Mutkultur in der Subation als Transformationsergebnis eines schaurig-schönen Abends

Am Mittwoch, den 12. April 2023, öffnete sich die Wohnzimmertür für einen ganz besonderen Abend. Die auch aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Gäste wussten noch nicht so genau, was eigentlich auf sie zukommen würde. Wenige Stühle blieben an diesem Abend unbesetzt. Hinsichtlich des Abendprogramms hatten vermutlich lediglich die beiden Lyriker eine grobe Vorstellung, wie sie die düstere, lustige, mitreißende Mehrstunden-Veranstaltung gestalten würden, die mit einer Live-Premiere der Chuntata Boys einen mitreißenden, sagenhaften mexikanischen Ausklang fand.

Doch fangen wir vorne an und versuchen, die in der Subkultur erfolgte Transformation dem Leser schriftlich nahezubringen. Es gibt Künstler, die komponieren Musik, oder texten oder machen beides. Es gibt aber auch diejenigen Künstler, die texten auf eine andere Weise und mit anderen Ansprüchen und Blickwinkeln – in der Regel als Schriftsteller oder Autor bezeichnet. Beide Formen des schriftlichen Entstehungsprozesses haben ihre Herausforderungen und in jedem Fall ihre Daseins-Berechtigung. Wenn es um Poesie geht, kann dieses durchaus künstlerisch sein, häufig ist es auch möglich, dass Lesern der Zugang dazu fehlt, was der Kulturschaffende damit eigentlich ausdrücken möchte.

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Fotos: Cynthia Theisinger

“…the city drops into the night” lautet der Refrain des gleichnamigen Gedichtes von Jim Carroll, mit dem der Multikünstler Eric13 den Abend eröffnete. Angespannt und ein wenig nervös betrat der Szenekennern als Gitarrist von Combichrist bekannte Musiker und seit kurzem auch Lyriker die Bühne unseres Wohnzimmers. Schön in einem Halbkreis aufgereihte Stühle schufen eine heimelige Atmosphäre und die für eine solche Veranstaltung geeignete Nähe zwischen Publikum und Künstler.
“Mutations – Transformations – Death – Revenge” so platzte es aus Eric heraus, sollte zusammen mit dem vorgetragenen Gedicht den Rahmen des Abends setzen, der einen Einblick in die hinter den Musikern steckenden Personen Eric/k zulassen würde und so manche Überraschung und auch tragische Geschichte bereit hielt. Jim Carroll hat ihn geprägt, sagte Eric13. Aber so auch andere Schriftsteller.
Das in 1794 geschaffene Werk “A Poison Tree” (der Giftbaum) von William Blake knüpfte nahtlos an und die emotionale Vortragsform riss viele mit.
Die bereits für Lesungen bekannte Wohnzimmerlocation in Hannovers Nordstadt bot für den aus Philadelphia stammenden Eric13 eine tolle Bühne, welche diesen Solo-Auftritt als schönen Kontrast zu den mit COMBICHRIST erlebten Auftritten erlebbar machte. Während reguläre Lesungen ein oder vielleicht auch mehrere Werke vortragen, so war eines der besonderen Erlebnisse, dass der Künstler seinen persönlichen Bezug zu diesen Werken dem Publikum näher brachte und so die Verbindung von Eric13 zu den jeweiligen Werken verdeutlicht wurde.
Über Johnny Depp und Jim Jarmusch’s Werk “Dead Man” kehrten wir gemeinsam wieder zu William Blake und “Auguries of Innocence” (Unschuldsvermutungen) zurück.

Und diese galt auch für den zweiten Künstler des Abends. Erk Aicrag (Erik Garcia – ja die Nachnamen sind Anagramme) ist vielen als charismatischer, immer gut gelaunter Frontflummi von RABIA SORDA und HOCICO bekannt. Aus Mexico-City und mit Familie in die Weiße-Elster-Metropole Leipzig umgesiedelt, erlaubte Erik an diesem Abend einen ungeahnten Einblick in Erlebnisse seines Lebens in Mexiko und der gesammelten Erfahrungen. Darüber hinaus teilte er seine Gedanken in einer bisher ungewohnten tiefen Form, durch das Vorlesen selektierter Werke aus seinem jüngst erschienenen Buch “Until My Throat Bleeds”. Diese 94 Seiten starke Sammlung von Kurzgeschichten, Gedichten und musikalisch bisher unveröffentlichter Lyrik fügte sich nahtlos in das Thema dieses Wohnzimmerabends ein.

Wie ein altes Bühnen-Ehepaar spielten sich Erik und Eric gekonnt die verbalen Bälle zu, wechselnd zwischen den unterschiedlichen Werken – Aicrags und einer Vielzahl anderer, darunter eines der Gebrüder Grimm (“Death’s Messengers” – “Die Boten des Todes”) oder von Edward Gorey (“The Gashlycrumb Tinies” – “Das kleine ABC vom Unglück”), aber auch eine kleine Auswahl eigener Textwerke Erics erfreuten die Wohnzimmergäste. Der eine oder andere Zuhörer wurde an diesem Abend sicherlich mental gefordert, denn die Vorlesungssprache war durchgängig Englisch. Verstehen, Wortumfang und dann das Lyrische für sich daraus verstehen, ist als nicht-Muttersprachler eine gute Übung (wer das vertiefen mag, dem sei die altenglische Fassung des Hamlet von Shakespeare nahegelegt, sofern das klingonische Original nicht zugänglich sein sollte).

Der mit zwei kleineren Pausen durchgängig unterhaltsame und gemütliche Abend ging nach fast drei Stunden gefühlt doch viel zu früh zu Ende. Aber dafür mit einem absolut kontrastreichen Gegenpart. Nicht nur, dass dieses in der Subkultur Hannover erstmalig live vorgeführte Stück gleich mit einem an YMCA erinnernden Tanz aufwarten konnte, nein, sondern zusätzlich noch um eine tolle Findungs- und Entstehungsgeschichte der Doppel-Ericks angereichert wurde. Die CHUNTATA BOYS (benannt nach einem traditionellen mexikanischen Tanz, der rhythmisch an einen langsamen Walzer erinnert – chun-taa-taa-chun-taa-taa-…) entließen die Couchgäste mit einer sehr positiven Stimmung des Erstlingshits “We are the Chuntata Boys” in die kalte, lange Nacht. Das Werk soll ab Mitte des Jahres auf den üblichen Verkaufsplattformen erhältlich sein – wir sind gespannt auf den Einstieg in die Charts!

Das Buch “Until My Throat Bleeds” von Erk Aicrag ist bei ElectroWelt erhältlich.

Das Erstlingswerk der CHUNTATA BOYS werden wir auf diesem Kanal sicherlich beobachten und vielleicht auch rezensieren.

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Fotos: Cynthia Theisinger
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