OUT OF LINE WEEKENDER-Festival 2022 – Tag 1&2

Berlin… muss man nicht mögen. Es gibt viele Argumente dafür, diesen Moloch von Stadt zu meiden. Ich selbst führe immer mindestens zehn davon auf den Lippen. Und doch gibt es auch sehr gute Gründe, hin und wieder mal herzukommen. OUT OF LINE gibt uns einen davon. Wie uns Chris Pohl von BLUTENGEL im Interview (bald hier auf sharpshooter-pics.de) bestätigt, hat es vor zehn Jahren noch keine Sau interessiert, wenn in Berlin mal ein schwarzes Event stattfand. Hier regierte der HipHop und die Musik für die Schwarze Szene spielte 200 Kilometer südwestlich – in Leipzig. Dass es jetzt auch in der Hauptstadt einen “Heimathafen” für das Dunkelvolk gibt, ist auch Out of Line zu verdanken, die 2007 ihren Sitz hierher verlegten und ab 2012 den Weekender hier vor Ort veranstalteten. Und so kam es, dass sich die Kulturlandschaft hier vor Ort gewandelt hat und man mit Berlin auch als Goth mittlerweile etwas verbinden kann. Nun stand also erstmals wieder seit 2019 ein Weekender an und natürlich haben wir uns das nicht entgehen lassen.

Tag 1

Anmerkung vorab: Berufsbedingt konnte unser Fotograf am Donnerstag noch nicht die weite Reise nach Berlin antreten, weshalb es von Tag 1 nur etwas zu lesen gibt. Wir versuchen, die Ereignisse vor euren geistigen Augen lebendig zu machen.

Das Donnerstagsprogramm fand nicht in Friedrichshain, sondern im Heimathafen in Neukölln statt. Drei Bands plus Aftershowparty sollten den in der Pandemie eingerosteten Tanzwilligen einen warmen Start ermöglichen. Auch wenn wir als Pressevertreter am Einlass ein paar administrative Hürden überwinden mussten, war die Vorfreude natürlich groß. Endlich wieder tanzen! Die Location präsentierte sich sehr stilvoll im Saalbau Neukölln und die Theateratmosphäre nebst Leuchtern, verzierter Decke und schwerem Vorhang kommt nicht von ungefähr. Schließlich handelt es sich um den Spielort des Theaterkollektivs “Heimathafen”. Durch die offenen Durchgänge zum Biergarten war hier stets eine gute Belüftung möglich und man konnte sich auf kurzen Wegen mit Getränken versorgen. Als erste Band des Abends präsentierten sich die Jungs von LIZARD POOL, die aus der “Szene-Hauptstadt” Leipzig in die Bundeshauptstadt gekommen waren. Ihr nachdenklich postpunkiger Indie-Rock ist sicherlich keine Musik von der Stange, aber die verträumte Sinnsuche des Trios passt ganz wunderbar in unsere Zeit voller Unwägbarkeiten. Noch war es im Heimathafen nur etwa halb voll, aber man ist heutzutage dankbar über ein wenig Platz und Luft zum Atmen. Wir werden uns wohl nie wieder in voll besetzten Hallen bedenkenlos in fremde Achselhöhlen stürzen wie vor der Pandemie. Songs wie “Give Me Your Anger” oder “Movie House” sorgten für erste zaghafte Tanzschritte im Publikum. Hernach übernahmen MELOTRON das Szepter, um das Tempo etwas anzuziehen und ihre deutschsprachigen gefühlvollen Songs zum Besten zu geben. Zugegeben, die Duracellhasigkeit von Sänger Andy Krüger war etwas gewöhnungsbedürftig, aber was ist Musik anderes als Leidenschaft? Leider hielt die Mikrofontechnik nicht restlos Schritt mit den Ambitionen Krügers, sich die Seele aus dem Leib zu singen, während er rastlos über die Bühne sprang und das Publikum immer wieder zum Mitmachen aufforderte. Die Thematik von Songs wie “Du bist es nicht wert” dürfte einigen Besuchern wie aus dem Leben geschnitten sein und da gab es auch manchen, der trotzig mitsang. “Maschinen aus Stahl” kam auch recht gut beim Publikum an. MELOTRON ließ keine Trägheit zu, an diesem zauberhaften Abend und verlangte den Zuhörern einiges ab. Zwischendurch machte Krüger auch immer wieder klar, dass MELOTRON für den Frieden eintreten und nicht nur dafür: “Frieden und Corona-Freiheit auf dem ganzen Planeten”, rief er der Menge zu. Egal, was man nun eigentlich von deutschen Texten oder sanften Tönen hält, es muss an der Stelle auch das beachtliche Talent von Krügers Mitstreitern hervorgehoben werden und die gute Chemie des Trios auf der Bühne. Edgar und Kay bespielen ihre Klangfabrik meisterlich und der Einsatz einer Melodica brachte genau die richtige Dosis Schwermut in den Abend. Mit “Brüder” gegen Ende des Sets kam nochmal ein schönes lyrisches Stück aufs Tapet, mit Anleihen aus dem berühmten Arbeiterlied “Brüder, zur Sonne, zur Freiheit”. Mit der schlichten Aufforderung “Weltfrieden” verließen die Neubrandenburger die Bühne, um dem letzten Act den Weg zu bereiten.

Die bereits erwähnten kurzen Wege erlaubten es, Kraft vor dem Headliner zu tanken. LEÆTHER STRIP aus Dänemark überzeugte restlos selbst jeden Tanzmuffel und legte ein bemerkenswertes Finale aufs Parkett. Die Stimmung kochte, als die dänische One-Man-Show mit simpelsten Mitteln ungeahnten Bewegungsdrang im Publikum auslöste. “Civil Disobedience” reichte bereits aus und der erste Mini-Moshpit bildete sich vor der Bühne. Anhand der basisdemokratischen T-Shirtierung erkannte man ohnehin schon, wo die Hardcore-Fans standen bzw. berserkten. Die fulminante Werkschau von Claus Larsen begleitete er wechselseitig hinter seinem Synthie-Pult und frei auf der Bühne singend. Bei “Strap Me Down” ergoss sich ein wahres Strobogewitter. Lichtmeister an dem Abend war übrigens wieder einmal Frank Zörner, auf den wir kürzlich erst in unserem “Spotlight” selbst einen “Scheinwerfer” gerichtet haben (nachzulesen HIER). Der Sound in Neukölln war aber genauso gut wie die Lichtshow und so kam man nicht umhin, dem großartigen Bass Tribut zu zollen, egal ob man gedanklich noch mit MELOTRONS Texten oder persönlichen Problemen beschäftigt war: LEÆTHER STRIP war das Nasenspray, das alle Blockaden hinwegpustete und einen die Musik direkt inhalieren ließ. Das musikalische Detoxing ging vom All-time-Favourit “Japanese Bodies” über “Antius” und “Adrenaline Rush” weiter, bis es plötzlich emotional wurde: “Kurt, I miss you. These were the best concerts in my life” sagte Larsen nach oben gewandt und nahm so Bezug auf seinen vor zwei Jahren verstorbenen Ehemann und auch musikalischen Weggefährten Kurt Grünewald, der seit 2010 wiederholt als Live-Keyboarder mit LEÆTHER STRIP auf der Bühne gestanden hatte. Nach diesem sehr sympathischen Gefühlsausbruch gab es noch etwas mehr Tanzmusik, z.B. in Form des Songs “Black Candle” bis die Zeit leider abgelaufen waren. Zugaben schienen eigentlich nicht vorgesehen, aber die Menge war mittlerweile dermaßen heiß und euphorisch, dass dem Ende keineswegs zugestimmt wurde. “I’m not sure if I’m allowed to play one more”, gab Larsen bei seiner Rückkehr auf die Bühne zu bedenken, aber nach kurzer Rücksprache mit dem Veranstalter gab es dann doch noch ein bisschen Nachtisch.
Sehr energetischer Auftritt von LEÆTHER STRIP! Danach ging es nahtlos weiter mit der Aftershowparty. Die beiden DJs SX und Frank von SOLITARY EXPERIMENTS legten an diesem Abend im Heimathafen ab und auf, wobei SX den Anfang machte. Was hörten meine klingelnden Ohren als ersten Song der Party? “Glowstix, Neon & Blood” der leider nicht mehr existenten Formation INCUBITE. Wer erinnert sich noch an INCUBITE? Als die Truppe sich damals in 2014 auflöste, gab es vorher noch ein letztes Konzert in Bremen. Der Autor dieser Zeilen fiel damals seiner hybriden Ausrichtung zum Opfer, die sowohl das Besuchen von Metal- als auch Electrokonzerten vorsah. Er entschied sich damals für den Metalgig und dachte naiverweise, er habe ja bestimmt noch Gelegenheit, INCUBITE live zu erleben. Pustekuchen, aus die Maus, bei INCUBITE gingen die Lichter aus. Ein Trauma, das er nie ganz überwunden hatte, aber dank DJane SX gab es jetzt eine kleine Versöhnung. Danke dafür!

Tag 2

Am Freitag wechselte alles rüber in die eigentliche Weekender-Location: Das kultige ASTRA Kulturhaus im Stadtteil Friedrichshain. Schon ab der S-Bahn-Haltestelle Warschauer Straße zog sich ein stetiger, dunkler Storm über die Brücke und hinein in die Revaler Straße. Die Szenegänger hatten auch umgehend Hausrecht angemeldet und die umliegenden Gastro-Lokalitäten in Beschlag genommen. Selbst wenn die Pandemie nicht von der Politik ad acta gelegt worden wäre: Durch das weitläufige Gelände entzerrten sich die Besucherströme ohnehin ausreichend. Um Viertel vor sieben stimmten AUGER ihren eingängigen Synthrock an. Das Duo trat zusammen mit einem Live-Bassisten auf. Just im April hatten die Briten ihre erste, sehr erfolgreiche Headliner-Tour in ihrem Heimatland angetreten, auch wenn Corona für ein vorzeitiges Ende gesorgt hatte. Kyle, Kieran und dem mir namentlich leider nicht bekannten Bassisten merkte man die Spielfreude wirklich an, als sie unter anderem Songs ihres brandaktuellen Albums “Nighthawks” auf die Berliner Bühne brachten.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Weiter ging es mit einer gänzlich anderen Gangart. Die mit großen Widderschädel-Masken ausstaffierten EGGVN schlugen deutlich rauere Töne an. Out of Line ist keineswegs ein monothematisches Label, sondern trägt durch die Verpflichtung von sehr verschiedenen Künstlern dem Umstand Rechnung, dass die Schwarze Szene unheimlich vielfältig ist. Die Mexikaner veröffentlichten über Out of Line 2021 das Album “La Era de la Bestia” und nehmen thematisch Bezug auf die harte Wirklichkeit in ihrem Heimatland. Hier kamen auch die metallischer interessierten Besucher auf ihre Kosten. Der Sänger sprang auch mehrmals in den Graben und suchte den Kontakt zu den ersten Reihen des Publikums. Wem das alles etwas zu hart war, konnte im Hof der Location das abwechslungsreiche gastronomische Angebot unter die Lupe nehmen. Mit einem Sloppy Joe Sandwich und Chili sin Carne waren auch zwei vegane Gerichte auf der Karte – sicherlich keine Selbstverständlichkeit. Danke dafür! Aber auch die typische Berliner Currywurst sowie Pommes in einigen Versionen waren natürlich erhältlich. Nun wurde es hardstylig im Astra Kulturhaus.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Das dynamische Duo [X]-RX aus Köln hat lediglich ein Versprechen: Schweiß! Mit “Riot” begann das Set der quirligen Tausendsassas (-sassen, -sassinen, -sassinellis?) und es ging direkt weiter mit “Code:Red”. Nein, nicht das langsam stampfende von [:SITD:], das sind die anderen mit den eckigen Klammern im Namen. Nein, der gemeine, kleine, hyperaktive Bruder dieses Tracks ist gemeint. Der dich nicht schlafen lässt und vehement heftige Bewegungen einfordert. Aufdringlich, aber hier in Berlin brauchte niemand eine zusätzliche Einladung. Habt ihr schonmal ein schlechtes [X]-RX-Konzert erlebt? Eins, dass eure Erwartungen nicht erfüllt hat? Ich sage: Das ist vollkommen ausgeschlossen. Bis zu dem Tag, an dem [X]-RX ein Konzeptalbum mit an Wagner angelehnten Balladen herausbringen und auf Unplugged-Tour gehen, wird das Versprechen auf Verausgabung und schmerzende Füße immer eingelöst werden! Meinen persönlichen Favoriten “Kein Herz” konnte ich noch mithüpfen und -brüllen, ebenso das höfliche Empfehlungsschreiben aus der Hölle “Shut The Fuck Up And Die”, dann wurde ich zum Interview mit BLUTENGEL abkommandiert.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Aber ohne das weitere Set verfolgt zu haben, kann ich sagen: Es war ein totaler Abriss (10 Euro in die Phrasenkasse) und einige aufgeputschte Teilnehmer mussten für die melancholischen ASHBURY HEIGHTS sicherlich erstmal wieder runtergebracht werden. Doch HALT: Als ich den durch “Gasoline & Fire” deutlich aufgeheizten Raum wieder betrat, war grad eine ausgewachsene Party im Gange. Waren das die ASHBURY HEIGHTS, die ich einst in jungen Jahren mit geschlossenen Augen auf einem Bett liegend in meine Seele gesaugt hatte? Die erste kognitive Dissonanz verflog zum Glück recht schnell. Anders Hagström präsentierte sich mit deutlich längerem Haar und Bart (Hatten wir bereist erwähnt, dass auch die [X]-RXler deutlich holzfälliger aussahen als früher? Vielleicht ist das der neue After-Pandemie-Look des Mannes von heute?) und offenbar in bester Feierlaune, ebenso die atemberaubende Yasmine Uhlin, die ein fantastisches Bühnen-Charisma offenbarte. Zunächst ging es zurück in die Zeit kurz vor der Pandemie mit “Headlights”, dann folgte allerdings der Sprung mitten ins Jahr 2020. “Wild Eyes” war damals mit der Künstlerin Madil Hardis zusammen aufgenommen worden. Der Clubhit “Spiders” durfte natürlich auch nicht fehlen, aber an dieser Stelle mal ein kleiner Aufruf an alle Szene-DJs: ASHBURY HEIGHTS haben viele wunderbare, tanzbare Stücke, es muss nicht immer nur “Spiders” sein! Spielt doch mal wieder “Waste Of Love” oder “Waiting For The Fall” bitte! Nach dem ebenfalls gut gealterten “SmAlLeR” ging es dann zu einem Erfolg der jüngeren Zeit “One Trick Pony” elektrisierte die Massen. Noch einmal alles in Sachen Mitsingen geben, konnte man dann beim letzten Song. “Anti Ordinary” brennt sich in die Gehörgänge und man summt es noch den ganzen Abend und eventuell auch noch den darauffolgenden. Hören nur auf eigene Gefahr! ASHBURY HEIGHTS haben wir in Deutschland viel zu selten zu Gast, von daher waren die drei Schweden ein hoch geschätzter Leckerbissen.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Wenn es ein Gütesiegel für elektronische Musik gibt, dann ist es sicherlich “Made in Belgium”. Auch am Folgetag gab es zwei belgische Bands im Line-up, heute trug allein Dirk Ivens von DIVE die belgische Flagge in die Arena. Es braucht manchmal gar nicht viel, um Szenegänger glücklich zu machen. Das Gebot der ersten Stunde im Bereich EDB war Minimalismus. Und diesem Prinzip folgen DIVE noch immer. Aus der Zeit gefallen und daher zeitlos. Es kann nicht schaden, sich hin und wieder zu erden und sich daran zu erinnern, wo das alles herkam. DIVEs “distorted noise tracks” fanden auch hier in Berlin dankbare Abnehmer. Es gab ein paar Anwesende, die offenbar wie eine Insektenpuppe auf ihren Moment gewartet hatten. Konnte man bei den vorhergehenden Acts nur minimale Bewegungen bei diesen Leuten beobachten, so brachte DIVE sie abrupt zum Schlüpfen und dann gab es eine regelrechte Explosion. Ein Phänomen, was sich am zweiten Tag bei DAF wiederholen sollte.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Heimspiel für SOLITARY EXPERIMENTS! Nachdem man ihnen schon auf der Aftershowparty des Vortags nicht entkommen konnte und wollte, bekam man jetzt als SE-Suchti die volle Dröhnung. In voller Live-Mannstärke mit fünf Recken waren die Berliner angetreten, um einmal mehr ihr Motto: “Solid, catchy, high quality electro sounds with attitude” zu zelebrieren. Letzteres ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. Ja sicher, catchy ist fast jede Electromucke irgendwie, aber viel zu oft werden Texte zu Gunsten der Rhythmen vernachlässigt, so als könne man unmöglich beides in voller Qualität abliefern. Wer das glaubt, hat die letzten dreißig Jahre wohl unter einem geräuschunterdrückenden Stein verbracht. VNV NATION ist ein Begriff, ja? Gut. Aber SOLITARY EXPERIMENTS gibt es jetzt fast schon ebenso lang und wir können uns langsam schon auf die Feierlichkeiten zum 30-Jährigen einstellen, oder Jungs? Die Römer veranstalteten jedes Mal einen großen Triumphzug, wenn sie nach 30 Jahren Kampf in irgendwelchen Wäldern mal wieder einen Stamm mit unaussprechlichem Namen unterjocht hatten und weil sie dabei gewöhnlich mal wieder den Bogen überspannt hatten, errichteten sie für ihren Obermacker auch gerne noch nen hübschen Steinhaufen zum Drunterdurchlaufen. Gerüchteweise gibt es so ‘nen Klotz auch mitten in Berlin. Was macht IHR eigentlich 2024, um 30 Jahre on the road zu feiern? Aber gut, noch ist es nicht so weit. Erst einmal galt es, das ASTRA Kulturhaus einmal mehr zu bespaßen. Und Spaß machen SOLITARY EXPERIMENTS in jedem Fall. Man muss keine blauen Flecken vom Pogen nach Hause tragen um den Beweis zu erbringen, Spaß gehabt zu haben. Man kann auch mal einfach nur genießen. Mit “Trial and Error” und “Epiphany” startete das Set gleich mit zwei Songs vom “Phenomena”-Album. Gefühlt kam es vor kurzem erst raus, aber holy shit, dieses Album ist ganze acht Jahre alt! Die Pandemie hat uns wohl wirklich ein paar Jahre in der Wahrnehmung gekostet. “Das hat gefehlt, ne?”, stellte Sänger Dennis Schober eine rhetorische Frage. “Micha! Mach mal noch n’ Hit” forderte er seinen Mistreiter auf. Der ließ sich nicht zweimal bitten und stimmte nacheinander “Crash and Burn” und natürlich das zeitlose “Delight” an, den absolut jeder mitsingen kann. “Stars” folgte auch kurz danach, denn Micha hatte die Hitmaschine nicht mehr abschalten können, der Knopf hatte sich wohl verklemmt. Dann gab es auch noch eine Livepremiere: Die erste Single des kommenden Albums “Every Now And Then” erblickte das Live-Licht der Welt und wurde herzlich in den Hitreigen aufgenommen. Nach MELOTRON gab es auch Bei SOLITARY EXPERIMENTS politische Botschaften zu hören: “Make music not wars!”. Nach “Brace Yourself” gab es noch das obligatorische “Rise And Fall” und dann fiel leider auch der Vorhang für diese großartige Truppe.

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Fotos: Cynthia Theisinger

Nun gab es noch den Headliner zu sehen. Die oberen Ränge waren in diesem Jahr fest in Berliner Hand! Über BLUTENGEL wurde viel geschrieben. Von den Fans vergöttert und mit Vehemenz gegen jene verteidigt, die bei den Texten mangelnden Tiefgang unterstellen, zeichnen sich auch BLUTENGEL durch eine bemerkenswerte Stringenz aus. Wenn man in der Schwarzen Szene eins gelernt hat, dann abweichende Meinungen auszuhalten und einfach sein Ding durchzuziehen. Das tun BLUTENGEL schon seit vielen Jahren und ihr Erfolg wächst und wächst. Natürlich gehören zum Showkonzept auch hübsche Tänzerinnen und eine spannende Choreographie, also wurden noch schnell nicht nur die Ohren, sondern auch die Brillengläser geputzt. Nach dem epischen Intro enterten Szene-Ikone Chris Pohl, Ulrike Goldmann und die anderen “Engel” die Bühne und was soll man sagen? Es war wie ein Gottesdienst in einer Achterbahn, ein Blumenpflücken in Mordor, Apnoetauchen im Schokobrunnen. Zu Beginn wurden gleich mal türkisblaue Leuchtstäbe durch die Luft gewirbelt, was hervorragend die Stimmung der Neonaffinen ankurbelte. “Wir haben die tolle Aufgabe, euch jetzt noch einmal alles abzuverlangen”, verkündete Chris. Getrieben vom virtuosen Tastenzauber von Lukas Schaaf wurden wir durch die Düstersafari gepeitscht. Natürlich kamen die entsprechend BDSM-thematischen Songs (“Wer ist dein Meister?”/”Bloody Pleasures” )auch nicht ohne gewisse Requisiten aus. Hier wurde kräftig die Reitgerte geschwungen und an der Leine gezogen. Ja, BLUTENGEL ist auch etwas für’s Auge. Ist das verwerflich? Keineswegs! Solange es zur Stimmung des Textes passt und nicht von der Musik ablenkt, sondern mit dieser eine Einheit bildet. Die Band beherrscht diese Balance meisterlich. Auch bei “Dein Gott” wurde wieder schweres Geschütz aufgetragen, inklusive schwarzem Flügel- und Hörnerkostüm und “Blut” aus Kelchen. Es ist natürlich schwer, aus so einer langen Bandgeschichte irgendwelche Songs herauszugreifen und als “Hits” zu bezeichnen, bei BLUTENGEL gibt es davon schließlich reichlich. Aber man freut sich trotzdem immer wieder, wenn Songs wie “Engelsblut” gespielt werden, die man wohl auch im Koma noch auswendig singen könnte. Will man neue Songs hören? Selbstverständlich! Aber die alten dürfen auch nicht zu kurz kommen, denn damit sind oft viele schöne Erinnerungen verbunden. “The Victory of Light” war aber auch hinreichend present, denn neben der bereits erwähnten Hymne der Unterwerfung, gab es auch relativ früh im Set noch “Darkness Awaits Us” und “Wie Sand” zu hören. Zwischendurch ereigneten sich auch die berüchtigten Schlagabtausche zwischen Keyboarder Lukas und Chris Pohl, die man mittlerweile als auflockernde Showeinlage auch liebgewonnen hat. Für zehn Sekunden bekamen wir sogar eine kurze Keyboard-Performance von Chris zu hören. Ein Abend voller Wunder. Nach “You Walk Away” endete das Set eigentlich, zumindest wurde das seitens Chris angedroht, wenn man im Publikum nicht deutlichen Widerspruch äußern würde. Das ließ sich selbstverständlich niemand zweimal sagen und wir hatten Glück, dass die historische Bausubstanz des ASTRA den Jubel unbeschadet überstand. Dementsprechend üppig fiel dann auch die Zugabe aus. Zunächst verzauberte Uli Goldmann uns mit einem eindringlich vorgetragenen “Black Roses”, danach gab es “Lucifer” auf die Ohren, ohne das mittlerweile auch kein BLUTENGEL-Set mehr auskommt. “She was not one of them” – tjaaa…. offenbar doch. Doch nach “Our Souls Will Never Die” war das Set fast rum. Auch die Magie von BLUTENGEL wird sich sicherlich als nahezu unsterblich erweisen. Mögen sie uns noch lange “die Hand reichen” und unsere Welt in lodernde Flammen der Begeisterung hüllen!

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Fotos: Cynthia Theisinger

Morgen erfahrt ihr, was an Tag 3 im Kulturhaus geschah und ob SUICIDE COMMANDO die Hütte haben stehen lassen und wie das “Comeback” von DAF verlief.

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