Der Norden vergisst nicht! – SAMSAS TRAUM Weihnachtskonzert und Lesung

Endstation Lübeck – Der Zug endet, aber die Reise mit SAMSAS TRAUM beginnt!
Früher wechselte man einfach so ins neue Jahr, mit Feuerwerk zwar, Brimborium und Feierlichkeiten, aber die musikalische Jahresendzeitunterhaltung beschränkte sich zumeist auf „Oh Tannenbaum“ und mitgegrölte Schlager in der Silvesternacht. Wie schön, dass unsere Bands uns heutzutage nicht mehr so einfach davonkommen lassen, sondern uns mit Weihnachts- und Jahresabschlusskonzerten beschenken. Im Hause Kaschte gab es schon immer ein faires Geben und Nehmen. Man wurde als Fan in einen aberwitzigen Strudel aus unterschiedlichsten Dingen hineingezogen und oft nahm der Traumzug dabei unerwartete Abzweigungen, holperte über Gütergleise und Nebenstrecken, entgleiste immer nur fast und offenbarte seinen Fahrgästen immer wieder neue verstörende Welten. Dies erforderte ein hohes Maß an Flexibilität und Abenteuerlust. Aber dafür bekam man auch viel mehr als Standardangebote. Man erhielt immer wieder tiefe Einblicke in die Künstlerseelen hinter SAMSAS TRAUM, man bekam mannigfaltige Kunst zu hören und zu sehen, konnte phantastische Merchandise-Artikel in hoher Qualität und von phänomenaler Kreativität erwerben und so ganz tief eintauchen in eine düstere samtschwarze Welt. SAMSAS TRAUM-Fan zu sein ist ein Vollzeitjob ohne einen Platz für Mittelmäßigkeit, Unverbindlichkeit oder Halbherzigkeit! Kaschte will eure Seelen ganz und gar und wer weniger zu geben bereit ist, vor dem wird kompromisslos das Tor zugeknallt!

Apropos Tor: An der Hingabe der etwa 200 Fanatiker in Lübeck musste an diesem Wochenende unterdes nicht gezweifelt werden. Als „Traumfänger“ bot das Cargo-Schiff unweit des Holstentors der Veranstaltung einen besonderen Rahmen und die Sause war natürlich ausverkauft. Am Freitag erwartete die treuen Anhänger zunächst eine von Alexander Kaschtes berüchtigten Lesungen. Der eigene Insektenhaus-Verlag hat mittlerweile eine beträchtliche Anzahl an Werken aus der Feder des Marburger Künstlers ausgestoßen aber auch hier gilt wieder einmal: Qualität wird großgeschrieben! Kaschte erwies sich als lupenreiner Demokrat und überließ dem Publikum die Wahl, ob etwas Trauriges vorgetragen werden sollte oder ob der Sinn eher nach Humoristischem stand. Wer bei der Versammlung verlorener Seelen mit dem Hang zur Morbidität auf Ersteres getippt hätte, wurde überrascht: Das Auditorium verlangte es danach zu lachen.

Und so wurde als Text Nummer eins „Bitte nicht beleidigen!“ vorgelesen. Anlass und Inhalt dieses Berichtes war der nach und nach eskalierende E-Mail-Verkehr Kaschtes mit der Mutter eines Fans, die im Text den wunderschönen Namen „Frau Wonnehügel“ trug und ganz offensichtlich unfähig war, die Online-Instruktionen zum Thema Autogrammversand und Signierungen korrekt zu verstehen und anzuwenden. Dieser Vortrag kam beim Publikum dermaßen gut an, dass der zweite Text des Abends in die gleiche Lach-Kerbe schlagen sollte, es folgte der schon etwas ältere Text „Bitte nicht trinken!“. Dieser Bericht Kaschtes von einem seiner Ausflüge in die Ukraine, bei dem sich die Ereignisse nach und nach überschlugen, war beispielsweise schon einmal im Rahmen einer WGT-Lesung im Leipziger „Riverboat“ vor einigen Jahren zu hören gewesen – man merke also: Kaschte und Boote sind eine wunderbare Kombination.
Ob Schwimmübungen bei einstelligen Temperaturen mit einem Tschernobyl-Liquidator, Beinahe-Vergewaltigungen durch verhutzelte Ureinwohnerinnen oder das knappe Entgehen einer Hinrichtung durch Nazi-Milizen – der Text, dessen roter Faden der ständige Konsum von hochprozentigen Getränken war, ließ kein Auge trocken und macht Lust auf eine Reise nach Osteuropa – so man sich denn traut. Da mittlerweile einige der „Bitte nicht…“ -Texte entstanden sind, denkt Alexander Kaschte offenbar auch über eine Veröffentlichung in Buchform nach.

Die etwa neunzigminütige Lesung bot in jedem Fall kurzweilige Unterhaltung. Interessanterweise bemerkte der Veranstalter vor Ort später, dass sich viel mehr Zuhörer auf dem Boot befanden, als Karten für die Lesung erhältlich gewesen waren. Die Irrläufer, die, unabsichtlich oder nicht, Einlass mit einer Konzert-statt Lesungskarte erhalten hatten, standen somit vor dem Problem, dass sie am nächsten Tag der Kombiveranstaltung mit entwerteter Karte keinen Einlass erhalten würden. Aber Alexander Kaschte bewies Besonnenheit und Augenmaß, schließlich war man hier unter sich. Er bot dankenswerterweise an, den Einlass am nächsten Tag für die reuigen Fehlgeleiteten schriftlich zu genehmigen, unter der Voraussetzung, dass eine Spende für das Kiewer Kinderheim in bar vor Ort geleistet würde.

Hier wurde auch den schlechter Informierten klar, dass Kaschtes Ostreisen keineswegs nur dem Vergnügen gedient hatten. Wer den beklemmenden Bildband „Und der Name des Sterns heißt Demut“ von ihm kennt, weiß, welchen Eindruck die Ukraine und speziell die Region um Tschernobyl auf den Künstler gemacht hat. Das erwähnte Kinderheim ist nur eines der Projekte, die Alexander Kaschte und seine aus Russland stammende Frau Asja in Osteuropa unterstützen. Das „Kiew-Sparschwein“, das vor Ort aufgestellt war, sollte an beiden Tagen der Veranstaltung mit circa 500 Euro gefüllt werden, dann werde „etwas Cooles passieren“, versprach der Künstler.
Nach einem anschließenden DJ-Set auf der Folgeveranstaltung „Schwarzer Tanztee“ endete der erste Abend im gemütlichen Bauch des Cargo-Schiffes.

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Fotos: Birger Treimer

Am Samstag nun sollte es Musik aus dem SAMSAS TRAUM-Universum zu hören geben, das eigentliche Weihnachtskonzert lockte wieder über 200 Besucher auf das Eventschiff.
Der kleine Raum war rappelvoll und statt der draußen vorherrschenden Weihnachtsstimmung, wollten die Fans in Gesellschaft von Gestalten wie toten Katzen und schlechten Zebras den Traum zelebrieren. Draußen gab es Glühwein, drinnen eher Bier, aber die Location bewies auch eine enge Verbundenheit mit der Band und bot eine spezielle Getränkeauswahl an. Die Longdrinks „Wolfsblut“, „Igel im Nebel“ und „Camparis Traum“ konnten beispielsweise verkostet werden.

„Dein bleicher Wolf“ war auch eines der ersten Lieder, die zum Besten gegeben wurden, gefolgt von „Auf den Spiralnebeln“ vom „Heiliges Herz“-Album. Die Frage Kaschtes, ob es hier in Lübeck Parasitenfotzen gebe, wurde einstimmig bejaht und der Song neueren Datums lautstark mitgesungen, genau wie „Im Tal des schwarzen Mondes“ vom „vergessenen Album“. Im späteren Verlauf des Sets gab es dann praktisch sämtliche Hit-Klassiker der vergangenen Jahre zu hören. Von „Stille Nacht, heilige Nacht“ keine Spur, vielmehr „Heiliges Herz“ wurde von der Masse verlangt.
Dass SAMSAS TRAUM und ihre Fans in einer ganz besonderen wechselwirkenden Beziehung zueinander stehen, wurde nicht nur dadurch bewiesen, dass die Menge den Song „Ich wünsch mir, dass das Zebra schweigt“ praktisch im Alleingang, dirigiert von Kaschte, chorisch interpretierte. Nein, es wurde auch Platz für Zwischenmenschliches eingeräumt. Vom Künstler dazu aufgefordert, enterten ein Fan und seine weibliche Begleitung die Bühne und der zerknirschte junge Mann erklärte öffentlich seine Reue für vergangene Verfehlungen und gelobte seiner Herzensdame Besserung. Dieser Mut und die Versöhnung vor der Traum-Gemeinde erwärmte die Herzen sehr viel wirkungsvoller als die inszenierte Besinnlichkeit auf den Weihnachtsmärkten.

Die Spendenaktion vom Vortag wurde auch wie versprochen zu Ende geführt. Nach einer akustischen Prüfung des ausgestellten Sparschweins durch einen Techniker erklärte Kaschte das Spendenziel für erreicht und nun folgte die Bescherung: Das viel gelobte, eigens für diese Veranstaltung entworfene Bild des Künstlers Septian Fajrianto wurde Michael Fangmann vom Veranstalter Cargo Events geschenkt, eine Kopie ging zudem an das kleinste anwesende Mädchen – eine schöne Aktion zur Abrundung.
Der magische Dreiklang aus „Endstation Eden“, „Ein Fötus wie du“ (mit ausgedehntem Moshpit und vierseitiger Wall of Death) und natürlich der obligatorischen „Kugel im Gesicht“ beendete schließlich den Abend im Ausnahmezustand. Die Band konnte auf jeden Fall resümieren, dass auch abseits der Stammlande famose Partys möglich sind und dass auch im Norden der Republik zahlreiche treue Fans des Traums vorhanden sind. Eine Fortführung dieses Events im nächsten Jahr wird ausdrücklich gewünscht, gerne auch am selben Ort, denn eine solch harmonische Zusammenarbeit mit einer Konzertlocation ist nicht selbstverständlich und Gold wert. Auch nach dem Konzert blieben noch viele Besucher da und feierten auf der anschließenden schwarzen Retro-Party weiter. Game of Thrones-Fans wird der Ausdruck „Der Norden vergisst nicht“ bekannt sein, dort wird er als Warnung an Feinde gebraucht, dass begangenes Unrecht nicht vergessen oder vergeben wird. Was die kleine eingeschworene SAMSAS TRAUM-Sekte in Lübeck betrifft, steht aber gleichermaßen fest: Der Norden vergisst nicht und wird der Band auch künftig an jeden Ort folgen, um wahrer Kunst – sei sie nun visuell, audio oder anderweitig manifestiert – die Bühne zu bieten, die sie verdient!

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Fotos: Birger Treimer
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