DARK INDIE ELECTRO-Festival #1, Remastered Version 2.0

Die Wege, die das Schicksal auf dieser Welt nimmt, sind häufig unergründlich, unerklärlich, verwunderlich. So auch hier. Denn alles begann mit einer Legende. Der Legende der jungen Isabelle, die zu Zeiten des Krieges am Strand auf ihres Liebsten Rückkehr wartet, der ihr schwarze Perlen versprach, doch dann spurlos auf hoher See verschwand. Noch heute soll sie dort einmal im Jahr als geisterhafte Gestalt mit einer Laterne am Strand umherirren, welcher sich in dieser Nacht schwarz färbt…  Von was hier die Rede ist? Von jener Szene-Veranstaltung am Weißenhäuser Strand, zu der auch eine Electro-Combo geladen war, die wie die Schatten in der Dunkelheit mit düsteren Klängen das Publikum in ihren Bann ziehen kann. Erinnern wir uns kurz an jenen Schreckmoment, als der Sänger aus der Dunkelheit in eines der zahlreichen Rampenlichter trat, da passierte das Unheil, das einen verhängnisvollen Schicksalsast auslöste und für das kleine feine Festival in Braunschweig im kurz vor der Pandemie eingeweihten Soziokulturellen Zentrum, welches Kultur für Alle als Slogan propagiert, wenige Tage vor der Durchführung einen Wechsel des Headliners erzwang.
Glücklicherweise reden wir nicht von 2022, sondern dem Vorjahr. Für die damals anwesenden Gäste wird jenes DARK INDIE ELECTRO-FESTIVAL auch deswegen in guter Erinnerung bleiben, weil auch die örtlichen Feuerbekämpfungsbehörden mit einem fulminanten Intro aufwarteten – nicht ganz wie die in Wacken ansässige Blasmusikkapelle – und zu einer für solch eine Musikkombo unerhört hohen Einstiegsgage den Startschuss -äh- das Startsignalhorn für diese Festivalreihe im KuFA-Haus gaben.

Doch zurück zu 2022. Der damalige kurzfristige Wegfall des Headliners veranlasste den Veranstalter Thorsten Meier von Advanced Music aus Braunschweig dazu, einen Volume 2.0 Remaster aufzulegen. Dazu konnte er bis auf den damals aufgerückten Headliner alle Bands wiedergewinnen – eben jener war aufgrund anderer terminlicher Verpflichtungen verhindert – und so dem Publikum mit vier Bands eine tolle Mischung aus Synthpop, Future Pop und Dark Electro bieten.

Den traditionellen Auftakt dieses DARK INDIE ELECTRO #1 Volume 2.0 machten jedoch dieses Mal nicht die in Rot gekleideten und mit blauem Electrostakkatolicht operierenden Feuerbekämpfungsbehörden, sondern ASHES’N’ANDROID – die zugegebenermaßen auch in ihrem Banner rote Schrift mitführten und ja, es gab auch blaues Licht – aber anders. Das in Braunschweig ansässige Duo hatte auf dem Volume 1.0 sein Debüt und wurde an diesem Samstagabend, und seit geraumer Zeit um Micha als Trio erweitert, durch das Publikum bei ihrem dritten Auftritt ordentlich gefeiert. Das durchaus auf die strikte Einhaltung der Frauenquote achtende Ensemble von nunmehr 33% wurde maskulin im Gesang dominiert, aber die femininen Ergänzungen waren sehr gut akzentuiert und Kenner dieser charismatischen Gruppierung konnten die Weiterentwicklung zwischen Volume 1.0 und 2.0 deutlich wahrnehmen und wertschätzen. Das sieben Stücke umfassende Synthpop-Auftaktset leitete den Abend sehr gut ein.

Ashes’N’Android Setlist

  1. Upbeat
  2. Versuchung
  3. Lucid Dreams
  4. Can’t Count On You
  5. Razors Edge
  6. When You Where All Mine
  7. Der Letzte Tanz

Nach kurzer Umbauphase auf der Bühne des ungefähr 350 Personen fassenden Saales des KuFA-Hauses, konnte das gerade erst vom Helsinki Industrial Festival zurückgekehrte Quintett SYSTEM NOIRE um den Hannoveraner Mastermind und Szene-DJ Björn den Ball des jonglierenden Publikums aufnehmen und durch gezieltes verbales Spielen mit dem Publikum die kraftvolle Atmosphäre aufrechterhalten. Der leider aus “der Hood” nach Essen wegziehende Gitarrist Gaia verstand es, unsere Cheffotografin gekonnt mit guten Posen in Freude zu versetzen, gleichzeitig aber auch das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Daniel und Renee an den Synths trugen mit ihren gekonnt gespielten Sequenzen maßgeblich zu der beliebten und gewohnten düsteren Endzeitstimmung des musikalischen Repertoires von SYSTEM NOIRE bei. Dieser düsteren Endzeitstimmung einen Hauch Hoffnung entgegen zu setzen versuchte Schlagzeuger und Multitalent Michael mit seinen neonfarbig leuchtenden Electrodrumsticks. Doch egal wie rhythmisch oder schnell seine punktuell gekonnt platzierten Drumbeats auch waren, das Leuchtfeuer der Hoffnung blieb aus und stattdessen wurde das Grollen der wabernden Publikumsmasse nur durch dessen Jubeln durchbrochen. Getreu diesem Motto endete das viel zu kurze – aber für ein Festival durchaus übliche – Set mit einem Cover einer weiteren Future Pop-Szenegröße und bot somit einen idealen Übergang zum nächsten Akt dieses bisher ohne Feuerwehr-Besuch – zur Enttäuschung einiger Wettender – akkurat ablaufenden Festivals.

System Noire Setlist

  1. Zeitgeist
  2. Katharsis
  3. Voices
  4. Awake
  5. Throw the dice
  6. New Dark Nation
  7. Why
  8. Absolution
  9. Dead Inside
  10. Killing Game
  11. Tarantallegra
  12. Dead Enough For Life (Icon of Coil Cover)

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Fotos: Cynthia Theisinger

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Fotos: Mirco Wenzel

Konzerte und Festivals haben eine grundlegende Eigenschaft, die man überall auf der Welt immer wieder beobachten kann: sie ziehen die lokalen Szenegrößen an. Denn solche Festivals bieten auch immer eine gute Gelegenheit, sich innerhalb der Szene mit weiteren Musikern zu vernetzen. Und so war es wenig verwunderlich – aber durchaus sehr erfreulich – dass BASSCALATE, SYNTHATTACK und TOAL (nur Rob Gee fehlte) vor Ort waren und Freunde und bekannte Szenemusiker unterstützten. Auch war festzustellen, dass die dieses erste DARK INDIE ELECTRO in Volume 2.0 besuchenden Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet angereist kamen! (Vermutung: die ausgeklügelte blaue Lichtshow zu Beginn des Volume 1.0 hatte sich herumgesprochen und für Neugier gesorgt!)
Das KuFA-Haus hat neben dem Konzertsaal einen weiteren, mit einem Bistro, DJ Pult, mehreren Tischen mit Stühlen und einer gemütlichen Couch ausgestatteten Aufenthaltsraum, in dem für das leibliche Wohl der Gäste zu automatisiert ablaufender szenefremder musikalischer Unterhaltung ein kurzes – nicht nur auditives – Verschnaufen möglich war. Zwischen den beiden Räumlichkeiten konnten die Bands sowohl mit ihren Fans in relativer Ruhe Unterhaltungen führen, aber auch ihre mitgebrachten Unterstützungs- und Marketingartikel (im Volksmund auch MÖRTSCH liebevoll gehaucht) an die Frau und den Mann bringen. Zum Leid der treuen Seelen am Merchtisch war es aufgrund der Redaktion unbekannter Gründe leider nicht möglich, die zentrale Eingangstür in das Gebäude zu schließen, sodass die skurrile optische Situation eintrat, in schwarz gekleidete Merchdamen mit rosa Decken auf den Beinen oder den Körper umhüllend sehen zu müssen. Möglicherweise hatte der dafür verantwortliche Sicherheitschef des KuFA-Hauses innerlich noch Spätsommer und die einstelligen Temperaturen gingen spurlos an ihm vorbei.

Nach kurzer Verschnaufpause erklomm der derzeitige Shootingstar der Szene die Bühne. Seit der Live-Premiere im Mai 2019 hat sich das Hildesheim/Salzgitter-Hardreim-FuturePop-Duo gemausert, um Keyboarder Kai aus Bückeburg erweitert und es kann eigentlich immer ein BEYOND BORDER-Song in den deutschen Webcharts (GEWC) oder Alternative Charts gefunden werden. Die Fanbase in den letzten drei Jahren steigernd, die Schnittmenge der anwesenden Gäste mit dieser zumindest der Lautstärke nach zu urteilen nicht gering, stieg das Duo mit einem Klassiker stark ein. Der von weiblichen Fans auch als National Great Performer attribuierte Sänger Iggi konnte – anders als die blaulichtstrotzenden rotgekleideten Brandbekämpfer – wie gewohnt auf dieser Bühne überzeugen und mit dem Publikum spielend interagieren. Gekonnt zusammen mit DJ Deity zwischen den einzelnen Stücken verbal überleitend, ergab sich ein abgerundetes Gesamtpaket aus Synth- und Future Pop mit Ambience-Einflüssen und Iggis unverwechselbarer, ausdrucksstarker Stimme. Kenner können bei den etwas älteren Stücken (sofern von älter überhaupt eine Rede sein kann) eine Weiterentwicklung erkennen, die neuen Stücke können durchweg überzeugen und auch die Coverversionen sind mit Iggis Stimme ein harmonischer Beitrag zu einem absolut gekonnten und exzellenten Festival-Beitrag. Die von Deity liebevoll als BB-Patrolies bezeichneten überzeugten BEYOND BORDER-Fans empfinden sicherlich, dass das Set viel zu schnell vorbei und es somit zu kurz war, allerdings kommt noch mit einem Jahr Verspätung der eigentliche Headliner.

Beyond Border Setlist

  1. Construction
  2. Neurotic
  3. YOU
  4. Aching
  5. Pry Open
  6. The Damned Don’t Cry (Cover)
  7. WMTWGR (What Makes The World Go Round)
  8. Immortal Stars
  9. Life in a Purge
  10. Darkest Night
  11. Stand
  12. Number 23
  13. Cry Little Sister (Cover)

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Fotos: Cynthia Theisinger

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Fotos: Mirco Wenzel

Der musikalische Abschluss des Abends erfolgte statt im Schatten aus der Dunkelheit im heiß erwarteten und strahlenden Bühnen-Rampenlicht mit Szenegröße [:SITD:] (Shadows in the Dark). In Braunschweig mit nur ungefähr einem Jahr Verspätung als Duo auftretend, konnte Sänger Carsten mit Keyboarder Francesco die Festivalbesucher von Beginn an in seinen Bann ziehen. ‘Casis’ entgegen aller Gesetze der Schwerkraft durchgeführte ‘Ich beuge mich mal ins Publikum und singe mit diesem’-Moves motivierte viele Besucher dazu, sowohl rhythmisch hoch zu springen als auch größtenteils textsicher mitzugröhlen. Da anzunehmen ist, dass ähnliche Bewegungen vor einem Jahr erfolgten, hier aber seine Moves perfekt saßen und immer mit beiden Beinen auf dem Boden der Tats…Bühne sicher durchgeführt wurden, musste es an der dortigen Bühne gelegen haben. Der einzige Moment bei diesem Festival, bei dem Casi die Bühne verlies, war mitten in der letzten Zugabe des Festivals – aber auch nur, um diesen Moment im Saal zwischen den Fans und Zuhörern hin- und herwandernd singend zu verbringen. Diese dankten ihm diese Geste durch noch frenetischeres Mitsingen und Applaudieren, als diese Neuauflage des DARK INDIE ELECTRO Festivals leider zu Ende ging.

SITD Setlist

  1. Intro / Brother Death
  2. Code: Red
  3. Mundlos
  4. Laughingstock
  5. Kreuzgang
  6. Lebensborn
  7. Dunkelziffer
  8. Genesis
  9. R.C.S.
  10. Rot
  11. Greater Heights
  12. Richtfest
  13. Snuff Machinery

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Fotos: Mirco Wenzel

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Fotos: Cynthia Theisinger

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Feuerbekämpfungsbehörde – glücklicherweise – unterrepräsentiert, die Wahl des KuFA-Hauses für dieses Festival wohlüberlegt und die Zusammenstellung der Bands gut war. Für den nächsten Aufschlag des DARK INDIE ELECTRO-Festivals im März 2023 stehen die Bands bereits fest, Karten können über die bekannten Vorverkaufsstellen und Eventim erworben werden. Vielleicht lässt sich der Veranstalter auch überreden, dass ein Feuerwehrfahrzeug mit Lichtshow vor der KuFA für Nachwuchskräfte der Feuerwehr wirbt und das Festival #2 mit einer aus Feuerwehrmännern bestehenden Kombo musikalisch eröffnet wird. Wir werden darüber berichten – one way or the other!

 

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