. Hier wird einmal mehr unterstrichen, wie zeitlos die Schwarze Szene doch ist und dass viele, die einmal diese Tore durchschritten haben, hier ein Zuhause für’s ganze Leben finden. Das Plage Noire zeigt sich äußerst familienfreundlich und wir haben etliche Kinder auf dem Gelände und bei den Konzerten entdecken können – natürlich stilecht mit neonfarbenem Gehörschutz! Die Niederländer, die nun auch schon seit 1984 auf der Bühne stehen, ermöglichten die nächste Zeitreise für alte und neue Fans. Nach so einer langen Bandgeschichte ist es sicherlich nicht einfach, die Setlist für ein 45-Minuten-Set zusammenzustellen. Oder ist das ein Luxusproblem? However, die Mischung war sehr ausgewogen. Von “Muscoviet Musquito und “Going Round”, beides Songs aus den frühen 80ern bis zum leider recht aktuellen “Lockdown” war alles Mögliche dabei, eine Art Werkschau der melancholischen Gefühle.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

Im Le Chapiteau braute sich derweil etwas Bedrohliches zusammen. Wie muss das abgelaufen sein, als man die Zeltkonstruktion für die Hauptbühne damals materialtechnisch ausgewählt hat? Haben die Veranstalter bei der Firma angerufen, die Zelte und Metallkonstruktionen für die Gerüste herstellt?
“Ja, guten Tag, FKP hier, wir bräuchten ein Eventzelt”
– “Kein Problem. Wollen Sie das Modell “Marianne Rosenberg”? Oder darf es etwas robuster sein? Modell “Revolverheld” ist geräumig und hält einiges aus…”
– “Haben Sie auch was aus Armeebeständen? Welche Materialien empfehlen Sie für Orkane und in Erdbebengebieten?”
– “Wieso das?”
– “Combichrist kommen!”
– “Oh. Das wird teuer….”

Mit der Beserkertruppe um Andy LaPlegua brach um kurz nach fünf ein dermaßen fulminanter Wirbelsturm los, dass Wände und Boden vibrierten und man dem Hersteller von Gestängen und Verkleidung des Zeltes wirklich Respekt zollen muss. Diese massiven Soundwände, einerseits elektronisch erzeugt, andererseits gitarristisch zusammengeschraubt, muss man unbedingt einmal live erlebt haben. Was ein Abriss! Nach “Compliance” und “Throat Full Of Glass” setzte “Get Your Body Beat” den Höllenritt fort und genau das passierte natürlich auch. Der Ankündigung “We’re going back in time” folgte sodann das ikonische “Blut Royale”, bei dem man herrlich mitbrüllen konnte. Ein Satz vom sonst so harten Hund LaPLegua berührte besonders. Mit Blick auf die große Schar der versammelten Anhänger rief er zweimal aus “I will never take this as guarantee again!” und mahnte damit an, dass Konzerte an sich und gut besuchte im Besonderen keine Selbstverständlichkeit darstellen. Luft holen kann man bei Combichrist ohnehin vergessen, eine Ballade zum Verschnaufen ist leider nicht drin. Nach “Never Surrender” und “Can’t Control” nahm die Intensität noch einmal zu, wenn das überhaupt möglich sein sollte. “What The Fuck Is Wrong With You?” sorgte für eine frenetisch schreiende und auf- und abspringende Menge, bis mit der Zugabe “Maggots At The Party” leider dieses Highlight von Tag 2 endete. An alle Festivalveranstalter da draußen: Wenn ihr einen totsicheren Sturm entfesseln und eure Besucher unter Garantie aus den Socken hauen wollt: COMBICHRIST is at your service!

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

Im Plan war jetzt ein Konzert von NEUROTICFISH vermerkt, das aber leider so nicht stattfand. Kurz vor Festivalbeginn kam leider die Absage aufgrund der Tatsache, dass Vokalist Sascha mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Als Ersatz sprangen Daniel Myers HAUJOBB dankenswerterweise ein.
Das Plage Noire bietet selbstverständlich auch weniger bekannten Bands eine Bühne und fördert eher nischige Künstler. Das La Rotonde stand heute im Zeichen der Internationalität. NIGHTNIGHT aus den USA sind dort schon relativ bekannt, hier konnte man einen der raren Auftritte der Musikerin Maryam Jasmin Haddad in Deutschland erleben. Als wir nach der Show Ohrenzeugen befragten, wurde sich überwiegend sehr anerkennend geäußert. A PROJECTION, eine Postpunk-Band aus Schweden und die ungarische Rockband MANNTRA übernahmen das Szepter und boten auch mal wieder etwas für Saitenanhänger.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

AESTHETIC PERFECTION hat bereits wieder damit begonnen, einige Shows zu spielen. Erst vor wenigen Tagen gastierte Daniel Graves mit seinen Mannen spontan in Oberhausen, um das ausgefallene Konzert von EISFABRIK zu ersetzen (Noch einmal gute Besserung an Charly an dieser Stelle). Da der Wechsel erst sehr kurzfristig bekannt wurde, gab es das reale Risiko vor einer leeren Halle zu spielen. Aber nicht bei AESTHETIC PERRFECTION. Diese einzigartige Musik aus treibenden Synthies und mal klarem, mal harschem Gesang begleitet uns schon lange und Graves ist mehr als nur ein begnadeter Musiker. Wer ihm in den sozialen Medien folgt, weiß, dass er sich nicht scheut, auch in anderen Bereichen seine Stimme zu erheben, sei es zum Thema Depressionen oder Fallstricken des Musikbusiness. Neuerdings mit kleinem Schnäuzer und stilvollem Hut fegte er auch hier im Salle de Fête wieder über die Bühne und eröffnete mit “Gods & Gold”. Aber zunächst ertönte als Intro “Warte, warte nur ein Weilchen…” über den Hannoveraner Massenmörder Fritz Haarmann. Daniels Mitreiter an Keys plus Gitarre und Drums blieben hinter glitzernden Masken verborgen. Glamour und manchmal harte Tanzmusik – eine Mischung, die sehr gut ankam. “Three simple letters, sing it!”, forderte er die Leute auf und man wusste, es geht um LAX, ach nein doch nicht. “SEX” stand auf dem Programm und warum nicht? Ein AESTHETIC PERFECTION-Konzert kann man mit allen Sinnen erfahren und wenn man durch Daniels Stimme vorwärtsgepeitscht und von den Gitarren- und Keyboardklängen hin- und hergeschleudert wird, ist man dem Orgasmus bisweilen wesentlich näher als bei manch enttäuschendem One Night Stand.
Dazu passt dann auch “Rhythm & Control” und “Never Enough”. Und das im letzten Jahr veröffentlichte “Bark At The Moon” , das ein Teil der “12 Songs in 12 Months”-Challenege war, die sich der charismatische Sänger selbst in der Pandemie gesetzt hatte. Der Folgesong “Automaton” war ein großer Erfolg in den iTunes-Charts und enthält im Original den Gitarrenpart des Schweden Sebastian Svallard. “No boys allowed” war gefühlt eins der häufigsten T-Shirt-Motive aus dem Plage Noire und kam auch zu seinem Live-Recht. Nach dem Titeltrack des 2011er Albums “All Beauty Destroyed” endete mit “Love Like Lies” leider schon dieses Set. Ich denke, wir sind alle froh, dass Daniel mittlerweile in Österreich residiert, so können wir den US-Amerikaner und seine Musik, die uns mittlerweile die Welt bedeutet, öfters live erfahren.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

Auf der Hauptbühne indes war es Zeit für “Rübezahls Rückkehr” bzw. seine “Reise” geworden. Die Rede ist selbstverständlich von JOACHIM WITT. Die Tour zum neuen Album beginnt im September, aber auf dem Plage Noire erhielten wir schon einmal einen Vorgeschmack vom Altmeister, der mit Kappe und Mantel erschien. Der Berggeist Rübezahl war an diesem Abend allgemein sehr präsent. Neben dem gleichnamigen Opener gab es auch eine Rückschau auf “Herr der Berge” vom ersten Rübezahl-Album (2018). Den unverzichtbaren “Goldenen Reiter” leitete Witt a capella ein und dirigierte das textsichere Publikum. Das Plage Noire schien unter dem Motto “Legenden” zu stehen. Vielleicht können wir von so vielen Künstlern mit langer Karriere Beharrlichkeit lernen und uns in schwierigen Zeiten nicht unterkriegen zu lassen.

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Fotos: Birger Treimer

Machen wir doch gleich nahtlos mit den Legenden weiter. IN STRICT CONFIDENCE erbauten ihr Zauberschloss vor über 20 Jahren und es steht noch immer und strahlt mit dem von Disney um die Wette. Ohne die Bommelmütze aber mit bewährtem Videopult eroberten Dennis Ostermann und seine Schlossbewohner den Salle de Fête. Gitarristin Haydee kompensierte fehlende Mützen durch ein wunderschönes Lackkleid. Mit Sälen kennen IN STRICT CONFIDENCE sie sich aus, wie man aus opulenten Videos ableiten kann und so hatten sie das Publikum in diesem “Saal” auch vollkommen im Griff. Es fielen nicht viele Worte an diesem Abend, die Musik sprach ganz für sich und die visuelle Komponente, die schon immer auch wichtig bei IN STRICT CONFIDENCE war, half mit, die schaurig-schöne Stimmung zu erzeugen, die wir so lieben. Hachja “Seven Lives”… Wer erinnert sich noch an das Video mit Dr. Mark Benecke in der Pathologie? Der Band gelingt es mühelos, die Menschen zurück in eine Zeit zu führen, als manches noch einfacher war und manch einer noch Träume hatte. Auch das fashionable “Mercy”-Video hat man direkt wieder vor Augen und man fühlt sich automatisch underdressed. Als gegen Ende “Closing Eyes” gespielt wurde, wollte man dem nachkommen und die Augen am liebsten gar nicht mehr aufmachen. Und doch sollte man das tun, denn…

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

…DEINE LAKAIEN warteten schon im Le Chapiteau. Nicht minder ehrwürdig, nur etwas meditativer. Es begann mit Piano und Alexander brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die “Dual”-Tour im Herbst würde stattfinden können. Das entsprechende Album war damals in aufwendigen Versionen mit Mediabook, Art-Book und als Doppel-LP erschienen. Nur live konnte man noch nicht so viel vom neuen Material hören. Die Show auf dem Plage Noire stand auch eher unter dem Motto “Back to the roots”. Das Album “Dark Star” sollte in Gänze gespielt werden, angesichts des 30-jährigen Geburtstags dieses Meisterwerkes. DEINE LAKAIEN waren jedenfalls sichtlich beseelt, nun wieder auf der Bühne stehen zu können und Alexander hatte viele warme Worte fürs Publikum. Mit “Down, Down, Down” ging es gleich mal zurück ins Jahr 1991 und jeder über 40 verfiel in tänzerische Ekstase. “Reincarnation” hatten wir alle bitter nötig, schließlich fühlen viele von uns sich müde und verbraucht. Nicht jedoch die beiden Herren auf der Bühne, die alles gaben, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Zwischendurch hatte wohl einer von der Bühnentechnik-Crew beschlossen, nach Hause zu gehen, was den Sänger zu einem verwunderten Kommentar veranlasste. Vielleicht ging der gute Mann hinfort, um sein Leben zu überdenken, vielleicht wurde er von Veljanovs Stimme auch in den Abgrund seiner eigenen Seele geschleudert und schritt von dannen, um Erleuchtung zu erfahren. Man weiß es nicht. Es ging an diesem besonderen Abend auch vor allem um das Motiv der Liebe, wie Alexander betonte. “Love! Von uns zu euch, von ihm zu ihr, von ihr zu ihr, von ihm zu ihm, von uns allen zu euch allen” setzte er ein starkes Zeichen für jegliche Form, zu lieben und geliebt zu werden. “Dark Star” bot aber auch ohnehin genügend Futter für Liebende und so gab es “Night of Love und “Love will not die” auf die Ohren. Beim ikonischen Klassiker “Love Me To The End” sang das ganze Zelt aus voller Kehle mit und man konnte die Gefühle deutlich spüren. Noch erwähnt werden muss auch der großartige Ernst Horn an den Tasten, Percussion und allem anderen. Der mittlerweile über 70jährige Klangvirtuose hat uns neben DEINE LAKAIEN auch HELIUM VOLA beschert sowie damals QNTAL gegründet. Somit ist ein Clubabend ohne Ernst Horns Werke zwar möglich, aber sinnlos. “Love Me To The End” hallte noch eine ganze Weile nach im schwarzen Zelt. Mögen uns DEINE LAKAIEN noch viele wundervolle Konzertmomente schenken und bald das “Dual”-Material auf die Bühnen bringen dürfen.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

Die Luft im Line-up wurde dünner, aber auch dichter. Rein quantitativ gab es nicht mehr viel bis zum Schlussgong zu erleben, aber natürlich standen noch interessante Acts auf dem Programm. DE/VISION beschlossen den Spielplan im Salle de Fête. Die im Sommer 2021 in Gelsenkirchen geplante Show war damals aus gesundheitlichen Gründen leider ausgefallen, aber jetzt präsentierte sich Sänger Steffen wieder so dynamisch wie eh und je. “Star Crossed Lovers” von “Subkutan” eröffnete die ausgedehnte Setlist, danach wurde übergeleitet zu “What’s Love All About” vom “Popgefahr”-Album. Diese Gefahr bestand natürlich, schreckte aber die zahlreichen Anwesenden keinesfalls ab.
Bei DE/VISION merkte man genau wie bei DEINE LAKAIEN deutlich, dass sie sehr glücklich waren, endlich wieder Konzerte spielen zu können. Die Energie übertrug sich leicht aufs Publikum und Hits wie “Digital Dream” und “Aimee” ließen niemanden stillstehen. Natürlich ist es nicht leicht, wenn der eigene Slot sich mit dem Headliner der Main Stage überschneidet, aber wenn sich jemand keine Sorgen über mangelnde Teilnahme machen muss, dann eine Institution wie DE/VISION. Zudem hatten sich von AND ONE in letzter Zeit einige Fans vorerst abgewandt, doch dazu später mehr. Der Salle de Fête feierte jedenfalls gut gefüllt dieses letzte Konzert. “But now is the time to be alive” war eine starke Botschaft, die wohl jeder unterschreiben würde, dessen Leben in den letzten Jahren eher auf Sparflamme heruntergeschraubt war. Nach einer stattlichen Zugabe, unter anderem mit “I’m Not Dreaming Of You” musste die 2nd Stage leider ihre Pforten für dieses Jahr schließen. Wer noch hungrig genug war, konnte ins Le Chapiteau wechseln. Doch halt, das “La Rotonde” hatte ja auch noch einen kleinen Headliner anzubieten. LEICHTMATROSE hatten allerdings einige Startschwierigkeiten. Die Technik im kleinen Saal war nach zwei Festivaltagen offenbar bereits im Feierabend, sodass die Show mit 15 Minuten Verspätung beginnen musste. Das Equipment der Truppe fand auf der Bühne kaum Platz, sodass einiges sogar neben der Stage gelagert werden musste. Hier gab es viel Interaktion mit dem Publikum. Andreas am Mikro begab sich immer wieder direkt unter die Leute und heizte die Party im La Rotonde ordentlich an. Man muss natürlich sorgfältig überlegen, welchem Act man den letzten Slot gibt, da darf es dann keinen Stillstand geben. Aber das Plage Noire hat für diesen Punkt definitiv ein gutes Händchen. LEICHTMATROSE stellte einen herrlichen Kontrast zu den parallel spielenden Bands DE/VISION und AND ONE dar und lockte daher sämtliche rockaffinen Festivalbesucher in ihre Hütte. Nach “Dalai Lama” kam wieder ein Lied, was allen wohl aus dem Herzen sprach: “Das Schicksal kann ein mieses Arschloch sein”. Das beste Mittel gegen ein solches Gefühl ist jedenfalls eine ordentliche Party mit LEICHTMATROSE. Die “Liebe” kam natürlich auch nicht zu kurz und ich denke, die Band konnte auch in einigen “Ersttätern” Liebe wecken. Nach diesem Konzert gab es ja keinen Programmpunkt mehr, was dann trotz der Verspätung eine Zugabe in Form des Songs “Chill Indianer” erlaubte. Danke für dieses Geräusch, LEICHTMATROSE.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

So. AND ONE. Der ewige Headliner war für die leider ausgefallenen FIELDS OF THE NEPHILIM eingesprungen. Sicher ein Tausch, mit dem FIELDS-Fans nicht allzu glücklich sein konnten, aber natürlich hat AND ONE eine riesige Fanbase in der Elektro-Szene und daher gab es natürlich auch viel Jubel bei der Bekanntgabe. Nicht unerwähnt lassen möchten wir an dieser Stelle, dass die Band, bzw. Sänger Steve im Vorfeld für Irritationen gesorgt hatte, als er sich während der Pandemie dergestalt äußerte, dass Parallelen zu gewissen verschwörungstheoretischen Kreisen vermutet werden konnte. Die entsprechenden Posts wurden wieder gelöscht, auch von einem Hack der Seite war die Rede. Bei manchem blieben Zweifel und ein schaler Beigeschmack zurück. Trotzdem konnte von einem breiten Boykott keine Rede sein. Das Le Chapiteau füllte sich nach und nach ordentlich zum großen Finale. Die ersten Zuhörer mussten zu diesem Zeitpunkt von der Security an die frische Luft geführt werden, da sie sich als schwankungsfreudiger als der DAX erwiesen hatten. Das Set begann nach dem obligatorischen Fall des Vorhangs mit “Shouts Of Joy”. Ein Kracher, der auch direkt das Publikum elektrisierte. Das folgende “Get You Closer” nahm Steve Naghavi auch ganz wörtlich und suchte den direkten Kontakt zu den Die Hard-Fans in der ersten Reihe. Das PROJECT PITCHFORK-Cover “Timekiller” durfte natürlich auch nicht fehlen. Auffällig war das Fehlen jeglicher Ansagen zwischen den Songs. Wer AND ONE schon öfters gesehen hat weiß, dass Steve Naghavi eigentlich nicht auf den Mund gefallen ist. Vielleicht entschied er sich aufgrund der Kontroversen dazu, nur seine Musik sprechen zu lassen. Sowohl im Fotograben als auch weiter hinten im Publikum standen etliche Anwesende, die ihre Kritik am kontroversen öffentlichen Diskurs ausdrückten, indem sie selbst gebastelte Aluhüte trugen. Beim Song “Unter meiner Uniform” wurde der vorher unentwegt propellernde Steve jedenfalls ernst und trug den Song sehr gefühlvoll vor, genau wie das folgende “Krieger”. Während des Songs “Traumfrau” begab sich Steve wieder unter den alarmierten Blicken von Security und anderer Verantwortlicher zum Publikum und stieg vor der ersten Reihe auf die Ballustrade. Der All-Time-Favourite vieler, “Military Fashion Show” ließ den Druck im Kessel kurz vor Ende nochmal ordentlich ansteigen. Der neben der Bühne stehende JOACHIM WITT wurde von Naghavi kurzerhand auf die Bühne gezerrt und nach einem Kniefall zum “heimlichen, langjährigen fünften Bandmitglied” erklärt. Nach “Panzermensch” und “Techno Man” endete das reguläre Set, aber zum Glück kam das Trio noch einmal für eine letzte Zugabe zurück. Die Plage Noire-Seifenblase platzte unter ohrenbetäubendem Applaus, als die Aftershowparty startete.

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Fotos: Lars-Tobias Lorbeer

Das war er also, der Schwarze Strand 2022. Eine prall gefüllte Wundertüte aus schwarzem Samt, in die wir gerne beherzt hineingegriffen haben. Wer es bei den letzten Ausgaben noch nicht nach Weissenhäuser Strand geschafft hat, dem sei diese Perle unter den Festivals deutlich ans Herz gelegt. Der Vorverkauf für 2023 hat bereits begonnen, Tickets bekommt ihr auf plagenoire.de

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