VISIONS OF ATLANTIS & XANDRIA – Symphonic Metal Nights-Tour

Temperaturmäßig scheinen wir nicht gerade einen goldenen Herbst zu bekommen. Dafür sind gerade goldene Zeiten für den Symphonic Metal angebrochen. Gefühlt alle Größen in diesem Bereich sind in den nächsten Monaten auf Tour – so auch die internationalen Shootingstars VISIONS OF ATLANTIS, die ihr neues Album “Pirates” präsentieren. Nach mehreren Line-up-Wechseln in den vergangenen Jahren und der Suche nach einer eigenen, unverwechselbaren Handschrift, scheint die nun international besetzte Truppe endlich am Ziel zu sein. VISIONS OF ATLANTIS sind erfolgreicher als jemals zuvor, “Pirates” erreichte die Top 20 der deutschen Album-Charts. Zudem ist es einfach nur großartig, die Chemie der Bandmitglieder untereinander zu beobachten, wenn sie auf der Bühne stehen. Man hat das Gefühl, dass vor allem Symphonic Metal-Bands anfällig für Korrosion sind, zu fragil scheinen die Bande der einzelnen Mitglieder zu sein. Oft schon mussten die Fans dieses Subgenres den Zerfall legendärer Formationen bezeugen. Aber 2022 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, das mit XANDRIA und DELAIN gleich zwei Wiederaufstiege aus der Asche beinhaltete. Und so ist es auch sehr treffend, dass XANDRIA, die mit “Sacrificium” auch ein Album mit Phönix-Artwork im Programm haben, eine wahre Wiedergeburt erlebten und ihren ersten neuen Song “Reborn” betitelten. Aber was geschieht mit der Fanbase, wenn du einige Jahre von der Bildfläche verschwindest? Halten sie dir die Treue oder bleiben sie fern? Die Antwort sollte sich recht schnell zeigen.

Vor den Locations auf dieser Tour sah man ungewöhnlich viele Piraten in den Warteschlangen, obwohl das Meer zumindest in NRW recht weit entfernt ist. Die Erklärung las man vielfach auf den bewusst zerschlissenen Shirts: YE BANISHED PRIVATEERS. Die Support-Band aus Schweden erfreut sich offenbar einer sehr großen Anhängerschaft, mir persönlich waren sie bis dato unbekannt gewesen. In der Matrix stand glücklicherweise eine ausreichend große Bühne zur Verfügung, im Kölner Helios37 hingegen wurde es schon reichlich eng für die Vagabunden. Zunächst mit sieben Mannen/Frauen, dann sogar durch einen achten an den Percussions ergänzt, tummelte sich die Truppe auf dem Deck, wo schon das Schlagzeug von XANDRIA aufgebaut war und den Platz weiter reduzierte. Aber ein Seemann/eine Seefrau hat einen festen Schritt und stolpert nicht so leicht. Nun könnte man sagen: Das Piratenthema ist relativ “ausgelutscht”, man hat in dem Bereich schon alles gesehen und gehört und das ewige “Joho und ne Buddel voll Rum” verliert irgendwann seinen Reiz. Was aber die Schweden hier boten, war absolut bemerkenswert. Es gelang ihnen, keineswegs wie eine verkleidete Truppe zu wirken, die auf den “Piratenzug” aufspringt, sondern sie schafften es, durchweg Authentizität auszustrahlen! Sie spielten und sangen mit solch einer augenzwinkernden, schlitzohrigen Lebensfreude, dass man ihnen den von Freiheitsstreben und Abenteuerlust geprägten Lebensstil absolut abnahm. Die großartigen piratösen Outfits und das Trinken aus Korbflaschen komplettierten das Bild. Und ihre zahlreich angereisten Fans offenbarten bereits gewisse, eingespielte Rituale. So duckten sie sich zum Beispiel blitzschnell alle synchron bei bestimmten Passagen von “Ship Is Sinking”, sanken so gleichfalls ab und lachten über die Verwunderung der anwesenden Symphoniker über diese Choreographie. Die hervorragende Stimmung ließ aber auch die Headliner-Fans keineswegs kalt, es wurde munter gesprungen, geschunkelt und die Hände erhoben. Die eingängigen, durch viele Wiederholungen geprägten Refrains erleichterten das Mitsingen auch für PRIVATEERS-Ersthörer. An Instrumenten wurde allerhand aus dem Arsenal aufgefahren: Neben Geige und Akkordeon auch allerlei Saiteninstrumente und rudimentäres Schlagzeug und Percussion. Auch der Bass wurde nicht klassisch mit E-Bass, sondern mit einer Art Bass-Banjo-Spieler besetzt. Zu Beginn bestritt Peter Mollwing den Gesang, ein recht wettergegerbter Hotzenplotz, der ein wenig an Keith Richards Darstellung von Captain Teague, dem Vater von Captain Jack Sparrow, erinnerte. Doch schnell stellte man fest, dass bei YE BANISHED PRIVATEERS praktisch jeder mal die Vocals übernehmen durfte. Beim dritten Song übernahm zum Beispiel plötzlich der Akkordeonspieler Björn Malmros das gesangliche Ruder und Mollwing erzeugte mit einer runden Klangbüchse voller Metallperlen ein sehr überzeugendes Wellenrauschen-Geräusch als Intro für die folgende Ballade. Die Damen der Truppe legten übrigens auch bemerkenswerte Stimmkraft an den Tag. Frida Granström und Magda Malvina Märlprim zeigten darüber hinaus auch ihre Fähigkeiten an Geige und Saiteninstrument. Denn neben typischen Songs über’s Trinken und die See haben auch großartige Balladen ihren Platz im Repertoire der NordländerInnenn. Beispielhaft erwähnt seien hier “Drowned Waltz” und “Annabel”. Ich muss an der Stelle gestehen, dass ich als PRIVATEERS-Debütant Schwierigkeiten habe, die vielen MitgliederInnen auseinanderzuhalten und auch die Instrumente korrekt zu benennen, man möge es mir nachsehen. Offenbar war die Truppe nicht einmal vollständig auf der Bühne, angesichts der beengten Verhältnisse in Köln. Humoristisch wurde sogleich der nächste Song angekündigt “After this you will never ever forget our name”. Der nun folgende Song hieß folgerichtig “We Are Ye Banished Privateers”. Die Schweden hatten auch schauspielerisch einiges auf dem Kasten und spielten keineswegs einfach nur ihr Programm runter. Gemäß dem Hergang in den Lyrics war Mollwings Bandkumpan als Charles der II. mit einem entsprechenden Königsmantel verkleidet und lieferte sich mit ihm ein unterhaltsames Battle um das Mikrofon. Die bereits erwähnte Ballade “Annabel” stand ganz im Zeichen von Magdas wunderschön traurigem Gesang über eine Frau, die nach Georgia, Amerika in die Sklaverei verschleppt wurde und dort verstarb. Auch beim nächsten Song wurde wieder reichlich geschauspielert. Ungeachtet der Tatsache oder gerade weil wir uns noch immer in einer Pandemie befinden, stimmten die PRIVATEERS nun den Song “Yellow Jack” an. Dabei handelt es sich um die Quarantäne-Flagge in der entsprechenden Farbe, die also als Warnung auf Schiffen gehisst wurde, wenn an Bord eine Seuche grassierte, auf dass sich niemand dem verhängnisvollen Seelenverkäufer nähere. Während des Songs schwenkten die Bandmitglieder riesige gelbe Fahnen und sanken, offenbar von der besungenen Krankheit geschwächt, einer nach dem anderen zu Boden, was zumindest in Köln bei dem vorhandenen Platz auf der Bühne ein echtes Kunststück darstellte. Doch schnell war man hernach wieder auf den Beinen und spielte munter weiter. Großartige Unterhaltung! Wer nun nicht ganz genau hinhörte, vermeinte zu vernehmen, dass es einen Song namens “Gangbang” zu hören geben würde. Nanu? Interessante Sitten an Bord eines Piratenschiffes, oder? Nein, es handelte sich viel mehr um “Gangplank”. Thema war also, Leute aus der Besatzung die Planke herabzuschicken, also in der See zu versenken. Ganz zum Schluss gab es dann noch die Hymne über das Land der Freien “Libertania” auf die Ohren, denn schließlich dürfte das des Piraten höchstes Gut sein – frei zu sein von jeglicher Verpflichtung, der korsetthaften Moral vergangener Tage, Gott und der Last dieser Welt und natürlich von Gesetz und Strafverfolgung. Wer YE BANISHED PRIVATEERS noch nie gesehen hat, sollte das dringend nachholen. Die Jungs und Mädels aus dem hohen Norden setzten völlig neue Maßstäbe!

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Fotos: Andreas Theisinger

Nun wurde es Zeit für meinen persönlichen Headliner und für ein recht emotionales Ereignis: Mein erstes XANDRIA-Konzert seit drei Jahren. 2019 auf dem Masters of Rock-Festival sah ich sie zuletzt mit Interims-Sängerin Aeva Maurelle und dann wurde es ja bekanntlich jahrelang still um die Truppe um Marco Heubaum, bis im Mai diesen Jahres das Unglaubliche geschah und die “Wiedergeburt” verkündet wurde. Wir hatten immer gerätselt, was mit der Band eigentlich geschehen war und still und heimlich rechnete eigentlich kaum noch jemand von uns mit einer Rückkehr, auch wenn offiziell nie eine Auflösung verkündet worden war. XANDRIA ist nach wie vor sehr wichtig für die deutsche Symphonic Metal-Szene, denn wenn die Speerspitze fehlt, bleibt nur noch der Schaft. Und als die rundum erneuerte Band (einzig Gründer und Gitarrist Marco blieb übrig) sich dann der bereits geplanten Tour von VISIONS OF ATLANTIS anschloss, wurde damit ein einzigartiges Line-up geschmiedet, das sogar in diesen unsicheren Zeiten der Garant für ausverkaufte Venues war. Man hatte sich durchaus bereits durch die vorab veröffentlichten Singles “Reborn” und “You Will Never Be Our God” von der Qualität des neuen Materials überzeugen können, aber natürlich bestand trotzdem eine große Neugier auf die Live-Qualitäten der neuen Gruppe, insbesondere auch von Sängerin Ambre Vourvahis. Mit dem letztgenannten neuen Song startete das Set auch gleich nach dem für das Genre üblichen epischen Intro und man muss einfach nur konstatieren: Wow! XANDRIA sind besser als jemals zuvor und überzeugen live mit einer Selbstverständlichkeit, als wären sie nie weg gewesen. Mastermind Marco trägt deutlich mehr Bart als früher, aber das verstohlene Lächeln, das der zurückhaltende Kopf der Band immer mal wieder zeigt und die Spielfreude erkennt man direkt wieder. Ambre fügt sich ebenfalls absolut harmonisch in das fünfköpfige Tangram ein, bringt neben wunderschönen clean Vocals auch noch Growling-Qualitäten mit, und durfte nach “ihrem” Song auch gleich “Death To The Holy” performen und damit den Beweis antreten, dass sie auch die Stücke aus vorherigen Jahren sehr gut beherrscht. Die sympathische Sängerin, die zu gleichen Teilen griechischer und französischer Abstammung ist, bringt ein ganz eigenes Feuer auch in diese älteren Stücke mit ein. Der Funke springt jedenfalls direkt über. Als nächstes folgte natürlich “Reborn”, der Song, der das erlösende Leuchtfeuer am Horizont für alle darbenden XANDRIA-Fans dargestellt hatte, als die Band aus dem Nichts heraus wieder ans Licht gesprungen war. Es gibt keinen Zweifel, dass hier eine Hymne geboren wurde, die für viele Fans ein Symbol darstellt, dass man sich auch nach dunklen Tagen wieder neu erfinden und nach dem Kräftesammeln letztendlich wieder angreifen kann. Vor dem nächsten Song meldete sich Drummer Dimitrios Gatsios zu Wort und rief “Habt ihr Lust auf Party?”. Holy shit, der Mann braucht kein Mikrofon, um gehört zu werden. “Nightfall” hachja… Das “Neverworld’s End”-Album ist ja ein ganz besonderer Edelstein in der Diskographie von XANDRIA und beherbergt einige der meiner Meinung nach besten Songs. Aber auch “Sacrificium” birgt manchen Schatz wie eben “Nightfall”. Die Tonlage ist sicherlich nicht einfach, aber Ambre meisterte auch diese Aufgabe mühelos und strahlte dabei viel Selbstvertrauen aus. Jetzt waren alle Zweifel, die vielleicht der ein oder andere perfektionistische Fan der ersten Stunde gehabt haben könnte, endgültig verflogen. Die Fans folgten XANDRIA blind auf dem Weg zurück in vergangene Zeiten. 2008 war die Best-of “Now And Forever” erschienen, der gleichnamige Song stammte aus dem Album “India” von 2005. Siebzehn Jahre später hatte er nichts von seinem Zauber verloren und fand in der Menge viele glückliche Gesichter und begeisterte Mit-Sänger. Für den Folgesong “Save My Life” merkte Ambre an: “I was maybe fourteen years old, when I listened to that song”. So können sich Schicksale entwickeln! Nun stand sie hier und sang den Song mit einer zerbrechlichen Leichtigkeit, die auch die damalige Sängerin Lisa Middelhauve gerne an den Tag gelegt hatte. Das ist eben auch die Herausforderung, wenn man einer Band mit einer solch langen Geschichte beitritt. Es gibt nicht DEN einen Gesangsstil, die Songs sind recht unterschiedlich komponiert und jeder Stimmungsfacette gerecht zu werden ist keine leichte Aufgabe. Symphonic Metal-Sängerinnen werden gerne als “Opernmaus” abgetan, aber es steckt schon deutlich mehr dahinter. Es ist eine vielschichtige Musik und hier braucht man wirklich eine große Bandbreite. Schön, dass es XANDRIA gelungen ist, wieder eine vielfältig begabte Sängerin zu finden. Bei “The Undiscovered Land” war dann eine weitere Facette gefragt: Balladentauglichkeit! Marco lauschte während des melodiösen Intros mit geschlossenen Augen und viele Fans taten es ihm gleich. Während des Mittelteils headbangte Amber ausgiebig. Gewisse Symphonic Metal-Diven bewegen sich auf der Bühne ja kaum und haben Angst um ihre Frisur. Wie schön, dass das nicht auf alle zutrifft. Musik ist Leben, Freunde! Und vor allem Metal! Das ist eine Angelegenheit für den ganzen Körper! Nun wurde ein neuer, bisher unveröffentlichter Song angekündigt: “Ghosts”. Absolut großartig, soviel sei schon einmal verraten. Das zugehörige Album wird aber erst Anfang 2023 veröffentlicht, was einem jetzt natürlich schmerzhaft lange vorkommt. Aber da müssen wir durch. Hoffentlich bekommen wir bis dahin noch jede Menge “Futter” in Form von weiteren Live-Auftritten. Mit dem Klassiker “Ravenheart” war an dieser Stelle aber erst einmal Schluss. Der “Messenger of Evil” krächzte das Ende des XANDRIA-Auftritts herbei. Doch insgeheim skandierte ich vor mich hin “Take thy beak from out my heart, and take thy form from off my door”, um den Unglücksvogel mit seiner Botschaft zu verjagen. Anders als Lenores unglücklicher Partner waren meine Wünsche von Erfolg gekrönt, denn XANDRIA kehrte noch einmal eilig auf die Bühne zurück, beschworen von den stetigen “Zugabe”-Chören der Menge. Zur Versöhnung gab es keinen besseren Song als “Valentine”, auch wenn hier keineswegs eine harmlose Liebesbotschaft Gegenstand des Textes ist. Es geht nicht gut aus, so wie eigentlich immer. Aber sei’s drum, für das erste XANDRIA-Konzert seit Äonen war es ein fulminanter Schlusspunkt. Danke an Marco, Ambre, Robert, Tim und Dimitrios für die Wiederbelebung der Band, die uns allen so viel bedeutet. The dream ist still alive!

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Fotos: Andreas Theisinger

Einen Pfeil hatte der Abend natürlich noch im Köcher und was für einen! VISIONS OF ATLANTIS hoben nur zu gern das Tauende auf, das YE BANISHED PRIVATEERS hatten fallen gelassen. Es galt nun wieder, die lecken Boote zu kalfatern und Segel zu setzen, denn die multinationale Piratenmeute lud zur großen Abenteuerfahrt ein. Wie schon erwähnt, war das neue Opus “Pirates” eingeschlagen wie eine Kanonenkugel und nun wurde die triumphale Kaperfahrt in rheinischen Gewässern fortgesetzt. Der Problematik mit dem eigentlich recht ausgeleierten Piraten-Thema begegnen die ATLANTISer unbekümmert und auf ihre ganz eigene Art. Sie mischen einfach eine gehörige Portion Power Metal in die Suppe und dann schmeckt das Klischee wieder vorzüglich. Wie auf dieser Tour üblich, betrat Kapitänin Clémentine Delauney an der Seite ihrer Mannschaft zunächst mit einer Kapuze verhüllt die Bühne. Nun, bei windigem Wetter kann das schonmal ratsam sein, aber als sie anmutig den Kopfschutz in den Nacken warf und stolz das Kinn hob, war klar, dass sie wahrhaft ein “Master (Of) The Hurricane” war. Partner in Crime Michele Guaitoli, stilecht mit Dreispitz, kam kurze Zeit später ebenfalls auf die Bühne, denn dieses Schiff wird traditionell von zweien gesteuert. Walking the meadows of bliss that hide in my heart”… Kurz vor dem ruhigen Solo von Clém in der Mitte des Songs hätte eigentlich jemand “Mann über Bord” rufen müssen. Gitarrist Dushi war plötzlich verschwunden, vermutlich um technische Probleme an seinem Instrument zu beheben. Gut, dass die Crew die “Planke abdichten” konnte, sodass die Mannschaft kurz danach wieder vollständig an Bord war, um “New Dawn” anzustimmen. Der 2011er Song war der einzige, der nicht von den letzten drei Alben stammte, ergo nicht aus der Zeit mit Clémentine und Michele als Sänger. Darüber kann man geteilter Meinung sein, aber dies war schließlich die “Pirates”-Tour und somit ist es klar, dass darauf der Fokus liegt. Als “alter” Fan wünscht man sich dennoch etwas mehr “Cast Away”/”Trinity”. Dass die beiden SängerInnen alte Schätze wie “Seven Seas”, “Passing Dead End” oder “Lost” beherrschen, bewiesen sie schon auf den Touren zu “Wanderers” und “The Deep & The Dark”. However, man hört sich schon an wie ein Achtzigjähriger, der von den alten Zeiten redet. Piraten werden meistens nicht so alt. Zurück in die Gegenwart, wo jetzt das eindringliche “A Life Of Our Own” dargeboten wurde, nachdem Michele noch einmal daran erinnert hatte, dass es zweieinhalb Jahre her ist, dass ordentliche Touren hatten stattfinden können. Die Band war in Köln sichtlich beeindruckt, dass so viele an einem Dienstagabend ihren Weg zum Konzert gefunden hatten, auch in Bochum war die dort wesentlich größere Location gut gefüllt worden. Wenn man bedenkt, was andere Bands gerade für Probleme haben und ganze Touren abgesagt werden, so kann man nur konstatieren: Die drei Bands des Abends konnten mehrere Venues der Tour selbst in diesen Zeiten ausverkaufen. (Piraten-)Hut ab! Mit “Clocks” war der meiner Meinung nach beste Song des “Pirates”-Album nun an der Reihe. Eingangs erwähnte ich die besondere Chemie der Mitglieder von VISIONS OF ATLANTIS. Gerade bei solch schnellen Duetten ist es eine Lust, der Interaktion der beiden SängerInnen zuzusehen, die sich mal an den Unterarmen halten, mal voreinander auf die Knie sinken oder sich spielerisch wegstoßen, mal miteinander, mal gegeneinander ansingen. Auch ohne Säbel und Pistole kann sich so manch unterhaltsames Duell entspinnen. Auch Dushis Mimik war göttlich, als Michele einmal einen Schluck aus dem Humpen nahm und einen Sprühnebel in seine Richtung spuckte. Oder als beim Anstoßen eine ordentliche Pfütze auf der Bühne entstand und man diskutierte, wer nun das Deck schrubben sollte. Diese Truppe macht einfach nur Spaß – ganz unabhängig von der ebenfalls hohen musikalischen Qualität. Clémentine war nun auf Rekrutierungskurs: “Are you ready to bord a pirate ship tonight?”, fragte sie herausfordernd und blickte durch ihr Fernrohr. Die gebrüllte Antwort war ihr deutlich nicht laut genug, denn sie schnaubte wenig beeindruckt und stichelte: “There was more pirate blood in the eastern Germany crowd of the last days as it seems. But I see some potential. I repeat myself: Are there pirates in Cologne/Bochum tonight?”. Die Antwort der Anheuerwilligen fiel diesmal weitaus lauter aus. Zur Belohnung erhielten wir “The Silent Mutiny”, die alles andere als silent ausfiel. Die Ansage für den nächsten Song war herrlich emotional: “We know being a pirate is not only about mastering the hurricane but to find your own treasure island aswell. I wish each of you to find his/her inner peace”. Das “innere Piratendasein” wurde sodann mit “In My World” besungen, Drummer Thomas “spielte” Intro und Zwischenspiel auf seiner Drumstick-Flöte und Michele kniete während der Bridge vor seiner Gesangspartnerin. Der Titeltrack von 2018er Album “The Deep And The Dark” ist ein Beispiel dafür, dass ein Song auch von großartigen Strophen getragen werden kann. Diese kommen recht schnellrhythmisch daher und das wirkt natürlich vor allem live sehr gut. Zwischendurch wurde nochmal zu Applaus für die anderen beiden Bands aufgerufen. Ein schönes Ritual, dem auch die beiden Vorgängercombos bereits gefolgt waren. Toll zu sehen, wie man sich hier gegenseitig unterstützt. “You guys have beautiful voices”, lobte Clém indes an das Publikum. “What would a pirate ship be without a pirate chant? Let’s sing a song about our freedom”. Natürlich ließen sich die Fans nicht zweimal bitten und unterstützten nach Kräften. Hier herrschte sehr viel Textsicherheit, niemand wollte schließlich an der Rah enden. Auf der Bühne wurde derweil wieder einmal “Fang den Hut” gespielt. Michele musste während dieser Tour schon etliche Male den temporären Verlust seines geliebten Dreispitzes hinnehmen, der meist frech von seiner Vocals-Kollegin gestohlen und sogar in die Rudercrew vor der Bühne geschleudert wurde. Zum Glück findet die Kopfbedeckung nach einiger Zeit immer wieder zurück auf den Kopf des Italieners. Nun wurde aber nochmal kräftige Mitarbeit eingefordert, auch wenn man auf der Bühne zugab, dass die Aufforderung zu springen wohl kaum zu den liebsten Übungen des Publikums gehören dürfte. Aber wieso auch nicht? Kraft genug war jedenfalls noch vorhanden, als “Melancholy Angel” angestimmt wurde. Mit “Pirates Will Return” gab man ein Versprechen, nach NRW zurückzukehren. VISIONS OF ATLANTIS werden hier immer willkommen sein, ich denke, das haben die fünf großartigen Musiker auch gespürt. “Thanks everyone for buying a ticket and selling out this place tonight”, rief es aus der Kapitänskajüte zum Abschluss. Und während die riesige VoA-Fahne über die Köpfe der Anwesenden geschwungen wurde, verklang der Schlussakkord von “Legion Of The Seas”. Wir hatten mit YE BANISHED PRIVATEERS und VISIONS OF ATLANTIS Segel gesetzt und waren mit dem wiedergeborenen Phönix von XANDRIA geflogen und es waren einfach zwei unvergessliche Abende in Köln und Bochum. Wir von der sharpshooter-Redaktion sagen danke an alle Beteiligten. Wir sehen uns ein drittes Mal bei der Plünderung von Weinheim!

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Fotos: Andreas Theisinger
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