Interview mit Andy LaPlegua: „Die meisten Texte sind im Flugzeug entstanden“

ICON OF COIL spielten bei dem 10-jährigen Geburtstagsevent zu Ehren des Oberhausener Kulttempels. Tausendsassa Andy LaPlegua (COMBICHRIST, PANZER AG, ICON OF COIL, LAPLEGUA, SCANDY) nahm sich nach seinem Gig Zeit für uns. Wir sprachen über ein nahezu fertiges Album, eine Kooperation mit einer GZSZ Schauspielerin und sein privates Leben als Hausmann und Koch.  

Es kommt sehr selten vor, dass man Icon of Coil live erleben kann. Kannst du dir vorstellen, hierfür neue Songs für zu schreiben, oder hast du mit diesem Thema bereits abgeschlossen?

Es ist immer ein Thema, wenn wir mit ICON OF COIL spielen. Jedesmal sind Christian und ich motiviert, wollen sogleich einen neuen Song und ein Album schreiben. Wir bleiben die nächsten 2-3 Wochen über in Kontakt, planen direkt das neue Album und dann passiert nichts weiter. Dann mache ich mit COMBICHRIST weiter, er mit NORTHBORNE. Zwei Jahre später spielen wir dann die nächste Show und die gleiche Unterhaltung beginnt von vorn. Wir haben aber einiges an Material, das wir im Laufe der Jahre geschrieben haben. Ich hoffe, dass wir bald dazu kommen, das alles zusammenzufügen und zu finalisieren. Vielleicht schaffen wir das eines Tages.

Wenn du mal an sämtliche Songs denkst, die du je erschaffen hast- egal für welche deiner Bands, welcher Song ist deiner Meinung am ehesten unterschätzt worden? Ein Song, den du sehr schätzt, der aber bei den Fans nicht ganz so gut ankommt.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute den Song nicht mögen. Aber einer meiner Lieblingssongs ist tatsächlich einer, den wir heute gespielt haben „Mono:Overload“. Es war schon immer eines meiner Lieblingsstücke, wenn es um die Live-Performances ging. Warum, kann ich dir gar nicht so genau sagen. Es fühlt sich einfach gut an, diesen Song live zu spielen. Ich weiß aber auch, dass es einer der Songs ist, bei dem das Publikum eher nur zuschaut, weil es den Song nicht so gut kennt.

Kannst du dir vorstellen musikalisch gesehen in Rente zu gehen?

Ja! Also, ich kann mir nicht vorstellen, mich jemals von der Musik zurückzuziehen. Aber eines Tages, bzw. schon bald wird es weniger intensive Tourneen geben. Es gibt soviele andere Dinge, die ich gern mal wieder machen möchte. Ich hatte einfach gar keine Zeit mehr. Musik ist solch eine riesige und wichtige Sache im Leben fast aller Menschen. Touren muss aber nicht sein. Das ist der Unterschied. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass ich weniger Musik veröffentlichen muss. Ich kann auch weiterhin Konzerte geben, aber ich möchte nicht mehr jedes Jahr das ganze Jahr über touren.

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Warum bist du eines Tages nach Amerika gezogen?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube nicht, dass ich das wirklich beabsichtigt habe. Ich bin dort einfach so gelandet und irgendwie geblieben. Ich denke, das ist es, was wirklich passiert ist.  Es war auch lustig, weil ich Atlanta wirklich gehasst habe, als ich das erste Mal dort war. Ich habe es als Basis benutzt und bin nach L.A. gereist, weil ich L.A. wirklich liebte. Und je mehr ich nach L.A. reiste, desto mehr begann ich L.A. zu hassen und Atlanta zu lieben. Deshalb bin ich wohl auch so lange in Atlanta geblieben. Ich bin auch ein bisschen in Las Vegas und Nevada herumgezogen. Jetzt überlegen wir, vielleicht irgendwo in die Berge zu ziehen. 

Vermisst du etwas, wenn du in Amerika bist?

Meine ganze Familie lebt in Norwegen. Man vermisst also seine Familie und seine Freunde, mit denen man aufgewachsen ist, aber ich fahre ziemlich oft dorthin, also ist es in Ordnung. Es ist wirklich nichts anderes. Und ich gehe so oft auf Tournee. Unterwegs kann ich ja alles bekommen, was ich vermisse. In Deutschland ist es z.B. die Schweinehaxe. Aber davon abgesehen bin ich eigentlich überall zufrieden, denn wenn man Musik macht und so viel reist, kann man überall leben. Man hat ja immer noch Zugang zu allem, wenn man etwas vermisst, reist man dorthin.  

Fällt es dir leicht, neue Songs zu schreiben, oder ist es für dich eher ein harter Prozess?

Ich bin ein kreativer Mensch. Es ist schwieriger, mit dem Schreiben von Songs aufzuhören, als Songs zu schreiben, weil man ständig kreative Momente im Kopf hat. Aber was mir wirklich schwerfällt, ist mir die Zeit zu nehmen, ins Studio zu gehen und tatsächlich alles aufzunehmen. Ich habe immer etwas Neues in meinem Kopf. Aber wenn ich von einer langen Tournee nach Hause komme, ist das letzte, was ich tun will, ins Studio zu gehen. Ich möchte mir einfach zwei Wochen frei nehmen und etwas ganz anderes machen. An meinen Autos arbeiten oder mit meiner Freundin auf der Couch liegen und entspannt eine Woche lang Fernsehen schauen. In den ersten ein oder zwei Wochen will ich alles machen- außer Musik. Aber generell fällt es mir leicht, Musik zu schreiben.

Bist du ein Autodidakt oder hast du einst Musikunterricht genommen?

Nein, habe ich nicht. Ich habe immer daran geglaubt, dass es einen wichtigen Unterschied gibt. Und zwar, ob man für etwas ausgebildet wird oder ob man sich der Kunst hingibt, etwas zu erschaffen. Ich glaube, das ist bei der Malerei ganz ähnlich.  Ich habe lange Zeit eine Kunstschule besucht, aber ich hatte auch kreative Differenzen mit meinen Lehrern in der Schule. Ich glaube, dass Kunst nicht gelehrt werden sollte. Sie sollte eine Ausdrucksform sein, und Kunst sollte etwas sein, das von Herzen kommt, Kunst kann nicht erlernt werden. Außerdem glaube ich, dass man Musik nur aus dem Herzen heraus machen kann. Wenn das nicht möglich ist, bringt es auch nichts, wenn man sie erlernt. Es ist ein Unterschied, ob man ein großartiger Gitarrist oder ein guter Songwriter für Gitarrenmusik ist.

Wo schreibst du deine Lyrics? Sitzt du zu Hause oder suchst du dir ein Fleckchen in der Natur?

Es kommt darauf an. Ich schreibe sehr oft in Flugzeugen, und ich glaube, die meisten meiner Texte sind auch in Flugzeugen entstanden. Ich setze einfach die Kopfhörer auf und höre mir etwas an, an dem ich gerade im Studio gearbeitet habe und das noch keinen Text hat. Ich sitze dann einfach da und schreibe. Aber ich muss alleine sein. Wenn meine Freundin bei mir ist, klappt es nicht Texte zu schreiben, weil wir wahrscheinlich Filme gucken. Aber wenn ich alleine bin, gibt es eh nichts anderes zu tun. So kann ich mich super fokussieren.

Welchen Song hörst du momentan am liebsten?

Da muss ich überlegen. Ich denke, im Moment ist es alles von ME AND THAT MAN- wirklich alles. Die Band macht düsteren Gothic Country. Es ist das Projekt des Sängers von BEHEMOTH. Es ist wirklich großartig. Ich schreibe auch etwas ähnliches mit LAPLEGUA, meinem eigenen Projekt. Ach und GOJIRA höre ich auch noch.

Also geht es tatsächlich mit deinem Projekt LaPlegua weiter?

Oh ja, das Album ist so gut wie fertig. Ich muss nur noch ein paar Dinge finalisieren.

Verrätst du uns auch deine Lieblingsserie?

WHAT WE DO IN THE SHADOWS. Es ist zumindest momentan eine meiner Lieblingsserien. Und ich bin auch von der neuen Game Of Thrones Serie angenehm überrascht: HOUSE OF THE DRAGONS. Ich weiß, es sieht so aus, als würden alle sterben, aber das ist halt Game of Thrones. Spoiler-Alarm, ich kann dir sagen, was in dem Buch passiert.

Bist du zu Hause eher der Hausmann oder der Koch?

Meine Freundin sitzt genau dort. Sie kann deine Frage beantworten. Koche ich?

Maegan:  Jeden Tag! Ich koche nie. Andy bereitet jede Mahlzeit zu. Es ist nicht so, dass ich nicht kochen kann, aber er ist ein so guter Koch.

Andy: Sie ist eine tolle Köchin, aber ich koche einfach verdammt gerne. Ich verscheuche sie immer aus der Küche. Ich liebe es zu kochen. Wie ich schon sagte, ich bin einfach ein kreativer Mensch.

Maegan: Er ist sehr häuslich, das ist verrückt.

Also machst du den Haushalt und Andy kocht?

Maegan: Er macht alles.

Andy: Sie macht die Wäsche und das richtig gut. Teamwork.

Gibt es einen Musiker, mit dem du gerne mal ein Duett singen würdest? Du hast bereits mit vielen Bands zusammengearbeitet, aber ich kenne kein Duett von dir.

Ein Duett gab es nicht wirklich. Aber ich habe Songs mit anderen Leuten gemacht. Brandan Schieppati von BLEEDING THROUGH war z.B. Gastkünstler auf einem Combichrist Album. Ich habe auch als Gastsänger bei einem LORD OF THE LOST Song mitgewirkt. Aber es gab nicht wirklich ein Duett. Ich habe auch mal einen Song mit Linda Mar gemacht. Sie ist eine deutsche Seifenoper-Schauspielerin (u.a. hat sie bei GZSZ mitgespielt, Anm. der Red.). Wir sollten eigentlich ein ganzes Projekt zusammen machen, aber jemand hat es dann vermasselt.

Gibt es denn eine Person mit der du wirklich gerne mal zusammen singen würdest?

Es gibt definitiv einige Künstler, mit denen ich gerne zusammenarbeiten würde, aber im Moment wohl eher auf kreativer Ebene. Ich meine, die Leute, mit denen ich wirklich gerne einen Song gemacht hätte, sind bereits tot. Wie David Bowie, er übte großen Einfluss auf mich aus, auch wenn es nicht die Musik selbst war. Oder Johnny Cash, es gibt definitiv eine Menge Künstler, mit denen ich gerne arbeiten würde, die aber nicht mehr unter uns sind.

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Welchen Beruf hast du nach der Schule erlernt?

Ich bin Grafikdesigner und habe die Schule mehr oder weniger abgeschlossen, um etwas zu haben, auf das ich zurückgreifen kann, wenn ich keine Musik machen könnte. Und ich konnte direkt meine eigenen Designs machen. Das ist echt praktisch und ich musste niemanden damit beauftragen.

Wie bist du zur Pandemiezeit mit den fehlenden Perspektiven umgegangen?

Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass ich dadurch mehr Perspektiven erlangt habe. Weil du anfängst, die Dinge aus einer neuen Sicht zu betrachten und du erkennst, dass du nichts für selbstverständlich halten kannst. Was für dich alltäglich ist, kannst du plötzlich nicht mehr tun und du lernst, die Dinge auf eine ganz andere Art und Weise zu schätzen. Ich persönlich habe es geliebt. Aber nur, weil es danach einfach so vielbedeutender war, als man endlich wieder rausgehen durfte und durch die Welt reisen konnte. Es war zugleich auch das schlimmste Jahr meines Lebens, aber jetzt ist alles verdammt geil. Allein der Effekt, dass man ohne Maske fliegen konnte. Diese Erleichterung „Yeeeeeeeees!!!“ Wer hätte gedacht, dass es so etwas mal gibt. Du sitzt im Flugzeug und denkst: ,Ja, das ist toll’, nur weil du keine Maske trägst und man sich frei fühlt. Ich glaube, Freiheit ist wirklich eine Illusion. Wenn man den Leuten alles wegnimmt und ihnen nur ein kleines bisschen wiedergibt, ist das schon Freiheit.

Welches ist dein ältestes Tattoo, dein neuestes? 

An mein ältestes Tattoo kann ich mich nicht erinnern. Dann wurde es eh übertätowiert usw. Aber die neuesten sind auf meinen Knien, eine brennende Kirche und ein Wolf.

Wenn du in einer deutschen Stadt leben würdest- welche würdest du dir aussuchen?

Das wäre Hamburg, weil ich drei Jahre lang dort gelebt habe. Und wenn ich wieder zurückkehren würde, wäre es Hamburg. Vor allem, weil ich diese Stadt so gut kenne. Es wäre am einfachsten und ich habe dort viele Freunde. Albert, lebst du in Hamburg?

Albert Diehl: Nein, Hamburg ist frei.

Andy: Dann Hamburg.

Hast du nach wie vor Ziele? Zum einen als Musiker und zum anderen als Person?

Immer. Bei den Zielen geht es nicht um Erfolg, denn Erfolg hat nichts mit Geld zu tun, oder damit groß zu sein. Erfolg bedeutet einfach, mit dem was man tut, erfolgreich zu sein. Aber ich hatte nie vor, etwas Großes zu machen. Ich wollte nie eine große Band erschaffen oder große Shows machen. Es ging nur darum, Musik zu machen. Das ist auch nach wie vor das Ziel- gute Songs und Musik zu erschaffen. Das ist das einzige Ziel, das ich je für die Musik hatte. Für die Menschen spielen zu können. Als Mensch möchte ich immer besser sein, als ich es gestern war. Einfach morgen aufzuwachen und besser zu sein, als ich es heute war. Und zwar als Mensch und als Musiker. Das ist mein einziges Ziel, stets ein bisschen besser zu werden.

Vielen Dank für die zahlreichen Einblicke und dass du dir extra Zeit für uns genommen hast.

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