Super nasses Mannheim – European Dark Dance Treffen – Samstag

Da sind wir wieder, aus dem Hauptquartier in Mannheim-Rheinau. Nach dem sehr erbaulichen Freitag hatten wir natürlich große Lust auf Runde 2 des Dark Dance Treffens. Das Wetter war am Samstag etwas besser, aber wen interessiert das überhaupt, wenn man heimelig im Kaninchenbau des Zwielichts Schutz gefunden hat – sowohl für die Seele als auch die zerbrechliche Hülle drumherum. Für beide gab es heute wieder reichlich Nahrung.

Genau wie am Freitag begann das Programm um 19:30 Uhr mit einer Art nekromantischem Vorgang. Vasi Vallis, dessen unzählige Bands ihm mittlerweile den Hashtag #irgendwasmitvasi für Festival-Line-ups eingebracht haben, hatte unlängst sein altes Projekt REAPER wiederbelebt, das 2005 nach dem zwischenzeitlichen Ende von NAMNAMBULU endstanden war. Vasi legte nun also reichlich archaische Tanzmucke auf, unterstützt von sehr ansprechenden Animationsvideos auf den Seitenbildschirmen. Dem Publikum gefiel es. Erst sah man verräterisches Zucken in mancher Extremität und schließlich war das Eis gebrochen und die Menge wogte enthusiastisch auf und ab. Die hinterher erfolgenden Nachfragen nach entsprechender REAPER-Ausrüstung am Merchtisch wurden leider abschlägig beschieden.

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Kurioserweise durfte Vasi für sich selbst quasi den Opener machen, denn direkt im Anschluss, nach 15 Minuten Umbaupause, folgte FROZEN PLASMA (Felix Marc mit Vasi am Synthpult) auf der Stage der Kolbenhalle (mainiger als die Main Stage, erinnert ihr euch). Schon bei Song Nummer zwei wurde die Messlatte hochgelegt: “Lass uns das Party-Lied starten!”, forderte Felix. Frozen Plasma-Party 2022! Für den Flug der Nachtschmetterlinge wurde die aufflammende Partystimmung noch einmal auf ein besinnliches Maß heruntergekühlt, denn diese Perle jüngeren Datums funktioniert gut mit geschlossenen Augen. Danach zog das Tempo aber wieder an, denn die beiden Tausendsassas warfen die Ge-Fühls-Ma-Schi-Ne” an. Hier forderte Felix natürlich vollen Einsatz und gab sich nicht mit den ersten Versuchen der Anwesenden zufrieden. “Könnt ihr noch lauter?”, kam die rhetorische Frage. Mannheim konnte. Die Belohnung folgte in Form von nackter Haut, denn der Sänger zog obenrum blank. “Will jemand an die Stang?”, lachte er, bezugnehmend auf das Hintergrundvideo von… Er selbst wäre sicherlich auch ein geeigneter Kandidat für gewisse Akrobatik gewesen. “Warum haben wir eigentlich ein Set ausgewählt, das nur abgeht?”, beklagte er sich ironisch bei sich selbst wegen des hohen Energieverbrauchs. Einer besinnlichen Vorweihnacht wurde jedenfalls auf ganzer Linie eine Absage erteilt. Die Hitdichte erreichte gegen Ende des Sets dann ihr Maximum, als FROZEN PLASMA das Publikum mit “Muderous Trap”, “Living On Video” und “Irony” vollkommen leerpumpten. Es wurde keine Rücksicht darauf genommen, dass die Pausen zwischen den Acts kurz und noch einige Headliner in Vorbereitung waren. Mit FROZEN PLASMA gibt es kein Danach, es gibt nur die maximale Intensität des Momentes, den es bis zur Neige auszukosten gilt. Und genau für dieses intensive Erlebnis lieben wir die Jungs.

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Wenn man einen kleinen Ausflug von der Kolbenhalle zur Main Stage machte, hatte man Gelegenheit TC75 und ANTIBODY zu sehen. Wir können es nur immer wieder betonen: Solche Ausflüge abseits der ausgetretenen Pfade können sich mehr als lohnen. Die treibenden Industrial-Rhythmen, die uns dort entgegenwaberten, fuhren ohne Umweg direkt in den Bewegungsapparat. Während TC75 vor allem seine dieses Jahr erschienene EP “Suffer” vorstellte, präsentierte ANTIBODY neben älteren Stücken auch etwas vom kommenden Album. Nebenan spielte bekanntlich FROZEN PLASMA und trotzdem war es recht voll vor der Mainstage. Die Schwarze Szene ist divers genug und bedient alle Geschmäcker. Der Veranstalter hatte an alles gedacht und einige Kontraste ins Line-up geholt. Der kurze Ausflug wurde ein längerer, denn wer sich einmal in ANTIBODYs Rhythmen verfangen hat, kommt so schnell nicht mehr frei. In der Kolbenhalle war FADERHEAD derweil nicht in der Stimmung abgelichtet zu werden, daher können wir euch hier leider nichts zu zeigen. Kopf hoch, Sami. Wir kennen das alle: Bad Hair Day oder einfach keinen Bock. Wer das noch nicht erlebt hat, werfe den ersten Beinpuschel-Cyberstulpen!

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TC75

Fotos: Mirco Wenzel

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ANTIBODY

Fotos: Mirco Wenzel

Dafür war Headliner SOLAR FAKE um so besser drauf. Lasst uns einmal revidieren, welche beachtliche Entwicklung die Formation in den letzten zehn Jahren hingelegt hat. 2013 zum ersten Mal mit Charterfolg, USA-Tournee, Gothic meets Klassik und mit “Enjoy Dystopia” jüngst wieder einen großen Erfolg errungen. Aber in der Szene reden wir nicht so viel über Charts und messen “unsere” Künstler lieber an anderen Dingen. Das Songwriting hat sich seit den Anfängen deutlich verbessert und der Sound ist auch deeper und vielschichtiger geworden. Außerdem umgibt die Band eine mysteriöse Unaufgeregtheit. Egal, ob sie beständig Videos in Toiletten aufnehmen, ihr eigenes kleines Festival für den Fanclub veranstalten oder einen Podcast erstellen, immer merkt man, dass die Jungs auf dem Teppich geblieben sind. Große Klasse! Natürlich hatten sie auch das Mannheimer Publikum absolut in der Tasche. Wer bis zu diesem Auftritt vielleicht noch in schlechter Stimmung gewesen war, konnte sich danach wieder über “This Pretty Life” freuen. Der Headliner war lauf eigenen Angaben schon um 13 Uhr vor Ort und musste die zehn Stunden bis zum Auftritt mit moderaten Mengen Alkohol überbrücken. Ein trauriges Schicksal. Unsere guten Erfahrungen mit der Crew des MS Connexion Complex wurde auch von der Band bestätigt. Freundlichkeit, beständige Kühlschrankauffüllung und Rundum-Versorgung wurden ausgiebig gelobt. Wenn es so reibungslos funktioniert, gibt die Band die erhaltene Energie natürlich auch auf der Bühne zurück. Egal ob die ruhigeren Emotionen bei “All The Things You Say” flossen oder der Schweiß bei Tanzklassikern wie “Observer”. Es war einfach nur eine Riesen-Party und der großartige Sound in der Kolbenhalle tat sein Übriges.

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Hatten wir schon Kontraste erwähnt? Nebenan wurde eine Musikrichtung besonders gefeiert: Rhythm n’ Noise. Und natürlich hatte Helter Skelter Events sich nicht lumpen lassen und nur die Speerspitzen gebucht. Egal ob KIEW, XOTOX oder WINTERKÄLTE, es wurde mit geronnenem Geräusch um sich geworfen und der zäh blubbernde Sound haftete praktisch an den Wänden des Mainstage-Floors und hüllte die weltvergessenen Tänzer ein, die nichts unversucht ließen, um sich durch heftig schüttelnde Bewegungen ihrer geschundenen Seelen zu entledigen. Ausgefeilte Texte sind was für Anfänger, für Träumer. Hier herrschte die eiskalte Realität. Wenn man den Kopf dermaßen leergepustet bekommt, hat man plötzlich Hirnkapazitäten frei, um sich zu fragen: Gibt es eigentlich WINTERKÄLTE-Hoodies, um sich in der kalten Jahreszeit vor der Winterkälte zu schützen? Das wäre ein nettes Paradoxon.

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KIEW

Fotos: Mirco Wenzel

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XOTOX

Fotos: Mirco Wenzel

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WINTERKÄLTE

Fotos: Mirco Wenzel

Im Maschinenraum musste natürlich fleißig gefeuert werden, damit die MS Connexion nicht zum Stillstand kam. Den Job hatte man verlässlichen Maschinisten überlassen. Leider gelang es mir nur, SYNTHATTACK zu sehen, es gab einfach zu viele Überschneidungen. 16PAD NOISE TERRORIST, RENDERED, MONO NO AWARE und BASSZILLA haben aber offensichtlich einen guten Job gemacht, den ganzen glühenden Gesichtern und durstigen Kehlen nach zu urteilen, die einem begegneten. Ob BASSZILLA noch vorhat, Tokio zu zerstören, ist nicht überliefert, für unsere Fußball-Nationalmannschaft käme die Schützenhilfe ohnehin zu spät. Dafür konkurrieren seine Tänzerinnen mit denen von THE UNKNOWN um den “Best Dancer-Support”-Award. Stage-Headliner SYNTHATTACK sind auch für solcherlei Unterstützung fürs Auge bekannt, aber in Mannheim gab es eher eine Notbesetzung. So oder so: Die Niedersachsen lohnen sich immer. Die harsh vocals zusammen mit den Synthies und den vortrefflichen visuals ergeben ein stimmiges Gesamtbild mit scharfen Kanten. Das Motto hier lautet: “Life Is A Bitch”. Und weil das so ist, sollte man sich durch SYNTHATTACK von den Belastungen des Lebens freimachen und sich einfach mal einige Momente der Musik hingeben. Wenn man so durch den Maschinenraum lief, kam es immer wieder vor, dass man versehentlich angerempelt wurde. Das liegt einfach daran, dass die Bühnenshow die meisten so in ihren Bann zieht, dass man gar nicht mehr auf seine unmittelbare Umgebung achtet. Danke für den feinen Abschluss an SYNTHATTACK! Nebeneffekt war natürlich: Man beendete das Festivalprogramm auf einem dermaßen hohen Energielevel, dass man danach gar nicht anders konnte, als die Aftershowparties aufzusuchen. Wie lange man blieb? Nun, man sollte zumindest im Hinterkopf haben, dass der Folgetag noch ein großes Finale an Bands bereithielt. Aber auf den Floors des MSCC ließ es sich einfach herrlich versacken.

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16PAD NOISE TERRORIST

Fotos: Mirco Wenzel

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MONO NO AWARE

Fotos: Mirco Wenzel

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BASSZILLA

Fotos: Mirco Wenzel

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SYNTHATTACK

Fotos: Mirco Wenzel
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