News: Ein persönlicher Nachruf auf Meat Loaf

Als mein Handy heute um kurz nach neun eine Eilmeldung anzeigte, dachte ich erst, es ginge wieder um Corona, die neue Koalition oder die Querdenker. Aber als meine Augen über die wenigen Zeilen flogen, füllten sie sich mit Tränen. Meat Loaf war gestorben. Meat Loaf, ein Sänger, der mich seit meinem neunten Lebensjahr musikalisch begleitet hat, mich durch Krisen geführt und viel bessere Worte und Töne für meine emotionalen Verfassungen gefunden hat, als ich das je gekonnt hätte. Meat Loaf, der ganze Generationen mit seinen Liedern und Filmen bewegt und beeinflusst hat.

 

Meine erste bewusste Erinnerung an den Sänger, der mit bürgerlichem Namen Marvin und seit 1984 Michael Lee Aday hieß, war sein 1993 veröffentlichter Song „I would do anything for love“. Ich stand in einem Kaufhaus in der CD-Abteilung, in der zu jener Zeit meine Tante arbeitete, und war sofort begeistert von diesem kraft- und dabei doch so gefühlvollen Lied. Natürlich habe ich nur die Hälfte verstanden (zur damaligen Zeit war Englischunterricht in der 3. Klasse noch nicht angekommen), aber ich verstand, dass er darüber sang, was er alles für die Liebe tun würde. Einen Mann so emotional und gleichzeitig so rockig über ein derartiges Thema singen zu hören, war ein absoluter Wow-Moment für mich. Ich kannte Männer ganz anders, kühl, unwillig, Gefühle zuzugeben oder sich gar damit auseinanderzusetzen. Und dann kam da dieser Typ, und ich dachte mir nichts anders als: Krass!

Für Meat Loaf markierte der Song ein grandioses Comeback. Das Lied bekam einen Grammy, das Album „Bat out of Hell II“ verkaufte sich weltweit mehr als neun Millionen Mal. Mit dem Vorgänger „Bat out of Hell I“ hatte der Sänger 1977 seine Karriere ebenso großartig gestartet, es kam auf Platz 6 der weltweit meistverkauften Rockalben. Doch der Absturz ließ nicht lange auf sich warten: Nach einer anstrengenden Welttournee kam 1980 erst eine schwere Stimmerkrankung, dann der Bruch mit dem Komponisten Jim Steinman, erfolglose Alben, die Trennung von Plattenfirma und Management, ein Nervenzusammenbruch und schließlich der Alkoholismus. Doch Meat Loaf gab nicht auf, machte ein Entziehungskur und war 1993 wieder voll da.

An schlimmen Ereignissen und Erfahrungen nicht zu zerbrechen, sondern zu wachsen, hat mich an Meat Loaf begeistert, als ich älter wurde. Das für mich prägendste seiner Lieder war „Objects in the rear view mirror may appear closer than they are“. Es brauchte nur wenig Recherche um festzustellen, dass er die Ereignisse, die Jim Steinman in diesem Song skizzierte, mit Leib und Seele nachempfinden konnte. Schließlich hatte sein alkoholkranker Vater ihm regelmäßig Gewalt angetan. Mit einer so schmerzhaften Vergangenheit zu einem derartig großen und beliebten Künstler zu werden, der in seinen Interpretationen zu den prägenden Erfahrungen seines Lebens steht und seine Zuhörer daran teilhaben lässt, nötigte mir unglaublich viel Respekt ab. Mit Sicherheit ist die Verarbeitung auf musikalischer Ebene eine Art Therapie, und eben diese vor der ganzen Welt zu machen, war für mich einfach beeindruckend. Mir ist Meat Loaf ein Vorbild geworden und hat mir Mut gemacht, wenn ich an schwierigen Stationen meines Lebens stand.

Dabei hat der Sänger fast keinen seiner Songs selbst geschrieben. Viele Komponisten haben für ihn gearbeitet, doch seine besten Lieder stammen aus der Feder von John Steinman. Ihn hatte Meat Loaf schon Anfang der Siebzigerjahre bei einem Casting für ein Musical kennengelernt. Meat Loaf mochte den wilden Stilmix, mit dem Steinman den Rock’n’Roll der 50er mit Art Rock verband, dramatische Texte mit klassischen Klavierpassagen und rotzigen E-Gitarren. Rock Opera nannten die Kritiker das bald, oder, wegen Steinmans Vorliebe für Wagner, Wagnerian Rock.

 

Meat Loafs kraftvolle Stimme, die zu seinen Hochzeiten mehrere Oktaven umfasste, passte dazu wie die Faust aufs Auge. Wie ein Operntenor oder Schauspieler fand er sich ganz in Steinmans Stücke ein. „Ich muss einen Augenblick erschaffen, eine Seele, ein Universum für dieses Lied“, hat er einmal gesagt.

Sein Auftritt als Eddie im Film „Rocky Horror Picture Show“ wird für mich unvergesslich bleiben. In diesem für seine Zeit skandalträchtigen Film versprüht er eine Lebensfreude und Kraft, die ihresgleichen sucht. Außerdem war er, ein ziemlich stämmiger und in meiner Wahrnehmung nicht sonderlich attraktiver Mann, mit Columbia, meiner Heldin des Films zusammen, ihrerseits klein und zierlich. Das solche Unterschiede gar nicht relevant sein müssen, kam für mich mit meinen zwölf Jahren einer Offenbarung gleich. Die explizite und wenig schambehaftete Auseinandersetzung mit dem Thema Sex in dem Film hat mich gleichermaßen fasziniert wie erschreckt, angezogen und abgestoßen, erregt und irritiert. Durfte man denn sowas?

Meat Loaf spielte in zahlreichen weiteren Filmen mit, von „Fight Club“ über „Wayne’s World“ bis zu „Tenacious D“. Zu Beginn seiner Karriere war er im Musical „Hair“ am Broadway aufgetreten. „Ich bin nicht Sänger – ich bin Schauspieler“, sagte er – und das setzte er auch in der theatralischen Interpretation seiner Songs um. „Wenn ich auf der Leinwand in einer Rolle zu sehen bin, möchte ich, dass man sich selbst darin erkennt. Und genauso sollte man sich in ein Lied hineinfühlen können.“

Meat Loaf starb am 20. Januar 2022 im Alter von 74 Jahren im Kreise seiner Lieben. Sein Mut, sein Stolz, seine Ehrlichkeit und sein Willen nicht aufzugeben werden mir immer im Gedächtnis bleiben.

 

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