SCHANDMAUL auf Artus Tour – So war der Tourauftakt im Hannoveraner Capitol
Seit über 20 Jahren sind SCHANDMAUL ein Erfolgsgarant, wenn es um eingängige Melodien und märchenhafte Geschichten im Folkrock-Stil geht. 10 Alben, mehrere live-CDs und DVDs und goldene Schallplatten zieren seit ihrem ersten Konzert in einer kleinen Kneipe namens „die Hexe“ im bayrischen Gröbenzell vor 21 Jahren ihren Weg. Den Musikstil des „Mittelalter-Rock“ haben sie seitdem maßgeblich mitgeprägt. Im Mai 2019 war es dann mal wieder soweit – ein neues Studioalbum fand den Weg auf diese Welt und in unsere Gehörgänge: „Artus“. Da denkt man doch sofort an den berühmten König und seine Ritter der Tafelrunde, natürlich nicht vergeblich. Eine Platte voller SCHANDMAUL-typischer musikalischer Geschichten, zum Teil mit Bezug zur bekannten Sage. Sänger Thomas Lindner hatte sogar das Plattencover, das König Artus zeigt, selbst entworfen. Das Feedback der Fans auf die neue Platte war durchweg positiv und so ist es kein Wunder, dass weder Band noch Fans es erwarten können, das Meisterwerk auch live gebührend zu feiern! Mich persönlich freut es natürlich besonders, dass der Tourauftakt diesmal im wunderschönen, wenn auch herbstlich-kalten, Hannover stattfindet.
Schon lange vor Einlass-Beginn entsteht vor den Türen der bis zu 1.500 Personen fassenden Halle eine lange Schlange. Doch statt entnervter Gesichter nur Vorfreude soweit das Auge reicht. SCHANDMAUL-Fans sind ein bunter Mix aus verschiedenen Altersklassen, von mittelalterlich anmutendem Langhaar-Mädchen bis Metal-Recken, von buntgefärbtem Punk bis Frau in Bluse und Pumps samt Mann im Karohemd. So auch heute Abend. Im gegenüberliegenden Irish Pub haben sich auch schon einige Fans schon mal vorab zu einem kühlen Getränk getroffen. Rege Diskussionen über das musikalische Set sind im Gange, durften die Fans doch auch vorab mit zur Songauswahl per Online-Abstimmung beitragen. Nur ein einzelner junger Mann im Ordensritter-Kostüm macht ein trauriges Gesicht. Hatte er doch vergeblich versucht, den Security-Mann davon zu überzeugen, dass sein Schwert mit in die Halle kommt.
Das Capitol bietet Platz für alle, egal ob sie an vorderster Front feiern oder nur gemütlich schunkeln wollen und so treffe ich sogar eine werdende Mama mit Partner, die es sich an der hinteren Bar bequem gemacht hat und heute nur mit wippt, statt zu hüpfen. „Einmal noch, bevor ich Pause machen muss“, sagt Melanie und lacht ,„Ihr wisst ja, wie wichtig musikalische Früherziehung ist!“ Tja, da gibt’s wohl heut Glückshormone für die ganze Familie. Alles Gute für das kleine Schandmäulchen. Das passende Kinderbuch samt Soundtrack hat SCHANDMAUL ja auch bereits auf den Markt gebracht.
Ein besonderer Hingucker ist der analoge, reich verzierte Briefkasten, der vor einem großen Banner auf Zuwendung wartet. Manchmal soll man sich ja auf die guten alten Zeiten zurückbesinnen und so haben sich SCHANDMAUL überlegt, dass Briefpost in Zeiten der elektronischen Vergänglichkeit auch mal wieder was Schönes wäre. So richtig auf Papier, mit Handschrift und Herzchen und allem was dazu gehört. Der Briefkasten wird die ganze Tour begleiten, also fühlt Euch frei zu schreiben, zu basteln und der Band dort einen Gruß zu hinterlassen.
Gegen 19:30 Uhr fährt dann endlich das Licht herunter und VROUDENSPIL eröffnen den Abend und die Artus Tour 2019.
Mit „Freibeuter-Folk“ versprechen die Münchener wahrlich nicht zu viel! In Kostümen, die uns direkt an Captain Jack Sparrow‘s Besuch auf der Insel Tortuga denken lassen, kommen die acht Musiker auf die Bühne und lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass das hier heut Abend eine Party werden soll und sie sozusagen das musikalische Vorglühen darstellen. Doch wer eine einfache Mittelalter-Folkband erwartet wird sich wundern! Mit Saxophon, Querflöte und Akkordeon unterscheidet sich schon die Instrumentierung gewaltig. Auch beinhalten die Songs Einflüsse aus verschiedenen anderen Musikrichtungen wie Polka und Ska und gehen vom ersten Ton an voll nach vorne. Das Hannoveraner Publikum gilt ja gemeinhin gerne mal als etwas zurückhaltend, davon ist heut allerdings nichts zu merken. Offenbar gibt es bei beiden Bands eine gewisse Schnittmenge bei den Fans, denn schon von Beginn an werden in den ersten Reihen die Texte der Songs mitgesungen und das Hüpfen und Tanzen geübt. Die Band nutzt ihre Zeit, um unter anderem einige Songs ihres neuen Albums „Panoptikum“ vorzustellen, uns zu erklären, dass es keine gute Idee ist, die Frau vom Schiffskapitän anzutatschen und uns gebührend aufzuwärmen. Gegen 20 Uhr stimmen sie, trotz leichtem Protest aus dem Publikum, den letzten Song an und verlassen die Bühne unter verdientem Applaus. Ein gelungenes Warm Up, wir wären dann jetzt körperlich und seelisch bereit für die Schandmäuler.
Bilder: Cynthia Theisinger
Wieder fährt das Licht herunter…
Wie man es von SCHANDMAUL kennt, wird ein bombastischer Opener gewählt. Ich habe mich entschieden Euch nicht zu viel von der Setlist zu verraten, ein bisschen Spannung soll ja bleiben für alle, die die Tour erst später besuchen. Aber natürlich ist vom „Herren der Winde“ bis zum „Meisterdieb“ die gesamte musikalische Schaffensgeschichte der Band vertreten. Aufmerksame Beobachter der Social Media-Seiten der Band können sich einen Teil schon denken, durften die Fans doch online in Votings für bestimmte Songs abstimmen, um sie ins Set zu wählen. Als hätten sie es geübt, beginnt das Publikum zu hüpfen, der Applaus ist überwältigend. Auch ich kann nicht ruhig bleiben und lasse mich von der Energie mitreißen. Ihre Outfits hat die Band dieses Mal mit kleinen Ausnahmen in schlichtem Schwarz gewählt. Ein mystisches Bühnenbild und eine tolle Lichtshow runden das Bild ab.
Dass nicht nur das Publikum, sondern auch die Band sich freut, endlich wieder gemeinsam zu feiern, ist mehr als offensichtlich. Thomas singt das Set stimmlich perfekt und – für langjährige Fans ein running gag – komplett fehlerfrei, moderiert wie immer charmant und witzig durch den Abend, weist auf bedenkliche Tatsachen in Märchen hin und bringt mir in diesem Zusammenhang ein neues Wort bei, das ich vorher auch noch nie gehört habe: Leichenfroschbrei. Matthias und Ducky an den Saiten rocken was das Zeug hält, kommen nach vorne, interagieren mit dem Publikum, Stefan trommelt uns den Takt zum Hüpfen und Tanzen, Birgit ist wie immer ein echter Hingucker und spielt mit fliegenden Fingern, dass die Flöte fast raucht und die Vögel draußen vor Neid erblassen. Saskia Forkert – für viele alteingesessene Fans doch immer noch „die Neue“ an der Geige – hat sich nach mittlerweile doch schon einem Jahr Bandzugehörigkeit harmonisch ins musikalische Gefüge eingeordnet und läuft gut in den großen Fußstapfen, die Anna Kränzlein ihr bei ihrem Abschied von der Band 2017 hinterlassen hatte. Mittlerweile nicht nur an der Geige, sondern auch an der Drehleier. Ein Song muss trotzdem besonders erwähnt werden. SCHANDMAUL nutzen ihre Stimmen nicht nur, um schöne Musik zu machen, sondern sich auch offen gegen Ausgrenzung und rechte Hetze zu positionieren. Mit dem Song „bunt und nicht braun“ haben sie dieses Statement auch heute mitgebracht und das Publikum stimmt zu und singt und feiert für Toleranz und Gemeinschaft. Bravo!
Bilder: Cynthia Theisinger
Viel zu schnell vergeht die Zeit mit kurzweiligen Geschichten, traumhaften Balladen und Menschen die gemeinsam bis an die Decke springen. Natürlich lässt sich die Band eine wunderbare Zugabe entlocken, sind die Hannoveraner doch noch lang nicht müde. Doch nach über 2 Stunden singt das gesamte Capitol „Es war sehr schön mit Euch, ich wird mit Freude an Euch denken, ich wird mit Freunden auf euch trinken, auf ein Wiedersehen.. Tschüss, bis bald, macht’s gut..“ und als das Licht angeht bleiben Freude und Zufriedenheit, die einen Teil des Publikums auf seinem Weg nach Hause begleiten. Der andere Teil bleibt noch entspannt auf ein Getränk an den Bars und lässt die Stimmung etwas nachwirken.
Was SCHANDMAUL außer ihrer Musik noch ausmacht, ist ihre von Anfang an unglaubliche Fan-Nähe und so lassen es sich die Bandmitglieder natürlich auch heute nicht nehmen, sich nach dem Konzert und einer kurzen Dusche unters wartende Volk zu mischen, um fleißig Autogramme zu geben, Fragen zu beantworten und Erinnerungsfotos zu schießen. Auch ich bekomme Matthias und Birgit kurz zu fassen und frage sie, wie sie den Auftakt der Tour erlebt hat. „Ich bin sehr zufrieden, das war richtig gut!“ sagt Matthias. Birgit’s Antwort auf die Frage nach ihrer Wahrnehmung des Auftaktabends ist ein strahlenden „Ja nice!!“ Was die Zuschauer, die heute nicht da waren von der Tour erwarten können bitte ich sie zusammenzufassen.. „Öööhm..ja.. nice!!“ Bei SCHANDMAUL kommt definitiv auch der Humor nicht zu kurz!
Fazit des heutigen Abends: SCHANDMAUL bleiben Ihrer Linie treu und haben an Spielfreude, Energie und Fan-Nähe in den letzten 20 Jahren nichts eingebüßt. Im Gegenteil. Ein rundum gelungener Abend für alle langjährigen und neuen Fans. Die Besucher der nächsten Tour-Konzerte dürfen sich auf eine große Folk’n’Roll-Party der Extraklasse freuen.