KIELECTRIC 2025 – der Nordstern der Festivals

Warum besuche ich Jahr für Jahr die gleichen Festivals? Line-up? Erreichbarkeit? Preis? Das alles sind sicherlich Faktoren. Aber der wahre Grund ist: Gefühl! Ich habe für jedes meiner Festivals ein bestimmtes Gefühls-Muster abgespeichert. Wacken fühlt sich anders an als M’era Luna, Amphi anders als das WGT. Ich habe an all diesen Orten Elemente, die ich jedes Jahr wieder entdecken möchte. Ein Gefühl von “das ist meins, das gehört zu mir und ich gehöre dort hin”! Und da können die andern sich gern über das Line-up beklagen oder “Kommerz” brüllen, wenn die Ticketpreise mal wieder gestiegen sind. Solange ich mein Festival-Gefühl dort finden kann, werde ich zuverlässig jedes Jahr dort sein!

Kleine, neue Festivals haben es naturgemäß schwer. Die Kalender sind voll und man wird zum Gewohnheitstier. Die Szene überaltert, alles bewegt sich mehr und mehr in festgefahrenen Gleisen. Brauche ich noch ein Festival mehr in meiner Gefühls-Kartei? Das Kielectric hat gezeigt: JA! Ostern hin oder her, Dark Malta-Anreise kollidiert? Egal! Bei Sharpshooter gab es keine Diskussion. Patrick und ich waren letztes Jahr dabei und wenn nicht die Götter selbst gegen uns ins Feld ziehen würden, wären wir auch diesmal wieder in Kiel am Start, soviel stand fest! Das Kielectric ist klein, enstanden aus Robert Korittkes Geburtstagsparty heraus. Im Grunde also eine jener fixen Ideen, die man sowieso nie realisiert. Dieses Mal wurde es aber wirklich wahr! Und aus dieser sehr persönlichen Entstehungs-Geschichte heraus folgt auch das Gefühl, das ich mit diesem Festival verbinde. Es ist ein warmes Gefühl. Nicht norddeutsch unterkühlt, sondern ehrlich, handgemacht, von der Szene für die Szene! Die Pumpe in Kiel ist eine gemütliche Location mit einem großzügig gestalteten Vorraum mit Bar, wo man sitzen kann. Die Bühne im anderen Raum ist genau richtig, nicht zu klein, nicht zu groß. Gemütlich eben. Im Backstage sah man viele Gesichter aus den Vorjahren wieder und auch das macht das Gefühl aus. Man kennt sich, man schätzt sich, man feiert zusammen.

Das Festival eröffnen durfte diese Mal die noch junge Formation FRACTILES. Jung natürlich nur laut Gründungsdatum, dahinter stecken die Veteranen Christoph Schauer und Vasi Vallis, die sich hier zu einem härter klingenden Projekt zusammengetan haben und nach der Premiere in Hannover in Kiel erst ihr zweites Live-Konzert zum Besten gaben. Harte Beats, gut tanzbar. Christophs raue, verzerrte Stimme schwebte über dem dichten Klangteppich, der sehr kompakt gewebt die Anwesenden einhüllte. Der Fronter nutzte sogar zwei Mikrophone, um verschiedene Klangebenen zu verschmelzen. Der technoide Effekt kam sehr gut beim tanzwütigen Publikum an. FRACTILES is made for the dancefloor! Wir bekamen eine vortreffliche Werkschau, bestehend aus Songs wie “No Death Place”, “Control” und natürlich der neuen Single “Crash”. Aber auch neue, unveröffentlichte Songs bekamen wir zu hören, darunter “Wake Between The Lines” und “Knife”. Für solche Schmankerl muss man eben an besondere Orte wie Kiel reisen!

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Fotos: Patrick Burkhardt

MASSIV IN MENSCH übernahmen nach kurzer Umbaupause das Zepter. Wie die Moderatoren Robert und André direkt scherzten, ist der Name schon sehr speziell. Robert erzählte, dass er die sympathische Truppe während Corona im Livestream von ACCESSORY kennengelernt hatte. André hatte offenbar sogar schon das Vergnügen gehabt, mit ihnen die Bühne zu teilen und sagte in Bezug auf den Namen “Ich dachte: Wie grufti kann diese Band sein?” Aber die Gruppe, die nächstes Jahr schon das 30-jährige Bandjubiläum begehen wird, präsentierte sich manierlich in Anzügen und brachte somit Glanz und Gloria in die eher rustikale Pumpe. Aus gesundheitlichen Gründen waren die mittlerweile etablierten Vokalisten Rana und Thomas in Kiel nicht dabei, weshalb nur Thomas Logemann und Dirk Brunken zur Verfügung standen. Das tat dem energetischen Set aber keinen Abbruch. Zudem die beiden im Laufe des Sets nicht allein blieben: Rouven Walterowicz (ENDANGER) kam als Gast auf die Bühne, um u.a. den ENDANGER-Track “Try Again” mit der Band zu performen, den MASSIV IN MENSCH seinerzeit mal ge-remixt hatten. Und auch Timo von ALIENARE erschien am Ende des Sets für eine erbauliche Tanzeinlage. Ich finde es bemerkenswert, wie hier altgediente und neuere Bands kollegial verschmelzen und den Zusammenhalt in der Szene demonstrieren. Das macht Hoffnung! Der ganze Auftritt von MASSIV IN MENSCH war von einem heimeligen Gefühl begleitet. Man merkte deutlich, wie wohl sich die Akteure auf der Bühne fühlten und wie sie mit dem Publikum interagierten. Das Set endete mit einem Leckerbissen für alle Nerds: dem Soundtrack zum Videospiel-Klassiker “Monkey Island”.

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Fotos: Patrick Burkhardt

Nun wurde es etwas ruhiger. BEYOND OBSESSION sind für ihren hochqualitativen Synthie-Pop bekannt. Da kurz vorher das Ex-Mitglied der Band, André Wylar verstorben war, wurde hier natürlich kurz innegehalten. Das Moderations-Duo teilte einige Erinnerungen an den Verstorbenen und forderte alle Anwesenden auf, das Leben zu feiern und die guten Momente wertzuschätzen. Es liegt in unserer Natur, unsere Sterblichkeit regelmäßig zu vergessen bzw. zu verdrängen. Der Alltag mit seinen scheinbar wichtigen Herausforderungen, unsere Pläne für morgen, nächste Woche, nächstes Jahr… all das führt manchmal dazu, dass wir zu schnell durch dieses Leben eilen. Hin und wieder werden wir bei dieser Geschwindigkeitsüberschreitung dann “geblitzt”, wenn wieder ein geschätzter Mitmensch endgültig die Ausfahrt nimmt. BEYOND OBSESSION schafften es ganz vorzüglich, mit Songs wie “I Can’t Tell” und “Black White Hearts” den Wunsch der Moderation umzusetzen, das Leben zu feiern. Nils und Marco haben die perfekte, angemessenen Balance aus Trauer und Freude gefunden, indem sie ihr gefühlvolles, tanzbares Set durchzogen, aber auch einige persönliche Worte für André Wylar fanden und ihm sogar den “Song For The Dead” widmeten. Anders als von Nils befürchtet, überzog die Band ihren Slot nicht. Für den Schluss hatte man mit dem DEPECHE MODE-Cover “Just Can`t Get Enough” noch einmal einen richtigen Kracher im Repertoire, der die Stimmung auf einem absoluten Höhepunkt kumulieren ließ.

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Fotos: Patrick Burkhardt

Beste Voraussetzungen für den Nachfolge-Act [:SITD:]! “Viele kennen sie durch “Lord of the Weed”, sorgte Robert für Lacher. “Lasst uns sie willkommen heißen!”. Das tat die “Pumpe” natürlich mit tosendem Applaus. Ich würde fast sagen: Keine Party ohne diese vortreffliche Band. Francesco und Casi eroberten die Bühne im Sturm und der Fronter war wie immer ganz nah an den Fans, als er Songs wie “Dunkelziffer” und “Brieselang” intonierte. “Vielen Dank, das ist der Hammer hier!”, bedankte er sich zwischendurch für den Support. “Das nächste Stück ist leider eins, das an Aktualität gewonnen hat. Stoppt den verdammten Krieg!”, leitete er zu “Mundlos”, gefolgt vom Klassiker “Rot” über. Die stampfenden Rhythmen von [:SITD:] funktionierten gut im Kieler Resonanzraum. Das Publikum war zu dem Zeitpunkt warm genug und tanzte in fließenden Bewegungen. Die Ruhrpott-Band hat längst Headliner-Qualität bewiesen, auch wenn an dem Abend noch eine andere Gruppe im Line-up stand. Die Energieübertragung mit den Fans klappte jedenfalls wunderbar, das spürte man auch auf der Bühne. Vor dem Final-Kracher “Snuff Machinery” bedankte sich Casi noch einmal überschwänglich und brachte den Wunsch zum Ausdruck, das Kielectric nicht zum letzten Mal gesehen zu haben. Man hat beim Kielectric immer wieder die Möglichkeit, große, etablierte Acts der Szene ungewöhnlich nah und unmittelbar zu erleben. Und das führt dazu, dass jemand wie ich, der mittlerweile wahrlich viele Shows von [:SITD:] oder auch FROZEN PLASMA gesehen hat, trotzdem noch einmal auf neue Art mitgerissen wird. Die altbekannten Songs kicken einfach anders in Kiel! Bei “Richtfest” fiel mir das besonders auf. Das ist schwer zu beschreiben. Kommt und erlebt es selbst!

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Fotos: Patrick Burkhardt

Der Mond war aufgegangen über der Förde, als die Temperatur abfiel. So ziemlich jeder kann zu FROZEN PLASMA irgendeine Geschichte erzählen. Das dynamische Duo aus Vasi Vallis (ja, der schon wieder! Er ist überall und wo er ist, ist die Party!) und Felix Marc hat viele Menschen und andere Künstler geprägt und da war es natürlich kein Wunder, dass die Bühne als letztes in die eiskalten Hände der beiden Tausendsass… äh -as, -inen, -ae, -oren überging. Die Band ist gerade auf ihrer 20-Jahre-Jubiläumstour und hatte eine Woche vorher in Oberhausen ihre umjubelte Doppel-Show gespielt. Robert Korittke hat dankenswerterweise dafür gesorgt, dass auch die Nordlichter in den Genuss kamen. Die beiden Moderatoren bedankten sich noch einmal bei den Fans und baten um einen angemessenen Empfang für das Show-Highlight des Abends. Mit “Age After Age” begann die Reise durch zwei Dekadenz-Dekaden. Felix zeigte mal wieder, wieso er an der Fronter-Akademie direkt einen Lehrstuhl bekommen hätte. Er wirbelte gut gelaunt und mit voller Vocal-Power über die Bühne und entflammte die Anwesenden kompromisslos. Wer Ermüdung vortäuschte oder das ein oder ander Zipperlein vorschob, wurde trotzdem gnadenlos durch Hits wie die stampfende “Gefühlsmaschine” mitgerissen. “Alle bereit? Schießen wir uns ins All!”, kündigte Felix den Klassiker “Irony” an. Natürlich durften auch Midtempo-Nummern nicht fehlen. “Wir dachten, wenn wir schonmal an der Ostsee sind, müssen wir auch diesen “Sailor”-Song spielen”, unkte der Sänger. Auch wenn die Kieler Woche noch einige Monate entfernt war, kam der Song selbstredend gut an. Kann ich an der Stelle mal eine Lanze für das “Gezeiten”-Album brechen? Für Perlentaucher gibt es dort viel zu entdecken! Natürlich bot es sich in der Konstellation mit [:SITD:] im Line-up auch an, an den großen Erfolg der Live-Premiere von “Amnesia” in Oberhausen anzuknüpfen. Als ein zweites Mikrofon auf die Bühne gebracht wurde war es endlich soweit. Die fantastische Kooperation lebt auch von dem Gegensatz zwischen Felix’ klarer und Casis rauher Stimme. Auch in Kiel konnte der hypnotische Track voll überzeugen. Komponist Vasi hat die bestmögliche Synergie beider Bands in einem Meisterwerk vereint und mit “Amnesia” hat FROZEN PLASMA gezeigt, dass die Band in 20 Jahren nichts an Relevanz verloren hat. Natürlich konnte auch ein Headliner-Set nicht ewig währen. Aber die Tanzgranaten “Warmongers”, “Tanz die Revolution” und Murderous Trap”, also gewissermaßen die DNA von FROZEN PLASMA, durfte natürlich nicht fehlen. Felix’ Schuhe leuchteten mit den strahlenden Gesichtern der Menge um die Wette und für den finalen Track kamen noch einmal alle Akteure des Abends auf die Bühne, um die Party mit einem wilden Crescendo zu beenden.

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Fotos: Patrick Burkhardt

Natürlich war das aber nur das Ende des Bühnenprogramms, denn das DJ-Team aus Fischi und Veit leitete direkt zur Aftershowparty über. Das also war Kielectric 2025! Ich habe mein heimeliges Gefühl jedenfalls direkt wiedergefunden und das heißt, dass ich nächstes Jahr natürlich wieder am Start bin! Und viele, mit denen ich gesprochen habe, sehen das ganz genauso. Der Wagemut von Robert und das Herzblut aller Beteiligten trägt diese Veranstaltung und färbt diesen bisher fast weißen Fleck auf der Event-Landkarte rot und stahlblau ein! Kommt vorbei, kauft die günstigen Surprise-Tickets im Vorverkauf und erlebt die Gastfreundschaft in der Pumpe zu Kiel! The North remembers! Moin und bis bald beim Kielectric 2026!

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