Plage Noire 2021 – So war der Freitag

Idyllisch am Weißenhäuser Strand an der Ostsee gelegen, hat dieses Festival das Potential, Badespaß und Musikgenuss zu verbinden. Aber nicht kurz vor Halloween – außer für temperaturunempfindliche Besucher. Die Temperaturen tun dem jedoch keinen Abbruch, so ist dank des wunderbaren Wetters – kein Regen, nur wenig Wind – ein Besuch am Strand immer eine schöne Gelegenheit, dem Alltagsstress zu entfliehen. Oder eben dieses durch Musikgenuss, Modenschauen, Lesungen und vieles mehr über zwei Tage zu erreichen.
In gewohnter Manier gibt es die Hauptbühne in dem als “Chapiteau” bezeichneten großen Zirkuszelt, die zweitgrößte Bühne als Salle de Fête im sehr niedrigen, aber langen Tanzsaal des Gebäudekomplexes und schlussendlich die als “La Rotonde” bezeichnete Alm – eine achteckige Jagdhütten-Zeltkonstruktion aus Holz als festes Gebäude, in welchem eine Hälfte als Wirtschaftsbereich abgetrennt ist.

Modenschauen wurden in der Galerie des Gebäudekomplexes durchgeführt, Restaurants erweiterten das über Bratwürste und Bierbuden hinausgehende, kulinarische Angebot. Im Außenbereich waren zudem zahlreiche Händler, die ihre auch auf Mittelaltermärkten zu findenden Sachen anpriesen, und auch ein Basar, auf dem szenetypische Kleidung und weiteres zu finden war, zu entdecken.

Der erste Tag sah den Auftritt von 11 Bands auf 3 Bühnen vor, wobei die in der “Rotonde” und im “Salle de Fête” durch Parallelität den Besucher vor die Qual der Wahl stellten. Szene-Schwergewichte spielten auf der Hauptbühne im “Chapiteau”, während nicht minder begabte Künstler in den anderen Locations das Publikum begeistern sollten. Kurzfristig für krankheits- und organisatorisch bedingte Absagen einspringend, waren TORUL anstelle von DAS ICH und SUICIDE COMMANDO für ASSEMBLAGE 23 anwesend.

UNZUCHT

UNZUCHT startete sehr ruhig auf der Zelt-Hauptbühne des Strandfestivals. Obwohl das Album “Jenseits der Welt” bereits im Februar 2020 erschienen ist, war es wohl doch als Wegweiser für die folgenden Monate zu verstehen. So erscheint die gesamte Situation um die Pandemie so surreal, dass dieses sicherlich jenseits der Welt ist, die wir alle kennen. Doch dieses Festival führt uns ein Stück weit wieder an die altbekannten Gegebenheiten heran. Das Zelt ist schon ordentlich befüllt und es ist feststellbar, dass die Menge solch einem Moment lange entgegen fieberte, was auch durch den Applaus nach den Liedern hörbar war – besonders nach der Aufforderung durch Sänger Schulz “Es ist so geil das wieder zu sehen, das wieder erleben zu dürfen! Macht mal Krach!”. Die Stimmung steigt von Song zu Song, die Menge geht eigenständig mit und dankt es den vier Künstlern damit.
Wer mehr erleben möchte, kann Unzucht im März und April 2022 auf der “Jenseits”-Tour sehen und hören.

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Fotos: Nola

ANY SECOND

Die musikalische Eröffnung in der “Rotonde” setzte ANY SECOND standesgemäß um, wenn auch als Duo, da Oliver seinem Nachwuchs zum 1. Geburtstag nicht fernbleiben konnte. Die kleine Bühne erlaubt dennoch dem Sänger Jan, sich öfters gekonnt in Szene zu setzen und das Berliner Duo heizt der immer größer werdenden Zuschauermenge ordentlich ein. Tanzen, mitgrooven, Stimmung: alles passt. Jan bedankt sich für das bisschen Normalität in dieser Zeit und motiviert alle, dass diese Phase gemeinsam überstanden wird und danach geht’s dann weiter. Nach viel zu kurzer Zeit ist diese Tanzveranstaltung leider vorbei, doch lässt sie für das Festival bei solch einem Opener noch großartiges erwarten!

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Fotos: Cynthia Theisinger

TORUL

Kurzfristig eingesprungen für DAS ICH, konnten die beiden Musiker von TORUL im “Salle de Fête” ihre Elektropop-Balladen spielen. Auch wenn die Akustik des Raumes sehr fordernd ist, so war es den beiden Slowenen möglich, das Publikum mit ihren Werken mitzureißen und in ihren Bann zu ziehen. Derzeit als Vorband von COVENANT auf Tour, legten die beiden einen ruhigen Start hin und steigerten sich und somit auch die Stimmung im Publikum sukzessive.

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Fotos: Nola

DIARY OF DREAMS

Die wunderbaren DIARY OF DREAMS um den charismatischen Sänger Adrian Hates konnten die Stimmung weiter anheizen. Im Zelt, welches sich weiter füllte, bot sich für die anwesenden Musikliebhaber sowohl eine ordentliche Lichtshow als auch ein guter “DIARY”-Mix an dargebotenen Liedern. Zu Beginn ein wenig ruhiger startend, heizte das Quartett dem Publikum zunehmend ein und es wurde auch seitens des Sängers zum Ausdruck gebracht, dass die Freude der Band, wieder vor einem Festival-Publikum spielen zu können, groß ist. Dass die Musiker mit Herz und Blut dabei sind, konnte auch Gitarrist Hilger wieder demonstrieren, verlieh er seiner weißen Gitarre doch dezente rote Schattierungen. Der Abwechslungsreichtum der Lieder ermöglichte sowohl leichtes Tanzen, einfach nur in der Musik zu schwelgen und leicht zu schunkeln, ganz so wie man es gewohnt ist. Das einzige Wermutströpfchen war, dass die Stimme von Hates immer noch angeschlagen klang – wir wünschen an dieser Stelle weiter gute Genesung.

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Fotos: Nola

SUICIDE COMMANDO

Kurzfristig für ASSEMBLAGE 23 eingesprungen, konnten die Belgier von SUICIDE COMMANDO um Johan van Roy zumindest diesen Electro-Slot befüllen – obwohl die Stilrichtung anders ist. Manche Fans dürfte es gefreut, manche nicht erfreut haben. Aber dass der Andrang zu diesem Konzert hoch war, war spätestens nach den mehrfachen Einlass-Stops und den langen Schlangen klar. Mit Maske und Kapuze stark einsteigend, konnten Johan und sein Ensemble die Massen zum anhaltenden Tanzen motivieren und die Stimmung in kurzer Zeit auf ein Hoch katapultieren. Auch wenn der Klang in diesem Tanzraum für Tontechniker besonders fordernd ist, konnte das Team für einen sehr guten Sound sorgen und SUICIDE COMMANDO mit den Liedern mit ordentlich Druck und Wumms bis zum Ende für ein zweifelsfrei unvergessliches Konzerterlebnis sorgen.

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Fotos: Cynthia Theisinger

ADAM IS A GIRL

In der Alm – so heißt das achteckige Holzbauwerk “La Rotonde” – spielten ADAM IS A GIRL parallel zu SUICIDE COMMANDO. Wer es mehr Industrial-lastig mochte, war dort, wer aber auf guten ehrlichen Indiepop stand, der kam hierher. Das Trio um Anja Adam und Alex Pierschel konnte dabei druckvoll vom ersten Beat an die zu Beginn noch überschaubare Masse in ihren Bann schlagen und singen. Ein guter Mix aus den bisherigen Alben erzielte seinen Zweck und brachte die Masse zum Tanzen, mitsingen und den Abend sichtlich genießen. Den Abschluss machte die Abschiedsode an die Heimatstadt Berlin.

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Fotos: Nola

SCHANDMAUL

Die Mittelalter-Rock-Kombo um den Sänger Thomas Lindner startete erwartungsgemäß mit mittelalterlichen Rockklängen und konnte trotz der gleichzeitig aufspielenden Bands auch schon zu Beginn eine für dieses Genre auf solch einem Festival ansehnliche Zeltfüllquote aufweisen. Die Masse ließ sich auch frenetisch mitreißen und sog dem hauptsächlich sitzenden Barden die Worte förmlich von den Lippen. Für alteingesessene SCHANDMAUL-Fans war sofort auffällig, dass sich die in Mutterzeit befindliche Saskia nicht an der Drehleier und Violine musikalisch ins Getümmel wagte, sondern durch eine adäquate Ersatzmusikerin bestens vertreten wurde. Die durchweg gute Stimmung während des Auftritts lockte auch weitere Besucher an und es war spürbar, dass die Musiker für dieses letzte SCHANDMAUL-Konzert des Jahres alles gaben. Obwohl er mit dem Fahrrad verunfallt war, verbrachte er beispielsweise “Teufelsweib” im Stehen, weil das Lied es verdient habe. Auch die in unterschiedlichen Variationen dargebotenen Refrains rissen das Publikum immer mehr mit. Zum Abschluss wurden noch Videogrüße an Saskia geschickt und ein Ausblick auf ein neues Werk im nächsten Jahr gegeben.

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Fotos: Nola

SHE PAST AWAY

Ein besonderes Kontrastprogramm auf dieser Konzertbühne nach SUICIDE COMMANDO, boten die unvergleichlichen SHE PAST AWAY aus der Türkei. Mit ihren Post Punk-Balladen stellten die Songs für einige eine ideale Entspannung nach der überraschend nicht mehr gewohnten Anstrengung des Festivaltages dar. Unabhängig davon, ob diese dann zum vorzeitigen Ausklingenlassen des Abends oder zur Entspannung vor dem Zelt-Headliner genutzt wurde, der moderat gefüllte Tanzsaal erlaubte es jedem zu den Klängen abzutauchen und für sich zu tanzen, mit offenen oder geschlossenen Augen. Sphärische Atmosphäre durch Keyboard von Doruk, das Düstere in der Stimme von Sänger Volkan, gepaart mit den Gitarrenriffs lassen erahnen, welche Wurzeln Post Punk hat – rebellisch und doch brav. SHE PAST AWAY waren ein sehr würdiger Abschluss für diesen Tag und diese Bühne, für manchen Zuhörer ein Moment zum Innehalten und sich auf den morgigen Tag oder sphärische Klänge höherer Dynamik im Zelt freuen.

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Fotos: Cynthia Theisinger

EMPATHY TEST

Der Alm-Headliner des ersten Festival-Abends war EMPATHY TEST, das Londoner Trio um Isaac Howlett. Der Senkrechtstarter der Synthpop-Szene konnte mit Christina Lopez an den Drums und Oliver Marson den ersten Besucherrekord des Tages in der Alm verbuchen: Einlass-Stop! Bämm. Berechtigt. Trotz Stimmproblemen konnte Isaac von der ersten Strophe an begeistern, das Publikum nicht nur zum Mittanzen, sondern auch zum Mitsingen animieren. Die Drum-Solos von Christina waren zu den Synth-Klängen von Oliver eine ideale Ergänzung und rundeten Song für Song für sich ab. Vermutlich war es genau das, was den hochkarätigen Besuch bei diesem Auftritt bescherte. Dejan von DIARY OF DREAMS war der erste, in den man rein rannte, nur um kurze Zeit später sowohl Adrian als auch Hilger zu erspähen, die andächtig der Musik folgten. Nach dem tollen Auftritt von TORUL verschlug es auch diese beiden Künstler hierher und unter der wirklich dichten Menge erspähte man auch die Mannen von UNZUCHT und plötzlich war, einen Tag zu früh, VANGUARD auch im Publikum. Unterschiedliche Lieder, schnelle, melancholische, gefühlvolle, alles war dabei und das Publikum feierte diese Darbietung bis zum Ende. Isaac bedankte sich bei den Anwesenden, dass sie nicht bei dem Zelt-Headliner VNV NATION waren, sondern auch den kleinen Bands eine Chance geben. Vermutlich sind die meisten danach noch in das große Zelt gewechselt, aber dort standen die Besucher bereits bis zum Eingang herum.

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Fotos: Nola

VNV NATION

Der diesabendliche Headliner VNV NATION mit Ronan Harris ist ein Garant für volle Säle und, wie in diesem Fall, volle Zelte. Wer früh die anderen, parallel spielenden Bands verließ um sich einen guten Platz zu sichern tat sicherlich ein Gutes daran, aber verpasste auch etwas. Dynamisch startend, nahm Ronan unmittelbar die Bühne ein und konnte durch seine motivierende Art die Stimmung auf ein hohes Niveau bringen. Selbst eine auf die Bühne geworfene irische Flagge konnte die musikalische Darbietungslust nur kurz unterbrechen, diese umlegend ging es dann in guter Manier weiter und nach dem Lied wanderte die Flagge entsprechend zurück. Dass die Mehrzahl der VNV NATION-Stücke durchweg zum Tanzen dienlich sind, wurde auch an diesem Abend unter Beweis gestellt. Die letzten Kräfte mobilisierend und durch die lange Festivalabstinenz aus der Übung, scheinen einige Gäste am Ende der Kräfte angekommen, doch Ronan kitzelt auch aus diesen das letzte Fünkchen Energie raus. Die bekannteren Stücke lassen die Stimmung förmlich explodieren, während etwas weniger bekannte Stücke dazu beitragen können, dass die Gäste wieder Energie sammeln können. Wenn die Bewegungen nicht mehr so flüssig sind, wird um so lauter mitgesungen bei den überall gut bekannten Balladen. Gerade bei “Illusion” singen die Fans einen Teil alleine, was Ronan überrascht, ihn sichtlich rührt und er unter Dank von sich gibt, dieses so nicht erwartet zu haben. Das ebenfalls sichtlich gerührte Publikum bedankt sich danach mit einem ordentlichen Applaus. Die Zeit verging wie im Flug und schon war der erste Tag Festival mit tobendem Applaus zu Ende.

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Fotos: Nola

Nach dem Spektakel von VNV NATION musste die Aftershow Party auf einem hohen Niveau einsteigen, um einen halbwegs sauberen Übergang zu ermöglichen. Der Tanzsaal – das “Cri de la Mouette” – lag mit seiner Lage definitiv höher, aber ob dieses auch für die Party als solches gelten konnte – das ist ein sehr subjektiver Aspekt für jeden Besucher.
Zurückblickend auf den ersten Festivaltag kann eigentlich nur festgestellt werden, dass es sich halbwegs normal anfühlte. Prä-pandemisch sozusagen. Eine Vielzahl der Personen zeigte ihre Happy Faces, einige hatten den Schnutenpulli auf – niemand hat darüber gemeckert, niemand hat das kritisiert, die Szene ist wie sie war und wofür sie bekannt ist: einfach friedlich und ein Haufen schwarzer Genießer. Es lässt sich auch wieder feststellen, dass das Café am Ausgang zum Zelt wieder viel zu früh schließt, Warteschlangen in der Gastro moderat waren, die Security super freundlich und hilfreich, die Autogrammstunden gut besucht, tolle Models vorhanden, die gesamte Organisation professionell erfolgte und letztendlich es unserem Körper an Festivaltraining fehlt.

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