10 Jahre UNZUCHT – 12 Jahre Wahnsinn

Zwei Jahre nach dem ursprünglichen Termin der Jubiläumsshows durfte die große Geburtstagsfeier von UNZUCHT nun vergangenen Samstag endlich stattfinden.

Trotz einem weiteren Pandemiejahr waren Parkplätze rund um den Veranstaltungsort nur noch rar verfügbar und die schwarze Besucherschlange zog sich bis über die Hannoveraner Ihmebrücke, als wir mit dem Auto vorbeifuhren und spätestens jetzt von Vorfreude ergriffen wurden. Einige Fans versuchten, freigewordene Tickets weiterzuverkaufen, doch insgesamt wirkte die Besuchermasse kaum von den Umständen der Zeit abgeschreckt, etwas, das heute leider nicht mehr zur Selbstverständlichkeit gehört. Auch an der Abendkasse gab es noch einige Restkarten.
Das Capitol selbst bietet als ehemaliges, historisches Kino eine unverwechselbare Lobby. Die Leinwand wich einer großen Bühne und die moderne Einrichtung harmonierte mit der großräumigen Architektur. Auf zwei Etagen finden bis zu 1800 Gäste seit des Umbaus in den 80ern nun Platz zum Feiern und Jubeln.
Hannover selbst lockt Fans aus ganz Deutschland (darunter auch das ein oder andere etwas prominentere Gesicht der Szene) dank der guten Erreichbarkeit an und so konnten Bekanntschaften voller Nostalgie endlich wieder zusammenfinden. Wir stellten fest, dass viele Gruppen in lebhaften Erinnerungen der ersten Unzucht-Jahre schwelgten und seit über 10 Jahren mehr oder weniger zusammen gewachsen waren.

Wenn das nicht die richtige Laune für ein Jubiläum ist!

In eben dieser Begeisterung dürfen END OF GREEN nun den Abend eröffnen. Melancholie trifft auf Headbangen – Diese Worte beschreiben die Werke der Sad’n’Roller (wie sie ein Kollege bereits taufte) wohl perfekt. Energiegeladen überzeugen sie so mit ihren eigenen Klassikern und auch Insidern. Insbesondere das hervorragende Licht darf man an dieser Stelle betonen, welches Michelle Darkness am Mikrophonstativ besonders stilvoll umhüllte. Dabei wirkt seine, zwischen den Fingern vor sich hin rauchende, Zigarette fast wie eine gewollte, eigene kleine Nebelmaschine, die ihm zusätzliche Atmosphäre verschafft.
Leider wird das Set um drei Songs zwangsweise gekürzt, da das Bier über den Verstärker im direkten Duell, nebst anderer technischer Problemchen, siegte. Humorvoll wird dies kommuniziert und macht den Auftritt der Stuttgarter nicht weniger sympathisch. Im Gegenteil: Ähnlich der Unzüchtigen verbreiten END OF GREEN eine besondere Stimmung, die man erst durch die Anwesenheit in der Konzerthalle in vollem Umfang genießen kann. Damit waren Sie die perfekten Opener für diesen Abend und machTen Lust auf Mehr.

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Fotos: Nola

Wer UNZUCHT ausschließlich von der Medienwiedergabe seiner Wahl kennt, wird die Faszination um die Geburtstagskinder nicht in voller Gänze verstehen. Frontmann Daniel Schulz und seine Kollegen sind echte Live-Heroes, die man einfach in Natura auf der Bühne erleben sollte. Diese unverwechselbare warme Aura macht sie zum Liebling der Fans, wie sich bereits 2010 bei den Newcomer Awards des M’era Luna bewies. Eben an jenem Tag knüpfte sich auch die langjährige Freundschaft zu Special Guest LORD OF THE LOST, die direkt nach den Gewinnern ihre Stagetime wahrnahmen. Aus dieser Backstageliebe wurde schließlich eine verspielte Roasting-Tradition, die wir bis heute immer wieder kichernd beobachten können. Gegenseitiger Support der ganz besonderen Art, das kann eben nur Brüderliebe sein!

Mit genau dieser Anekdote reißen die Hamburger die Bühne nach einer kleinen Pause an sich. Wer Kerzen auf dem Geburtstagskuchen bestellt, bekommt von LORD OF THELOST gleich ein pompöses Feuerwerk spendiert! Perfekte Tonqualität unterstreicht die einzigartige Stimme von Chris Harms bei seinem Screaming und den Clearvocals. Mit der gewohnten Power dürfen sich aggressive Riffs und Blödeleien während der Show die Hand reichen. Auch bei den Outfits haben die Norddeutschen wieder ein aussagekräftiges Zeichen für Diversität und Akzeptanz gesetzt, so erscheint Multiinstrumentalist Gared Dirge in glitzernder, aufwendiger Geschenkverpackung im Kontrast zu den stylischen, düsteren Gothboys an den Saiteninstrumenten und Drums, während der Sänger mit Mermaid-Strumpfhose und knappen Lackhotpants posiert. Hier wird klar, wer die Party so richtig anheizen kann – bis in die letzten Reihen, ja sogar am Merch und den Getränkeständen, hüpft das Publikum klatschend im Takt mit und jubelt ohrenbetäubend für die Szene-Koryphäen. Zu “Loreley” singt der ganze Laden mit und ein kleines Feature zu “Unzucht” mit eben jenen selbst findet ebenso Platz in der Setlist, wie das Cover “Children of the Dammed” (Iron Maiden) als Anspielung auf den zuvorigen Tourerfolg. Spätestens zum in die Bridge eingebauten Aufruf, “Jump! Jump!” während des Titels “Blood for Blood”, brennt die Hütte sprichwörtlich dann so richtig und kühlt auch während “La Bomba” einfach nicht mehr ab. Bevor LORD OF THE LOST das hitzige Publikum dann so langsam verabschieden, wird ein Special zur Würdigung der Jubiläumsgastgeber präsentiert: “Unzucht” der beste Song der UNZUCHT, den es je gab, soll jetzt erstmalig live gecovert werden! Der Atem wird angehalten, das Licht wird gedimmt, vorfreudiges Getuschel bricht aus… Der Atem wird noch weiter angehalten, es wird still… fast schon andächtige Stille – die von Gelächter seitens der Bühne durchbrochen wird, die Scheinwerfer drehen wieder auf und so langsam verstehen wir, war eben passiert ist. Tja, liebe UNZUCHT, wiedermal volle Kanne von den Brüdern in die Pfanne gehauen worden und doch das größte Liebesgeständnis des Abends!
Irgendwann muss nun aber auch der letzte Chanceover vollzogen werden und widerwillig räumen LORD OF THE LOST, eine Bisexual-Flagge schwenkend, die Bühne unter lautem Getose.

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Fotos: Nola

Die Pause wird zum Verschnaufen wirklich notwendig und bietet ausreichend Zeit zum Umsortieren des Publikums, Autogramme erhaschen oder nochmal Eiswürfel ins Getränk kippen zu lassen. Die längste Stagetime steht erst noch bevor, immerhin erwartet uns gleich ein Best-Off aus 10 Jahren Bandgeschichte.

Happy Birthday UNZUCHT! – Die Stimmung, man kann es sich nach diesen beiden Special Guests denken, ist besser als in jedem offiziellen Livemusicvideo zuvor – der Abend wäre definitiv eines Mitschnitts würdig gewesen! UNZUCHT lassen sich zelebrieren, feiern aber umso mehr ihre Fans zurück, die sie bis hierher getragen haben. Appropos tragen: Zu “Ein Wort” fliegt wie ein Stein kehrt auch nochmal Chris Harms zurück auf die Bühne und trägt dabei das grüne T-Shirt, das wir schon aus einem gewissen Weihnachtsvideo kannten. Und weil das Publikum gar so dafür kreischt, zieht er es letztlich aus und verlässt mit nackter Brust die Bühne. Hin und wieder glaubt man, Harms aus dem Hintergrund nochmal die Screamparts von “De Clercq” zu untermalen zu hören. Weitere Gäste bleiben allerdings leider aus, auch keine Maskottchen, wie sie in den vergangenen Jahren oft über die Bühne schlichen und tanzten, kein weiteres Feature, kein Konfetti, keine Überraschungen, nur die pure ungeschmückte UNZUCHT. Wer sich auf weitere andere Kombinationen, die es schon auf vergangenen Tourneen gab, (vergl. mit Heldmaschine aka Zuchtmaschine, Eric Fish usw.) gefreut hatte, wird ebenso – trotz Jubiläumsrückblickes – enttäuscht. Auch Alexander Blaschke, ehemaliges Gründungsmitglied, taucht nicht auf, obwohl nach selbigem wohl schon mehrere aufmerksame Gemüter Ausschau gehalten hatten. Stellenweise ist es aber sogar unmöglich, überhaupt die vier aktuellen Bandmitglieder auf der Bühne selbst zu erkennen, da der sonst immerzu strahlende Toby Fuhrmann am Schlagzeug vor lauter Nebel kaum sichtbar bleibt.
Entgegen dem, lässt die Setlist nahezu keine Wünsche offen und zieht sich in bemerkenswerter, aufmerksamkeitsfordernder Überlänge bis nach Mitternacht fort. Keine Beanstandungen gibt es beim Ton, der qualitativ hochwertig abgemischt ist. Das Publikum singt würdig einer Aufnahme mit und schwenkt die Arme. Der charismatische Daniel Schulz steht auf dem Podest und hält die Hand aufs Herz, ist ergriffen von der gemeinsamen Hingabe und lässt es sich schließlich auch nicht nehmen, ein ausgiebiges Bad in der Menge zu nehmen. Die herzlichen, ganz in die Stimmung versunkenen, Fans tragen ihn natürlich wortwörtlich auf Händen! Das darf ebenso wenig fehlen, wie der typische Schulztanz, wie es genannt wird, wenn sich der Sänger mit dem Mikrophonständer im Kreise dreht und dabei das Bein rhythmisch anwinkelt. Besonders prägnant bleibt die Melodie zu Allein am Ende im Ohr hängen, in die das Publikum noch lange mit Woohoho-Gesang einstimmt. “So, eine Stunde noch!”, scherzt an dieser Stelle der Gitarrist, der abwechselnd dazu ein anstachelndes Bridge-Riff improvisiert. Ganz so lange zieht es sich dann doch nicht und während dennoch jedes normale Konzert jetzt längst vorbei wäre, haben Unzucht noch einige ihrer ältesten Hymnen im Set, damals wie heute.

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Fotos: Nola

Abschließend wird noch ein Gebutstagsständchen zum Besten gegeben, das sich nicht nur auf Toby Fuhrmann, sondern auch zahlreiche weitere Geburtstagskinder im Publikum bezieht, aber eben auch dem 10-Jährigen der UNZUCHT selbst gilt. Dass nach all den Verschiebungen heute alles so geklappt hat, wie man es ursprünglich geplant habe, meint Der Schulz noch, sei nicht selbstverständlich.

Doch schließlich leert sich nach langanhaltendem Applaus ein letztes Mal die träumerisch ausgeleuchtete Bühne in einem Verlauf von Rot zu Blau und hinterlässt Erinnerungen an der letzte UNZUCHT-Konzert im Jahre 2022. Was die Jungs 2023 für uns geplant haben, bleibt abzuwarten. Wir sind gerne wieder dabei!

Wer zuvor nochmal die beiden ersten Bands zusammen erleben möchte, kann sich Tickets für das im Winter anstehende Lordfest (Hamburg) besorgen.

In diesem Sinne auch dieserseits nochmal alles erdenklich Gute der UNZUCHT zum 10 Jährigen Jubiläum und Danke für 12 Jahre sich drehenden Wahnsinn!
Wir blicken auf unzählige gemeinsame Erinnerungen zurück, Fantreffen und geschlossene Freundschaften, Reisen und Erlebnisse, alles dank euch! Unendlich weiter…!

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