Wacken 2023 – Metal siegt über den Schlamm – Teil 2

(Hinweis: Aufgrund der extremen Wetterbedingungen bei der Anreise hat unsere eigene Fotografin ihre Anreise zum diesjährigen WOA verständlicherweise abgebrochen, sie war mit dem Auto unterwegs. Daher beschränken sich unsere eigenen Fotos/Videos auf Impressionen. Wir bedanken uns sehr für die Fotospenden von Sven Bähr von dark-festivals.de.

Bezugnehmend auf den Titel meines Artikels könnte man sich fragen, ob es letztendlich wirklich ein Sieg war. Militärexperten würden sagen, dass jeder Sieg Opfer erfordert. Die Veranstaltung wurde nicht abgebrochen, sie wurde durchgeführt, Bands haben gespielt und für diejenigen, die es geschafft hatten, war es erneut eine wunderbare Erfahrung. Wir haben diese Schlacht gewonnen! Doch es gibt auch einen Begriff für Siege, die ZU teuer erkauft wurden: Pyrrhussieg. Pyrrhos I. von Epirus siegte einst über die Römer und verlor dabei so viele Männer, dass er auf Jahre geschwächt blieb. Wir haben die Schlacht in Wacken gewonnen – auf Kosten von 25.000 Brüdern und Schwestern. Der Gedanke schwang immer irgendwie mit. Zumindest das Wetter wurde besser in diesen beiden letzten Tagen, vormittags am Freitag musste man gar über Sonnenschutz nachdenken.

Der Presse- und VIP-Bereich war dieses Jahr zur “Wacken United Area” umgestaltet worden. Der Gedanke laut Veranstaltern war, dass man dort zusammenkommen sollte, als Fan, als Pressevertreter, als Artist, um sich zu connecten und miteinander Gedanken auszutauschen. Der Bereich, der in den Vorjahren VIPs und Pressevertretern vorbehalten war, wurde für bis zu 800 Wacken-Besucher geöffnet, die dafür hohe Preise zu entrichten hatten: pro Tag waren knapp 100 Euro zu zahlen, oder knapp 300 Euro für das ganze Festival. Zugang zum VIP-Zelt mit Catering kostete noch einmal 400 Euro extra. Diese Maßnahme verursachte im Vorfeld harsche Kritik. Die Preise wurden als überzogen wahrgenommen. Ich bin als Pressevertreter (diese hatten ohnehin Zugang, außer zum VIP-Catering) nicht ganz objektiv in dieser Frage. Ich habe die Wacken United Area als großen Mehrwert wahrgenommen, da man dort immer mal wieder zwischendurch ausruhen und sich mit seinen Kollegen treffen konnte. Arbeiten war auch wieder in einem abgetrennten Raum möglich – wie in den Vorjahren. Der schnelle Zugang zum Infield war ebenfalls ein großes Plus (ein Hoch auf die wunderbare Eventbridge). Zudem gab es einige interessante Pressekonferenzen vor Ort, dazu später im Artikel noch mehr.
Ich muss allerdings sagen, dass der Name und das veröffentliche Konzept meiner Meinung nach nicht gut gewählt war. Zurecht wurde von vielen Fans angemerkt, dass die Area kein wirklich verbindendendes Element für die verschiedenen Wacken-BesucherInnen darstellen kann, wenn der Zugang nur gut Betuchten ermöglicht wird.

Dass ich vormittags noch im Pressebereich ruhen und etwas arbeiten konnte, verdankte ich der Tatsache, dass mein erster Programmpunkt am Freitag erst um 14 Uhr stattfinden sollte. Trotzdem wäre es ratsam gewesen, sich etwas früher Richtung Faster Stage aufzumachen, denn es war rappelvoll bei AMARANTHE. Dreimal haben die Schweden bislang auf dem WOA gespielt und ich war jedes Mal dabei. 2012 spielten sie noch auf der Headbanger Stage, 2018 durften sie die Louder Stage um 11 Uhr mittags eröffnen und dieses Jahr haben sie es endlich auf die Hauptbühne geschafft. Verdient! Elize Ryd und ihre Jungs zählen wohl zu den energetischsten Metal-Acts überhaupt. Die Verbindung von Power Metal mit Growling und Synthie-Elementen erschafft eine Melange, die besser mundet als die Wiener Spezialität.
“Rain, mud… the gods were not in our favour”, begann Elize ihre Ansprache, machte aber auch direkt wieder Mut: “Look at you! 50.000 Metalheads here. We want you to scream as loud as you can!”. Dann erklärte, sie, dass das neue Album “The Catalyst” im Februar 2024 erscheinen würde. Die erste Singleauskopplung namens “Damnation Flame” wurde auch direkt gespielt. Der Rest war ein Feuerwerk aus den Greatest Hits, angefangen bei “Viral” und “Digital World” über “Archangel”, “The Nexus” und nicht zuletzt die Ballade “Amaranthine”, die auch vor diesem riesigen Wacken-Publikum ihre Wirkung nicht verfehlte. Mehrmals sagte die sympathische Sängerin auf Deutsch: “Ich liebe dich” in Richtung der Menge und diese Liebe wurde tausendfach erwidert. “It’s really touching to be here with you. We brought our rubber boots. There is no crowd as resilient as a metal crowd in germany or europe in general”, zollte die Band noch den Entbehrungen der Anwesenden Tribut. Ein guter Einstieg in den Freitag!
Apropos Louder Stage eröffnen. Diese Aufgabe fiel diesmal der pinken Invasion J.B.O. zu. Nach Eröffnung sah es vor der Bühne aber keineswegs aus. Meine Güte, wenn so viele Metaler früh aufstehen, muss das echt was heißen. Die “Verteidiger des Blödsinns” drückten das Gaspedal durch und feierten eine riesige pinke Party mit ihren Anhängern. Natürlich war das PRINZEN-Cover “Alles nur geklaut” genauso dabei wie “Wacken ist nur einmal im Jahr”.
Danach verlangte die Wackinger Stage wieder nach meiner Aufmerksamkeit, denn TWILIGHT FORCE hatte sich angekündigt. Der parodistische Power Metal der Formation macht immer wieder Spaß. Hier machte mir aber die Technik einen Strich durch die Rechnung: Das Mikrofon von Sänger Allyon war deutlich zu leise eingestellt und wir meldeten das auch mehrmals in Richtung Bühne und Tontechnik. Der Gesang ist nunmal ein sehr wichtiges Element, gerade im Power Metal. Als sich nach “Dawn Of The Dragonstar”, “Twilight Force” und “Dragonborn” noch nichts an der Situation geändert hatte, brach ich das Konzert enttäuscht ab und schritt von dannen. Ich verstehe wirklich nichts von Tontechnik, aber ist es tatsächlich so schwer, nach mehreren Meldungen das Mikrofon zu verstärken?
Die freie Zeit kann man dann aber auch gut nutzen, um einmal über’s Gelände zu schlendern und zu testen, was das “Food Line-up” so hergibt. Meine Kritik an den Frühstückszelten habe ich platziert, muss aber sagen, dass das restliche Angebot für Veganer in 2023 so gut war wie noch nie. Nicht nur der Burger King Food Truck mit komplett veganem Angebot war eine tolle Überraschung. Auch die Green Mountain Burger für nur 4,00 Euro waren nicht nur günstig, sondern auch sehr lecker. Und das Sahnehäubchen im wahrsten Sinne war der Oatly-Stand mit dem riesigen Plastik-Softeis (übrigens ein guter Treffpunkt), wo es für 2,00 Euro veganes Softeis und Kaffeespezialitäten mit Hafermilch gab. In der Wacken United Area gab es am ersten Tag noch keine Hafermilch für den Kaffee außerhalb des kostenpflichtigen Caterings, aber ab dem zweiten Tag- Daumen hoch dafür, ich habe mich sehr wohlgefühlt!
Ein ungewöhnliches Intermezzo gab es dann noch auf der “Welcome to the jungle”-Stage in Form des Comedians Torsten Sträter. Natürlich hat Wacken immer Spoken Word-Beiträge gehabt, man erinnere sich an Bülent Ceylan und Bembers, aber es war trotzdem etwas besonderes, einen der erfolgreichsten Comedians/Kabarettisten in diesem Ambiente zu sehen. Sträter merkte allerdings schnell, dass er hier sein übliches Konzept, Geschichten vorzulesen, nicht zur Anwendung bringen konnte. Dafür war es einfach zu unruhig und unstrukturiert. Anfangs wirkte er etwas überfordert, aber improvisierte dann bemerkenswert gut, indem er Fragen aus dem Publikum ironisch beantwortete. In SABATON-Manier wurde er mehrfach aufgefordert “noch ein Bier” zu exen, tat es allerdings nur einmal. Danach schmetterte er solche Anfragen souverän ab und plauderte über alles, was ihm durch den Kopf schoss. Großartige, improvisierte Unterhaltung. Ich wüsste gern, wie er selbst das Ganze empfunden hat. Von außen war es ein großer Spaß!

Als es Abend wurde, legte sich eine gewisse Spannung über den Holy Ground. Es wurde Zeit für die Headliner und alles strömte zum Infield. MEGADETH machte den Anfang auf der Faster Stage und lockte besonders die Thrash Metal-Fans. Das Mitglied der “Big Four of Thrash” sorgte für ordentlich Headbanging und bereitete aufs Vortrefflichste den Weg für: IRON MAIDEN – vier Silben voller Verheißung. Die Veteranen des Heavy Metals waren wohl der Act am Freitag, auf den die meisten Anwesenden hinfieberten. “Hey Wacken, you made it!”, begrüßte Bruce Dickinson die Menge. “What a place! What an event to end our tour. You are the people who never surrender!”. Das Set begann mit dem 1986er-Doppelpack aus “Caught Somewhere In Time” und “Stranger In A Strange Land”, was natürlich direkt die richtigen Nostalgie-Vibes bei den älteren Fans auslöste. Aber auch das aktuelle Album “Senjutsu” hatte beträchtlichen Anteil an der Setlist, z.B. mit “Days Of Future Past” und “The Writing On The Wall”. IRON MAIDEN – das ist Musik direkt aus der Zeitmaschine und doch funktioniert sie immer noch! Egal ob man wie ich Symphonic Metal hört, ob man dem Power Metal zugeschworen ist oder dem Black Metal – MAIDENs Hits kann jeder mitsingen und tut es dann auch. Instinktiv weiß man, dass hier der Ursprung der ganzen Geschichte liegt und dass man ohne Bands wie IRON MAIDEN heute nicht hier wäre. Dickinson zählte dann einige aktuelle Entwicklungen, besonders in Bezug auf den Ukraine-Konflikt auf und fragte: “You think we invented that shit? There have been assholes thousands of years ago! But you can’t kill songs, music, art and family. We have a song about that. Are irish people here tonight?”. Die Band spielte dann “Death Of The Celts”. Schließlich ertönte das Intro des Songs, der schon den ganzen Tag aus vielen Boxen über das Gelände gewabert war. Im Biergarten erhoben sich die Leute von den Bänken, um wie ein Mann oder eine Frau im Stehen feierlich “Fear Of The Dark” mitzusingen. Ein Gänsehautmoment erster Güte. “We will see you again”, versprach Dickinson. “That’s a promise! And we wish you the ability to go home!, spielte er noch auf die Zustände der Campingplätze an. Wie üblich ertönte als Outro noch der Monty Python-Song “Always Look On The Bright Side Of Life”, während viele die Bühne wechselten, um als nächstes WARDRUNA zu sehen.

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Fotos: Marvin Römisch

Die NorwegerInnen sind eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Metal-Szene. Lindy Fay Hella, Einar Selvik und Hallvard Kleiveland haben sich sehr alter, traditioneller Musik der nordischen Länder verschrieben. Die Klänge der Formation basieren überwiegend auf dem sogenannten älteren Futhark, einer germanischen Runenüberlieferung. Diese Runenreihe besteht aus 24 Zeichen, die jeweils einem Laut der germanischen Sprache entsprachen und war bis ca. 750 nach Christus bei den Germanen in Verwendung. WARDRUNA greifen nun diese Überlieferung auf und untermalen die Musik mit altertümlichen Instrumenten wie der Hardangerfiedel und diversen Flöten und Trombonen. So entsteht ein feierlicher, meditativer Klang, schamanisch anmutend, der einem durch Mark und Bein geht. Während des dritten Songs “Solringen” gab es einen kurzen Tonausfall, der aber zum Glück schnell behoben werden konnte. Was besonders auffiel: Obwohl mehrere zehntausend Leute vor der Bühne versammelt waren und natürlich zu so später Stunde schon reichlich Alkohol konsumiert worden war, wirkte die Musik von WARDRUNA dermaßen stark, dass es erstaunlich still zwischen den Songs war. Alle erlagen dem Zauber der NorwegerInnen. Von der Bühne kamen derweil kaum Ansagen, es hätte wahrscheinlich auch die Trance der Zuhörenden beeinträchtigt.
Aber Einar Selvik hatte dann doch gegen Ende des Sets noch etwas Wichtiges zu sagen: “Thank you so much. It feels fantastic to be on the holy ground for the first time. We’ll play one last song for you. We are not romanticising and there is no escapism. Our music is born from the ground. It still resonates. You know , all that ‘my culture is better than your culture’-thing… That is bullshit! Many things from the past belong to the past. But singing is medicine, singing brings people together. And when someone died…. We need to sing about that. We need to sing more about death. This is a song about dying. About crossing over and letting go… “. Es erklang das Totenlied “Helvegen” und einigen Zuhörenden liefen die Tränen übers Gesicht, als sie an Angehörige dachten, die diesen Weg ins Jenseits bereits beschritten hatten. Das war eine absolut ergreifende Erfahrung.

Dass nach diesen emotionalen Momenten nicht alle Zuhörenden ihre Zelte aufsuchten, sondern die letzten Kraftreserven mobilisierten, lag an LORD OF THE LOST! Die Rockband aus Hamburg hatte Deutschland in diesem Jahr beim Eurovision Song Contest vertreten. Das schlechte Abschneiden auf dem letzten Platz hat in der Schwarzen Szene allerdings niemanden gestört, denn dort ist man es gewohnt, vom Mainstream verachtet zu werden. Ich für meinen Teil fand den lockeren Umgang der Band mit dem Ergebnis bemerkenswert. Man betonte danach, was für eine außergewöhnliche Erfahrung es gewesen sei, am Wettbewerb teilzunehmen, dass man viel gelernt und viele neue Leute kennengelernt habe und dass man sich jederzeit wieder für eine Teilnahme entscheiden würde. LORD OF THE LOST spielen in der Gothic-Szene schon lange oben mit, dem Metalpublikum wurden sie nicht zuletzt durch die bereits zweite Tour als Vorband von IRON MAIDEN bekannt. Chris Harms und Co. dachten gar nicht daran, Zugeständnisse an die fortgeschrittene Uhrzeit zu machen, sondern holten alles raus, was im Wacken-Pulikum noch drin war. “Dry The Rain” war dabei geradezu prophetisch, der ESC-Song “Blood & Glitter” wurde begeistert mitgesungen und mit “Full Metal Whore” war man natürlich genau am richtigen Platz. Dass sich LORD OF THE LOST herzlich wenig um Konventionen scheuen, wurde deutlich, als eine besondere Gastsängerin die Bühne betrat. Jasmin Wagner, besser bekannt als BLÜMCHEN, sang mit LOTL zusammen ihren Hit aus den 90ern “Herz an Herz” sowie das ROXETTE-Cover “The Look”. Nun ja, nach Auftritten von ROBERTO BLANCO, HEINO und DE HÖHNER war auch diese Kooperation nicht weiter verwunderlich. Kurz vor 3 Uhr nachts war bei den meisten BesucherInnen die Luft sichtlich raus, aber LORD OF THE LOST ließen keine Ausreden gelten und schlossen mit den Krachern “Drag Me To Hell” und “La Bomba” ihr Late-Night-Set ab. Danach war aber nun wirklich Zeit für’s Bett!

Samstag

Der letzte Wacken-Tag hielt noch einmal ein straffes Programm für mich bereit. Ich machte mich gleich bei Öffnung des Infields auf zur Hauptbühne. Symphonic Metal ist auf Wacken eine Randerscheinung, das Feld gehört den Heavy- , Thrash- und Death Metal-Fans, daher muss man mitnehmen, was möglich ist. DELAIN war für 12:45 Uhr angesetzt, aber da ich früh da war, konnte ich vorher noch die Veteranen von MASTERPLAN sehen, die eine verdammt gute Show mit glasklarem Power-Sound abzogen. Sänger Rick Altzi kam mit einer Taucherbrille auf die Bühne, als ironischer Fingerzeig in Richtung Wetter. Nach “Enlighten Me” und “Crimson Rider” sagte der Sänger: “You must be tired. 4th day in the mudd”, aber die Band spielte natürlich trotzdem gnadenlos ihr rasantes Programm runter. Derlei aufgewämt war die Vorfreude auf die… jetzt hätte ich fast “NiederländerInnen” gechrieben, aber das stimmt nicht mehr so ganz. Die neue Besetzung der Truppe um Martijn Westerholt besteht mittlerweile zur Hälfte aus ItalienerInnen. Vor dem gigantischen Backdrop, das das Albumcover von “Dark Waters” zeigte, startete die Band mit einem der aktuellen Songs von ebendiesem Album namens “The Cold”. Davon war nicht viel zu spüren. Es hatte in der Nacht wieder geregnet, aber der Morgen war warm und sonnig. Für Diana Leah am Mikro war der Auftritt etwas ganz Besonderes: “Thank you Wacken! I’ve been waiting my whole life to get on this stage to ask you: How are you doing?” . But quite unfair to be on this clean stage and you down there in the mess”, zeigte sich die Fronterin empathisch, bevor der Song “The Quest And The Curse” angestimmt wurde. Danach meldete sich Gitarrist Ronald zu Wort: “All this mudd, all this rain… This makes you tough motherfuckers. We salute you! Keep those hands up for the next song, it’s called “Suckerpunch”. Derlei gebauchpinselt kamen wir der Bitte natürlich gern nach. Ein DELAIN-Mitglied kam allerdings erst für das Duett “Your Body Is A Battleground” auf die Bühne. Paolo Ribaldini hatte auch sichtlich Spaß, für das Wacken-Publikum zu singen. Auch für den alten “Signature”-Song “The Gathering” wurde er natürlich gebraucht und hier setzte DELAIN die erst vor kurzem begründete Tradition fort, riesige Ballons mit dem Bandlogo ins Publikum zu werfen. Die roten und weißen Kugeln sprangen über die Köpfe der Menge und wurden immer wieder neu volleyballartig wegkatapultiert. Auch Paolo bekannte, dass es sein erstes Wacken als Künstler auf der Bühne sei und ich denke, die Band kann voll und ganz mit dem Auftritt zufrieden sein. Mit “We Are The Others” endete meine tägliche Symphonic-Dosis auch schon wieder. Die anschließende Autogrammstunde konnte ich leider nicht wahrnehmen, denn in der Wacken United Area war ein ganz besonderes Highlight angekündigt worden. Das Staatsoberhaupt von Island, Präsident Guðni Thorlacius Jóhannesson hatte sein Kommen und eine Konferenz angekündigt. Wow! Das Oberhaupt eines Staates supportet persönlich die Bands seines Landes in Wacken, das ist kaum zu fassen. In der United-Area saß Johanesson zusammen mit dem Betreuer der isländischen Metal Battles Thorsteinn Kolbeinsson, dem Moderator und Wacken-Chef Thomas Jensen auf dem Podest und sprach darüber, wie Metalmusik sein Land Island prägt und umgekehrt , wie sehr Island die heimischen Metalbands beeinflusst. Der Präsident sagte, dass besonders bei Bands wie SKÁLMÖLD oder SÓLSTAFIR die Schönheit der isländischen Landschaft in der Musik spürbar sei. Kolbeinsson gab einen Überblick über die Metalfestivals in seinem Land, die überwiegend wie auch das Wacken Open Air in kleinen Dörfern stattfinden würden. “Reine” Metalfestivals gebe es aber so gut wie keine. Nach dem Panel hatte ich Gelegenheit, noch mit dem Präsidenten zu sprechen und ein Foto mit ihm zu machen. Eine außergewöhnliche Erfahrung, die das Wacken Open Air ermöglicht hat.

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Fotos: Marvin Römisch

Als nächstes wollte ich dem diesjährigen Motto “Wikinger” zumindest ein kleines bisschen Rechnung tragen. Die Finnen von ENSIFERUM sind dafür ein probates Mittel. “Lai la, Lai la, Lai la, Lei…” wird hier nicht mit “schöner, jünger, geiler” ergänzt, sondern selbstverständlich zu dem Ohrwurm “Lei Lei Hei”. Großartige Musik, um einfach zu headbangen, Spaß zu haben und die Gläser bzw. Hörner zu erheben. Das galt natürlich auch für die Klassiker “One More Magic Potion” und “From Afar”.

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Fotos: Sven Bähr

Mein Tages-Highlight wartete aber nirgendwo auf dem Infield, nicht im Wackinger-Bereich, nicht bei den Wasteland Warriors und auch nicht im Bullhead City-Bereich. Nein, die für mich beste Band des Tages erforderte einen Fußmarsch ins Dorf. Die bereits erwähnte neunte Bühne des Festivals findet sich seit kurzem im Landgasthof Wacken (kurz LGH) an der Hauptstraße. Neben einem kleinen Lemmy Kilmister-Museum ist hier tatsächlich auch eine Club-Bühne untergebracht. Der kleine Raum war nicht allzu voll, als ich kurz vor 17 Uhr den Ort des Geschehens betrat, aber es wurde trotzdem ein absoluter Burner. Das liegt maßgeblich an einer Frau: Adrienne Cowan. AVANTASIA-Fans kennen die kleine Texanerin mit den welligen, schwarzen Haaren als eine der drei festen Background-SängerInnen der Band. Mit SEVEN SPIRES hat sie eine eigene Band, in der sie die Lead Vocals übernimmt und das gleiche tut sie auch für SASCHA PAETH’S MASTERS OF CEREMONY. Paeth, bekannt als Gitarrist von AVANTASIA und ehemals bei HEAVEN’S GATE hat Cowan für den Leadgesang angeheuert, was eine hervorragende Entscheidung war. Das Besondere an ihrer Stimme ist, dass sie mühelos von Klargesang zu Growling wechselt. Meiner Meinung nach sind ihre die besten weiblichen Growls überhaupt, auch wenn mich die White-Gluz-Ultras jetzt zerreißen werden. Das Set im Landgasthof begann mit dem locker-leichtfüßigen “Radar” vom aktuellen Album “Signs Of Wings”. Adrienne Cowan gefiel die herausragende Stimmung in dem kleinen Club von Anfang an gut, als sie sagte: “The Vibes? Incredible. The Faces: Beautiful, a bit muddy though. Is everybody okay? This is “My Anarchy”. Nach dem Song stolperte sie sprachlich und lachte: “It’s been such a long time , my last show was in October. I forgot how to introduce songs”. Hier haben wir ein weiteres Merkmal dieser großartigen Sängerin: Sie wirkt sehr locker, ganz natürlich und liebenswert verpeilt. An Adrienne Cowan ist einfach nichts künstlich. Nach dem Kracher “Sick”, wo sie ihre ganze Range ausleben durfte, kam mit “Under Fire” auch ein HEAVEN’S GATE-Song zur Aufführung. Wie Sascha Paeth anmerkte, waren auch ehemalige Mitglieder der Band bei diesem Konzert anwesend. “Tomorrow we’ll go to the studio to record our second album! We play a new one from this album today, it’s called ‘The Veil'”, machte Cowan eine bedeutende Ankündigung. Danach wurde es Zeit für den “schwersten Song”, wie sie sich bei Paeth noch einmal rückversicherte, der daraufhin behauptete, es sei der schwerste Song der Welt. “The Time Has Come” zeichnete sich durch ein enormes Tempo und viele Ryhthmuswechsel aus. Gegen Ende bedankte Adrienne sich noch bei allen, die gekommen waren, obwohl das Billing des Festivals ja reichlich Konkurrenz bot. Ich für meinen Teil bereute keine Sekunde meine kleine Reise in den LGH. SASCHA PAETH’S MASTERS OF CEREMONY ist ein Geheimtipp, bei dem die herausragende kompositorische Fähigkeit des Gründers auf sehr talentierte Musiker und natürlich die “Godess” (Cowan wurde per Zuruf aus dem Publikum so bezeichnet) aus Texas trifft.

Zurück auf dem Holy Ground hörte man schon von weitem die typischen Dudelsackklänge von SALTATIO MORTIS von der Harder Stage herüberwehen. Schlagartig kehrten Erinnerungen an mein erstes Wacken 2011 zurück, als genau diese Band nachts um 2 Uhr im strömenden Regen gespielt hatte und ich mich zum ersten Mal in meinem Leben am Crowdsurfing versucht hatte. Das sind Erinnerungen, die man einfach nie vergisst. Seit diesem Moment vor 12 Jahren hat sich die Band um Alea den Bescheidenen rasant entwickelt. Es gibt nur einen einzigen Song, der sowohl 2011 als auch 2023 in der Setlist war und das war der Abschlusssong “Spielmannsschwur”. Eine kleine Brücke zu meinem damaligen, unbedarften Selbst gab es also doch noch.
Nun suchte ich zum ersten Mal die Bühnen der Bullhead City auf. Früher noch in einem großen Zelt beheimatet, stehen die beiden Bühnen W.E.T. und Headbanger Stage seit der Pandemie frei und unüberdacht im Vorfeld. Auf der Headbanger Stage spielten die Schweden von EVERGREY, die ich einmal als Vorband für mich entdeckt hatte. Tom S. Englund und seine Mitstreiter präsentieren feinsten Progressive Metal auf hohem Niveau, angefangen bei dem Song “Save Us” vom aktuellen Album “A Heartless Portrait (The Orphean Testament)”. Auch wenn das Wetter wieder kippte und immer wieder Regenschauer auf Wacken herniedergingen, ließ ich mich nicht davon abhalten, meinen letzten Abend zu genießen. Auch Englund zollte zunächst einmal der Durchhaltefähigkeit der Metalheads Respekt, forderte aber auch ein, was an Support auf dem gesunkenen Kraftlevel noch möglich war. “How the fuck are you doing, Wacken? I want you to give me the rest of your fucking voices” . Diese wurden für den Song “Midwinter Calls” benötigt. Obwohl EVERGREY ein hervorragendes Set präsentierten, verließ ich den Ort des Geschehens vorzeitig, um diesmal dem Headliner den Vorzug zu geben.

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Fotos: Sven Bähr

HEAVEN SHALL BURN ist nicht wirklich “my cup of tea” um ehrlich zu sein. Die Musik ist mir zu aggressiv. Und trotzdem kann man der Truppe nicht absprechen, eine hervorragende Show zu bieten. Besonders auffällig sind die entspannten Ansagen von Fronter Marcus Bischoff. Nach dem Intro begann unter viel Feuer- und Funkenfontänen das Set mit “Endzeit” und “Bring The War Home” und es war, als hätte man eine Harley kaltgestartet. Praktisch aus dem Nichts bildeten sich riesige Moshpits und Crowdsurfer regneten in beträchtlicher Zahl auf die armen Security-Mitarbeiter herein. Das blieb auch auf der Bühne nicht verborgen, als Bischoff Bilanz zog: “Vielen Dank, Wacken. Ich hab mit viel gerechnet, aber dass noch so viele hier aufem Platz sind… Wahnsinn! 2003 waren wir auf der W.E.T. Stage, dann auf der Party Stage (jetzt Louder Stage, Anm. d. Red.) und unser 20-Jähriges dürfen wir nun hier auf der Main Stage feiern. Manche sagen, wir hätten uns hochgeschlafen. Ein Dankeschön an die Veranstalter, die uns immer herzlich aufnehmen. Aber viel wichtiger: IHR seid der Grund, warum wir hier sind. Das liegt einzig und allein an euch. Ihr seid unser Motor, unsere Energie. Ich als Frontmann lebe von euch. Danke, Metalheads. Ich bin so stolz, ein Teil von euch zu sein! Der nächste Song heißt “Behind A Wall of Silence”. Schließt die Circle Pits zusammen! Aber aufeinander aufpassen, bitte. Aufheben und dann weitermachen. Ihr wollt die Muddfighter sein? Na dann!”. Die Menge folgte dem Vorschlag natürlich und es entwickelte sich so etwas wie eine Strömung von dem einen großen Circle Pit zum anderen. Die Kreise versuchten tatsächlich, sich zu vereinen. “Ich habe lange überlegt, ob ich Englisch sprechen soll, aber mein Dialekt ist eh eine Fremdsprache, ich werde wahrscheinlich im Stream untertitelt!”, scherzte der Thüringer noch vor dem Song “Godiva”. Die Stimmung erreichte jedenfalls bei HEAVEN SHALL BURN auf dem Infield seinen Siedepunkt, soviel ist sicher. Und die sympathische Bodenständigkeit der Jungs tat ihr Übriges, damit sich die Zuhörenden voll und ganz mit ihren Idolen identifizieren konnten. Bischoff versprach sogar noch, im nächsten Jahr als Besucher nach Wacken zu kommen und mit seiner Familie auf dem Zeltplatz zu campen, wenn der ein oder andere Fan ein Bierchen kaltstellen würde. Die Band würde aber erst einmal eine Auszeit nehmen und ins Studio gehen. Das Set endete mit “Tirpitz” und natürlich dem sehr zum Motto des WOA23 passenden “Valhalla” (BLIND GUARDIAN-Cover).

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Fotos: Sven Bähr

Wacken ist immer wieder für eine Überraschung gut. Die Verpflichtung on TWO STEPS FROM HELL gehört sicherlich dazu. Das Projekt von Nick Phoenix und Thomas Bergersen gehört zu den “Bands”, von denen man Songs kennt, ohne zu wissen, dass TWO STEPS FROM HELL dahintersteckt. Das kongeniale Duo entwickelt nämlich Soundtracks für Filme und Videospiele. Auf der Bühne befand sich ein ca. dreißigköpfiges Orchester samt SängerInnen und den beiden Masterminds selbst. Mal mehr, mal weniger instrumentale Stücke kamen zur Aufführung, die mal rasant vorwärtseilten und mal sanft dahinplätscherten. Den ein oder anderen Titel erkannte man vage wieder, aber hier schlug natürlich besonders die Stunde der Gaming-und Film-Nerds, die bereits an den ersten Takten das jeweilige Stück identifizierten und lautstark bejubelten. Den Eröffnungssong “Protectors Of The Earth” kennt man beispielsweise vom Computerspiel “Heroes of Might and Magic IV” und aus Filmtrailern zu “Tintenherz” oder “Gladiator”. “Die Gerüchte sind wahr, dass deutsche Leute die besten Partygänger sind”, lobte Nick Phoenix die Stimmung vor Ort. Auch während dieses Konzertes setzte immer wieder Regen ein, was aber viele Metalheads nicht davon abhielt, bis zuletzt stehenzubleiben, als der bekannteste Song “Heart Of Courage” ertönte, der in unzähligen Produktionen Verwendung gefunden hatte. Ein außergewöhnliches Konzert jenseits ausgetretener Pfade. Viel war nun nicht mehr übrig von diesem Wacken Open Air, die Zeit rann uns allen durch die Finger. Aber SLEEP TOKEN wollte ich mir aufgrund der Empfehlung durch einen Fotografen-Freund noch ansehen. Nebenan auf der Headbanger Stage beendete gerade DER W sein Konzert und empfahl die Briten ebenfalls, da sein Sohn ein großer Fan sei. Die Musik von SLEEP TOKEN ist schwer zu beschreiben. Mal klang es nach TOOL, mal nach MUSE und mal wieder ganz anders. Sicherlich lässt es sich unter dem Oberbegriff Rockmusik zusammenfassen, aber diese Band hat ihre ganz eigene Identität und man sollte sie sich definitiv einmal anhören. Dieses Jahr haben sie das Album “Take Me Back To Eden” veröffentlicht, aus dem sie auch auf Wacken einige Songs wie “Chokehold”, “Granite” oder “Rain” spielten. In ebendiesem Regen ging ich letztendlich zurück zu unserem Zeltplatz, um mit meiner Gruppe noch den Abschluss zu begießen.

Fazit (wie eingangs versprochen)

Es war ein außergewöhnliches Wacken, bei dem viele Fans auf der Strecke geblieben sind und nicht mit uns feiern konnten. Das ist unsagbar schade. Das unvergleichliche Wacken-Feeling hat trotzdem bei uns Glücklichen, die es auf den Platz geschafft hatten, gekickt. Als ich mich zwischendurch so durch den Schlamm kämpfte, dachte ich bei mir, dass ich im Grunde keinem Außenstehenden wie z.B. meiner Mutter verständlich machen könnte, warum ich das hier jedes Jahr mache. Wieso die Strapazen auf sich nehmen? Wieso schlecht und wenig schlafen, warmes Bier trinken, im Schlamm steckenbleiben, sich die Füße wundlaufen, ständig nass und dreckig sein? Es ist einfach nicht logisch erklärbar. Es ist ein Gefühl, das man nur auf Wacken hat. Das Gefühl, nachts auf dem Infield zu stehen, die gewaltige Lichtshow und den bombastischen Sound mit Zehntausenden Gleichgesinnten zu erleben, kleine Bands über die Jahre wachsen zu sehen, Partys auf dem Zeltplatz zu feiern, immer die gleichen Essensstände aufzusuchen… Es ist ein Bestandteil meines Lebens als Metalhead, auf den ich einfach nicht verzichten möchte. Und dafür lohnen sich die Entbehrungen. Neu war dieses Jahr die großartige Drohnenshow. Leuchtende Drohnen formierten sich in der Luft zu den Bandlogos von IRON MAIDEN und HELLOWEEN oder bildeten das Wacken-Logo und gar einen scanbaren QR-Code! Bei der Ankündigungsshow für die Bands 2024 sahen wir sogar einen riesigen Drachen, der scheinbar auf der Main Stage landete. Das Cashless Payment mit den Armbändern hat genauso reibungslos funktioniert wie im Vorjahr. Eine der besten Innovationen auf dem WOA überhaupt, danke dafür. Das Treffen mit dem isländischen Präsidenten war natürlich auch ein schwer zu schlagendes Highlight. Ich freue mich bereits auf das nächste Jahr, dann haben wir hoffentlich alle mehr Glück mit dem Wetter bei der Anreise. See you in Wacken – rain or shine (dann aber wirklich bitte)!

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